Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (6. Zivilsenat) - 6 U 934/20

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 27.05.2020 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.082,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 14.543,27 €, der sich Tag für Tag linear auf 12.082,70 € ermäßigt, für die Zeit vom 06.12.2019 bis zum 30.06.2021 sowie aus einem Betrag von 12.082,70 € seit dem 01.07.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 45 % und die Beklagte 55 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 30 % dem Kläger und zu 70 % der Beklagten auferlegt.

3. Dieses und - soweit es Bestand hat - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines von der Beklagten hergestellten Neuwagens, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet war.

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Aufgrund eines Kaufvertrags vom 10.10.2011 erwarb der Kläger bei der ...[A] GmbH in ...[Z] einen fabrikneuen Pkw … mit EA 189-Dieselmotor zum Preis von 33.350 €.

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Die bei den von der Beklagten hergestellten Motoren der Baureihe EA 189 verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgebend war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxid-Grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

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Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung der vorbeschriebenen Software in den Dieselmotoren der Baureihe EA 189 ein. Unter dem 15.10.2015 erging gegen sie deshalb ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweit zu gewährleisten. Mit Informationsschreiben von Februar 2016 wandte sich die Beklagte deswegen auch an den Kläger (vgl. Anlage K2, Bl. 9 d. LG-A.). Das zur Beseitigung der Abschalteinrichtung entwickelte Software-Update wurde auf das Fahrzeug des Klägers aufgespielt.

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Der Kläger forderte die Beklagte vorgerichtlich zur Erstattung des Kaufpreises von 33.350 € gegen Übereignung des Fahrzeugs auf (vgl. Anlage K3, Bl. 10 d. LG-A.). Die Beklagte lehnte eine Ersatzleistung mit Schreiben vom 04.12.2019, laut Eingangsstempel zugegangen am Folgetag, ab; sie berief sich u. a. auf Verjährung (vgl. Anlage K4, Bl. 11 d. LG-A.). Der Musterfeststellungsklage schloss sich der Kläger nicht an.

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Am 15.12.2019 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 141.416 km auf. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 05.05.2020 betrug der Kilometerstand 145.133 und am Schluss der Berufungsverhandlung (01.07.2021) 159.425.

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Der Kläger hat mit der am 20.12.2019 beim Landgericht eingegangenen und am 06.01.2020 zugestellten Klage beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.629,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozent p. a. seit 21.12.2011,

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hilfsweise aus 17.629,25 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus seit 04.12.2019

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zu zahlen, jeweils Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw ...[A] Modell …“ mit der Fahrgestellnummer … unter Berücksichtigung eines durch das Gericht zu bestimmenden gegebenenfalls weiteren Abzugs für Nutzung nach dem 15.12.2019,

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2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit 04.12.2019, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, in Annahmeverzug befindet,

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3. festzustellen, dass die Beklagte ihm auch zusätzlich Schadensersatz für künftige Schäden zu leisten hat, die aus dem Einbau der Motorsteuerung im streitgegenständlichen, unter Ziffer 1. genannten Fahrzeug herrühren, die eine unzulässige Abschalteinrichtung nach der Beurteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt darstellt.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte hat vorgetragen, es fehle an einem kausal durch sie hervorgerufenen Schaden. Der Kaufvertragsschluss sei für den Kläger weder ungewollt noch nachteilig gewesen. Darüber hinaus habe sie den Kläger im Zusammenhang mit dem Kaufvertragsschluss weder getäuscht noch in sonstiger Weise sittenwidrig geschädigt. Im Übrigen hat sie die Einrede der Verjährung erhoben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

17

Das Landgericht hat den Feststellungantrag zu 3. als unzulässig abgewiesen. Es hat - unter Abweisung der Klage im Übrigen - einen Anspruch des Klägers nach § 826 BGB bejaht und die Beklagte verurteilt, an ihn 17.216,05 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 04.12.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Außerdem hat es festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 04.12.2019 in Annahmeverzug befindet. Die Verjährungseinrede greife nicht durch, weil die Beklagte weiterhin geltend mache, die Abschaltsoftware stelle keinen Mangel dar und sei durch ein Update behebbar. Durch dieses Verhalten versuche die Beklagte, ihre systematische Täuschung aufrechtzuerhalten. Dass der Kläger dies geglaubt habe, könne ihm die Beklagte nicht im Wege der Verjährungseinrede entgegenhalten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, das Landgericht habe zu Unrecht einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verschweigen der Abschalteinrichtung und der Kaufentscheidung bejaht. Die Entscheidung zum Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei regelmäßig durch ein Motivbündel bestimmt, weshalb der Rückgriff auf einen Anscheinsbeweis oder eine tatsächliche Vermutung, dass der Käufer das Fahrzeug bei Kenntnis von der Abschalteinrichtung nicht gekauft hätte, nicht erfolgen könne. In diesem Zusammenhang habe das Landgericht auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es die gegenbeweislich angebotene Parteivernehmung des Klägers übergangen habe. Der Annahmeverzug habe nicht festgestellt werden dürfen, weil der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines deutlich überhöhten Betrags gefordert und folglich kein zur Begründung eines Annahmeverzugs geeignetes Angebot abgegeben habe. Im Übrigen sei der Schadensersatzanspruch entgegen der landgerichtlichen Auffassung verjährt. Auch ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB bestehe nicht. Die Vorschrift sei nicht anwendbar, weil dem Kläger kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei und er außerdem an der Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig hätte teilnehmen können. Schließlich habe sie - die Beklagte - auch nichts auf Kosten des Klägers erlangt.

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Die Beklagte beantragt,

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das am 27.05.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Mainz, 5 O 450/19, im Umfang ihrer Beschwer abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend trägt er vor, mit dem Software-Update hätten Kunden wie er ruhiggestellt und von rechtlichen Schritten gegen die Beklagte abgehalten werden sollen. Dabei habe die Beklagte mit der (unstreitigen) den Kunden nicht offengelegten Implementierung einer temperaturbeeinflussten Steuerung des Emissionskontrollsystems (sog. Thermofenster) durch das Software-Update wiederum eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt. Sein hieraus abgeleiteter Schaden bestehe darin, dass er Ersatzansprüche wegen der unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware gegebenenfalls aufgrund der Verjährungseinrede nicht mehr erfolgreich durchsetzen könne. Er sei daher so zu stellen, als ob er seine Klage bereits bis zum 31.12.2018 anhängig bzw. rechtshängig gemacht habe. Hilfsweise stütze er sein Zahlungsbegehren auf § 852 BGB.

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Wegen des Sach- und Streitstands in seinen weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg und ist im Übrigen zurückzuweisen.

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A. Zutreffend hat das Landgericht dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte bejaht. Der Anspruch ist indes aufgrund der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede nicht mehr durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB; nachfolgend 1.). Dem Kläger steht jedoch nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte ein Restschadensersatzanspruch auf Zahlung von 12.082,70 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu (2.). Darüber hinaus kann er die Zahlung von Verzugszinsen ab dem 06.12.2019 verlangen (3.). Der zulässige Antrag auf die Feststellung des Annahmeverzugs ist entgegen der Auffassung des Landgerichts unbegründet (4.).

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1. Der Durchsetzbarkeit des dem Kläger gegen die Beklagte zustehenden Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog steht die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen.

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a) Die Beklagte hat den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt.

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aa) Die Schädigungshandlung liegt darin, dass die Beklagte den im Fahrzeug verbauten Dieselmotor EA 189 hergestellt und zum Zweck des Einbaus in Fahrzeuge des ...[A]konzerns in Verkehr gebracht hat, wobei dessen Steuerungssoftware so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte durch eine im Vergleich zum Normalbetrieb höhere Abgasrückführungsrate nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Die Dieselmotoren der Baureihe EA 189 waren planmäßig so konzipiert, dass der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand geringer war als im Realbetrieb des Fahrzeugs, um (allein) auf dem Prüfstand gesetzeskonforme Abgaswerte zu erzielen. Sie enthielten damit eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung, so dass die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht gegeben waren und den betroffenen Fahrzeugen die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung anhaftete (BGH, Beschluss v. 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 6 ff.; Urteil v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 21; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 - 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237 Rn. 25 ff. - diese und alle folgenden Entscheidungen, sofern nicht anders angegeben, zitiert nach juris). Der planmäßige Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in den Dieselmotoren der Baureihe EA 189 erfolgte unter Ausnutzung des Umstands, dass der Käufer eines davon betroffenen Fahrzeugs - gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt - die Einhaltung der Zulassungsvorschriften arglos als selbstverständlich voraussetzt. Ein solches Verhalten steht einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich (BGH, Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 25).

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bb) Das Handeln der Beklagten war gegenüber den Käufern der betroffenen Fahrzeuge - und damit auch gegenüber dem Kläger - sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB. Der auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung über Jahre hinweg erfolgte systematische Einsatz der gegenüber der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde, dem KBA, arglistig geheim gehaltenen unzulässigen Abschalteinrichtung mit dem Ziel des gewinnorientierten Absatzes nicht vorschriftsmäßiger Fahrzeuge unter in Kauf genommener Täuschung der Kunden stellt sich als besonders verwerflich dar (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 16 ff.; OLG Koblenz, a.a.O., Rn. 45 ff.). Die Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten erhellt auch aus seinen Folgen (OLG Koblenz, Urteil v. 20.11.2019 - 10 U 731/19, MDR 2020, 603 Rn. 71). Die im Umsatzinteresse erfolgte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben, welche eine geringere Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und damit den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezweckten, offenbart eine rücksichtslose und gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßende Gesinnung (BGH, a.a.O., Rn. 27). Darüber hinaus bestand für die Käufer die Gefahr, dass bei einem Bekanntwerden des Sachverhalts die Nutzung ihrer Fahrzeuge nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) beschränkt oder untersagt werden und damit der Zweck des Fahrzeugerwerbs vereitelt würde.

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cc) Das Verhalten der Beklagten geschah vorsätzlich, wobei sie sich das Handeln der in ihrem Haus für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen analog § 31 BGB zurechnen lassen muss.

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(1) Die Zurechnung erfasst neben den Vorstandsmitgliedern und verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertretern über den Wortlaut hinaus auch sog. Repräsentanten, d. h. Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (BGH, Urteil v. 14.03.2013 - III ZR 296/11, BGHZ 196, 340 Rn. 12 m.w.N.). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Hierzu zählt auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH, Urteil v. 05.03.1998 - III ZR 183/96, NJW 1998, 1854 Rn. 18 m.w.N.).

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(2) Der Kläger hat hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis der im Bereich der Entwicklung maßgebend tätigen Mitarbeiter der Beklagten sowie der für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorstände von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Diese ergeben sich daraus, dass es sich bei der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA 189 betreffende, mit erheblichen Risiken für den Konzern und die eingebundenen Personen behaftete Strategieentscheidung handelte und die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte wie die hierfür bestehenden technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten von herausragender Bedeutung für die Geschäftstätigkeit der Beklagten waren (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 39). Soweit die Beklagte demgegenüber erstinstanzlich bestritten hat, dass ihr damaliger Vorstand im aktienrechtlichen Sinn im Kaufvertragszeitpunkt im Oktober 2011 von der Programmierung oder von der Verwendung der Software Kenntnis gehabt hätten, ist dies unzureichend. Denn im Rahmen einer sekundären Darlegungslast hätte es der Beklagten oblegen, näher zu den konzerninternen Entscheidungsvorgängen in Bezug auf den Einsatz der Software vorzutragen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 34 ff.). Dem ist die Beklagte trotz der vielfachen gegen sie gerichteten Verfahren nicht nachgekommen. Der klägerische Vortrag einer Kenntnis der maßgeblichen Entscheidungsträger der Beklagten ist damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu werten.

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dd) Dem Kläger ist durch die Verletzungshandlung auch ein Schaden entstanden, denn er ist aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen; schon eine ungewollte Verpflichtung kann einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen (vgl. BGH, Urteil v. 26.09.1997 - V ZR 29/96, NJW 1998, 302 Rn. 24; Urteil v. 28.10.2014 - VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19).

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(1) Voraussetzung ist, dass die Leistung für die Zwecke des Erwerbers in dem Sinn nicht voll brauchbar ist (BGH, Urteil v. 26.09.1997 - V ZR 29/96, NJW 1998, 302 Rn. 28), dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiver Sicht als Schaden angesehen wird, sondern auch die Verkehrsanschauung anhand der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 54).

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(2) So verhält es sich hier. Das vom Kläger erworbene Fahrzeug war mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet. Mithin war sowohl im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs wie auch seines Erwerbs durch den Kläger im Jahre 2011 die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr gefährdet, weil bei Bekanntwerden der unzulässigen Abschalteinrichtung eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV drohte und nicht absehbar war, ob dieses Problem behoben werden kann. Bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug sind

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dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs auch bei der Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs einen Vermögensschaden darstellt. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus; bei generalisierender Betrachtung erfolgen Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in erster Linie um des wirtschaftlichen Vorteils willen, der in der Zeitersparnis liegt. Das rechtfertigt nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer, der - wie hier der Kläger - ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 51), ohne dass es des Vortrags und Nachweises weiterer Umstände bedarf. Insbesondere kommt es nicht darauf an, welche Motive den Kläger gerade zum Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs bewogen haben.

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Dass sich die Stilllegungsgefahr nicht verwirklicht hat, sondern das Fahrzeug durch den Kläger tatsächlich genutzt worden ist, steht der Annahme des im Kaufvertragsschluss liegenden Vermögensschadens nicht entgegen. Maßgeblich für den Schadenseintritt ist der Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Kläger im Oktober 2011. Aus der damaligen ex-ante-Sicht war es vom Zufall abhängig, ob der unerkannt bestehende Mangel aufgedeckt und die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs in der Folge eingeschränkt wird (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 54). Bei Berücksichtigung dieser Umstände stellt sich der Erwerb des Fahrzeugs nach der Verkehrsanschauung als objektiv unvernünftig dar und rechtfertigt die Annahme, dass der Kläger bei Kenntnis vom Vorhandensein der illegalen Abschalteinrichtung vom Kauf abgesehen hätte. Entgegen der Auffassung der Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift war der Kläger nicht gegenbeweislich als Partei zu der Frage zu vernehmen, ob er das Fahrzeug auch im Falle der „Kenntnis der Sachlage“ erworben hätte. Eine ordnungsgemäße, zur Vermeidung einer arglistigen Täuschung gebotene Aufklärung des Klägers vor dem Kauf hätte nach dem Vorgesagten eine Unterrichtung auch über das drohende Stilllegungsrisiko wegen der dem KBA verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung erfordert. Dass der Kläger das Fahrzeug im Falle einer solchen Aufklärung über den vollständigen Sachverhalt in Kenntnis des Stilllegungsrisikos erworben hätte, hat die Beklagte nicht behauptet und unter Beweis gestellt.

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(3) Der Schaden ist auch nicht etwa dadurch entfallen, dass das Fahrzeug zwischenzeitlich das Software-Update zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung erhalten hat. Dies ändert nichts daran, dass der Kläger mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet ist. Der im Oktober 2011 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss wird durch ein Jahre später aufgespieltes Software-Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 58). Die Möglichkeit einer Nachbesserung sieht das Deliktsrecht nicht vor. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass die Käufer das Software-Update nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung haben durchführen lassen, sondern weil die Fahrzeuge von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen waren und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte (OLG Koblenz, Urteil v. 20.11.2019 - 10 U 731/19, MDR 2020, 603 Rn. 94).

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ee) Auch ein Schädigungsvorsatz der bei der Beklagten handelnden Personen ist zu bejahen. Schon nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass den maßgebenden Mitarbeitern in der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen bei der strategischen Entscheidung zum Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bewusst gewesen ist, dass ein mit dem Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung belastetes Fahrzeug ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis keinen Käufer finden würde (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 63).

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b) Der Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB ist verjährt.

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aa) Nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt der deliktische Schadensersatzanspruch in drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Verjährung ist hiernach bereits zum Jahresende 2018 eingetreten, so dass die erst im Dezember 2019 beim Landgericht eingegangene und am 06.01.2020 zugestellte Klage keine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB mehr bewirken konnte.

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(1) Der Kläger macht geltend, dass er den Pkw … im Jahre 2011 nicht erworben hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass im Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert ist. Sein Schaden liegt mithin in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (vgl. dazu BGH, Urteil v. 25.05.2020, a.a.O.). Der auf Befreiung von dieser ungewollten Verbindlichkeit gerichtete Schadensersatzanspruch ist bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrags im Jahre 2011 entstanden.

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(2) Die nach § 199 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen ist im Allgemeinen gegeben, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil v. 03.06.2008 - XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Rn. 27 m.w.N.). Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es - abgesehen von Ausnahmefällen - nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BGH, a.a.O.; Urteil v. 04.07.2017 - XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172 Rn. 86).

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(a) Der Kläger ist den ausdrücklichen und ausführlich begründeten Behauptungen der Beklagten in der Klageerwiderung, er habe bereits im Jahre 2015 von der EA 189-Thematik und der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeugs positive Kenntnis gehabt, nicht mit konkretem Bestreiten entgegengetreten. Soweit er in der Replik vom 20.04.2020 darauf hinweist, „die Betroffenheitsanzeige der Beklagten“ (vgl. Anlage K2, Bl. 9 d. LG-A.) erst im Jahre 2016 erhalten zu haben, wird hiermit nicht der ausdrückliche Beklagtenvortrag in Abrede gestellt, dem Kläger sei die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal aufgrund der allgegenwärtigen Berichterstattung bereits im Jahre 2015 bekannt gewesen. Das Vorbringen ist daher gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Dass die Beklagte den Kläger persönlich erst im Jahre 2016 angeschrieben hat, ist mithin unerheblich; unstreitig war er über die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal bereits zuvor informiert. Ihm war es demnach bereits im Jahre 2015 zumutbar gewesen, Klage zu erheben (vgl. BGH, Urteil v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 17 ff.).

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(b) Der Anspruch wäre - ungeachtet der vorstehenden Ausführungen - selbst dann verjährt, wenn der Kläger bis zum Anschreiben der Beklagten von Februar 2016 über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs in Unkenntnis gewesen wäre. Denn eine solche (unterstellte) Unkenntnis des Klägers von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von der im Herbst 2015 bekannt gewordenen Dieselproblematik hätte auf grober Fahrlässigkeit beruht.

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(aa) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Die fehlende Kenntnis des Gläubigers muss darauf zurückzuführen sein, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder aber dasjenige nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 80.

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Aufl. 2021, § 199 Rn. 39 m.w.N.). Nach gefestigter Rechtsprechung besteht für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Das Unterlassen einer Nachfrage ist ebenso wie in den Fällen des § 932 Abs. 2 BGB nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen (BGH, Urteil v. 10.11.2009 - VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681 Rn. 16 m.w.N.; Ellenberger, a.a.O.).

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(bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hätte sich dem Kläger noch im Jahre 2015 erschließen müssen, dass das von ihm im Jahre 2011 erworbene Dieselfahrzeug … über die Prüfstandserkennungssoftware verfügt, die das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im Oktober 2015 zum Rückruf der Fahrzeuge mit EA 189-Motor veranlasst hat.

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Die Berichterstattung über die in Dieselfahrzeugen eingesetzte „Schummelsoftware“ war - wie gerichtsbekannt und von der Beklagten im Schriftsatz vom 03.02.2021 unwidersprochen im Einzelnen dargelegt (dort S. 5 ff., Bl. 64 ff. d. eA.) - im Herbst 2015 allgegenwärtig. Dabei hatte die Beklagte bereits in ihrer Pressemitteilung vom 22.09.2015 darüber informiert, dass die Software nicht nur in eigenen Dieselfahrzeugen, sondern in den Dieselfahrzeugen des ...[A]-Konzerns vorhanden sei; auffällig seien insoweit Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Pkw. Dieses Eingeständnis der Beklagten wurde in den Medien an die Öffentlichkeit weitergetragen. Über den Rückruf des KBA wie auch über den Fortgang der Maßnahmen zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge mit EA 189-Motor informierte die Beklagte noch mehrfach im Jahre 2015. Allgemein bekannt gemacht wurde darüber hinaus ausgehend von Pressemitteilungen der Beklagten im Oktober 2015, dass über die Webseite des Herstellers die individuelle Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs per FIN-Abfrage ermittelt werden kann.

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Dem Kläger, der wusste, dass er ein Dieselfahrzeug der ...[A]-Eigenmarke mit 2,0 l Hubraum erworben hatte, musste sich nach alldem als naheliegend aufdrängen, dass auch sein Fahrzeug über die vom KBA als unzulässige Abschalteinrichtung eingestufte Steuerungssoftware verfügt. Wenn er es bei etwaig verbliebener Unsicherheit gleichwohl unterlassen hätte, die mögliche Betroffenheit seines Fahrzeugs abzuklären, indem er etwa die kostenlose, leicht zugängliche und einfache Möglichkeit der Internetabfrage in Anspruch nimmt, wäre dies aus Sicht eines verständigen Fahrzeugeigentümers und potentiell Ge-

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schädigten schlicht unverständlich. Dabei ergab sich sowohl aus den Bekanntmachungen der Beklagten wie auch der hierauf aufbauenden Medienberichterstattung, dass die Beklagte die Verantwortung für die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in allen Dieselfahrzeugen des Konzerns mit dem betroffenen Motor Typ EA 189 trägt. Mithin wäre - ungeachtet der gemäß den Ausführungen unter (a) zu bejahenden Kenntnis des Klägers - auch von einer grob fahrlässigen Unkenntnis sowohl hinsichtlich der anspruchsbegründenden Umstände (systematischer Einsatz einer geheimen Softwarekomponente zur Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand in u. a. auch Fahrzeugen des konkret erworbenen Typs) als auch der Person der Anspruchsgegnerin im Jahre 2015 auszugehen (vgl. OLG Koblenz, Urteil v. 15.06.2021, 3 U 183/21, Rn. 29 f.; Urteil v. 30.06.2020 - 3 U 1785/19, NJW-RR 2020, 1282 Rn. 28; OLG Frankfurt, Beschluss v. 22.04.2020 - 3 U 19/20, Rn. 18; OLG München, Beschluss v. 14.08.2020 - 3 U 3018/20, Rn. 14 ff.; OLG Stuttgart, Urteil v. 07.04.2020 - 10 U 455/19, Rn. 58 ff.; OLG Köln, Urteil v. 04.03.2020 - 26 U 73/19, Rn. 10 ff.).

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(3) Da die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits vorhanden ist, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners - bzw. seines verfassungsmäßig berufenen Vertreters im Sinne von § 31 BGB - als naheliegend erscheinen zu lassen, bedurfte es keiner näheren Kenntnis des Klägers von den "internen Verantwortlichkeiten" im Hause der Beklagten. Auch mussten entgegen der Auffassung des Klägers die insoweit von der Beklagten angekündigten internen Untersuchungen nicht abgewartet werden. Insbesondere war es für die Zumutbarkeit der Klageerhebung und damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht erforderlich, die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands des § 826 BGB zuverlässig einer namentlich benannten Person im Hause der Beklagten zuzuordnen (BGH, Urteil v. 17.12.2020, a.a.O., Rn. 23). Nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der sekundären Darlegungslast kann das Gericht in einem Fall wie dem vorliegenden vom Kläger keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person das sittenwidrige Verhalten an den Tag gelegt hat (BGH, Urteil v. 30.07.2020 - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 14 ff.; Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 34 ff.). Es genügt daher, wenn der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass es ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten war, der vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat. Dafür würde der Verweis auf die hier getroffene grundlegende Strategieentscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung, die Vielzahl der betroffenen Fahrzeuge und die damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ausreichen (vgl. BGH, Urteil v. 17.12.2020, a.a.O., Rn. 23).

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(4) Ein späterer Verjährungsbeginn lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Rechtslage - wie der Kläger meint - bis zur Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (a.a.O.) ungeklärt gewesen wäre. Sowohl die Kriterien, nach welchen ein Verhalten als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB zu bewerten ist, als auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast im Hinblick auf die subjektiven Anspruchsvoraussetzungen waren aus der bis Ende 2015 ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ersichtlich; Gleiches gilt für die Annahme, dass ein Schaden in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit liegen kann (vgl. BGH, Urteil v. 17.12.2020, a.a.O., Rn. 27). Dass nach 2015 Teile der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur Ansprüche gegen die Beklagte aus rechtlichen Gründen verneint haben, verschiebt den Beginn der Verjährungsfrist nicht nach hinten. Denn dies geschah erst nach dem insoweit gemäß § 199 Abs. 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rn. 45; Urteil v. 17.12.2020, a.a.O.). Abgesehen davon konnten die Senate der Oberlandesgerichte und Stimmen in der Literatur, die Ansprüche aus § 826 BGB bejahten, ihre Auffassung auf die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen. Damit wurde auch nach 2015 die Rechtslage nicht in einem solchen Maße zweifelhaft und ungeklärt, dass eine Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr gehabt hätte und als unzumutbar anzusehen gewesen wäre. Das Risiko, dass erst eine abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wie sie dann mit dem Urteil vom 25.05.2020 (a.a.O.) erging, Gewissheit bringen würde, war dem Kläger zuzumuten (vgl. BGH, Urteil v. 17.12.2020, a.a.O., Rn. 28).

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bb) Vor Klageerhebung ist keine Hemmung der Verjährung eingetreten. Der Kläger hat sich nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB).

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Auch sonst ist kein Hemmungstatbestand gegeben. Dass mit dem Software-Update, wie der Kläger geltend macht, eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems implementiert wurde, bewirkt keine Verjährungshemmung hinsichtlich des lange zuvor bereits entstandenen Ersatzanspruchs. Hieraus lässt sich auch kein Anspruch dahingehend ableiten, den Kläger so zu stellen, als wäre die Forderung nicht verjährt. Der auf die Beseitigung der Folgen des ungewollten Kaufvertragsschlusses gerichtete Schadensersatzanspruch besteht unabhängig davon, ob bzw. in welchem Umfang die unzulässige Prüfstandserkennungssoftware durch das Software-Update entfernt und wodurch sie ersetzt worden ist. Für seine Entstehung und Durchsetzung ist es deshalb unerheblich, ob die Beklagte im Rahmen des Software-Updates erneut die Öffentlichkeit getäuscht hat. Darüber hinaus lässt sich aus dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems allein selbst dann keine (weitere) sittenwidrige Schädigung der Fahrzeugerwerber durch die Beklagte ableiten, wenn es sich auch hierbei um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handeln würde (vgl. BGH, Beschlüsse v. 19.01.2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16; v. 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26). Weitere Umstände, die das Verhalten der Beklagten in diesem Zusammenhang als besonders verwerflich erscheinen ließen, hat der Kläger nicht vorgetragen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

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2. Nach Verjährung des Ersatzanspruchs steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB zu.

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Nach § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet; die insoweit geltende Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 852 Satz 2 BGB) ist nicht abgelaufen. Die Verweisung in § 852 BGB auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung bezieht sich nicht auf die Voraussetzungen, sondern auf den Umfang der Bereicherungshaftung. Bei § 852 BGB handelt es sich nicht um einen Bereicherungsanspruch, sondern um einen sog. Restschadensersatzanspruch, also einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, der in Höhe der Bereicherung nicht verjährt ist (BGH, Urteil v. 15.01.2015 - I ZR 148/13, NJW 2015, 3165 Rn. 29).

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a) Die Anwendbarkeit von § 852 Satz 1 BGB kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb verneint werden, weil dem Kläger mit dem ungewollten Kaufvertragsschluss nur ein normativer und kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist (so aber OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss v. 05.01.2021 - 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641 Rn. 16 ff.; OLG Koblenz, Urteil v. 25.06.2021 - 15 U 19/21 - bislang unveröffentlicht). Für eine derartige einschränkende Auslegung der Norm besteht kein Anlass. Hierfür ergeben sich weder aus dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Regelung Anhaltspunkte. Der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB behält vielmehr die Rechtsnatur des originären deliktischen Schadensersatzanspruchs (vgl. BGH, Urteil v. 14.02.1978 - X ZR 19/76, BGHZ 71, 86 Rn. 61 zu § 852 Abs. 3 BGB a.F.). Er hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung; der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen und wird nur in seinem durchsetzbaren Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung Erlangte beschränkt (BGH, Urteil v. 26.03.2019 - X ZR 109/16, BGHZ 221, 342 Rn. 19; Spindler, a.a.O., Rn. 1). Dementsprechend muss es im Rahmen von § 852 Satz 1 BGB genügen, dass dem Kläger nach den Ausführungen unter 1. dd) ein gemäß § 826

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BGB zu ersetzender Schaden entstanden ist (vgl. auch OLG Oldenburg, Urteil v. 22.04.2021 - 14 U 225/20, Rn. 43 ff.).

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b) Der Anwendungsbereich von § 852 Satz 1 BGB ist entgegen der von der Beklagten im Anschluss an das in ihrem Auftrag erstellte Rechtsgutachten von Martinek (jM 2021, 56) vertretenen Auffassung auch nicht teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen der Verletzte sich besonderen Prozessrisiken ausgesetzt sieht mit der Folge, dass ein Anspruch des Klägers, dem ein Anschluss an die Musterfeststellungsklage möglich gewesen wäre, zu verneinen wäre. Der Sinn und Zweck der Bestimmung erfordert die Anerkennung solcher Ausnahmen nicht (vgl. OLG Koblenz, Urteil v. 31.03.2021 - 7 U 1602/20, BB 2021, 1234 Rn. 47 ff.). Durch die Vorschrift soll es dem deliktisch Geschädigten ermöglicht werden, trotz Kenntnis von den haftungsbegründenden Umständen und der Person des Schädigers von der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung des Deliktsanspruchs abzusehen, weil beispielsweise das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen oder die Rechtslage zweifelhaft ist, oder auch nur, weil dem zu Verklagenden aktuell die nötigen wirtschaftlichen Mittel fehlen, um den Ersatzanspruch zu befriedigen (Wagner, in: MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2020, § 852 Rn. 3). Die Begründung zum Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes benennt in diesem Zusammenhang den Beispielsfall, dass der Dieb behauptet, das Diebesgut „versetzt“ und den Erlös verbraucht zu haben; der Geschädigte soll dann über die reguläre Verjährungsfrist hinaus Überlegungszeit erhalten, ob er den Täter auf Herausgabe der Bereicherung verklagen will (BT-Drs. 14/6040, S. 270). Nach der hieraus ableitbaren gesetzgeberischen Wertung ist der Deliktsschuldner im Hinblick auf die ihm verbliebene Bereicherung im Allgemeinen nicht schutzwürdig und demnach dem deliktisch Geschädigten ein größerer zeitlicher Spielraum bei der Verfolgung des Herausgabeanspruchs zuzugestehen. Auf tatsächliche prozessuale Erschwernisse des Geschädigten bei der Durchsetzung seines Anspruchs kommt es hierbei nicht an.

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Darüber hinaus stünde die von der Beklagten angestrebte teleologische Reduktion im Widerspruch zum Regelungsanliegen der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, mit der die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher verbessert (und nicht verschlechtert) sowie dem Umstand begegnet werden sollte, dass infolge der Klagezurückhaltung von Betroffenen ein unrechtmäßig erlangter Vermögensvorteil beim Anspruchsgegner verbleibt und so zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern führt (BT-Drs. 19/2507, S. 1). Mit dieser Zwecksetzung ist es nicht zu vereinbaren, wenn die nicht genutzte Möglichkeit zum Anschluss an eine Musterfeststellungsklage den Verlust des Restschadensersatzanspruchs nach § 852 Satz 1 BGB zur Folge hätte (OLG Oldenburg, Urteil v. 22.04.2021, a.a.O., Rn. 49).

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c) Die Beklagte hat durch die Implementierung der geheimen Prüfstandserkennungssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug den vom Kläger für das Fahrzeug aufgewandten Kaufpreis abzüglich eines dem Händler zugeflossenen Anteils von 5 % des Kaufpreises erlangt.

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aa) Durch die Täuschung des KBA und der Erwerber der mit der unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware versehenen Fahrzeuge hat die Beklagte unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig einen von diesem ungewollten Vertragsschluss herbeigeführt und sich hierdurch auf dessen Kosten bereichert. Ihr ist infolge des Fahrzeugerwerbs des Klägers der von ihm gezahlte Kaufpreis zugeflossen, vermindert durch den an den zwischengeschalteten Händler - die ...[A] GmbH - gezahlten Kaufpreisanteil. Es ist anerkannt, dass sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen muss; vielmehr ist die Bereicherung auch dann herauszugeben, wenn der Schädiger über einen Vertragspartner auf Kosten des Geschädigten den Vermögensvorteil erlangt hat (vgl. BGH, Urteil v. 14.02.1978 - X ZR 19/76, a.a.O., Rn. 62 f.; Spindler, in: BeckOK BGB, 58. Ed. 01.05.2021, § 852 Rn. 3). Entscheidend ist, dass der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger verursacht hat (BGH, Urteil v. 26.03.2019 - X ZR 109/16, BGHZ 221, 342 Rn. 21; OLG Stuttgart, Urteil v. 09.03.2021 - 10 U 339/20, NJW-RR 2021, 681 Rn. 43). Dies ist bei dem hier streitgegenständlichen Neuwagenkauf der Fall (ebenso OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 45; OLG Oldenburg, Urteil v. 22.04.2021, a.a.O., Rn. 55). Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung hat nicht etwa der zwischengeschaltete (Vertrags-)Händler, sondern die Beklagte den vom Kläger gezahlten Kaufpreis aus dem Erstverkauf erlangt, lediglich reduziert um die tatsächlich abgeflossene Händlermarge. Im vorliegenden Fall stellt sich dies umso deutlicher dar, als die Lieferung des Neuwagens ausweislich der Rechnung vom 19.12.2011 (vgl. Anlage K1, Bl. 8 d. LG-A.) „im Namen und Rechnung“ der Beklagten erfolgt ist, die sich bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorbehalten hat. Der ...[A] GmbH kam damit nur die Funktion einer Vermittlerin zu.

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bb) Unerheblich ist demgegenüber, in welcher Höhe die Beklagte mit dem Absatz des streitgegenständlichen Fahrzeugs Gewinn erwirtschaftet hat. Im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB finden, wie ausgeführt, die Rechtsfolgen der §§ 812 ff. BGB Anwendung. Das Erlangte im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB ist gegenständlich zu verstehen; herauszugeben ist hiernach exakt der Vermögensvorteil, der der Beklagten aufgrund der zum Nachteil des Klägers verübten unerlaubten Handlung zugeflossen ist (vgl. Schwab, in: MünchKomm BGB, a.a.O., § 812 Rn. 1 und § 818 Rn. 129; Wendehorst, in: Beck OK BGB,

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a.a.O., § 818 Rn. 104). Das ist der (durch die Händlermarge verminderte) Kaufpreis für das Fahrzeug und nicht nur der der Beklagten unter Abzug der Herstellungskosten verbleibende Gewinn. Ein Abzug der Herstellungskosten kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil der Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte besteht. Der im Fahrzeug verkörperte Herstellungsaufwand kommt somit der Beklagten wieder zugute. Eine Minderung des Bereicherungsanspruchs nach § 818 Abs. 3 BGB wegen sonstiger Aufwendungen, wie sie die Beklagte insbesondere im Zusammenhang mit den Kosten für die Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung geltend macht, scheidet aus dem gleichen Grund aus. Im Übrigen war die Beklagte sowohl bei der Herstellung des Fahrzeugs als auch im Zeitpunkt der Veräußerung an den Kläger im Sinne von §§ 819, 818 Abs. 4 BGB bösgläubig und kann sich daher grundsätzlich nicht auf eine Minderung oder den Wegfall der Bereicherung berufen (vgl. Sprau, in: Palandt, a.a.O., § 818 Rn. 53 m.w.N.).

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cc) Der in Abzug zu bringende Händleranteil betrug nach dem nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO zugestandenen Klägervorbringen nicht mehr als 5 % des Kaufpreises, mithin 1.667,50 €. Demnach hat die Beklagte aus der gegenüber dem Kläger verübten unerlaubten Handlung gemäß §§ 852 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Geldbetrag von 31.682,50 € (33.350 € - 1.667,50 €) erlangt.

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d) Der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB wird in der Höhe begrenzt durch den Anspruch, der dem Kläger nach § 826 BGB zustünde, wenn keine Verjährung eingetreten wäre. Nach §§ 826, 249 Abs. 1 BGB kann der Kläger von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises von 33.350 € abzüglich der genossenen Nutzungsvorteile des Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 64 ff.) verlangen. Hieraus ergibt sich ein Ersatzanspruch gegen die Beklagte von 12.082,70 €.

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Bei Kraftfahrzeugen wird die Höhe des Nutzungsersatzes gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage einer in der Rechtsprechung entwickelten Formel berechnet, nach der der vereinbarte (Brutto-) Kaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung des Fahrzeugs (zum Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer) geteilt und mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil v. 09.04.2014 - VIII ZR 215/13, NJW 2014, 2435 Rn. 6, 11 f.; Beschluss v. 09.10.2014 - VIII ZR 196/14, Schaden-Praxis 2015, 277 Rn. 3; Urteil v. 25.05.2020, a.a.O., Rn. 80).

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Der Senat schätzt die Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs unter Berücksichtigung des Fahrzeugtyps und der Motorgröße von 2,0 l Hubraum auf 250.000 km (vgl. auch OLG

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Koblenz, Urteil v. 16.09.2019 - 12 U 61/19, Rn. 78). Es bedarf nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Behauptung des Klägers, bei dem streitgegenständlichen Pkw sei eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km anzusetzen, denn der Senat ist nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO an den Beweisantrag nicht gebunden. Zwar mag im Einzelfall ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs eine höhere Gesamtlaufleistung als 250.000 km erreichen, doch muss davon ausgegangen werden, dass es daneben Fahrzeuge gibt, die eine solche Laufleistung nicht erbringen. Es erscheint deshalb angemessen, von der Erhebung des aufwändigen Sachverständigenbeweises abzusehen und im Wege einer typisierenden Betrachtung eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde zu legen.

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Im Streitfall ergibt sich daher ausgehend von dem Kilometerstand von 0 km bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger und dem Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von 159.425 km folgende Berechnungsformel:

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33.350 € : 250.000 km x 159.425 km = 21.267,30 € Nutzungsentschädigung. Der Kläger kann mithin im Ergebnis nur Zahlung von 12.082,70 € (33.350 € - 21.267,30 €) verlangen, Zug um Zug gegen Übereignung des ...[A].

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3. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nicht - wie vom Landgericht zuerkannt - ab dem 04.12.2019, sondern ab dem 06.12.2019 zu.

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a) Der Zinszahlungsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 und 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat jegliche Ersatzpflicht aufgrund des streitgegenständlichen Fahrzeugerwerbs mit Schreiben vom 04.12.2019 abgelehnt, das dem Kläger ausweislich des Eingangsstempels am 05.12.2019 zugegangen ist (vgl. Anlage K4, Bl. 11 d. LG-A.). Durch die Erfüllungsverweigerung entfällt das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Mahnung des Klägers. Die Verzinsungspflicht beginnt in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB mit dem 06.12.2019.

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Ein früherer Verzugseintritt ist nicht gegeben. Das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben vom 21.11.2019 (Anlage K3, Bl. 10 d. LG-A.) war schon deshalb nicht geeignet,

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einen Schuldnerverzug der Beklagten auszulösen, weil der Kläger die Zahlung des vollen Kaufpreises von 33.350 € ohne die Anrechnung von Nutzungsersatz geltend gemacht hat. Der Kläger hat damit in erheblichem Umfang eine Mehrleistung verlangt, die er nicht hätte beanspruchen dürfen. Der Schuldner kann indes mit der geschuldeten Zahlung nur in

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Verzug geraten, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 86 m.w.N.).

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b) Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Kläger die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Verzugseintritt und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil v. 30.07.2020 - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 38). In Ermangelung anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Kläger seine Fahrleistung mit dem erworbenen Fahrzeug im Zeitraum zwischen der Übergabe des Fahrzeugs am 19.12.2011 (vgl. Anlage K1, Bl. 8 d. LG-A.) und dem 15.12.2019 (2.919 Tage) von insgesamt 141.416 km gleichmäßig erbracht hat (entspricht rund 48,45 km/Tag). Damit kann der Kilometerstand bei Verzugsbeginn am 06.12.2019 auf rund 140.980 geschätzt werden (141.416 km - 48,45 km x 9 Tage), woraus sich bei Anwendung der oben unter 2. d) dargestellten Formel eine Nutzungsentschädigung von 18.806,73 € ergibt. Am 06.12.2019 schuldete die Beklagte damit einen Betrag von 14.543,27 € (33.350 € abzüglich 18.806,73 €). Unter Hinnahme geringer Schätzungenauigkeiten geht der Senat gemäß § 287 ZPO von einer sich anschließenden weiteren gleichmäßigen Nutzung des Klägerfahrzeugs aus, so dass sich der vorgenannte Betrag bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung sukzessive Tag für Tag um die jeweiligen Nutzungsvorteile auf den schließlich zuzuerkennenden Betrag von 12.082,70 € ermäßigt (vgl. BGH, a.a.O.).

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4. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht begründet. Die Beklagte befindet sich nicht in Annahmeverzug gemäß §§ 293, 295 BGB. Der Kläger hat die Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu keinem Zeitpunkt zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie tatsächlich hätte abhängig machen dürfen; es fehlt deshalb an einem zur Begründung von Annahmeverzug geeigneten Angebot (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O., Rn. 85; Urteil vom 20.07.2005 - VIII ZR 275/04, NJW 2005, 2848 Rn. 30).

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In seinem vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben vom 21.11.2019 (Anlage K3, Bl. 10 d. LG-A.) hat der Kläger von dem als Schadensersatz verlangten ungeschmälerten Kaufpreis bereits keinen Nutzungsersatz in Abzug gebracht, obwohl sich dieser zum damaligen Zeitpunkt auf über 18.000 € belief (vgl. oben 3. b)).

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In der Klageschrift hat der Kläger zwar einen Nutzungsabzug berücksichtigt. Jedoch war dieser bereits bei Klageerstellung am 19.12.2019 mit 15.720,75 € (statt mehr als 18.806,73 €, vgl. oben 3. b)) zu gering bemessen. Darüber hinaus hat der Kläger die ihm obliegende Rückgabe des Fahrzeugs davon abhängig gemacht, dass die Beklagte Deliktszinsen in Höhe von vier Prozent aus einem Betrag von 17.629,25 € seit dem 21.11.2011 zahlt; auch hierauf hatte der Kläger keinen Anspruch (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.).

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Entsprechendes gilt für die Berufungsinstanz. Der Kläger hat die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt und damit lediglich eine Nutzungsentschädigung von 16.133,95 € berücksichtigt. Unter diesen Umständen hat der Kläger sein Rückgabeangebot an die Erfüllung erheblich überhöhter Forderungen geknüpft mit der Folge, dass kein zur Begründung von Annahmeverzug geeignetes Angebot vorliegt.

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B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

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1. Für das erstinstanzliche Verfahren errechnet sich eine Kostenquote von 45 % zu 55 % zu Lasten der Beklagten. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die von dem Kläger geltend gemachte Zinsforderung (in Höhe von vier Prozent aus 17.629,25 € für die Zeit vom 21.12.2011 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 05.05.2020 = 5.905,38 € - alle Zinsen berechnet mit https://basiszinssatz.de/zinsrechner - ) mehr als 10 % eines fiktiven Streitwerts aus Hauptforderung, Feststellungsantrag und Zinsen ausmacht. Wird ein Kläger mit einem Teil seiner Nebenforderungen abgewiesen, so trifft § 92 Abs. 1 ZPO zu, auch wenn dieselbe Wertstufe vorliegt, aber die streitwertmäßig nicht zu berücksichtigenden Kosten und Zinsen der Höhe nach 10 % des fiktiven Streitwerts (Hauptforderung und Nebenforderungen) überschreiten (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12.12.2019 - 13 U 13/19, Rn. 146; Herget, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 92 Rn. 11 sowie auch BGH, Urteil v. 20.04.2021 - VI ZR 521/19, ZIP 2021, 846 Rn. 8). Für die Kostenquotelung war daher ein fiktiver Gesamtstreitwert zu bilden, der die Zinsforderung einbezieht. Ausgehend hiervon errechnet sich die vorgenannte Quote.

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2. Für das Berufungsverfahren ergibt sich eine Kostenquote von 30 % zu 70 % zu Lasten der Beklagten.

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C. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

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D. Die Revision ist in Anbetracht der unterschiedlichen Anwendung von § 852 Satz 1 BGB in den zahlreichen Fällen der EA 189-Problematik (wie hier: OLG Koblenz, Urteil v. 31.03.2021 - 7 U 1602/20, BB 2021, 1234; OLG Oldenburg, Urteil v. 22.04.2021 - 14 U 225/20; OLG Stuttgart, Urteil v. 09.03.2021 - 10 U 339/20, NJW-RR 2021, 681; a.A. OLG Oldenburg, Beschlüsse v. 05.01.2021 und 21.01.2021 - 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641 und 1642; OLG Frankfurt, Beschluss v. 21.01.2021 - 19 U 170/20; OLG Koblenz, Urteil v. 25.06.2021 - 15 U 19/21 - bislang unveröffentlicht; vgl auch OLG Stuttgart, Urteil v. 10.02.2021 - 9 U 402/20, BeckRS 2021, 5498) gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen.

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E. Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 17.216,05 € festzusetzen.

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