Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (4. Zivilsenat) - 4 U 108/11

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. Oktober 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal, Az.: 23 O 465/10, abgeändert und die Klage vollen Umfanges abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen fallen der Klägerin zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verb. mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil nach § 26 Nr. 8 EGZPO unzweifelhaft nicht zulässig ist.

II.

2

Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst formell zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat Erfolg.

3

Die Klägerin kann außer den ab September 2008 bis zuletzt am 15. September 2010 vom Konto der Beklagten bzw. deren Mutter K. D. vereinbarungsgemäß abgebuchten Raten in Höhe von 148,61 € monatlich – das sind insgesamt 3.715,25 € – keine weitere Zahlung von der Beklagten vertraglich beanspruchen, das heißt

4
 weder den zunächst klageweise mit Schriftsatz vom 10. Januar 2011 (Bl. 9 - 11 Bd. I d. A.) geltend gemachten Restbetrag von angeblich 5.216,23 € (= 8.916,48 € zu zahlende Gebühr [richtig: 60 x 148,61 € = 8.916,60 €] ./. 3.700,25 € Ratenzahlungen für 25 Monate à 148,61 € von September 2008 bis September 2010 [richtig: 25 x 148,61 € = 3.715,25 €])
5
 noch den anschließend mit Schriftsatz vom 14. September 2011 (Bl. 122 - 123 Bd. I d. A.) reduzierten Betrag von 4.588,75 € und
6
 ebenso wenig den schließlich mit Urteil vom 28. Oktober 2011 (Bl. 154 - 163 d. A.) zuerkannten Betrag von 4.531,75 €.
7

Denn die die der Ratenzahlung zugrunde liegende, in Bezug auf die Studienanmeldung vom 03. September 2008 (Bl. 12 - 15 Bd. I d. A.) abgeschlossene Vereinbarung einer Finanzierungshilfe, unterzeichnet von der Beklagten am 02. September 2008 (Bl. 16 Bd. I d. A.), ist spätestens durch die – gemäß § 355 Abs. 1 und 3 Satz 3 BGB a. F. in Verb. mit den §§ 506 Satz 2, 499 Abs. 1 und 2, 501 Satz 1, 495 Abs. 1 BGB a. F. – als Widerruf der Vertragserklärungen (1) anzusehende, da so gemäß § 133 BGB auszulegende oder nach § 140 BGB umzudeutende Kündigungserklärung der Beklagten vom 27. August 2010 in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt worden, aus dem der Klägerin keine weiteren Zahlungsansprüche gemäß § 346 BGB in Verb. mit § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Folgezeit mehr zustehen (2).

8

1. Der Beklagten stand aufgrund der unzulässigerweise trotz wirtschaftlicher Einheit getrennt mit unterschiedlichen Widerrufsfristen geschlossenen Vereinbarungen zur Studienanmeldung und zur Finanzierungshilfe kraft Gesetzes ein Widerrufsrecht von jeweils zwei Wochen zu (a), von dem sie jederzeit, mangels ordnungsgemäßer Belehrung in dem nur ein einwöchiges Widerrufsrecht vorsehenden und damit ein Umgehungsgeschäft nach § 506 Satz 2 BGB a. F. darstellenden Vertrag zur Studienanmeldung, noch gemäß § 355 Abs. 1 und 3 Satz 3 BGB a. F. Gebrauch machen konnte und mittels der so zu verstehenden Kündigungserklärung vom 27. August 2010 auch Gebrauch gemacht hat (b).

9

Dahinstehen mag infolgedessen, ob darüber hinaus die Vereinbarung einer Finanzierungshilfe nicht überhaupt gemäß § 502 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB a. F. als nichtig anzusehen ist (c).

10

a) Der Klägerin stand auch hinsichtlich des Vertrags zur Studienanmeldung bzw. des sogenannten Antrags zur Psychologischen Beraterausbildung ein gesetzliches Widerrufsrecht von zwei Wochen und nicht nur das dort vertraglich eingeräumte Widerrufsrecht von einer Woche zu.

11

Die Aufspaltung des von der Beklagten offensichtlich einheitlich gewollten Ausbildungsvertrages – die Studienanmeldung bzw. der Beratervertrag, unterzeichnet am 03. September 2008, sollte mit der bereits einen Tag zuvor am 02. September 2008 unterzeichneten Vereinbarung über die Finanzierungshilfe überhaupt erst finanziell ermöglicht werden – in zwei Teilverträge stellt sich in Bezug auf den Beratervertrag bzw. die Studienanmeldung als unzulässiges Umgehungsgeschäft gemäß § 506 Satz 2 BGB a. F. dar, mit dem das der Beklagten aufgrund der Vereinbarung einer Finanzierungshilfe gemäß § 355 Abs. 1 und 3 Satz 3 BGB a. F. in Verb. mit den §§ 506 Satz 2, 499 Abs. 1 und 2, 501 Satz 1, 495 Abs. 1 BGB a. F. gesetzlich zustehende Widerrufsrecht von zwei Wochen unterlaufen bzw. unzulässigerweise auf eine Woche verkürzt wurde. Denn ein noch innerhalb der zweiwöchigen Frist für die Finanzierungshilfe erklärter Widerruf der Beklagten hätte trotz der evidenten wechselseitigen Abhängigkeit beider Verträge auf das bereits vorher abgelaufene einwöchige Widerrufsrecht bezüglich des Antrags zur psychologischen Beraterausbildung keinen Einfluss mehr gehabt, sodass die Beklagte trotz fehlender, aber benötigter Finanzierungsgrundlage an den Beratervertrag gebunden gewesen wäre.

12

Rechtsfolge der unzulässigen Umgehung der gesetzlichen Widerrufsvorschriften ist gemäß § 506 Satz 2 BGB a. F., dass nach § 506 Satz 1 BGB a. F. die Vorschriften der §§ 491 bis 505 BGB a. F. auch auf das Umgehungsgeschäft, sprich: den Beratervertrag Anwendung finden. Das bedeutet, auch insoweit stand der Beklagten gemäß § 495 Abs. 1 BGB in Verb. mit den §§ 499 Abs. 1 und 2, 501 Satz 1, 495 Abs. 1 BGB a. F. ein gesetzliches Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Über die Widerrufsfrist von zwei Wochen nach § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. ist die Beklagte mittels der auf ein einwöchiges Widerrufsrecht verweisenden Widerrufsbelehrung der sog. Studienanmeldung nicht ordnungsgemäß nach § 355 Abs. 2 BGB a. F. belehrt worden, weshalb nach § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB a. F., abweichend von Satz 1 der Vorschrift, wonach das Widerrufsrecht spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss erlischt, das Widerrufsrecht der Beklagten nicht erloschen ist.

13

b) Die Beklagte konnte mithin noch jederzeit den Vertrag zur Psychologischen Beraterausbildung bzw. ihre entsprechende Vertragserklärung widerrufen und hat dies auch, bei verständiger Würdigung der dort ausgesprochenen fristlosen Kündigung, mit Schreiben vom 27. August 2010 (Bl. 28 Bd. I d. A.) getan.

14

Eine nicht dem Wortlaut verhaftete, sondern gemäß § 133 BGB vor allem zweck- und interessengerechte Auslegung des Schreibens, in dem die Beklagte entsprechend § 626 BGB mit sofortiger Wirkung den Ausbildungsvertrag zur Psychologischen Beraterin bzw. Heilpraktikerin für Psychotherapie gekündigt hat, muss zu dem Ergebnis führen, dass sie damit von dem ihr tatsächlich nach wie vor zustehenden, aber nur nicht bewussten Widerrufsrecht Gebrauch machen wollte und Gebrauch gemacht hat.

15

Selbst wenn die ausgesprochene Kündigung für sich genommen unwirksam gewesen sein sollte, hätte sie auf jeden Fall gemäß § 140 BGB in einen Widerruf umgedeutet werden können und müssen, da unschwer und unproblematisch anzunehmen ist, dass die Beklagte, wenn sie von dem ihr zustehenden Widerrufsrecht gewusst hätte, auch dessen ihr sogar vorteilhaftere Erklärung gewollt und zum Ausdruck gebracht hätte.

16

Es versteht sich von selbst, ohne dass es eines entsprechenden Rückgriffs auf die von der grundsätzlichen Einheitlichkeit eines mehrteiligen Rechtsgeschäftes ausgehende Regelung des § 139 BGB bedarf, dass mit dem Widerruf des Ausbildungsvertrags auch dessen Finanzierung als immanenter und gleichsam nachgeordneter Bestandteil der Vertragskonstruktion hinfällig geworden ist.

17

c) In Anbetracht des unzweifelhaft in Bezug auf die Studienanmeldung unbefristeten Widerrufsrechts der Beklagten und des sonst stets gleichen Ergebnisses der Klageabweisung kommt es nicht mehr darauf an und mag folglich im Ergebnis dahinstehen, ob die Vereinbarung zur Finanzierungshilfe gemäß § 502 Abs. 3 Satz 1 BGB a. F. mangels Angabe und Zugrundelegung des vertraglich vorgesehenen Barzahlungspreises als nichtig anzusehen ist, weil die der Klägerin vertraglich obliegende Leistung nach § 502 Abs. 3 Satz 2 BGB noch nicht voll erbracht wurde.

18

Statt des gemäß § 502 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB a. F. grundsätzlich bei einem Teilzahlungsgeschäft anzugebenden Barzahlungspreises von, wie hier ausdrücklich in der Studienanmeldung vereinbart bzw. im Formular angekreuzt, 6.996,-- € (Bl. 13 Bd. I d. A.) ist der – an sich nach § 502 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. unbedenkliche, aber hier überaus problematische – Ratenzahlungspreis von 7.776,-- € für 14 Monate als maßgebliche, aber unzutreffende Größe in der Vereinbarung einer Finanzierungshilfe mit einer Verzinsung von effektiv 8 % jährlich der Berechnung zugrunde gelegt worden, woraus sich eine gesamte zu zahlende Gebühr von angeblich, indes, wie oben erläutert, bereits prima vista unstimmig, 8.916,48 € ergeben soll.

19

2. Mit dem Widerruf des Ausbildungsvertrags nebst dazugehöriger Finanzierung wandelte sich das vorherige Vertragsverhältnis gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in ein gesetzliches Rückabwicklungsverhältnis nach den Vorschriften des gesetzlichen Rücktrittsrechts gemäß § 346 BGB um.

20

Nach § 346 Abs. 1 BGB sind im Falle des Rücktritts bzw. hier des Widerrufs die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Sofern das, wie im vorliegenden Fall bei den erbrachten Dienstleistungen der Klägerin, nicht möglich ist, hat der Schuldner stattdessen gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten, wobei eine im Vertrag bestimmte Gegenleistung nach Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen ist.

21

Entsprechend der vertraglich in der Finanzierungshilfe vereinbarten Ratenzahlungsdauer von 60 Monaten und der damit korrespondierenden Möglichkeit der Beklagten, von den kontinuierlich kursweise angebotenen Leistungen der Klägerin während dieser gesamten Zeitspanne Gebrauch zu machen, ist insoweit interessengerechterweise auf der Basis eines synallagmatischen Vertrages davon auszugehen, dass die Klägerin auch während der gesamten Vertragslaufzeit eine Leistungspflicht traf und nicht nur, wie das Landgericht ohne plausible Begründung auf der Grundlage einer per se fragwürdigen Beweisaufnahme und nicht minder fragwürdigen Beweiswürdigung gerade divergierenden Zeugenaussagen bezüglich eines allemal zeitlich weit entfernten Geschehensablaufs meinte annehmen zu können, eine partielle Kulanzleistung der Klägerin, soweit die grundlegende Vertragsdauer von 14 Monaten überschritten war.

22

Aus der insoweit maßgeblichen Sicht der Beklagten als Erklärungsempfängerin des – ohnedies recht verwirrend und kompliziert gestalteten, zudem durch die schwer lesbare und optisch undifferenzierte Studienordnung zusätzlich belasteten – Vertragsformulars konnte die dort befindliche und für maßgebliche zu erachtende Erklärung der Klägerin, sie, die Beklagte, bleibe bis zum 25. Lebensjahr als Studentin eingeschrieben, nur so verstanden werden, dass sie auch bis dahin einen Anspruch auf die von ihr bezahlten Studienleistungen gehabt hätte, zumal sie erst mit 25 Jahren, also im Mai 2014 die amtliche Zulassung zur Psychotherapie erlangen konnte, mithin auf jeden Fall noch einmal ein/zwei Jahre vorher ihre zuvor erlangten, bis dahin realistischerweise nicht mehr präsent noch aktuell sein könnenden Kenntnisse in einem neuerlichen Studiendurchlauf hätte auffrischen müssen.

23

Das bedeutet, die Ratenzahlungen der Beklagten stellten auch die jeweils monatlich vertraglich geschuldete Gegenleistung für die während der gesamten Vertragszeit zu erbringenden oder wenigstens vorzuhaltenden und damit auch geschuldeten Dienstleistungen der Klägerin dar, sodass mit den bis Ende September 2010 entrichteten Ratenzahlungen der Beklagten auch vollen Umfangs der Wert der von der Klägerin auch allenfalls bis zum Erhalt der als Widerruf zu verstehenden Kündigung Ende August 2010 erbrachten bzw. vorgehaltenen Dienstleistungen kompensiert war.

III.

24

Die Kostenentscheidung zulasten der im Ergebnis vollen Umfanges mit ihrer Klage unterliegenden Klägerin folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

25

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 Satz 1, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

26

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder hat die maßgeblich von den Besonderheiten des Einzelfalles geprägte Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen