Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 70/12

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. März 2012 verkündete Urteil des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Dieses, wie auch das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des auf Grund beider Urteile insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Beschluss

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 71.993,36 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien waren durch einen Elektroenergieliefervertrag (Sondervertrag) verbunden, den sie mit einer Laufzeit von drei Jahren ab dem 1. Januar 2005 eingingen (Anlage K1 - Bd. I Bl. 9-12 d.A.). Nach der vertraglichen Preisregelung erhöhte sich das Entgelt um die Stromsteuer. Das Lieferverhältnis setzte sich über die ursprünglich vereinbarte Laufzeit fort, wobei die Parteien über die Bedingungen streiten.

2

In den Jahren 2005 und 2006 schlug die Klägerin auf den Nettokaufpreis die volle Stromsteuer auf und führte diese an die Steuerbehörden ab. Dies fiel der Beklagten zumindest Anfang 2010 auf, woraufhin sie der Klägerin Erlaubnisscheine über ihr Recht zur Entnahme von steuerbegünstigtem Strom vom 11. August 1999 und 3. März 2010 übersandte (Anlagen K5 und K6 - Bd. I Bl. 22-27 d.A.). Die Klägerin korrigierte daraufhin ihre Abrechnungen und zwar auch rückwirkend bis zum Jahr 2007. Für die Jahre 2005 und 2006 sah sie sich hierzu allerdings nicht in der Lage, weil die Steuerbehörde nicht bereit war, die Stromsteuer dieser Zeiträume zu ändern (vgl. Schreiben der Klägerin vom 18. Januar 2010 - Anlage B2 - Bd. I Bl. 44/45 d.A.).

3

Am 3. Dezember 2010 legte die Klägerin Rechnung über den im November 2010 gelieferten Strom in Höhe von 45.861,14 EUR (Anlage K2 - Bd. I Bl. 13-16 d.A.). Für den Monat Dezember 2010 rechnete sie am 12. Januar 2011 einen Betrag von 45.914,10 EUR ab (Anlage K3 - Bd. I Bl. 17-20 d.A.). Diesbezüglich streiten die Parteien über die Höhe des zugrunde zu legenden Arbeitspreises. Nach Auffassung der Beklagten hatte sie für November 2010 nur 44.239,00 EUR und für Dezember 2010 lediglich weitere 44.290,10 EUR zu zahlen. Mit Schreiben vom 14. Januar 2011 (Anlage K4 - Bd. I Bl. 21 d.A.) erklärte sie gegenüber dem sich hieraus ergebenden Gesamtbetrag von 88.529,10 EUR die Aufrechnung mit 75.000,00 EUR (in den Jahren 2005 und 2006 zu viel geleistete Stromsteuer) und zahlte am 14. Januar 2011 die nach ihrer Auffassung verbliebene Restschuld von 13.529,10 EUR an die Klägerin.

4

Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter Berücksichtigung des geringeren Arbeitspreises von 8,4 ct/kWh (statt 8,83 ct/kWh) den aus Sicht der Beklagten durch Aufrechnung erloschenen Betrag von 75.000,00 EUR geltend gemacht. Sie hat behauptet, erst durch die Mitteilungen der Beklagten vom 29./31. März 2010 von deren Recht zum Bezug steuervergünstigten Stroms erfahren zu haben. Die Aufrechnung der Beklagten oder die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts seien durch §§ 30, 31 AVBEltV vertraglich ausgeschlossen. Außerdem habe die Beklagte keine aufrechnungsfähige Gegenforderung, denn die Klägerin habe sich infolge ihrer Unkenntnis vom Ermäßigungstatbestand nichts vorzuwerfen.

5

Die Beklagte hat vertreten, es sei von der Klägerin zu verantworten, dass ihr eine zu hohe Stromsteuer in Rechnung gestellt worden sei. Hierzu hat sie behauptet, dem Geschäftsführer der Beklagten anlässlich der Ende 2004 geführten Vertragsverhandlungen den Erlaubnisschein ausgehändigt zu haben. Nach Auffassung der Beklagten habe die Klägerin sie außerdem auf die offensichtlich gegebene Steuerbegünstigung hinweisen müssen. Die Klägerin sei um die zu viel entrichtete Stromsteuer ungerechtfertigt bereichert, sodass sie diesen Betrag an die Beklagte herauszugeben habe.

6

Das Landgericht Halle hat mit Urteil vom 20. März 2012, auf das wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben. Nach seiner Auffassung stehe der Aufrechnung ein vertragliches, aus § 31 AVBEltV folgendes Aufrechnungsverbot entgegen.

7

Gegen diese Entscheidung wendet sich die durch Beschluss des Senats vom 22. Juni 2012 wieder in die versäumte Rechtsmittelfrist eingesetzte Berufung der Beklagten, die nach einer gewährten Fristverlängerung bis zum 25. Juli 2012 am 21. Juni 2012 begründet wurde.

8

Die Beklagte verweist auf den ihr mit Schreiben des Hauptzollamtes H. vom 11. August 1999 übersandten Erlaubnisschein (Anlage BK23 - Bd. II Bl. 242/243 d.A.) und meint, das vom Landgericht angenommene Aufrechnungsverbot bestehe nicht. Tatsächlich könne sie mit dem von ihr geltend gemachten Bereicherungsanspruch aufrechnen. Für das Bestehen eines Aufrechnungsverbots komme es auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage an. Im Jahr 2010 hätte die AVBEltV im Vertragsverhältnis der Parteien keine Geltung mehr beanspruchen können. Die Lieferbeziehung sei im Ergebnis der Kündigung der Beklagten vom 17. September 2007 zum 1. Januar 2008 grundlegend umgestaltet worden. Außerdem könne sich die Klägerin schon nach § 242 BGB nicht auf das Aufrechnungsverbot berufen, denn die Gegenforderung sei entscheidungsreif.

9

Die Klägerin sei für das Jahr 2005 um einen Steuermehrbetrag von 30.780,73 EUR und für das Jahr 2006 um weitere 31.282,41 EUR ungerechtfertigt bereichert, was insgesamt brutto 71.993,36 EUR ergäbe und zwischen den Parteien der Höhe nach (bis auf die hinzugerechnete Umsatzsteuer) unstreitig ist.

10

Der Geschäftsführer der Beklagten habe den Erlaubnisschein des Hauptzollamtes H. vom 11. August 1999 dem Geschäftsführer der Klägerin am 26. Oktober 2004 während eines Gesprächs in den Geschäftsräumen der Beklagten ausgehändigt. Beide Geschäftsführer hätten sich unter vier Augen unterhalten. Dabei sei auch die Stromsteuerermäßigung zur Sprache gekommen. Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten nach dem Erlaubnisschein gefragt habe, sei der Geschäftsführer der Beklagten zum Buchhalter der Beklagten, dem Zeugen G., gegangen und habe sich aus den Akten eine Ausfertigung des Erlaubnisscheins vom 11. August 1999 geben lassen. Er habe sich dann wieder in den Besprechungsraum zum Geschäftsführer der Klägerin begeben. Diesem seien sodann neben dem Erlaubnisschein stromsteuerermäßigte Rechnungen des Vorversorgers (M.) übergeben worden (Anlage BK22 - Bd. II Bl. 236-241 d.A.).

11

Verjährung sei nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist habe erst mit Ablauf des Jahres 2010 begonnen. Mit dem Schreiben der Klägerin vom 10. Februar 2010 (Anlage BK25 - Bd. II Bl. 248/249 d.A.) sei dem Geschäftsführer der Beklagten aufgefallen, seit 2005 zu viel Stromsteuer gezahlt zu haben.

12

Auf Entreicherung könne sich die Klägerin nicht berufen. Sie habe um die Steuerermäßigung gewusst und könne die Steuer von der Finanzbehörde zurück verlangen.

13

Außerdem gelte § 21 AVBEltV, allerdings mit Ausnahme des Absatzes 2. Die Beklagte könne sich auch auf einen Schadensersatzanspruch stützen.

14

Letztlich habe die Beklagte zumindest ein Zurückbehaltungsrecht, da die Klägerin ihr bisher für die streitgegenständlichen Zeiträume keine im Arbeitspreis und damit zur Umsatzsteuer korrigierten Rechnungen erteilt habe.

15

Die Beklagte beantragt,

16

soweit sie mit dem am 20. März 2012 verkündeten Urteil des Landgerichts Halle zur Zahlung eines Betrages von 71.993,36 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. November 2010 verurteilt wurde, wird das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen,

17

sowie

18

im Wege der Hilfswiderklage die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 71.993,36 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2010 zu zahlen.

19

Die Klägerin beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen und die Hilfswiderklage abzuweisen.

21

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts und beruft sich daneben auf Verjährung, Entreicherung (Ablauf der steuerrechtlichen Festsetzungsfrist) und die wissentliche Leistung der Beklagten auf eine Nichtschuld. Es fehle zudem an der Gegenseitigkeit, denn die Steuer stehe nicht der Klägerin zu. Außerdem könne die Beklagte nach Auffassung der Klägerin aufgrund ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung keine Umsatzsteuer geltend machen. Ein Zurückbehaltungsrecht sei nach § 31 AVBEltV oder § 17 Abs. 3 StromGVV ausgeschlossen.

22

In dem von der Beklagten behaupteten Gespräch der Geschäftsführer sei die Stromsteuer nicht erwähnt worden. Es sei überhaupt nicht nachzuvollziehen, wieso in einer vorvertraglichen Phase bereits der Erlaubnisschein habe übergeben werden sollen.

23

Die Rechnungskorrektur sei nach § 21 Abs. 2 AVBEltV ausgeschlossen.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften beider Instanzen verwiesen.

II.

25

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht auf keiner Rechtsverletzung im Sinne von § 513 Abs. 1 ZPO. Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine Abweisung der Klage in Höhe von jetzt noch streitigen 71.993,36 EUR, ohne dass die Hilfswiderklage zum Zuge kommt. Die - entgegen der Auffassung des Landgerichts - zulässige Aufrechnung mit einem sich aus der Differenz zwischen dem Steuertarif des § 3 StromStG und dem Steuersatz für begünstigten Strom nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F. (in Verbindung mit der Entgeltvereinbarung der Parteien in Ziff. 2.1. des Stromlieferungsvertrages vom Dezember 2004 und der dort in Bezug genommenen Preisregelung) ergebenden Rückzahlungsanspruch hat nicht gemäß §§ 387 bis 389 BGB zum Erlöschung der unstreitigen Kaufpreisforderung der Klägerin aus Stromlieferungen der Monate November und Dezember 2010 (§§ 433 Abs. 2, 453 Abs. 1 BGB) geführt. Der Beklagten steht ein solcher Rückzahlungs- und damit Gegenanspruch nicht mehr zu. Dieser war zum Zeitpunkt der Feststellung der unrichtigen Stromsteuerberechnung der Klägerin im Jahre 2010 für die Jahre 2005 und 2006 bereits nach Ziff. 3 Satz 3 des Stromlieferungsvertrages in Verbindung mit § 21 Abs. 2 AVBEltV erloschen.

26

1. Die Berufung beanstandet zu Recht die Annahme eines aus § 31 AVBEltV hergeleiteten vertraglichen Aufrechnungsverbots durch das Landgericht. Dem steht mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs § 242 BGB entgegen.

27

An dieser Stelle muss der Senat nicht darauf eingehen, ob und für wie lange die Verordnung über Allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden Bestandteil des von den Parteien geschlossenen Stromliefervertrages war, wobei die Berufung - was das Landgericht allerdings auch nicht verkannt haben dürfte - zutreffend darauf verweist, dass es für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufrechnung auf das Regelwerk der Hauptforderung, also hier der Entgelte für die Lieferzeiträume November und Dezember 2010 ankommt (BGH NJW 1999, 3629, 3630). Selbst wenn die mit Ablauf des 7. November 2006 außer Kraft getretene (vgl. Art. 4 der Verordnung zum Erlass von Regelungen des Netzanschlusses von Letztverbrauchern in Niederspannung und Niederdruck vom 1. November 2006 - BGBl. I S. 2477) AVBEltV auch über den 31. Dezember 2007 hinaus Vertragsbestandteil blieb oder durch andere, ein Aufrechnungsverbot enthaltende Vertragsbestimmungen (z.B. 17 Abs. 3 StromGVV) ersetzt wurde, kann sich die Klägerin hierauf nicht stützen. Angesichts der erhobenen Einrede der Verjährung erweist sich die Inanspruchnahme des vertraglichen Aufrechnungsverbots durch die Klägerin als rechtsmissbräuchlich.

28

Die Berufung macht zu Recht darauf aufmerksam, dass vertraglichen Aufrechnungsverboten Grenzen gesetzt sind. So darf trotz eines Aufrechnungsverbots mit entscheidungsreifen Gegenforderungen aufgerechnet werden (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 387 Rdn. 17). Auch dies beruht auf dem Gedanken unzulässiger, weil treuwidriger Rechtsausübung (BGH, Urteil vom 6. April 2011, VIII ZR 31/09 - zitiert in juris Rdn. 14). Gleiches gilt dann, wenn sich das (formularmäßige) Aufrechnungsverbot gepaart mit der Einrede der Verjährung gleichsam als rechtsvernichtend erweisen würde (§§ 307 Abs. 1 Satz 1, 310 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Sätze 1 u. 2, 242 BGB; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1082 f.; Palandt/Grüneberg, § 309 Rdn. 17). Um diese Fallgestaltung geht es. Die Rückzahlungsansprüche der Beklagten sind nach der Verjährungseinrede Klägerin gemäß § 214 Abs. 1 BGB nicht mehr selbständig durchsetzbar. Der Großteil der Forderungen verjährte mit Ablauf des 31. Dezember 2009, der Rückzahlungsanspruch für Dezember 2006 mit Ablauf des 31. Dezember 2010.

29

Gleich auf welche Anspruchsgrundlage sich die Beklagte stützt (Vertrag, Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB; §§ 812 ff. BGB), die Rückzahlung der Stromsteuermehrbeträge, die Bestandteil des vertraglichen Entgeltes waren (vgl. Ziff. 5 des Preisregelung der Parteien i.V.m. § 5 Abs. 2 Alt. 1 StromStG; BGH NJW 1988, 2042; 2001, 2464; 2002, 2312; Urteil vom 14. Dezember 1977,VIII ZR 34/76 - BeckRS 1977, 31122042; H.P. Westermann, in: MünchKomm.-BGB, 6. Aufl., § 433 Rdn. 27; Faust, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. März 2011, § 433 Rdn. 54), unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB (BGH NJW-RR 2010, 681, 683; 1574, 1575; Urteil vom 8. Juli 2010, III ZR 249/09 - zitiert in juris Rdn. 24 f.; Wendehorst, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. Febr. 2013, § 812 Rdn. 275). Die Frist beginnt grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres der Entstehung des Anspruchs und der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (§ 199 Abs. 1 BGB).

30

Die Rückgewähransprüche der Beklagten entstanden mit der Auszahlung des vertraglich nicht geschuldeten Entgelts an die Klägerin (BGH NJW 2006, 364, 365). Das gilt auch soweit sie sich auf einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gründen können, weil mit der Zahlung der Schaden entstand. Wann dies genau geschah, tragen die Parteien nicht vor. Die für das Jahr 2010 durch die Anlagen K2 und K3 belegte monatliche Abrechnungspraxis ist für den Zeitraum 2005/2006 nicht ausdrücklich dargetan. Ziff. 2.3 des Liefervertrages sieht aber eben diese monatliche Rechnungslegung mit Fälligkeit zum 15. des der Lieferung folgenden Monats vor. Die von der Beklagten eingereichten Rechnungen vom 8. April 2005 (Anlagen BK 6 u. 7) lassen ein solche Handhabung zumindest für die Zukunft vermuten. Das Zutreffen dieser Vermutung haben die Parteien dem Senat in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Damit existieren alle Rückzahlungsansprüche, mit Ausnahme desjenigen aus der Abrechnung des Monats Dezember 2006, spätestens seit dem 31. Dezember 2006.

31

Die Beklagte kannte auch die anspruchsbegründenden Umstände und mit der Klägerin den Rückzahlungsschuldner. Sie wusste - zumindest in der Person des zuständigen Buchhalters (vgl. hierzu Palandt/Ellenberger, § 199 Rdn. 25) - um ihre Zahlungen und hatte mit den Erlaubnisscheinen des Hauptzollamtes und der jeweiligen Abrechnung der Klägerin die Tatsachen zur Verfügung, die Rechtsgrundlosigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit des Versorgers belegten; das Ziehen der richtigen rechtlichen Schlüsse aus diesen Tatsachen ist für den Verjährungsbeginn nicht entscheidend (BGH NJW 2008, 1729, 1732; 2427, 2428; 2576, 2578; NJW-RR 2010, 1574, 1575). Positive Kenntnis hat außerdem derjenige, der vor einer sich ihm - hier in Form der Abrechnungen - ohne Weiteres bietenden, gleichsam auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeit, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht, die Augen verschließt (BGH NJW-RR 2010, 681, 682 m.w.N.). Zumindest läge grobe Fahrlässigkeit vor (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Juli 2010, III ZR 249/09 - zitiert in juris Rdn. 28; OLG Saarbrücken NZG 2008, 638, 640). Denn mit dem Willen zur Inanspruchnahme steuerbegünstigten Stroms unter Ausnutzung der erteilten Erlaubnis musste die Beklagte eine eigene Steuererklärung abgeben (§§ 9 Abs. 5, 8 Abs. 1 StromStG a.F.) und es trafen sie die Pflichten des Erlaubnisinhabers aus § 11 StromStV, insbesondere zur Führung eines Belegheftes und zur Aufzeichnung des über das Kalenderjahr steuerbegünstigt entnommenen Stroms. In Erfüllung dieser Pflichten musste sich der Beklagten erschließen, keinen steuerbegünstigten Strom zu beziehen. Ist ihr dies dennoch entgangen, lässt sich das nur mit einem schweren Verstoß gegen dasjenige an Sorgfalt, das sich jedem anderen in der Situation der Beklagten aufgedrängt hätte, erklären.

32

Die Beklagte muss deshalb aufrechnen, weil § 215 BGB die Aufrechnung mit verjährten Forderungen gestattet, soweit sich Haupt- und Gegenforderung noch zu unverjährter Zeit aufrechenbar gegenüber standen. Dies mag im Ergebnis nur für die Rückzahlungsforderung vom Dezember 2006 der Fall gewesen sein, denn der jetzt von der Beklagten aus der Anlage K6 hergeleitete Verzicht der Klägerin auf der Einrede der Verjährung ist nicht ersichtlich, zumal es sich bei dem Schreiben vom 31. März 2010 um ein solches der Beklagten handelt (tatsächlich zitiert die Beklagte aus dem Schreiben der Klägerin vom 20. April 2010 , aus dem sich nur ergibt, dass die Klägerin das rückgängig machen wollte, was ihr das Hauptzollamt zeitlich zugestand, womit die Erhebung der Verjährungseinrede zumindest in Aussicht gestellt wurde). Dennoch würde das vertragliche Aufrechnungsverbot der Beklagten zumindest diese letzte Möglichkeit, von ihrem Anspruch Gebrauch zu machen, nehmen, ohne dass dem ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin gegenüber steht. Das Aufrechnungsverbot dient nicht der Anspruchsvernichtung, sondern soll lediglich dem Stromversorger die finanzielle Basis sichern.

33

2. Der (Gegen-) Anspruch der Beklagten ist aber über Ziff. 3. Satz 3 des Stromlieferungsvertrages und § 21 Abs. 2 AVBEltV erloschen.

34

Die Beklagte stützte ihre Gegenforderung zunächst erklärtermaßen (Bd. II Bl. 29 d.A.) ausschließlich auf die §§ 812 ff. BGB (anders der nachgelassene Schriftsatz vom 17. Mai 2013, in dem auch von Schadensersatzansprüchen ausgegangen wird). Unabhängig davon, dass damit keine Beschränkung des Gerichts in der Anwendung materiellen Rechts verbunden ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., Einl. 84), werden die Bereicherungsvorschriften durch vertragliche Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche verdrängt, was insbesondere für Stromlieferungsverträge gilt (BGH NJW 1992, 2690 m.w.N.; 2003, 2451, 2453; Palandt/Sprau, Einf. v. § 812 Rdn. 6; Martinek, in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 812 Rdn. 168; Erman/H.P. Westermann, BGB, 13. Aufl., v. § 812 Rdn. 9, 25). So sieht § 21 AVBEltV einen Erstattungsanspruch des Kunden für zu viel entrichtete Beträge vor. Dieser Anspruch bildet auch hier kraft vertraglicher Einbeziehung der AVBEltV in die Lieferbeziehung der Parteien die vorrangig zu prüfende Grundlage für sich aus unrichtigen Rechnungen ergebende Erstattungsansprüche.

35

Nach Ziff. 3 des Stromlieferungsvertrages sind die Bestimmungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden Bestandteil der Sonderkundenbeziehung der Parteien. Die Einbeziehungsvereinbarung unterliegt keinen Wirksamkeitsbedenken, da es hierfür auf die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB nicht ankommt (§§ 310 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 BGB; BGH NJW 1992, 1232 f.; NJW-RR 2003, 754, 755), § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB gerade dieses übliche Vorgehen (vgl. Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601) voraussetzt und der AVBEltV eine gewisse Leitbildfunktion nicht abzusprechen war (BGH NJW 1998, 1640, 1642 m.w.N.). Deshalb kommt hier auch nicht etwa § 305c BGB zum Tragen.

36

Anders als das Aufrechnungsverbot, das an die Hauptforderung anknüpft, ist der Erstattungsanspruch des § 21 AVBEltV abrechnungs- bzw. ablesezeitbezogen, d.h. die Frage, ob und inwieweit Überzahlungen einer Abrechnungsperiode zurückverlangt werden können, richtet sich nach der zur Zeit der Rechnungslegung maßgeblichen Rechtslage. Denn hieraus folgt, ob und inwieweit die abgerechneten und eingezogenen Beträge geeignet sind, den Ablese- und Abrechnungszeitraum im Interesse schutzwürdigen Vertrauens und des Rechtsfriedens abzuschließen.

37

Die von der Beklagten beanspruchten Rückzahlungen entstammen den Jahren 2005 und 2006. Sie wurden damit zweifellos unter dem vertraglichen Regime der AVBEltV abgerechnet und geleistet. Der Streit über die den Vertrag der Parteien bestimmenden Regelungen beruht auf den erst mit der Kündigung der Klägerin vom September 2007 für die Zeit ab Januar 2008 eingeleiteten Verhandlungen.

38

Das Außerkrafttreten der Verordnung Ende 2006 hatte keinen Einfluss auf den Ende 2004 geschlossenen Liefervertrag. Die Parteien vereinbarten die AVBEltV, ohne dynamisch auf eventuelle Nachfolgeregelungen, wie die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV) zu verweisen. Das Gesetz sah für den hier interessierenden Zeitraum nichts anderes vor (§ 115 Abs. 2 Satz 2 EnWG).

39

§ 21 Abs. 1 AVBEltV räumt dem Kunden einen Erstattungsanspruch für zu viel entrichtete Beträge ein, wenn aus der Sphäre des Versorgers stammende Fehler bei der Ermittlung des Rechnungsbetrages festgestellt werden. Gemeint ist u.a. eine fehlerhafte kaufmännische Berechnung des Strompreises, die nicht auf Fehlern in der Vertragsanwendung oder Vertragsauslegung beruht (BGH NJW-RR 2004, 1352, 1353). Geschützt wird das Vertrauen in die Vollständigkeit und Richtigkeit der Abrechnung (OLG Hamm NJW-RR 2007, 1560 f.).

40

Die Klägerin hat nach dem Vorbringen der Beklagten den Rechnungsbetrag fehlerhaft ermittelt. Die von ihr geschuldete Stromsteuer war Bestandteil des zwischen den Parteien vereinbarten Entgelts (Ziff. 2.1 des Vertrages i.V.m. Ziff. der Preisregelung). Die jeweilige Stromsteuer des Stromsteuergesetzes erhoben die Parteien zur Berechnungsgröße. Danach war der Preis so gestaltet, dass dem verbrauchsabhängigen Nettoarbeitspreis die ebenfalls verbrauchsabhängige Stromsteuer (vgl. § 3 StromStG) hinzugerechnet wurde und zwar so, wie sie nach dem Stromsteuergesetz durch Entnahme der Beklagten aus dem Versorgungsnetz anfiel (§ 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Alt. 1 StromStG).

41

Gemäß § 9 Abs. 3 StromStG a.F. unterlag der von Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft entnommene Strom (mit Ausnahme der ersten 25 Megawattstunden - § 9 Abs. 5 StromStG a.F.) einem ermäßigten Steuersatz. Solchen Strom durfte die Beklagte nach der unstreitigen Erlaubnis vom 19. August 1999 (Anlagen K5, K6 u. BK 23) beziehen (§ 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG a.F.). Dies hat die Klägerin, abgesehen von der nicht klärungsbedürftigen Frage, ob die Beklagte überhaupt durch Vorlage beim Versorger von der Erlaubnis Gebrauch machte, also den Willen artikulierte, begünstigten Strom zu entnehmen (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG a.F.), bei der Abrechnung des vertraglichen Entgelts nicht berücksichtigt und damit den Strompreis fehlerhaft unter Zugrundelegen des falschen Steuertarifs ermittelt. Eine solche unrichtige Festsetzung unselbständiger Preisbestandteile ist ein den Rückerstattungsanspruch des § 21 Abs. 1 AVBEltV auslösender Berechnungs- und kein Vertragsanwendungsfehler, denn Berechnungsfehler sind nicht nur solche in der mathematischen Ermittlung des Preises (Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Stand: April 2001, § 21 AVBEltV Rdn. 25 f., 35, 37, 39 m.w.N.). Die Stromsteuer ist, entgegen der Auffassung der Beklagten und wie oben bereits dargelegt, gerade keine verbrauchsunabhängige Berechnungs-/Entgeltkomponente, denn sie wird als vertraglich vereinbarter Preisbestandteil vom Verbrauch bestimmt (§ 3 StromStG). Auf ein Verschulden der Klägerin kommt es nicht an.

42

Für den Rückerstattungsanspruch enthält § 21 Abs. 2 AVBEltV eine von Amts wegen zu berücksichtigende (vgl. bspw. BAG NJOZ 2012, 697, 698) Ausschlussfrist, die keine unangemessene Benachteiligung einer Vertragspartei enthält, weil sie gleichermaßen für beide Seiten gilt und nur unwesentlich kürzer als die dreijährige gesetzliche Regelverjährungsfrist ist (Hempel/Franke, § 21 Rdn. 15 bis 17; jetzt maximal drei Jahre nach § 18 Abs. 2 StromGVV). Da sich der Fehler eindeutig auf mehrere Ablesezeiträume erstreckte, beschränkt sich der Rückerstattungsanspruch der Beklagten auf zwei zurückzurechnende Jahre, beginnend mit dem Zeitpunkt der Feststellung des Fehlers. Festgestellt wurde der Fehler im Jahr 2010, nachdem die Beklagte die Berechtigungsscheine (nochmals - so jedenfalls die Beklagte) übersandte. Die Jahre 2005 und 2006 liegen länger zurück. Dort fehlerhaft berechnete Entgelte können nicht mehr zu einem Erstattungsanspruch führen.

43

Diese Rechtsfolge bezieht alle möglichen Anspruchsgrundlagen und damit auch vertragliche Schadensersatzansprüche ein (Hempel/Franke, § 21 Rdn. 93, 95). Ausschlussfristen beabsichtigen einen endgültigen Rechtsverlust, der nicht auf anderem Wege, beispielsweise das Bereicherungsrecht, zu korrigieren ist, um die Befriedungsfunktion nicht zu gefährden (Martinek, § 812 Rdn. 181). Betroffen sind hier auch Schadensersatzansprüche. Das legt schon der Wortlaut des § 21 AVBEltV nahe. Fehler in der Ermittlung des Rechnungsbetrages werden zumeist auf einem vorwerfbaren Verhalten beruhen. Dennoch ist die zeitliche Begrenzung des fehlerbedingten Anspruchs keinen erkennbaren Einschränkungen unterworfen. Dementsprechend spricht die amtliche Begründung in ihrem letzten Satz (abgedruckt bei Hempel/Franke, § 21) von einem Abschneiden weitergehender Rückerstattungsansprüche. Auch der Bundesgerichtshof hat Schadensersatzansprüche grundsätzlich von der Ausschlussfrist betroffen gesehen und deren Erlöschen im Einzelfall nur deshalb verneint, weil die unterlassene Leistungsmessung nicht unter § 21 AVBEltV fällt (BGH NJW-RR 2004, 1352, 1353).

44

Soweit die Beklagte im nachgelassenen Schriftsatz unter Hinweis auf den Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht München anderer Meinung ist, verschweigt sie, dass beide Gerichte auch in den von ihr angeführten Entscheidungen ausschließlich deshalb nicht zum Untergehen der Schadensersatzansprüche nach § 21 Abs. 2 AVBEltV gelangten, weil bereits kein Fehler im Sinne von § 21 Abs. 1 AVBEltV vorlag (BGH, Urteil vom 16. Juni 2004, VIII ZR 248/03 - zitiert in juris Rdn. 15; OLG München, Urteil vom 11. Oktober 2005, 5 U 5762/04 - zitiert in juris Rdn. 23). Im Umkehrschluss heißt das aber gerade, dass aus einem Berechnungsfehler entspringende Schadensersatzansprüche § 21 Abs. 2 AVBEltV unterfallen.

45

Durch § 242 BGB im Einzelfall gebotene Einschränkungen sieht der Senat nicht. Es war der Beklagten von Anfang an möglich, die Unrichtigkeit der ihr in Rechnung gestellten Beträge zu erkennen und korrigieren zu lassen. Nach ihrem Sachvortrag hat die Beklagte sogar vor Beginn des Vertragsverhältnisses der Parteien von einem anderen Anbieter steuerbegünstigten Strom bezogen. Sie kannte also das Verfahren und wusste mit stromsteuerausweisenden Rechnungen, wie sie auch der Vorversorger legte, umzugehen. Nichts lag also näher, als zu Beginn der Lieferbeziehung die Rechnungslegung der Klägerin genau zu prüfen, den offensichtlichen Fehler zu erkennen und auf eine zeitnahe Korrektur hinzuwirken. Wer dies nicht tut, kann dem Versorger keinen Rechtsmissbrauch entgegen halten, wenn dieser nunmehr, auch angesichts nahe liegender steuerlicher Festsetzungsverjährung, auf vertragliche Ausschlussfristen verweist.

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3. Aus dem Verhalten der Parteien nach dem Entdecken des Berechnungsfehlers lässt sich kein, wie die Beklagte meint, abweichendes Verständnis ihres Vertrages herleiten. Solche Schlüsse ließen sich möglicherweise ziehen, wenn man von vornherein § 21 AVBEltV gesehen und in Betracht gezogen hätte. Das war aber nicht der Fall. Diese vertragliche Regelung kam erst im Laufe des Rechtsstreits zur Sprache, als sich die Beklagte hierauf berief. Unmittelbar folgte der Hinweis der Klägerin auf § 21 Abs. 2 AVBEltV. Aus dem Übersehen einer Vertragsklausel lässt sich nichts für deren Auslegung herleiten. Die Klägerin konnte und wollte sich auf alle Einwendungen stützen, die ihr zur Verfügung standen. Ebenso wenig ließ sich dem Verhalten der Klägerin der Wille entnehmen, die zuviel entrichtete Stromsteuer einschränkungslos zurückzugewähren. Die Klägerin hat eine Korrektur vorgenommen, soweit ihr dies möglich erschien. Mehr wollte sie der Beklagten nicht zugestehen, was von Anfang an zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. Schreiben vom 20. April 2010 - Anlage K7). Für die gegenteiligen Interpretationsversuche der Beklagten gibt der Sachverhalt nichts her.

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4. Die Hilfswiderklage steht, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, nach alledem nicht zur Entscheidung an. Sie ist nur für den Fall der Unzulässigkeit der Aufrechnung erhoben, von der der Senat nicht ausgeht.

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5. Das von der Beklagten eingewandte Zurückbehaltungsrecht steht dem Zahlungsanspruch der Klägerin aus mehreren Gründen nicht entgegen.

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a) Zunächst handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 ZPO (BGH NJW 2006, 1292, 1293). Es ist nicht deshalb zuzulassen, weil das Zurückbehaltungsrecht unstreitig wäre. Vielmehr müssen auch die ihm zugrunde liegenden Tatsachen außer Streit stehen (BGH NJW 2011, 842 f. m.w.N.; Wulf, in: BeckOK-ZPO, Stand: 30. Okt. 2012, Rdn. 10). Hieran fehlt es, denn die Parteien sind sich nach wie vor über die Höhe des der Abrechnung zugrunde zu legenden Arbeitspreises uneins. Da es für das späte Geltendmachen des Zurückbehaltungsrechts keinen nachvollziehbaren Grund gibt, lässt sich keine Zulassungsvoraussetzung des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO bejahen.

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b) Der Anspruch auf eine Rechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 UStG kann zu einem Zurückbehaltungsrecht führen. Er ist aber erfüllt, denn die Klägerin hat Rechnung gelegt. An der Erteilung einer von geringeren Arbeitspreisen ausgehenden Rechnung, wie sie dem Klageanspruch zugrunde liegen, hat die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse, sodass das Zurückbehaltungsrecht zumindest auf Grund von Rechtsmissbrauch ausgeschlossen ist.

51

Zunächst ist der Anspruch auf Rechnungslegung unverhältnismäßig geringwertig im Vergleich zum jetzt noch ausstehenden Kaufpreis von mehr als 70.000,00 EUR. Schuldner der Umsatzsteuer ist zudem die Klägerin (§§ 13a Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Sie schuldet auch den vermeintlich unrichtigen Mehrbetrag (§ 14c Abs. 1 Satz 1 UStG). Die von der Beklagten verlangte Berichtigung würde dagegen zur Korrektur ihres höheren Vorsteuerabzuges (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) führen (§§ 14c Abs. 1 Satz 2, 17 Abs. 1 Satz 2 UStG), woran sie kein vom materiellen Recht getragenes Interesse hat. Das Zurückbehaltungsrecht dient danach nur dazu, der Klägerin die Durchsetzung des unstreitigen Betrages zu erschweren, indem ihr die Beklagte im Gewand der richtig zu berechnenden Umsatzsteuer den Streit aufzuzwingen sucht, dem die Klägerin im Beschleunigungsinteresse gerade aus dem Weg gehen wollte.

52

c ) Die Zug-um-Zug-Verurteilung setzt letztlich voraus, dass die Beklagte ihrem Zurückbehaltungsrecht so Ausdruck verleiht, dass es Gegenstand eines Leistungsausspruches sein könnte. Insoweit ist aber nichts vorgetragen.

III.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

54

Die Revision lässt der Senat nicht zu (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechsprechung fordern die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

55

Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 3 ZPO festgesetzt.


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