Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 So 24/18

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 5. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs für die nachträgliche Überprüfung von Maßnahmen im Rahmen eines polizeilichen Einsatzes im Zuge des G20-Gipfels.

2

Am 7. – 8. Juli 2017 fand in Hamburg der G20-Gipfel der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer statt.

3

Anlässlich des Gipfels wurde ein Protestcamp der G20-Gegner im Hamburger Volkspark in Hamburg-Altona (Vorhornweg) errichtet. Am 7. Juli 2017 brachen nach nicht bestrittenen Angaben der Beklagten aus diesem Camp etwa 800 überwiegend bunt gekleidete Menschen in drei verschiedene Personengruppen auf, um sich an Protestaktionen zu beteiligen. In dem aus ca. 150 – 200 Personen bestehenden sog. „Schwarzen Block“, der nahezu einheitlich dunkel bzw. schwarz bekleidet war, befand sich der 20 Jahre alte Kläger.

4

In der Straße Rondenbarg gelangten die Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ nach einer Videoaufzeichnung der Polizei (DVD/1438/17, vgl. auch unter www.ndr.de) etwa gegen 6:27 Uhr auf Höhe der Hausnummer 20 in die Sichtweite der aus südlicher Richtung heranrückenden Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft der Bundespolizeidirektion Blumberg (BFHu Blumberg).

5

Aus der Aufzeichnung ergibt sich, dass die Teilnehmer in einer Entfernung von ca. 30-50m von den vordersten Polizeibeamten der BFHu Blumberg zum Stehen kamen. Es wurden ein Rauchkörper („Bengalo“) in Richtung der mit Schutzausrüstung bekleideten Einsatzkräfte geworfen, später weitere pyrotechnische Gegenstände sowie mehrere Steine. Kurz nach dem ersten „Bengalo“-Wurf und mehreren Steinwürfen begannen die Polizeibeamten, sich der Gruppe des „Schwarzen Blocks“ im Laufschritt zu nähern. Sie brachten diverse Teilnehmer zu Boden, darunter auch den Kläger. Die Personalien des Klägers und seine Kleidung wurden von der Beklagten aufgenommen und er wurde fotografiert.

6

Die Einsatzkräfte setzten nach den in der Sachakte befindlichen Unterlagen der Beklagten insgesamt 73 Personen am Tatort bzw. der näheren Umgebung fest. 59 Personen wurden vorläufig festgenommen und in die Gefangenensammelstelle gebracht. Der Kläger wurde um 8:25 Uhr in das Asklepios-Krankenhaus Altona transportiert. Dort diagnostizierte der behandelnde Arzt eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule. Der Kläger verließ die Klinik nach der Untersuchung.

7

Gegen die Teilnehmer des Marsches wird seit dem 7. Juli 2017 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlichen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall nach § 114 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB, wegen des besonders schweren Falls des Landfriedenbruchs nach §§ 125, 125a StGB, des Bildens bewaffneter Gruppen nach § 127 StGB und wegen Straftaten gegen das Vermummungsverbot nach §§ 3 Abs. 1, 28 VersG geführt (Az. Soko-SB/1K/0516653/2017, 7120 UJs 91/17 [Leitakte];…….[Kläger]).

8

Der Kläger hat am 14. August 2017 beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage mit dem Ziel erhoben, festzustellen, dass der von Beamten der Beklagten am 7. Juli 2017 in Hamburg gegen ihn durchgeführte Einsatz von körperlicher Gewalt rechtswidrig war.

9

Mit Beschluss vom 5. Februar 2018 hat das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeit des Rechtsweges zu den Verwaltungsgerichten festgestellt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Hamburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Für die begehrte Feststellung sei nicht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg, sondern nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet, weil es sich um eine Strafsache im Sinne dieser Bestimmung handele. Das Eingreifen der Polizei gegen den im Rondenbarg marschierenden „Schwarzen Block“, in dem sich der Kläger befunden habe, sei weder als Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr noch als eine sog. doppelfunktionale Maßnahme anzusehen, die neben der Strafverfolgung auch der Gefahrenabwehr diene und zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs hätte führen müssen. Der Beklagten sei es darum gegangen, gegen die sich durch den Bewurf ihrer Beamten mit Steinen aus dem „Schwarzen Block“ manifestierten Straftaten einzuschreiten. Ob eine Strafbarkeit im Fall des Klägers anzunehmen sei bzw. ob die Maßnahmen verhältnismäßig gewesen seien, sei eine Frage der Begründetheit der von ihm erhobenen Klage.

10

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er macht u.a. geltend, bei dem streitigen Einsatz sei es zwar auch um die Sicherung der Strafverfolgung, aber vor allem um Gefahrenabwehr gegangen. Die fortgesetzte Begehung von Straftaten habe unterbunden werden sollen.

11

Die Beklagte, die die Leitakte und weitere Sachakten im Beschwerdeverfahren vorgelegt hat, tritt der Beschwerde entgegen.

II.

12

Die zulässige Beschwerde des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

13

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 Abs. 1, 147 VwGO statthaft.

14

2. Die Beschwerde ist allerdings unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass hier der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO nicht eröffnet ist.

15

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG entscheiden die ordentlichen Gerichte u.a. über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden. Soweit die ordentlichen Gerichte bereits auf Grund anderer Vorschriften angerufen werden können, behält es hierbei nach § 23 Abs. 3 EGGVG sein Bewenden. Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr tätig, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dagegen sind die Strafgerichte für die Überprüfung von Maßnahmen der Polizei zuständig, die der Strafverfolgung gedient haben (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.8.2015, 10 C 15.996, juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.11.2013, 11 OB 263/13, juris Rn. 3 f. m.w.N.; VGH Kassel, Beschl. v. 9.11.2007, 8 TP 2192/07, juris Rn. 2; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 40 Rn. 616 ff.).

16

Das Amtsgericht Hamburg ist hier nach § 98 Abs. 2 Satz 2 und 3 analog, § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Entscheidung berufen. Denn hinsichtlich des Rechtsschutzbegehrens des Klägers, der nachträglichen Überprüfung einer bereits erledigten polizeilichen Maßnahme im Vorfeld u.a. der Identitätsfeststellung nach § 163b StPO auf ihre Rechtmäßigkeit, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog, der § 23 Abs. 1 EGGVG vorgeht, eröffnet. Danach können Betroffene bei dem Amtsgericht die gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme und - über den Wortlaut hinaus - anderer strafprozessualer Maßnahmen beantragen. Erfasst von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch die nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit bereits durch Vollzug erledigter Eingriffsmaßnahmen und –handlungen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.8.1998, 5 Ars (VS) 1/97, BGHSt 44, 171, juris Rn. 15 ff, 19; OLG Rostock, Beschl. v. 29.6.2017, 20 VAs 5/16, juris Rn. 19 f. m.w.N.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.3.2013, 11 W 40/12, juris Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 98 Rn. 23; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 23 EGGVG, Rn. 34 f.).

17

Das hier streitgegenständliche polizeiliche Handeln ist dem Bereich der Strafverfolgung zuzuordnen. Es handelt sich um zeitlich vorausgehende Annex-Maßnahmen zur Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 1 StPO, zur Durchsuchung nach § 102 StPO und zur erkennungsdienstlichen Behandlung der Klägerin nach § 81b Alt. 1 StPO.

18

Grundsätzlich sind Maßnahmen, bei denen die Polizei mit jeweils selbständiger präventiver und repressiver Zielsetzung tätig wurde, sog. doppelfunktionale Maßnahmen, nach ihrem „Schwerpunkt“ zu ermitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.1974, I C 11.73, BVerwGE 47, 255, juris Rn. 23; BVerwG, Beschl. v. 22.6.2001, 6 B 25.01, NVwZ 2001, 1285, juris Rn. 6; vgl. zum Stand der Diskussion und zur Anwendbarkeit strafprozessualer und gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen nebeneinander: BGH, Urt. v. 26.4.2017, 2 StR 247/16, BGHSt 62, 123, juris Rn. 21). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind allerdings von solchen „echten“ doppelfunktionalen Maßnahmen solche polizeilichen Maßnahmen abzugrenzen, die nur deswegen auch präventiven Charakter besitzen, weil durch die Strafverfolgung ein entsprechender unselbständiger Nebeneffekt erzielt wird – etwa dass der Betroffene durch Festnahme an der Fortsetzung seiner strafbaren Handlung faktisch gehindert wird. In einem solchen Fall der „Prävention durch Repression“ ist das polizeiliche Vorgehen schon nach seiner alleinigen Zwecksetzung ausschließlich strafprozessualer Natur (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2017, 2 StR 247/16, BGHSt 62, 123, juris Rn. 20).

19

Die Einordnung des polizeilichen Handelns richtet sich bei Maßnahmen der Polizei zunächst danach, ob der Grund des polizeilichen Einschreitens für den Betroffenen unschwer zu erkennen ist. Das ist der Fall, wenn die Polizei diesen von sich aus oder auf Verlangen angibt. Im Übrigen kommt es darauf an, wie sich der konkrete Lebenssachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt. In diesem Zusammenhang kommt dem erklärten oder erkennbaren Willen des eingreifenden Sachwalters erhebliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.1974, I C 11.73, BVerwGE 47, 255, juris, Rn. 24; OVG Münster, Beschl. v. 6.8.2014, 5 E 375/14, juris Rn. 5 m.w.N.; Beschl. v. 9.1.2012, 5 E 251/11, juris Rn. 10 ff., 16; OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.11.2013, 11 OB 263/13, juris Rn. 4; VGH München, Beschl. v. 5.11.2009, 10 C 09.2122, juris Rn. 11 ff.). Der Sachverhalt muss im Allgemeinen einheitlich betrachtet werden, es sei denn, dass einzelne Teile des Geschehensablaufs objektiv abtrennbar sind. Hat die Polizei die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht weitergeleitet (§ 163 Abs. 2 StPO) oder auf Weisung der Staatsanwaltschaft gehandelt, so kann an der strafprozessualen Natur ihres Einschreitens kein vernünftiger Zweifel bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.12.1974, I C 11.73, a.a.O., juris Rn. 24; OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.11.2013, 11 OB 263/13, juris Rn. 4).

20

Danach erfolgte der Polizeieinsatz am 7. Juli 2017 gegen 6:28 Uhr am Rondenbarg, bei dem der Kläger festgesetzt wurde, zum Zwecke der Strafverfolgung gegen die Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“, in dem sich der Kläger befand. Dafür spricht die Tatsache, dass bei Zusammentreffen des „Schwarzen Blocks“ mit den Ordnungskräften in der Straße Rondenbarg Handlungen erfolgten, die den Anfangsverdacht von Straftaten rechtfertigen konnten, und dass die festgesetzten Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ über die beabsichtigten Strafverfolgungsmaßnahmen informiert wurden:

21

Aus der bei den Akten befindlichen und auch (z.B. unter www.ndr.de) öffentlich zugänglichen Videoaufnahme (DVD/1438/17) des Geschehens ergibt sich, dass die in etwa 30-50m Entfernung befindlichen Beamten der BFHu Blumberg und wohl auch Fahrzeuge im Rondenbarg in Höhe des Grundstücks Nr. 20 aus der Mitte des „Schwarzen Blocks“ ab 6:27 Uhr mit pyrotechnischen Gegenständen und Steinen beworfen wurden. Ein Anfangsverdacht gegen die Mitglieder des „Schwarzen Blocks“, in dem sich der Kläger aufhielt, bestand daher u.a. wegen gemeinsamen (besonders schweren) Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte nach §§ 114 Abs. 1 und 2, 125, 125a, 25 Abs. 2 StGB. Soweit die Polizei den Anfangsverdacht für solche Straftaten angenommen hat, erscheint dies auch aufgrund der Liste der später sichergestellten Gegenstände (vgl. Liste Bl. 7 Leitakte = Sachakte I; Fotos) nachvollziehbar. Diesen konnte sie auch zunächst auf alle Teilnehmer und damit auch auf den erkennbar als zugehörig gekleideten Kläger erstrecken. Bereits „ostentatives Mitmarschieren“ auf dem Weg zum Ort der Begehung von Gewalttätigkeiten kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 24.5.2017, 2 StR 414/16, BGHSt 62, 178, juris Rn. 13) für eine mögliche Tatbegehung als Täter oder Teilnehmer ausreichen.

22

Außerdem war der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit nach §§ 3, 28 VersG u.a. auch für den Fall denkbar, dass es sich bei dem Marsch um einen durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Aufzug handelte. Nach §§ 3 Abs. 1, 28 VersG macht sich strafbar, wer öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck politischer Gesinnung trägt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Tragen gleichartiger Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer politischer Gesinnung vor, wenn das Auftreten in derartigen Kleidungsstücken nach den Gesamtumständen geeignet ist, eine suggestivmilitante, einschüchternde Wirkung gegenüber anderen zu erzielen (vgl. BGH, Urt. v. 11.1.2018, 3 StR 427/17, juris Rn. 17). Eine derartige Wirkung des größtenteils ähnlich gekleideten „Schwarzen Blocks“ kann möglicherweise hier in Betracht kommen. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat in einem Verfahren betreffend den Vollzug von Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten aus dem „Schwarzen Block“ (Rondenbarg) einen dringenden Tatverdacht auch nach §§ 3, 28 VersG bejaht (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 21.7.2017, 1 Ws 73/17, juris Rn. 24).

23

Die Absicht der Polizeikräfte, zum Zwecke der Strafverfolgung zu handeln, lässt sich auch dem weiteren Vorgehen entnehmen. Der Kläger wurde nach der Dokumentation der Beklagten in „Zone 3“, auf dem Gehweg parallel zum defekten Zaunabschnitt, festgesetzt. Seine Personalien und seine Kleidung wurden aufgenommen und er wurde fotografiert. Hinsichtlich der oben genannten Straftatbestände wurde unverzüglich gegen alle Teilnehmer und auch gegen den Kläger ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet (Aktenzeichen SOKO-SB/1K/0516653/2017, 7120 UJs 91/17; Strafanzeige vom 15. August 2017, Ermittlungsverfahren ……… bzgl. des Klägers). Die zuständige Polizeiinspektion ……… wurde mit Schreiben vom 28. August 2017 gebeten, den Kläger als Beschuldigten zu dem oben genannten Komplex zu vernehmen (vgl. Sachakte II, Bl. 37). Die von den Beamten zeitnah beabsichtigte Vernehmung konnte nicht erfolgen, weil der Kläger, der über Beschwerden an der Halswirbelsäule klagte, zunächst zur Behandlung in das Asklepios Klinikum Altona gebracht und dort behandelt wurde. Dieses verließ er anschließend und war für die Beamten am 7. Juli 2017 dort nicht mehr erreichbar (vgl. Sachakte I, Bl. 33).

24

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die (weiteren) Maßnahmen als repressives polizeiliches Handeln bewertet. Nach Eintreffen der ersten (nicht in ärztlicher Behandlung befindlichen) festgenommenen Personen in der Gefangenensammelstelle gegen 10:00 Uhr hat sie die von einzelnen Polizeibeamten angenommene oder vermerkte „Ingewahrsamnahme“ jeweils als vorläufige Festnahme nach § 127 StPO angesehen und Anträge auf den Erlass von Haftbefehlen beim Amtsgericht geprüft (vgl. dazu Vermerk …….. vom 18.12.2017, Sachakte III, Bl. 2).

25

Der Kläger konnte auch bei verständiger Würdigung des Sachverhaltes ohne weiteres erkennen, dass Maßnahmen zur Strafverfolgung beabsichtigt waren. Für ihn war, auch wenn er sich an Ausschreitungen nicht beteiligt haben sollte, (auch im hinteren Teil des Marsches) sichtbar, dass aus der Formation des „Schwarzen Blocks“ heraus Polizeikräfte mit Steinen und Sprengkörpern beworfen worden waren, da diese z.T. als Leuchtkörper wahrnehmbar waren bzw. sich auf der Straße befanden. Dass die Polizei die Teilnehmer des Marsches daraufhin festsetzen wollte, um jedenfalls die Identitätsfeststellung und die erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbereitung der Strafverfolgung durchführen zu können, ergibt sich auch aus den weiteren Erklärungen der zuständigen Beamten. Denn es erfolgte ausweislich der Dokumentation der Beklagten um 7:20 Uhr eine Lautsprecherdurchsage durch den zuständigen Beamten ….. der BFHu Blumberg, in dem der Tatvorwurf, die Freiheitsentziehung und die Anschlussmaßnahmen erläutert wurden:

26

„[...] durch die Einsatzkräfte festgehalten werden. Sie sind verdächtig einer Straftat und zwar im Speziellen des Landfriedensbruchs und des schweren Landfriedenbruchs. Sie haben sich an Angriffen auf Polizeibeamten beteiligt, beziehungsweise sich zumindest in dieser Menschenmenge aktiv mitbewegt. Aus diesem Grunde wurde Ihnen hier auch vor Ort die Freiheit entzogen. Sie werden jetzt Einzeln dem Strafverfahren zugeführt und werden anschließend in Gewahrsam genommen. Für alle Personen, die durch Verletzungen dem Krankenhaus zugeführt werden müssen, werden wir ein beschleunigtes Verfahren vor Ort durchführen, um Sie zügig in ärztliche Behandlung zu bringen. Verhalten Sie sich bitte weiterhin ruhig und kooperativ, so dass wir nicht nochmal Zwang einsetzen. Ende der Durchsage.“ (Abschrift der Aufnahme vom 13.12.2017, Sachakte III, Bl. 3)

27

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kläger noch vor Ort. Er wurde erst um ca. 8:25 Uhr (Sachakte I, Bl. 52) mit einem der Rettungswagen in das Krankenhaus verbracht (zum Ablauf vgl. Sachakte III, Bl. 6).

28

Der Äußerung des zuständigen Beamten steht auch nicht die von dem Kläger zitierte Aussage des Inspektionsleiters der Bundespolizei ……. entgegen, er habe die Lage so beurteilt, „dass die fortgesetzte Begehung der o.g. Straftaten zwingend zu unterbinden war, das Entstehen weiterer Schäden zu verhindern war […]“ (vgl. Vermerk ……. vom 4.10.2017, Sachakte I, Bl. 256; vgl. Wortprotokoll der öffentl. Sitzung des Innenausschlusses vom 19.7.2017, Bü-Drs. 21/20, Aussage …… S. 74). Denn die Lagebeurteilung und der Auftrag, „Fühlung zu der Gruppe aufzunehmen…“, erfolgten um 6:15 Uhr (vgl. Wortprotokoll, Bü-Drs. 21/20 S. 74) und damit vor dem Zusammentreffen der Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ und der BFHu Blumberg und dürften zu diesem Zeitpunkt eher auf gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen („Überprüfung, Aufstoppen“) zur Verhinderung von möglichen späteren Straftaten oder wegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit gezielt haben. Erst mehr als 10 Minuten später wurden aus dem „Schwarzen Block“ heraus mutmaßlich Straftaten begangen; der oben beschriebene Bewurf mit Steinen und „Bengalos“ erfolgte ausweislich des Videos des Polizeieinsatzes ab 6:28 Uhr (Zeiterfassung Videoaufnahme DVD/1438/17, Sachakte I, Bl. 18). An diesen Sachverhalt knüpft das streitgegenständliche Handeln der Polizei an. Der Ablauf ergibt sich aus dem Kontext der Stellungnahme von Herrn ……. vom 4. Oktober 2017, der ausführte, er habe die Information erhalten, die Personengruppe habe eine Bushaltestelle beschädigt, Baustellenmaterial und Absperrungen auf die Fahrbahn gezogen, ein Firmengelände beworfen oder beschmiert und Steine aufgenommen. Er habe die Lage so beurteilt, dass die fortgesetzte Begehung der oben genannten Straftaten zwingend zu unterbinden, das Entstehen weiterer Schäden zu verhindern und sämtliche Maßnahmen zur Sicherung der Strafverfolgung zu treffen gewesen seien. Vor diesem Hintergrund habe er die BFHu Blumberg beauftragt, Fühlung zu der Gruppe aufzunehmen und alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr weiterer Gefahren sowie zur Strafverfolgung zu treffen. Die Lage sei viel zu dynamisch gewesen, um den ihm unterstellten Einheiten Aufträge mit detaillierten taktischen und rechtlichen Maßnahmen zu erteilen (Sachakte I, Bl. 256, 257). Danach waren zu dem Zeitpunkt des Auftrags gegen 6:15 Uhr die aus Sicht der Polizei erforderlich werdenden Maßnahmen noch nicht konkret definiert.

29

Auch der diensthabende Hundertschaftsführer der BFHu Blumberg, Herr…., erklärte später (dienstliche Erklärung v. 24.7.2017, Sachakte I, Bl. 70 f.), er habe gegen 6:18 Uhr den Auftrag erhalten, „Fühlung zu einer polizeilich relevanten Personengruppe [...] aufzunehmen und Maßnahmen so zu treffen, dass von dieser Gruppe keine Gefahr mehr ausgehen konnte.“ Zum Zeitpunkt des Auftrags konnte er eine Einschätzung der ggf. erforderlich werdenden Maßnahmen noch nicht treffen. Er führte weiter aus, angesichts des Bewurfs habe er sich gegen einen polizeilichen Rückzug und stattdessen für ein „unverzügliches Unterbinden der Angriffe“ entschieden. Vor dem Hintergrund der „offenkundigen Störungen und Gefahren, die von der Gruppe ausgingen“, habe er sich zum unmittelbaren Vorgehen gegen die Personengruppe entschieden (nach Videoverlauf ab 6:28 Uhr). Mit dem Auftreffen auf die Personengruppe habe das Ziel darin bestanden, möglichst viele Personen festzunehmen (Sachakte I, Bl. 71).

30

Der Absicht, Maßnahmen zur Ermöglichung der Strafverfolgung zu treffen, steht auch nicht die Aussage des stellvertretenden Einsatzführers der BFHu Blumberg, Herr….., entgegen. Dieser führte in seiner dienstlichen Erklärung vom 7. Juli 2017 aus: „Gegen 06:15 Uhr bekamen wir vom Polizeidirektor ……. den Auftrag, eine Personengruppe aufzunehmen und zu überprüfen. […]. Gegen 6:27 Uhr wurde die oben beschriebene Menschenmenge…festgestellt. … Um die gegenwärtigen Angriffe abzuwehren lief die Hundertschaft in Richtung der Menschenmenge an, wobei der massive Bewurf mit Steinen weiter anhielt. …“ (Sachakte I, Bl. 3 f.). Dass die sich anschließende Festsetzung von Teilnehmern - wie der Kläger meint - der Gefahrenabwehr und nicht der Strafverfolgung diente, ergibt sich aus dieser Stellungnahme nicht. Herr…. der BFHu Blumberg erklärte, die Hundertschaft habe über Funk den Auftrag erhalten, die „Versammlungsteilnehmer einzuschließen, um sie einer qualifizierten Strafverfolgung hinzuzuführen“ (Sachakte II, Bl. 44).

31

Vor dem Hintergrund des Geschehensablaufs, der dem Kläger die Möglichkeit gab, die polizeilichen Maßnahmen als solche der Strafverfolgung einzuordnen, kann offenbleiben, ob in den Fällen, in denen die Polizei den Betroffenen nicht vermittelt, ob sie präventiv oder repressiv handeln will, aber auch ein gefahrenabwehrrechtliches Handeln in Betracht kommt, im Zweifel der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sein dürfte (vgl. so OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.11.2013, 11 OB 263/13, juris Rn. 4, 7; OVG Münster, Beschl. v. 9.1.2012, 5 E 251/11, juris Rn. 10 ff., 20).

32

Soweit der Kläger wohl als Beleg für ein versammlungsrechtliches Vorgehen der Polizei auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Juni 2014 (5 K 808/11, juris) verweist, lassen sich die dortigen Wertungen auf die hier zu klärende Frage des Rechtswegs nicht übertragen. Zum einen war dort Streitgegenstand nach Verweis der auf die nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Ingewahrsamnahme und der Identitätsfeststellung gerichteten Klagen an das zuständige Amtsgericht lediglich die Rechtmäßigkeit des von der Polizei angekündigten und gegen den dortigen Kläger verhängten Platzverweises, der auf das PolG gestützt worden war. Auch handelte es sich bei dem Verhalten der Betroffenen, an das die Intervention der Polizei anknüpfte, um eine Blockade als passiver Protest im Rahmen einer Demonstration gegen das Vorhaben „Stuttgart 21“.

33

Selbst wenn man der Ansicht des Klägers folgte und jedenfalls eine sog. doppelfunktionale Maßnahme annehmen würde, wäre der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet. Der Schwerpunkt der Maßnahmen der Polizei lag erkennbar auf der Strafverfolgung. Gleiches gilt, wenn auch bei einem Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO strafprozessuale und präventive polizeiliche Maßnahmen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander anwendbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2017, 2 StR 247/16, BGHSt 62, 123, juris Rn. 25 ff.). Der Schwerpunkt des hier streitigen polizeilichen Handelns ergibt sich hier aus den von den Beamten der Beklagten verlautbarten Zielen. Diese mögen zunächst auf gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen gegen die Teilnehmer zur „Überprüfung“ und zur Verhinderung von Gefahren für Rechtsgüter Dritter (Eigentum, Schutz der Veranstaltung der G20 und deren Teilnehmer) gerichtet gewesen sein. Mit dem Bewurf der Einsatzkräfte und ihrer Fahrzeuge u.a. mit „Bengalos“ und Steinen, der jedenfalls einen Anfangsverdacht für Straftaten begründete, waren die Handlungen auch gegen den Kläger ihrem Schwerpunkt nach auf Maßnahmen der Festsetzung gerichtet, die seine Identifizierung und Durchsuchung zum Zweck der Strafverfolgung ermöglichen sollten. Dies ergibt sich aus den o.g. Äußerungen der beteiligten Beamten und den Hinweisen an die festgesetzten Teilnehmer. Auf polizeirechtlicher Grundlage ergangene Maßnahmen (wie z.B. ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme) sind gegen den Kläger nicht erfolgt.

34

Ob in Bezug auf die Festsetzung des Klägers tatsächlich ein Anfangsverdacht oder ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der o.g. Straftaten vorgelegen hat und ob dem Kläger die o.g. Straftaten nachgewiesen werden können, ist für die Frage des Rechtswegs unerheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob für den Fall, dass es sich entgegen der Ansicht der Beklagten jedenfalls bei dem hinteren Teil des „Schwarzen Blocks“, in dem sich der Kläger seinen Angaben zufolge befunden haben will, um eine durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlung gehandelt haben sollte, strafprozessuale Maßnahmen wie z.B. das Festhalten zum Zweck einer Identitätsfeststellung nach § 163b StPO vor einer Auflösung der Versammlung nicht hätten ergriffen werden dürfen. Diese Bewertung obliegt nach § 17 Abs. 2 GVG der Prüfung durch das Gericht des zulässigen Rechtsweges.

35

Soweit der Kläger seine Beschwerde auch auf die seiner Ansicht nach unvollständige Sachverhaltsaufklärung des Verwaltungsgerichts stützt, kann dieser Einwand nicht durchgreifen:

36

Die Verweisungsvorschriften in § 17a GVG sind nach ihrem Zweck im Interesse des effektiven Rechtsschutzes auf eine zügige und verbindliche Festlegung des Rechtswegs gerichtet, aber auch beschränkt. Daraus folgt, dass eine Verweisung keine über die Rechtswegfrage hinausgehenden Vorfestlegungen für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, beinhaltet (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.4.2011, 13 OB 62/11, juris Rn. 5). Das Amtsgericht ist insoweit bei der Auslegung und Behandlung des Rechtsschutzbegehrens keinen Bindungen unterworfen. Die von der Beklagten im Beschwerdeverfahren vorgelegte, der Klägerin bekannte Leitakte (Sachakte I) und die weiteren Sachakten sind ausreichend, um die Frage des Rechtswegs zu klären.

III.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Sie war nicht gemäß § 17b Abs. 2 GVG entbehrlich. Es ist insoweit zwischen den Kosten des Hauptsacheverfahrens, die Gegenstand der Regelung des § 17b Abs. 2 GVG sind, und den Kosten des in einem Verweisungsstreit erhobenen Rechtsmittels zu unterscheiden (vgl. auch VGH München, Beschl. v. 5.11.2009, 10 C 09.2122, juris Rn. 18).

38

Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da sich die Festgebühr aus Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) ergibt.

39

Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht ist nicht gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zuzulassen, weil die Zulassungsgründe der Divergenz oder der grundsätzlichen Bedeutung nicht vorliegen (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG).

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