Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 15 U 182/20
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 01.09.2020 - 8 O 226/19 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Aachen sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung (wegen der Kosten) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Mit seiner im Juni 2019 eingereichten Klageschrift nimmt der Kläger als (angeblich) registrierter Nutzer sowie (angeblicher) Administrator einer sog. „Gruppe“ namens „A“ die Beklagte, eine Betreiberin eines sog. sozialen Netzwerks, wegen der vermeintlich unzulässigen „Löschung“ dieser „Gruppe“ am 28.02.2019 in Anspruch. Mit der Klage verlangt der Kläger die Wiederherstellung der „Gruppe“, Zahlung eines Geldbetrages sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Schlussanträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 511 ff. d.A.) Bezug genommen. Ergänzt sei, dass die streitgegenständliche „Gruppe“ im Zeitpunkt ihrer Löschung ca. 17.000 Mitglieder hatte und wegen ihrer kontroversen Inhalte vor und nach der Löschung u.a. Gegenstand kritischer Presseberichterstattung war. „Gruppen“ sind - wie im Termin mit den Parteien erörtert - technisch von mindestens einem registrierten Konto aus administrierte Unterseiten als sog. sub-level-domains, die im sog. sozialen Netzwerk der Beklagten dann den Mitgliedern einen eigenen Diskussionsraum bieten und so quasi auf virtuelle Weise Interessengemeinschaften nachbilden können. Je nach den von den Administratoren getroffenen Gruppeneinstellungen sind die „Gruppen“ privat oder öffentlich, d.h. Inhalte für jedermann aufrufbar oder nicht; auch der Beitritt zur „Gruppe“ kann frei möglich oder auch administrativ beschränkt sein. Mitglieder einer „Gruppe“ können innerhalb der „Gruppe“ in gleicher Weise Beiträge verfassen (posten), Bilder hochladen und/oder Unterstützungshandlungen vornehmen („Gefällt-mir“-Knopf), wie sie es etwa auch in ihrem eigenen Profil oder auf dem Profil eines anderen Nutzers tun können. Eine „Gruppe“ muss mindestens einen und kann mehrere Administratoren und Moderatoren haben. Beiträge der einzelnen Gruppenmitglieder sind technisch unabhängig von dem oder den Administrator(en). Scheidet etwa einer von mehreren Administratoren aus (entweder durch Aufgabe seiner Administratorenrolle oder auch durch die Deaktivierung seines Accounts), bleibt eine Gruppe grundsätzlich daher ebenso erhalten wie die Beiträge der anderen Gruppenmitglieder. Die Stellung als Administrator einer „Gruppe“ erfordert unstreitig ein aktives Nutzerkonto.
4Zwischen den Parteien ist zuletzt unstreitig, dass der vom Kläger in seiner außergerichtlichen Abmahnung vom 18.03.2019 (Anlage K 13, AH II) und in erster Instanz noch angeführte „ursprüngliche“ User-Account „Internetadresse 1“ von diesem lange Jahre u.a. auch zur Administration der hier streitgegenständlichen „Gruppe“ genutzt worden war, aber schon einige Zeit vor der streitgegenständlichen Löschmaßnahme für die „Gruppe“ nach mehreren temporären „Sperren“ (= Versetzung in den Nur-Lese-Modus) „deaktiviert“ worden war (Anlage B 25, AH IV). Im Nachgang an eine außergerichtliche Einigung der Parteien vom 02.09.2020 – zu deren Einzelheiten dem Senat wegen einer Verschwiegenheitsvereinbarung nichts Näheres mitgeteilt werden konnte, die jedoch unstreitig im Zusammenhang zu dem weiteren Verfahren LG Aachen – 8 O 84/18 = OLG Köln – 15 U 248/19 stand -, ist zwischenzeitlich am 01.10.2020 unter diesem ursprünglichen Usernamen mit der von der Beklagten dabei vergebenen identischen URL ein Account des Klägers eingerichtet worden (Screenshot Anlage B 101, Bl. 1028 d.A). Weitere Einzelheiten zu diesem Geschehen sind dabei unter den Parteien umstritten.
5Auslöser der Löschung der hier streitgegenständlichen „Gruppe“ soll nach den – klägerseits allerdings zuletzt bestrittenen– Behauptungen der Beklagten der nachstehend eingeblendete Post (Anlage B 26, AH IV) gewesen sein. Dieser Post war als sog. „fixierter Beitrag“ veröffentlicht, was zur Folge hatte, dass er in der Chronik der „Gruppe“ (ungeachtet zeitlich aktuellerer Beiträge) stets an oberster Stelle angezeigt wurde und somit von nahezu allen Gruppenmitgliedern eingesehen werden konnte:
6 7Seit April/Mai 2018 verwendet die Beklagte im Hinblick auf das Inkrafttreten der DSGVO angepasste Nutzungsbedingungen, Sonderbedingungen u.a. für Gruppen und Gemeinschaftsstandards, wegen deren Einzelheiten auf die Anlagen K 1- K 3 (AH I) = Anlage B 29 – 31 (AH IV) Bezug genommen wird. Die bereits früher angemeldeten Nutzer stimmten diesen neuen Bedingungen über eine sog. Pop-Up-Maske zu, wenn sie nicht – was als einzige Alternative angeboten wurde – ihr Konto löschen wollten. Die Entscheidung konnte nur bis zum 25.05.2018 durch ein „Wegklicken“ des Fensters aufgeschoben werden.
8Der Kläger hat in erster Instanz u.a. die Ansicht vertreten, die „erzwungene“ Änderung der Nutzungsbedingungen im Jahr 2018 sei unwirksam und daher seien für ihn noch die früheren Bedingungen der Beklagten maßgeblich, die zu „Gruppen“ und deren Deaktivierung unstreitig keinerlei explizite Regularien enthielten. Die neuen Bedingungen mit ihrem nur pauschalen Verweis u.a. auf die sog. „Gemeinschaftsstandards“ und die – nach Ansicht des Klägers intransparent geregelte - Verantwortlichkeit der Administration für sämtliche Inhalte in „Gruppen“ sei aber ohnehin gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam. Aus der - hier erfolgten - rechtswidrigen Löschung der „Gruppe“ folge – weil man die seitens der Nutzer nach den Vertragsbedingungen der Beklagten gewährte Lizenz an allen Inhalten trotz mangelnder Gegenleistung ungehindert weiter nutze - ein Ersatzanspruch (auch) des Klägers aus §§ 280, 249 BGB, der nach § 287 ZPO in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr bzw. je nach Wert der Daten zu schätzen sei bzw. es bestehe zumindest ein Bereicherungsanspruch.
9Das Landgericht hat die Klage mit dem hier angefochtenen Urteil vom 01.09.2020 abgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen darauf gestützt, dass mangels schlüssiger Darlegung eines konkreten Nutzungsvertrages schon die Aktivlegitimation des Klägers fehle; die Beklagte habe dies prozessual ausreichend bestritten. Im Übrigen sei die Löschung der „Gruppe“ wegen der fraglichen Äußerung als Ausfluss des „virtuellen Hausrechts“ der Beklagten berechtigt gewesen, weil es um eine gezielte Herabwürdigung und unterschwellige Drohung gehe, bei der die Wirkung des Inhalts durch die „Fixierung“ des Beitrages intensiviert worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 511 ff. d.A.).
10Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er den Wiederherstellungs- und Zahlungsanspruch in vollem Umfang und den Freistellungsanspruch wegen der vorgerichtlichen Kosten nur angepasst weiterverfolgt. Der Kläger rügt zunächst, dass das Landgericht zu Unrecht vom Fehlen seiner Aktivlegitimation aufgrund angeblich unzureichender Darlegungen zum Bestehen eines Nutzungsvertrages bzw. der Administratoreneigenschaft ausgegangen sei. Soweit das ursprüngliche Konto des Klägers damals tatsächlich bereits deaktiviert gewesen sei, ändere dies nichts daran, dass der Kläger mit seinem anschließend neu eröffneten Nutzerkonto weiterhin Nutzer des sog. sozialen Netzwerks der Beklagten gewesen sei und die - frei übertragbaren - Administratorenrechte erhalten habe. Der Kläger behauptet dazu erstmals, dass das Konto, welches zuletzt mit der streitgegenständlichen „Gruppe“ verbunden gewesen sei, sein Nachfolgekonto mit der Bezeichnung „B“ gewesen sei. Schon aus den Screenshots auf S. 24 – 28 der Berufungsbegründung (Bl. 566 ff. d.A.) ergebe sich insofern seine damalige Administratorenstellung. Er hat zudem Zeugenbeweis dazu angetreten, dass er mit diesem Nachfolgekonto nach Löschung seines ursprünglichen Kontos Mitglied und Administrator der „Gruppe“ bis zum Zeitpunkt der Löschung gewesen sei.
11Letztlich komme es darauf aber nicht an. Der Kläger behauptet, dass sein zwischenzeitlich eingerichtetes Userkonto mit dem ursprünglichen Nutzernamen identisch mit seinem „ursprünglichen“ Nutzerkonto sei, welches von der Beklagten nur „zeitweilig gesperrt“ worden sei. Im Zuge der außergerichtlichen Einigung habe er zwar die Deaktivierung des Kontos hingenommen, doch sei ihm die Einrichtung des neuen Profils gestattet worden. Dabei habe man den Account „ausdrücklich als Nachfolgekonto des früheren, von der Beklagten deaktivierten und angeblich nicht wiederherstellbaren Nutzerkontos eingerichtet“, so dass man mit diese Nachfolgekonto rechtlich so zu stellen sei, als besäße man immer noch das ursprüngliche Konto (S. 1 f. des Schriftsatzes vom 20.10.2021 = Bl. 1031 f. d.A.). Mit dieser Wiederherstellung des (ursprünglichen) Accounts habe er – den Nutzungsbedingungen der Beklagten folgend – dann nur das weitere „Nachfolgekonto“ löschen müssen, so dass es diesen Account zwar heute in der Tat nicht mehr gebe. Das gehe aber nicht zu seinen Lasten. Da der Berufungsantrag – sprachlich weit gefasst – nur allgemein von einem Zugriff des Klägers spreche und auch mit dem jetzt wieder nutzbaren „Ausgangs-Konto“ ein Zugriff möglich wäre, stehe der formale Accountwechsel seinem Klagebegehren keinesfalls entgegen. Es sei auch nicht etwa aus technischen Gründen unmöglich, die Gruppe nach deren Wiederherstellung über dieses Nutzerkonto zu nutzen und zu administrieren. Rechtlich sei zwischen der durchgehenden rechtlichen Vertragsbeziehung mit ihm als natürlicher Person und den nur eher technischen Möglichkeiten der Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte Gruppenkonten zu differenzieren, denn tatsächlich habe er eine durchgehende Userbeziehung zur Beklagten und müsse daraus auch einheitliche Rechte wegen der „Gruppe“ ableiten können.
12Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 07.02.2022 stellt der Kläger klar, dass sein Berufungsantrag (nur) darauf gerichtet sei, die von der Beklagten gelöschte „Gruppe“ wiederherzustellen, also eine URL-Adresse mit eigenständigem Inhalt, die „Gefällt-mir“-Angaben anderer Nutzer der „Gruppe“ (also nicht des Klägers) wiederherzustellen, die Inhalte anderer Nutzer (also nicht des Klägers) wiederherzustellen und dem Kläger als einer natürlichen Person (und nicht nur einem bestimmten Profil/Account) den Zugriff auf diese Gruppe (mit dem Ziel der Ermöglichung der weiteren Administration) zu gewähren; es gehe also gerade nicht um das frühere, mittlerweile deaktivierte Nutzerkonto des Klägers oder dessen frühere Beiträge, zumal auch nach Ansicht des Klägers diese eigenen Beiträge des Klägers wegen der Deaktivierung endgültig gelöscht sein dürften. Der Unterschied zu der (dem Kläger sowieso jederzeit möglichen) Einrichtung einer neuen „Gruppe“ sei, dass eine neue „Gruppe“ hinsichtlich der Mitgliederzahl und Beiträge wieder „bei Null beginnen“ müsste, während die gelöschte Gruppe 17.000 Mitglieder und entsprechend viele Beiträge Dritter hatte.
13In der Sache behauptet der Kläger zudem erstmals, dass sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass damals tatsächlich nur ein vom Kläger gepostetes und auf Meldung eines Drittusers hin gelöschtes Video – und gerade nicht der von der Beklagte in erster Instanz angeführte Beitrag in Anlage B 26 und angebliches „Bullying“ durch diesen Post – zur Löschung der „Gruppe“ geführt habe. Dies könne die Beklagte als Plattforminhaberin und „Herrin der Daten“ nicht prozessual zulässig mit Nichtwissen bestreiten. Zu dem Video fehle jedweder Sachvortrag und offensichtlich trage hier ein einziges (unterstellt) rechtswidriges Posting keine Löschung der ganzen „Gruppe“ (nebst allen Inhalten). Die vage Behauptung, ungefähr 60% der damaligen Inhalte der „Gruppe“ hätten gegen die sog. Gemeinschaftsstandards verstoßen, sei unsubstantiiert.
14Ungeachtet dessen habe das Landgericht zu Unrecht eine Löschungsbefugnis der Beklagten aufgrund eines „virtuellen Hausrechts“ erkannt, dies insbesondere mit Blick auf die Unwirksamkeit der Änderung der Nutzungsbedingungen im Jahr 2018 (die gerade wegen der zuvor fehlenden Regelungen für „Gruppen“ wesentlich sei), die Unwirksamkeit der neuen wie auch alten AGB mit Blick auf die vertraglichen Hauptleistungspflichten, die Unwirksamkeit jedenfalls der eine Verantwortung zu weit auf Administratoren verlagernden und intransparent nur auf die sonstigen AGB verweisenden Regelungen für „Gruppen“ usw. Bei der gebotenen AGB-Prüfung seien widerstreitende Grundrechtspositionen sowie die marktbeherrschende Stellung der Beklagten zu berücksichtigen. Doch selbst eine Wirksamkeit der AGB unterstellt, liege jedenfalls hier kein Fall eines „Bullyings“ vor. Insbesondere sei zu würdigen, dass der Post in Anlage B 26 auf „C“ bezogen gewesen sei, die unter der Ägide eines „D“, in dessen Profilbild ein E gezeigt war, eine Chatgruppe angelegt hätten, in die Mitglieder der hier streitgegenständlichen Gruppe bewusst hinzugefügt/eingeladen und - insbesondere auch der Kläger – mit Verbalinjurien usw. beleidigt und bedroht worden seien, wie beispielhaft auf S. 3 ff. des Schriftsatzes vom 07.05.2021 (Bl. 973 ff. d.A.) eingeblendet; dies bestreitet die Beklagte insgesamt mit Nichtwissen. Im Vergleich dazu sei der Post in Anlage B 26 nur eine „harmlose“ Gegenreaktion und mit der wertenden Bezeichnung als „ganz arme Wurst“ kein Bullying – was man für den Fall einer gebotenen vorherigen Anhörung vor Verhängung der Sanktion in Form der Löschung der Gruppe der Beklagten auch mitgeteilt hätte. In der Sache sei in Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH in den Urt. v. 29.07.2020 – III ZR 179/20 bzw. III ZR 192/20, juris auch hier von der Unwirksamkeit der Nutzungsbedingungen auszugehen, soweit es um die Löschung einer „Gruppe“ gehe; insofern könne schwerlich anderes gelten als für Nutzerkontensperrungen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 542 ff. d.A.) die Schriftsätze vom 22.08.2021 (Bl. 970 ff. d.A.), vom 27.08.2021 (Bl. 1000 f. d.A.) und vom 20.10.2021 (Bl. 1030 ff. d. A.), die Ausführungen im Termin vom 02.12.2021 (Protokoll, Bl. 1059 ff. d.A.) sowie den nachgelassenen Schriftsatz vom 07.02.2022 (Bl. 1066 ff. d.A.) Bezug genommen.
16Der Kläger beantragt sinngemäß,
17das Urteil des Landgerichts Aachen vom 01.09.2020 - 8 O 226/19 – abzuändern und
181. die Beklagte zu verurteilen, die durch den Kläger verwaltete, am 28.02.2019 gelöschte Gruppe „A“ auf Internetadresse 2 vollständig wiederherzustellen und insbesondere alle Verknüpfungen dieser Gruppe mit den Gefällt-mir Angaben anderer Nutzer sowie deren Inhalte, wie diese zum Löschungszeitpunkt bestanden, wiederherzustellen; sowie dem Kläger Zugriff zu dieser Gruppe zu gewähren;
192. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 1.500,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2019 zu zahlen;
203. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 597,74 EUR durch Zahlung an die Kanzlei F freizustellen.
21Die Beklagte beantragt
22die Berufung zurückzuweisen.
23Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Ausführungen. Soweit der Kläger zuletzt versuche, Ansprüche wegen eines angeblichen Nachfolgekontos mit der Bezeichnung „B“ geltend zu machen, sei es tatsächlich schon aus technischen Gründen nicht möglich, mit dem (mit Ausnahme der Messenger-Funktion) auf Wunsch des Klägers unstreitig am 06.03.2021 deaktivierten Konto (Anlage B 99, Bl. 656 f. d.A.) die hier streitgegenständliche „Gruppe“ in dem derzeitigen Zustand dieses Accounts zu nutzen und/oder zu administrieren. Erweiterte Darlegungs- und/oder Beweispflichten zu einer anderen bestehenden aktiven Nutzerrolle des Klägers träfen die Beklagte ansonsten auch nicht als „Herrin der Daten“, zumal es nicht Aufgabe der Beklagten sei, dem Kläger zur Schlüssigkeit seiner Klage zu verhelfen. Richtig sei allein, dass man den erstinstanzlichen Vortrag zur „Gruppe“ korrigiert habe und diese bzw. ihre Inhalte gerade nicht dauerhaft und vollständig gelöscht seien. Soweit der Kläger (auch) Rechte aus dem unter der URL seines „ursprünglichen“ Accounts aufgrund der außergerichtlichen Einigung tatsächlich nur komplett neu angelegten Kontos geltend zu machen versuche, gehe es dabei nicht etwa um ein „Nachfolgekonto“, sondern man habe dem Kläger nur gestattet, ein Konto „neu“ anzulegen, woraus er aber keine weitergehenden Rechte ableiten könne.
24In der Sache habe das Landgericht zu Recht erkannt, dass die streitgegenständliche Gruppe aufgrund des oben eingeblendeten und „fixierten“ Posts deaktiviert worden sei und auch werden durfte und dies u.a. wegen des Verbots von Bullying. Auf das streitige Vorbringen zu den angeblichen Hintergründen der Diskussionen in Chatgruppen - zu denen bei dem Post und den anderen Posts in der Gruppe auch nichts mitgeteilt worden sei - komme es für diese Einordnung ohnehin nicht an. Soweit nunmehr behauptet werde, dass die Gruppe tatsächlich aufgrund eines vom Kläger geposteten Videos gelöscht worden sei, sei das zu bestreiten, zumal der vorgelegte Screenshot nur pauschal von einer „Gruppe“ spreche und jede andere „Gruppe“ meinen könne. Soweit der Kläger eine Unwirksamkeit der AGB-Änderung thematisiere, sei dies schon deswegen fernliegend, weil das angebliche „Nachfolgekonto“ überhaupt erst am 13.10.2018 – also auf Basis der neuen AGB - angelegt worden sei. In der Sache seien – erneut entgegen dem Kläger – die zitierten BGH-Entscheidungen vom 29.07.2021 keinerlei „Freibrief“ für die Verbreitung gemeinschädlicher Inhalte, zumal es dort nur um bestimmte verfahrensmäßige Vorgaben gegangen sei und sich zu der hier streitgegenständlichen Frage einer „Gruppendeaktivierung“ dort keine Ausführungen fänden. Der Bundesgerichtshof habe im Kern eine Regelungsbefugnis der Plattformbetreiber für die Inhalte auch über solche von strafrechtlicher Relevanz hinaus anerkannt. Ebenso wie eine dauerhafte Deaktivierung von Konten ungeachtet der ohnehin nur klarstellenden AGB der Beklagten über § 314 BGB bzw. § 626 BGB möglich wäre, müssten daher auch dauerhafte Deaktivierungen von „Gruppen“ möglich sein. Eine Abmahnung sei im konkreten Fall entbehrlich gewesen, dies schon wegen der Vielzahl von Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards in der „Gruppe“ und der durch einen vermeintlichen Administrator (missbräuchlich) genutzten Möglichkeit der „Beitragsfixierung.“
25Jedenfalls bestehe kein – hier ohnehin hinsichtlich des unklaren Klagebegehrens offenbar unzulässig alternativ – verfolgter Schadensersatzanspruch, zumal es an einem konkreten Vermögensschaden fehle und dem Kläger – u.a. wegen der Unentgeltlichkeit der Dienste keine fiktive Lizenzgebühr zustehe. Ob ein solcher Anspruch u.U. denkbar sei, wenn man der Nutzung der eigenen Daten widersprochen habe, bedürfe keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall unstreitig nicht vorliege.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 608 ff. i.V.m. 655 ff. d.A.) und die Schriftsätze vom 15.10.2021 (Bl. 1016 ff. d.A.) und vom 22.10.2021 (Bl. 1033 ff. d.A.) sowie die Ausführungen im Termin vom 02.12.2021 (Protokoll, Bl. 1059 ff. d.A.) Bezug genommen.
27II.
28Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, das Vorbringen im nachgelassenen Schriftsatz des Klägers trägt ebenfalls keine ihm günstigere Sichtweise und erfordert keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach §§ 525 S. 1, 156 Abs. 1 oder 2 ZPO.
291. Die Klage ist zulässig.
30a) Durchgreifende Bedenken mit Blick auf § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestehen jedenfalls in Ansehung der Tatsache, dass die streitgegenständliche „Gruppe“ nach dem korrigierten Beklagtenvortrag tatsächlich doch noch recht einfach wiederherzustellen wäre und auch keinerlei Streit über die dabei wiederherzustellenden Inhalte besteht, nicht. Denn ein Antrag ist schon hinreichend bestimmt, wenn Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts klar umrissen sind, sich der Beklagte erschöpfend verteidigen kann und nicht dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung überlassen bleibt, was dem Beklagten aufgegeben oder verboten ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH v. 04.12.2013 – IV ZR 215/12, NJW 2014, 630 Rn. 18 m.w.N.). Welche Anforderungen sich daraus ergeben, hängt ohnehin von den Besonderheiten des einschlägigen materiellen Rechts und den Umständen des Einzelfalles ab; dabei ist auch das Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz zu berücksichtigen (BGH v. 28.11.2002 - I ZR 168/00, NJW 2003, 668 (669)). Den Mitgliedern einer „Gruppe“ wäre im Gegenzug auch etwa kaum zuzumuten, mehrfach täglich die kompletten Inhalte der „Gruppe“ durch Screenshots etc. zu „sichern“, um für den Fall einer plötzlichen und vermeintlich unzulässigen Deaktivierung der „Gruppe“ von Seiten der Beklagten insofern genauer gefasste Klageanträge stellen zu können. Kleinere tatsächliche Unklarheiten zum Daten- und Verknüpfungsbestand im Löschungszeitpunkt könnten zur Not im Verfahren nach § 888 ZPO – ggf. mit sachverständiger Hilfe und/oder den Grundsätzen der sog. sekundären Darlegungslast der Beklagten als Betreiberin – noch geklärt werden.
31b) Soweit u.a. auf S. 23 der Klageerwiderung (Bl. 133 f. d.A.) eine (unzulässige) „alternative Klageerhebung“ mit Ansprüchen auf Geldentschädigung einerseits und auf Lizenzanalogie andererseits gerügt ist und dies mit S. 31 f. der Berufungserwiderung (Bl. 640 f. d.A.) wiederholt worden ist, trägt das hier im konkreten Fall schon allein deswegen nicht, weil auf S. 28 der Replik (Bl. 183 f. d.A.) allein und ausschließlich eine schadens- und bereicherungsrechtliche Lizenzanalogie wegen der Datennutzung u.a. der „Inhalte der Gruppe“ geltend gemacht worden ist.
322. Die Klage ist aber insgesamt unbegründet.
33a) Dem Kläger steht der primär geltend gemachte Wiederherstellungsanspruch mit Blick auf die streitgegenständliche „Gruppe“ unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere nicht aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB.
34aa) Dabei kann und soll ausdrücklich dahinstehen, unter welchen Bedingungen die Beklagte – dies auch mit Blick auf die allerdings nur temporäre „Sperren“ von einzelnen Accounts (= Versetzung in den „Nur-Lese-Modus“) betreffenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den Urt. v. 29.07.2021 – III ZR 179/20 bzw. III ZR 192/20, juris (und dem folgend OLG Celle v. 20.01.2022 – 13 U 84/19, GRUR-RS 2022, 1200; siehe vertiefend dazu auch Raue, NJW 2022, 209 m.w.N.) – nach ihren vertraglichen Bedingungen und/oder über § 314 BGB wem gegenüber wann und wie genau zur Löschung einer ganzen „Gruppe“ berechtigt wäre. Ebenso bedarf keiner Entscheidung, ob die eher eigene Verweistechnik der Beklagten auf „Sonderbedingungen“ zu Gruppen etc. (Anlage B 31) den AGB-rechtlichen Transparenzanforderungen Genüge leisten kann. Auch soll dahinstehen, ob der Kläger, der für sich geltend macht, nur einer von mehreren Administratoren der „Gruppe“ mit immerhin unstreitig auch ca. 17.000 Nutzern gewesen zu sein, etwaige vertragliche oder gesetzliche Ansprüche wegen der „Löschung“ der „Gruppe“ überhaupt prozessual allein geltend machen könnte. Soweit eine solche „Gruppe“ vereinzelt sogar als eine (konkludent) vereinbarte BGB-Gesellschaft eingestuft wird (so wohl Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 705 BGB Rn. 16) – die dann aber auch als solche klagen müsste -, dürfte das zwar nicht ohne weiteres überzeugen (selbst für Binnenstreitigkeiten um eine Administratorposition verneinend AG Menden v. 09.01.2013 – 4 C 409/12, NZG 2014, 661 mit Anm. NJW-Spezial 2014, 304; bestätigt durch LG Arnsberg v. 25.03.2013 - I-3 S 8/13, BeckRS 2013, 7929; siehe auch Kremer, in: Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl. 2019, § 28 Rn. 105); insbesondere hat die (nicht sonst organisierte) „Gruppe“ als solche keinerlei eigene vertragliche Bindung und Beziehung mit der Beklagten als Betreiberin des sog. sozialen Netzwerks, sondern nur die einzelnen User, aus deren „Einzelberechtigungen“ die Gruppenstruktur mehr oder weniger nur „abzuleiten“ ist. Ob aber bei – wie hier – nach dem Vortrag des Klägers mehreren Administratoren/Moderatoren die Rechte der „Gruppe“ nicht ggf. zumindest durch alle Administratoren (quasi „zur gesamten Hand“) geltend zu machen wären bzw. der einzelne zumindest dann nur eine Leistung an alle Administratoren (oder gar die Mitglieder?) verlangen muss (was man möglicherweise im Wege der Auslegung in das klägerische Begehren hineinlesen könnte, sind die anderen Berechtigten auch derzeit noch nicht benannt) oder – auch zur Meidung unterschiedlichen Vorgehens – nicht eine gemeinsame Willensbildung oder eine allseitige Zustimmung zum gerichtlichen Vorgehen geboten wäre, ist hier gleichsam nicht grundsätzlich zu klären. Schließlich kommt es auch nicht auf die hier im konkreten Fall noch streitige weitere Einzelfallfrage ab, was damals genau zur Löschung der „Gruppe“ geführt hat und ob das jedenfalls nach dem Beklagtenvortrag dafür maßgebliche Posting dann tatsächlich als „Bullying“ im Sinne der Gemeinschaftsstandards anzusehen wäre, diese insofern wirksam wären, etwaige verfahrensmäßigen Vorgaben (BGH a.a.O.) eingehalten waren und ob das Verhalten geeignet gewesen wäre, auch ohne weitere Vorwarnung die „Gruppe“ insgesamt und dauerhaft zu löschen.
35bb) Denn all dies ist hier letztlich nicht entscheidungserheblich: Der Kläger ist vielmehr auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrages im nachgelassenen Schriftsatz im Anschluss an die Erörterungen im Termin schon im konkreten Fall nicht aktivlegitimiert.
36(1) Dabei geht der Senat davon aus, dass mehrere Accounts einer natürlichen Person – die es nach den Regularien der Beklagten zumindest nicht ohne weiteres geben sollte (vgl. die Nutzungsbedingungen in Anlage K 1, AH I zu Ziff. 3: „Nur ein einziges Konto (dein eigenes) erstellen…“ bzw. parallel dazu der Ausspruch eines Nutzungsverbots bei einer Deaktivierung eines Kontos „bereits früher“, vgl. auch Ziff. 4.2. und 4.3. der früheren Nutzungsbedingungen in Anlage K 21, AH II und zu Zweitkonten allg. etwa auch OLG Dresden v. 30.11.2021 – 4 U 2056/21, GRUR-RS 2021, 42197) – im Grundsatz stets zu abstrahieren und rechtlich getrennt zu bewerten sind, ebenso wie eine natürliche Person beispielsweise auch mehrere getrennte Telefonverträge mit einem Provider, Nutzerverträge mit einem Streaminganbieter (etwa ohne Familien-Account) oder einem Emailprovider etc. haben mag. Dass nach den Regularien der Beklagten jede natürliche Person nur einen Account haben darf, ändert daran nichts; im Gegenteil: Denn auch mit Blick darauf kann sich der Kläger erst recht nicht darauf berufen, dass eine Mehrzahl von Accounts in einer Hand dann dennoch wie ein einheitliches Vertragsverhältnis zu werten sei.
37Selbst wenn man dann einem Administrator einer „Gruppe“ einen aus dem eigenen Account abgeleiteten vertraglichen Abwehranspruch auch gegen eine (unterstellt) rechtswidrige Löschung einer von ihm administrierten „Gruppe“ zusprechen würde, setzt ein solcher Anspruch – wie im Termin erörtert – daher aber schon denklogisch zumindest voraus, dass die natürliche Person im Zeitpunkt der (unterstellt) vertragswidrigen Löschung mit einem tatsächlich auch noch fortbestehenden Konto/Account (= Vertragsverhältnis) ein User der Beklagten und gleichzeitig auch Administrator der betroffenen „Gruppe“ war und mithin in diesen (eigenen) vertraglichen Rechten selbst unmittelbar durch den faktischen Eingriff der Beklagten in die „Gruppe“ und deren, aus den einzelnen Userverträgen abzuleitenden „Rechten“ damit „betroffen“ ist. Das ist hier aber konkret mit Blick auf den Kläger nicht der Fall, wie im Folgenden aufzuzeigen ist.
38(2) Denn im Zeitpunkt der Löschung der „Gruppe“ war der Kläger, selbst seinen teils streitigen Vortrag prozessual zu seinen Gunsten insgesamt als wahr unterstellt - wobei das Landgericht wohl ohnehin dazu richterliche Hinweispflichten verletzt hätte(§ 139 Abs. 4 ZPO) und deswegen der neue Vortrag des Klägers nebst Beweisantritten trotz § 531 Abs. 2 ZPO vollumfänglich zuzulassen wäre -, zuletzt in der „Gruppe“ bis zum Zeitpunkt der Löschung nur mit dem Account unter der Bezeichnung „B“ tätig. Das dahinter stehende Vertragsverhältnis ist aber unstreitig seit dem 06.03.2021 beendet und dieser Account unstreitig vom Kläger selbst gelöscht/deaktiviert. Soweit der Kläger – wie im Termin mit dem Klägervertreter erörtert - geltend macht, dass er diese Deaktivierung allein wegen der oben angesprochenen Nutzungsbedingungen der Beklagten vorgenommen habe, um nicht weiter mehrere Accounts zu führen, ändert das nichts, weil diese Deaktivierung dennoch damals auf seine freie Willensentscheidung zurückzuführen ist und er (stattdessen) seinen (wieder) „neu“ angelegten Account mit der ihm von der Beklagten zugewiesenen „ursprünglichen“ URL „G“ nutzen wollte, wozu ihn aber ausdrücklich niemand „gezwungen“ hat.
39(3) Selbst wenn man – der Vortrag der Parteien zu den Inhalten der außergerichtlichen Einigung ist vage geblieben – den am 01.10.2020 erstellten („neuen“) Account als eine Art „Nachfolgeaccount“ des ursprünglichen (gleichnamigen) Ausgangs-Accounts des Klägers mit der gleichen URL ansehen wollte, kann der Kläger sich auch darauf nicht stützen: Denn selbst wenn man dem Kläger in seiner rechtlichen Einschätzung folgen wollte, dass er mit dem „Nachfolgekonto“ so zu stellen sei, als besäße er immer noch sein ursprüngliches Konto (S. 1 f. des Schriftsatzes vom 20.10.2021 = Bl. 1031 f. d.A.), hilft ihm das vorliegend nicht weiter: Zwar mag man unterstellen, dass der Kläger mit seinem „ursprünglichen“ Konto sowohl Mitglied als auch Administrator der streitgegenständlichen „Gruppe“ war, doch endete dieser Zustand unstreitig schon längere Zeit vor der hier streitgegenständlichen Löschung der „Gruppe“, denn zu diesem Zeitpunkt war der Kläger allein noch mit dem zu bb) genannten Account als Administrator tätig. War das „ursprüngliche“ Konto im Zeitpunkt der Gruppenlöschung aber unstreitig lange deaktiviert (und sind alle Inhalte des ursprünglichen Accounts unstreitig auch nicht mehr wiederherstellbar), kann allein das Einrichten eines (unterstellt) „rechtsidentischen“ neuen Accounts mit gleicher URL Ende 2020 – also lange nach der streitgegenständlichen Gruppenlöschung – aber jedenfalls keine (rückwirkenden) Ansprüche wegen der vorherigen Löschung der „Gruppe“ im Jahr 2019 begründen, also zu einem Zeitpunkt, als es keinerlei Verknüpfung der Gruppe mit diesem Account/Konto/Nutzervertrag mehr gab.
40(4) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin dahingehend argumentiert hat, dass es tatsächlich gar nicht um die (ohnehin gelöschten) Inhalte der verschiedenen Accounts des Klägers gehe, sondern – wie auch im nachgelassenen Schriftsatz weiter vertieft – nur um die Inhalte der „Gruppe“ und das Bedürfnis nicht „bei Null anfangen“ zu müssen und die 17.000 Gruppenmitglieder vermeintlich gleicher Gesinnung wieder „sammeln“ zu müssen, ändert das rechtlich nichts daran, dass man – wenn überhaupt – nur dann vertragliche oder gesetzliche Ansprüche gegen die Beklagte hätte konstruieren können, wenn man im Zeitpunkt des (unterstellt rechtswidrigen) Eingriffs in diese „Gruppe“ in eigenen vertraglichen Positionen als User (und davon abgeleitet als Administrator/Moderator der „Gruppe“) betroffen und entsprechend „verletzt“ worden wäre. Daran fehlt es aber – wie gezeigt – mit Blick auf die „ursprüngliche“ Vertragsbeziehung (die lange vor der Löschung der „Gruppe“ deaktiviert war) und/oder die „neue“ Vertragsbeziehung, selbst wenn man sie als Fortführung der ursprünglichen Vertragsbeziehung verstehen wollte, weil der „Eingriff“ der Beklagten dann jedenfalls noch vor deren „Neueinrichtung“/“Reaktivierung“ erfolgt ist.
41(5) Der Kläger kann sich schließlich hier auch nicht auf nachvertragliche Ansprüche aus seinem „deaktivierten“ zwischenzeitlich genutzten Account zu bb) – der von der Löschung der Gruppe zeitlich allein „betroffen“ war – stützen.
42(a) Ausdrückliche nachvertragliche Pflichten im vorliegenden Kontext sind vertraglich unter den Parteien nicht geregelt. Die wenigen Regelungen zu einem Zustand nach eigener Löschung eines Kontos bzw. Deaktivierung eines Kontos durch die Beklagte in Ziff. 4.2. der Nutzungsbedingungen (Anlage K 1, AH I) mit ihrem Verweis nur auf Ziff. „3, 4.2 – 4.5“ der Nutzungsbedingungen helfen hier ersichtlich nicht weiter.
43(b) Soweit sich nachwirkende Pflichten ggf. im Einzelfall auch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) ergeben können (dazu allg. BeckOGK-BGB/Herresthal, Stand: 01.01.2021, § 311 Rn. 482 f. m.w.N.), fehlt angesichts der vom Kläger hier vorgenommenen eigenen und freiwilligen Deaktivierung des Accounts aber schon ein Bedürfnis zur nachwirkenden Sicherung eines - wie auch immer gelagerten - Vertragsinteresses, denn diese Vertragsbeziehung wurde bewusst beendet und damit eben auch der Verfall der Inhalte und der „sozialen Interaktion“ über diesen Account im sog. sozialen Netzwerk der Beklagten bewusst dem Verfall anheimgestellt.
44(c) Auch für die Annahme sonstiger nachvertraglicher sog. Leistungstreue- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) und daraus fließender Ersatzansprüchen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 249 ff. BGB) auf Wiederherstellung etc. – die zwar theoretisch konstruierbar wären (vertiefend dazu etwa nur Herresthal, a.a.O., Rn. 485 – 508 m.w.N. – fehlt hier aus letztlich ähnlichen Gründen ein anerkennenswertes Bedürfnis: Es besteht nach der bewussten Deaktivierung des Accounts – mit der der Kläger eben auch alle eigenen Inhalte (auch) in der „Gruppe“ dem Verfall anheimgestellt hat – keine besondere Einwirkungsmöglichkeit der Beklagten mehr auf geschützte Interessen des Klägers als spezifische Folge des früheren gesteigerten sozialen Kontakts (zu solchen Fällen etwa Herresthal, a.a.O., Rn. 494, 496). Auch ein im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB möglicherweise gewichtiger besonderer „Vertrauensgedanke“ (Herresthal, a.a.O Rn. 501) greift angesichts der bewussten Deaktivierung fraglos nicht mehr ein. Ein – wie auch immer gelagertes - „Gruppen“-Interesse als „Vertragszweck“ ist jedenfalls nicht mehr für diesen gelöschten Account des Klägers relevant, zumal gegen rechtswidrige Maßnahmen möglicherweise eben ja auch die anderen (verbleibenden) Administratoren und/oder ggf. sogar die zahlreichen (verbleibenden) User (mit ihren nicht gelöschten Inhalten) hätten vorgehen können, dies jedenfalls nach der individuellen und strikt auf die Vielzahl der Einzelverträge bezogenen Sichtweise des Klägers. Sachgründe, hier für die Beklagte zusätzliche nachvertragliche Schutzpflichten auch gegenüber „Alt-Usern“ nach eigener „Deaktivierung“ eines von einer Maßnahme konkret betroffenen Accounts weiter aufrechtzuerhalten, sieht der Senat nicht, mögen diese User (wie der Kläger) auch mit einem anderen Account/Konto die Vertragsbeziehungen zur Beklagten (an anderer Stelle und in anderem Kontext) durchweg aufrechterhalten haben. Das gilt umso mehr, als – mit der Deaktivierung werden eben auch alle Inhalte des Accounts gelöscht – es auch nicht etwa um besonders schutzwürdige Inhalte etc. gehen kann (etwa für Kontoinformationen, Geschäftsgeheimnisse etc. etwa Herresthal a.a.O. Rn. 504) und deswegen ggf. eine weitere Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB geboten wäre.
45(6) Schließlich ändert sich – wie die Erörterung im Termin und die Konkretisierung des klägerischen Begehrens im nachgelassenen Schriftsatz zeigen – auch nichts dadurch, dass es dem Kläger nicht um die gelöschten und von ihm früher geposteten Inhalte seines früheren Accounts geht, sondern allein und ausschließlich um die (nach der Klarstellung seitens der Beklagten technisch unstreitig mögliche) Wiederherstellung der „Gruppe“ mit allen Mitgliedern, Inhalten und sozialen Interaktionen über den „Gefällt mir“-Knopf (ggf. außer solchen aus zwischenzeitlich deaktivierter Konten). Insofern wäre – das Vorbringen der Beklagten dazu ist jedenfalls unsubstantiiert geblieben – technisch zwar offenbar möglich (§ 275 BGB), den Kläger mit seinem „neuen-alten“ und insofern „aktuellen“ Account als Administrator dieser (wiederhergestellten) „Gruppe“ einzupflegen. Indes zeigt schon dies, dass es darauf keinen Anspruch des Klägers geben kann, weil der Kläger im Wege der Naturalrestitution nach (unterstellt) rechtswidriger Löschung der „Gruppe“ dann schlichtweg mit einem (anderen) Account als Administrator eingetragen würde und zwar einem solchen, den es damals unstreitig als solchen nicht gab, während der damals tatsächlich betroffene Account vom Kläger selbst schon bewusst deaktiviert worden ist. Die Beklagte würde so de facto gezwungen, einen (unterstellten) Eingriff in einen (deaktivierten) Account postvertraglich dadurch zu sühnen, dass man nunmehr zwischen den Zeilen einen Anspruch auf „Administrator-Umschreibung nebst Gruppenwiederherstellung“ zuerkennt, was die vertraglichen Beziehungen aber selbst dann überspannen würde, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger als natürliche Person durchweg in einer Vertragsbeziehung zur Beklagten gestanden und ein gleichlaufendes Interesse haben mag, seine Meinung auf dem „virtuellen Marktplatz“ der Beklagten zu vertreten. Das Vorgenannte gilt umso mehr, als der Kläger – was erneut deutlich zu machen ist - die Problematik leicht dadurch selbst hätte entschärfen können, dass er sich im Zuge der vertraglichen Einigung mit der Beklagten nur auf seinen „durchlaufenden“ Account hätte stützen und diesen ggf. „umbenennen“ hätte lassen können, anstatt einfach den von der streitgegenständlichen Gruppenlöschung allein betroffenen „Zwischen“-Account freiwillig zu kündigen (= zu löschen/deaktivieren) und sich einen neuen/alten Account unter der ursprünglichen URL anlegen zu lassen, dies ohne auch die hier fraglichen Probleme – die damals schon auf der Hand lagen – ebenfalls vertraglich mitregeln zu lassen. Das kann dann nicht einseitig zu Lasten der Beklagten gehen.
46(7) Die Beklagte ist dann zuletzt im konkreten Fall auch nicht etwa über § 242 BGB daran gehindert, sich auf die vorgenannten Umstände und die formalen Account-Unterschiede im hiesigen Verfahren zu berufen. Denn es stand dem Kläger frei, nicht stetig neue Accounts anzulegen und Accounts zu wechseln bzw. zu deaktivieren, sondern im Bedarfsfall seinen (dann „durchgehenden“ und „einheitlichen“) Account gegen etwaige vertragswidrige Eingriffe seitens der Beklagten zu verteidigen, wie es zahlreiche andere Klägerinnen und Kläger in anderen beim Senat anhängigen Verfahren auch getan haben und weiter tun. Dem Kläger hier aus der Mehrzahl eingerichteter Accounts im Wege einer Art „Gesamtbetrachtung“ allein aufgrund seiner Eigenschaft als natürliche Person auch eine Art „Gesamtberechtigung“ zuzusprechen, (unterstellte) Verletzungshandlungen aus einem beliebigen Nutzervertrag „einheitlich“ in dem jeweils gerade für ihn aktuell genutzten Account zuzusprechen, ist rechtlich jedenfalls nicht veranlasst.
47b) Mit Blick auf das zu a) Gesagte scheiden dann denklogisch auch die weiteren hier geltend gemachten Ansprüche schon mangels Aktivlegitimation des Klägers aus.
48aa) Bei den Ersatzansprüchen kommt hinzu, dass der Kläger – der ausdrücklich im nachgelassenen Schriftsatz betont, keine Ansprüche wegen eigener Inhalte geltend zu machen – dann aber ersichtlich auch keinen Anspruch auf eine (wie auch immer zu begründende) Lizenzanalogie für die Rechte anderer User aus der „Gruppe“ bzw. die Nutzung von deren Daten geltend machen kann. Im Übrigen sieht der Senat bei einer bloßen „Gruppenlöschung“ ohnehin keinerlei Ansatzpunkt für eine entsprechende deliktische oder bereicherungsrechtliche Haftung der Beklagten. Selbst wenn man dies bei der temporären „Sperre“ von Userkonten diskutieren möchte – der Senat hat dies bisher nicht förmlich entscheiden müssen, war aber u.a. in der Erörterung im Verfahren zu Az.: 15 U 302/19 bereits sehr zurückhaltend, ist das jedenfalls ganz ersichtlich nicht auf die Löschung (nur) einer einzelnen „Gruppe“ übertragbar, zumal den Usern die anderen zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten des sog. sozialen Netzwerks in einem solchen Fall ungeschmälert erhalten bleiben, was einen bedeutsamen Unterschied zu den temporären Account-„Sperren“ (Versetzung in den Nur-Lese-Modus) darstellt.
49bb) Sofern (betragsmäßig angepasst) Abmahnkosten für die Abmahnung vom 18.03.2019 (Anlage K13, AH II) als sog. Nebenforderung (§§ 4, 139 Abs. 2 ZPO) verlangt werden, ist die darin liegende Rechtsverfolgung zudem auch schon deswegen nicht „erforderlich“ i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB gewesen, weil man sich dort allein und ausschließlich auf den unstreitig nicht von der Löschung der „Gruppe“ betroffenen „ursprünglichen“ Account – der damals schon lange „deaktiviert“ war – berufen hat. Entgegen S. 19 des Schriftsatzes vom 04.05.2020 (Bl. 259 d.A.) war demgegenüber nicht behelflich, dass jedenfalls der Name der „Gruppe“ angegeben war und die Beklagte – wie der Prozessverlauf zeigt – diese in ihren Datenbeständen finden konnte. Im Übrigen ist - entgegen der Rüge auf S. 8 des Schriftsatzes vom 13.07.2020 (Bl. 407 d.A.) - auch nicht zu dem für die Erstattungsfähigkeit wichtigen (etwa BGH v. 22.06.2021 – VI ZR 353/20, NJW-RR 2021, 1070) Innenverhältnis der konkreten Mandatierung vorgetragen worden, mag das vorgelegte Schreiben der Rechtsschutzversicherung in Anlage K 34, Bl. 580 d.A. auch tendenziell für einen Anfall von Kosten streiten.
503. Soweit der in erster Instanz im Termin vom 21.07.2020 nachgelassene und tatsächlich eingereichte Schriftsatz vom 05.08.2020 vom Landgericht offenbar verfahrensfehlerhaft übergangen worden ist (Bl. 526 d.A.), ist dies – der Sachvortrag des Klägers in beiden Instanzen wurde vom Senat vorstehend ohnehin ausgewertet – berufungsrechtlich ohne Belang.
51Die spätere Zustellung dieses Schriftsatzes an die Beklagte führte seinerzeit nicht zur Rechtshängigkeit des angekündigten Hilfsantrages (statt aller Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 296a Rn. 2a m.w.N.), auf den der Kläger – zumal zuletzt unstreitig ist, dass die „Gruppe“ nicht unwiederbringlich gelöscht ist und die Bedingung ohnehin nicht eintreten könnte - auch im Berufungsverfahren nicht mehr zurückgekommen ist. Daher ist darüber auch nicht zu entscheiden.
524. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.
535. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Insbesondere sind – wie aufgezeigt – die grundlegenden Fragen rund um die Voraussetzungen einer Löschung von „Gruppen“ und die Fragen der rechtlichen Verfolgung von etwaigen Abwehransprüchen dagegen nicht zu klären, weil in konkreter Einzelfallauslegung keine betroffene Vertragsbeziehung in Rede stand, was schon wegen der Atypik des Vorgehens des Klägers auch keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung hat; anderes ist auch im Nachgang an die Erörterung im Termin bis zuletzt nicht geltend gemacht.
54Streitwert des Berufungsverfahrens: 21.500 EUR (dies nur unter Berücksichtigung der Größe und der vermeintlichen Relevanz der gelöschten „Gruppe“)
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