Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 155/16


Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 15. März 2016, Az. 6 Ca 410/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Wesentlichen über Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung.

2

Der 1955 geborene Kläger war seit April 2009 bei der zwischenzeitlich insolventen Firma H. GmbH Fenster- und Türenfabrik (Schuldnerin) als kaufmännischer Angestellter zu einem Monatsgehalt von zuletzt € 3.500,00 brutto beschäftigt. Eingetragener Geschäftsführer der Schuldnerin war der Ehemann der Beklagten, die Beklagte war eingetragene Prokuristin. Nach dem Tod ihres Ehemannes (am 22.06.2014) ist die Beklagte mit zwei Kindern Miterbin zu einem Anteil von einem Drittel.

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Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 31.01. zum 15.03.2013 aus betriebsbedingten Gründen. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger, der ab 16.03.2013 Arbeitslosengeld bezog, Klage. Im Kündigungsschutzprozess schloss er mit der Schuldnerin vor dem Arbeitsgericht (Az. 2 Ca 260/13) am 04.06.2013 einen Widerrufsvergleich, den die Schuldnerin widerrufen hat. Inhalt dieses Vergleichs war eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2013 unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts bis dahin. Eine Abfindung wurde nicht vereinbart. Nach erfolgtem Widerruf hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 18.06.2013 (Az. 2 Ca 260/13) stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Schuldnerin Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Az. 5 Sa 316/13) hat am 26.08.2013 gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt, der - auszugsweise - folgenden Wortlaut hat:

4

"Vergleich

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1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung vom 31.01.2013 zum 30.06.2013 geendet hat.

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2. Die Beklagte rechnet das Arbeitsentgelt des Klägers bis zum 30.06.2013 ordnungsgemäß unter Berücksichtigung auf Dritte übergegangener Ansprüche ab.

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3. Für den Verlust des sozialen Besitzstandes zahlt die Beklagte in Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung iHv. € 7.000 brutto. Der Beklagten wird auch diesbezüglich nachgelassen, den sich ergebenden Nettobetrag in monatlichen Raten zu je € 1.000,00 beginnend mit dem 01.10.2013, zu zahlen.
…"

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In der Abrechnung für Juni 2013 errechnete die Schuldnerin - einschließlich der Nachzahlungen ab März 2013 - einen Auszahlungsbetrag von € 8.599,16 netto. Davon erstattete sie einen Teilbetrag von € 5.607,40 der Bundesagentur für Arbeit, so dass für den Kläger ein Restanspruch von € 2.991,76 netto verblieb. Die im Vergleich vereinbarte Abfindung belief sich auf € 5.079,90 netto, so dass die Gesamtforderung € 8.071,66 netto betrug. Ausweislich des Anwaltschreibens des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.11.2013 zahlte die Schuldnerin eine Rate von € 1.000,00. Der Kläger und sein jetziger Prozessbevollmächtigter können sich dazu nicht äußern. Im Wege der Zwangsvollstreckung trieb der Kläger im März 2014 einen Betrag von € 5.520,31 von der Schuldnerin bei. In diesem Betrag waren die zugleich beigetriebenen Vollstreckungskosten von € 461,09 enthalten.

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Das Amtsgericht Ludwigshafen hat am 02.05.2014 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet (Az. 3b IN 107/14 SP) und einen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Wirkung ab 17.03.2014, dem Tag der Insolvenzantragstellung, war bereits die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden. Der Insolvenzverwalter verlangte vom Kläger durch Insolvenzanfechtung den Betrag von € 5.520,31 nebst Zinsen seit Insolvenzeröffnung iHv. € 32,87 an die Masse zurück. Der Kläger zahlte den geforderten Gesamtbetrag zurück und meldete ihn zur Insolvenztabelle an. Die Forderung wurde vom Verwalter bestritten. Die Bundesagentur für Arbeit gewährte dem Kläger Insolvenzgeld iHv. € 2.583,93.

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Mit der vorliegenden Klage vom 07.01.2015 verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von € 5.981,69. Diese Forderung berechnet er wie folgt:

11
        

€ 8.071,66

Nettobetrag aus dem Vergleich v. 26.08.2013

+       

€ 461,09

Vollstreckungskosten

+       

€ 32,87

Zinsen an Insolvenzmasse

-       

€ 2.583,93

Insolvenzgeld d. Bundesagentur für Arbeit

=       

€ 5.981,69

Summe 

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Der Kläger meint, die Beklagte habe den Betrieb der Schuldnerin als "faktische Geschäftsführerin" geleitet. Sie habe eine "besondere Vertrauensstellung" aufgebaut. Weil sie es pflichtwidrig unterlassen habe, rechtzeitig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, sei ihm ein Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden. Hierfür müsse die Beklagte wegen Insolvenzverschleppung haften. Außerdem hafte sie als Miterbin für Versäumnisse des verstorbenen eingetragenen Geschäftsführers.

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In der Klageschrift vom 07.01.2015 hat der Kläger vorgetragen, im Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs vom 26.08.2013 habe noch keine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorgelegen. Im Schriftsatz vom 23.04.2015 hat er vorgetragen, nach neueren Erkenntnissen müsse davon ausgegangen werden, dass die Schuldnerin bereits bei Abschluss des Vergleichs vom 26.08.2013 insolvenzreif gewesen sei. Insolvenzreife sei aus Sicht des Insolvenzverwalters "zumindest bereits ab dem Jahr 2010" eingetreten. Im Schriftsatz vom 21.10.2015 hat er vorgetragen, die Schuldnerin sei bereits vor Abschluss des Vergleichs vom 26.08.2013 "praktisch zahlungsunfähig" gewesen. Die Beklagte hätte dafür sorgen müssen, dass seine Forderung aus dem widerruflich geschlossenen Vergleich vor dem Arbeitsgericht vom 04.06.2013 sofort erfüllt werde. Schließlich hat er im Schriftsatz vom 03.02.2016 vortragen lassen, der Insolvenzantrag hätte "spätestens im Juni 2013, eher noch früher, wohl bereits im Jahr 2011", wie seine Recherchen bei der früheren Buchhalterin der Schuldnerin ergeben hätten, gestellt werden müssen.

14

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

15

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5.981,69 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.11.2014 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

18

Sie hat vorgetragen, beim Zustandekommen des Vergleichs vom 26.08.2013 habe keine Insolvenzreife der Schuldnerin vorgelegen. Sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht sei ausschließlich ihr verstorbener Ehemann Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen. Sie habe die Geschicke der Schuldnerin nicht als faktische Geschäftsführerin bestimmt, sondern stets nach den Vorgaben und Weisungen ihres Ehemanns gehandelt.

19

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.03.2016 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Pflichten aus § 280 Abs. 1 BGB bzw. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 282, 280 Abs. 1 BGB bestünden nicht. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Beklagte ein besonderes eigenes wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen des Prozessvergleichs vom 26.08.2013 gehabt haben sollte. Außerdem habe der Kläger nicht dargelegt, weshalb die Beklagte ihm gegenüber eine besondere Vertrauensstellung innegehabt bzw. Vertrauen für sich in Anspruch genommen habe. Der Kläger könne von der Beklagten auch keinen Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a Abs. 1 InsO beanspruchen. Der Kläger trage die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Insolvenzverschleppung. Er habe seine Darlegungslast durch die pauschale, nicht durch Tatsachen belegte Behauptung, die Schuldnerin sei bei Abschluss des Vergleichs vom 26.08.2013 schon überschuldet bzw. zahlungsunfähig gewesen, nicht erfüllt. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 15.03.2016 Bezug genommen.

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Gegen das am 23.03.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 18.04.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 18.05.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

21

Er macht geltend, die Beklagte habe als faktische Geschäftsführerin den Betrieb der Schuldnerin geleitet. Sie habe in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Speyer zugegeben, dass die Schuldnerin bereits im August 2013 erhebliche Außenstände im sechsstelligen Bereich gehabt habe. Die Schuldnerin habe im Jahr 2014 wegen einer Zahlungsaufforderung des Finanzamts Insolvenz angemeldet. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte das Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht in die Länge gezogen habe, weil sie seine berechtigten Forderungen nicht habe erfüllen können. Zwischen ihm und der Beklagten habe eine besondere Vertrauensstellung bestanden, weil er nach Abschluss des Vergleichs im August 2013 habe hoffen dürfen, dass seine Forderung durch die Schuldnerin in voller Höhe zeitnah erfüllt werde. Hätte die Beklagte seine Forderungen aus dem Vergleich noch im September 2013 erfüllt, wäre keine Insolvenzanfechtung erfolgt. Der deliktische Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a Abs. 1 InsO resultiere daraus, dass die Beklagte den begründeten Zahlungsanspruch nicht rechtzeitig vor Insolvenzantragstellung zum Ausgleich gebracht habe. Darüber hinaus habe sie es unterlassen, rechtzeitig einen Insolvenzantrag für die Schuldnerin zu stellen, damit seine Forderung nicht entstehen würde.

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Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen -Auswärtige Kammern Landau- vom 15.03.2016, Az. 6 Ca 410/15, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 5.981,69 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.11.2014 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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1. die Berufung zurückzuweisen,

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2. hilfsweise, ihr die beschränkte Erbenhaftung gem. § 780 Abs. 1 ZPO vorzubehalten.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

28

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

29

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte iHv. € 5.981,69 zu.

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1. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung ihrer Insolvenzantragspflicht aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a InsO besteht nicht.

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a) Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO unterliegen die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person der Insolvenzantragspflicht. In der GmbH trifft die Antragspflicht die Geschäftsführer (§ 35 GmbHG). Die Beklagte war nicht Geschäftsführerin der Schuldnerin, sondern ausweislich der Eintragungen im Handelsregister Prokuristin. Die Prokura ermächtigte sie gem. § 49 Abs. 1 HGB zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb der Schuldnerin mit sich brachte. Antragspflichtig sind nach der Rechtsprechung zwar auch sog. "faktische Geschäftsführer", dh. diejenigen, die die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen haben, tatsächlich ausüben und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnehmen oder zumindest das deutliche Übergewicht haben (BGH 11.06.2013 - II ZR 389/12 - Rn. 23 mwN, NJW 2013, 3303; BGH 11.07.2005 - II ZR 235/03 - Rn. 8 mwN, DB 2005, 1897).

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b) Es braucht nicht geklärt zu werden, ob die Beklagte faktische Geschäftsführerin der Schuldnerin gewesen ist. Selbst wenn man dies zu Gunsten des Klägers unterstellt, kann er die Forderungen aus dem gerichtlichen Vergleich vom 26.08.2013 von der Beklagten nicht als Schaden ersetzt verlangen. Es fehlt bereits an einem schlüssigen Vortrag des Klägers zu den Voraussetzungen einer Insolvenzverschleppung.

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aa) Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 15a InsO würde voraussetzen, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs mit dem Kläger am 26.08.2013 insolvenzreif gewesen ist und die Geschäftsführung ihre Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags schuldhaft verletzt hat.

34

bb) Das Vorbringen des Klägers leidet an unauflösbaren inneren Widersprüchen hinsichtlich des Zeitpunkts der Insolvenzreife der Schuldnerin. Er hat im Verlauf des Rechtsstreits unterschiedliche Zeitpunkte angegeben: In der Klageschrift vom 07.01.2015 hat er noch behauptet, im Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs vom 26.08.2013 habe noch keine Insolvenzreife vorgelegen. In den folgenden Schriftsätzen hat er vorgetragen, die Schuldnerin sei "zumindest bereits ab dem Jahr 2010" insolvenzreif gewesen bzw. der Insolvenzantrag hätte "spätestens im Juni 2013, eher noch früher, wohl bereits im Jahr 2011" gestellt werden müssen. Der Kläger vermochte in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer nicht klarzustellen, was konkret behauptet werden soll. Stellt eine Partei mehrere einander widersprechende Behauptungen auf, ohne den Widerspruch zu erläutern, so kann von keiner dieser Behauptungen angenommen werden, sie sei richtig (BAG 13.06.2002 - 2 AZR 589/01 - NZA 2003, 608).

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c) Sollte die Behauptung des Klägers zutreffen, dass beim Zustandekommen des Vergleichs am 26.08.2013 noch keine Insolvenzreife der Schuldnerin eingetreten sei (Variante 1), wäre er als "Altgläubiger" anzusehen und auf den Ersatz des "Quotenschadens" beschränkt, dh. des Nachteils, der infolge einer verschleppungsbedingten Verminderung der Insolvenzquote eintritt, der in einem - wie hier - eröffneten Insolvenzverfahren als einheitlicher Gesamtgläubigerschaden gem. § 92 InsO allein vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Geschäftsführer geltend zu machen ist (BGH 05.02.2007 - II ZR 234/05 - Rn. 12, DB 2007, 790).

36

d) Sollte die Behauptung des Klägers zutreffen, dass die Schuldnerin bereits vor dem Zustandekommen des Vergleichs am 26.08.2013 insolvenzreif gewesen sei, nämlich "ab dem Jahr 2010" oder "bereits im Jahr 2011", "spätestens im Juni 2013" (Variante 2), wäre er ebenfalls als "Altgläubiger" anzusehen. Wenn ein Dauerschuldverhältnis - wie hier - vor Insolvenzreife begründet wurde, ist der Gläubiger für seine nach Insolvenzreife fällig werdenden, aber ohne Gegenleistung bleibenden Leistungen Alt- und nicht Neugläubiger (BGH 22.10.2013 - II ZR 394/12 - Rn. 9, NJW 2014, 698).

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e) Selbst wenn man den Kläger als "Neugläubiger" ansehen wollte, weil er den Abfindungsvergleich im Vertrauen auf die Solvenz der Schuldnerin geschlossen hat, bestünde der zu ersetzende Schaden nicht -wie dies dem Kläger vorschwebt- in dem wegen der Insolvenz der Gesellschaft "entwerteten" Erfüllungsanspruch, weil das positive Interesse deliktsrechtlich nicht geschützt ist. Der Schadensersatzanspruch wegen Insolvenzverschleppung ist vielmehr auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet. Ersatzfähig sind danach nur Schäden, die durch die Insolvenzreife der Gesellschaft verursacht worden sind (BGH 21.10.2014 - II ZR 113/13 - Rn. 13 mwN, DB 2014, 298). Der Kläger wäre so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er den Vergleich, dessen Zustandekommen am 26.08.2013 gem. § 278 Abs. 6 ZPO vom Landesarbeitsgericht (5 Sa 316/13) festgestellt worden ist, nicht abgeschlossen hätte. Dann hätte er keinen Anspruch auf eine Abfindung erworben. Ansprüche auf Zahlung rückständigen Arbeitsentgelts, die nicht durch Insolvenzgeld abgesichert waren, hätte er nur zur Insolvenztabelle melden können.

38

f) Der Vortrag des Klägers wird vollends widersprüchlich, wenn er behauptet, die Beklagte hätte den Vergleich vom 04.06.2013, der vor dem Arbeitsgericht (2 Ca 260/13) abgeschlossen worden ist, nicht im Namen der Schuldnerin - trotz vereinbartem Vorbehalt - widerrufen dürfen. In diesem Widerrufsvergleich ist keine Abfindung vereinbart worden.

39

Ein Schaden des Klägers wegen rückständiger Arbeitsvergütung ist nicht zu erkennen. Die ausgefallene Vergütung für die Zeit vom 16.03. bis zum 30.06.2013 ist dem Kläger durch die Gewährung von Arbeitslosengeld (€ 5.607,40 netto) und zusätzlichem Insolvenzgeld (€ 2.583,93 netto) von der Bundesagentur für Arbeit ersetzt worden. Außerdem hat die Schuldnerin ausweislich des Schreibens der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.11.2013 auf die Gehaltsrückstände eine Rate iHv. € 1.000,00 netto geleistet. Nachdem sein Rechtsanwalt einen Zahlungseingang bestätigt hat, konnte der Kläger diesen nicht mit Nichtwissen bestreiten.

40

Nach der Schadensberechnung des Klägers entfällt die Klageforderung im Wesentlichen auf die im Vergleich vom 26.08.2013 vereinbarte Abfindung (€ 7.000,00 brutto = € 5.079,90 netto), die der Insolvenzverwalter zurückgefordert hat. Weshalb er eine Abfindung im Falle einer früheren Insolvenzantragstellung bekommen oder hätte behalten dürfen, trägt der Kläger nicht vor.

41

2. Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten, seien es solche aus dem Arbeitsvertrag, §§ 611 ff. BGB, oder solche aus dem Prozessvergleich nach §§ 280 ff., § 241 Abs. 2 BGB scheiden schon deswegen aus, weil es zwischen den Parteien des Rechtsstreits zu keinen Vertragsbeziehungen gekommen ist, § 311 Abs. 1 BGB. Seinen Arbeitsvertrag hat der Kläger mit der Schuldnerin geschlossen. Der Kläger hat weder mit dem verstorbenen Geschäftsführer der Schuldnerin noch mit der Beklagten kontrahiert. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vom Kläger vorgetragen, dass der verstorbene Geschäftsführer oder die Beklagte im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vergleichs vom 26.08.2013 mit der Schuldnerin eine persönliche Haftung übernehmen wollten.

42

3. Die Beklagte ist dem Kläger nicht nach § 311 Abs. 3 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.

43

a) Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Kläger seine Schadensersatzklage erstmals in der Berufungsinstanz auf diese Rechtsgrundlage stützt, nachdem das Arbeitsgericht die Voraussetzungen für einen derartigen (erstinstanzlich nicht geltend gemachten) Anspruch geprüft und abschlägig entschieden hat. Insoweit liegt eine Erweiterung des Streitgegenstandes in der Berufungsinstanz vor, die eine Klageänderung nach § 263 ZPO darstellt oder ihr zumindest gleichsteht. Das ist in der Berufungsinstanz unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG zulässig. Vorliegend ist die Klageerweiterung als sachdienlich anzusehen, sie kann auf diejenigen Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

44

b) Der geltend gemachte Anspruch besteht nicht.

45

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 311 Abs. 3 iVm. § 241 Abs. 2 BGB richten sich nach den Grundsätzen, die die zivil- und arbeitsgerichtliche Rechtsprechung für die sogenannte Sachwalterhaftung aufgestellt hat (BAG 20.03.2014 - 8 AZR 45/13 - Rn. 21, NJW 2014, 2669). Danach sind Sachwalter und Vertreter in der Regel nur aus Delikt in Anspruch zu nehmen. Ausnahmsweise kann aber ein Sachwalter auch persönlich wegen Verschuldens bei Vertragsschluss in Anspruch genommen werden, wenn er die Verhandlungen oder den Vertragsschluss in unmittelbarem eigenen wirtschaftlichen Interesse herbeigeführt oder dadurch, dass er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, erheblich beeinflusst hat. Für die Annahme eines besonderen persönlichen Vertrauens ist dabei erforderlich, dass der Anspruchsgegner eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität und ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags übernommen hat (BGH 22.10.2015 - III ZR 264/14 - Rn. 15 mwN, DB 2015, 2812).

46

Das zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers enthält keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte für sich ein besonderes, über ihre Position als Prokuristin der Schuldnerin hinausgehendes Vertrauen in Anspruch genommen hat; sie also gegenüber dem Kläger persönlich die Gewähr übernehmen wollte für die Erfüllung des Vergleichs vom 26.08.2013. Die Ansicht des Klägers, er habe nach Abschluss des Vergleichs "hoffen dürfen", dass seine Forderung in voller Höhe zeitnah erfüllt werde, genügt nicht. Da der Schuldnerin im Vergleich vom 26.08.2013 Ratenzahlung, beginnend mit dem 01.10.2013, eingeräumt worden ist, ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger meint, er habe "hoffen dürfen", dass seine Forderung noch im September 2013, dh. vor dem kritischen Zeitraum vor Insolvenzantragstellung, §§ 130, 131 InsO, erfüllt werde.

III.

47

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

48

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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