Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 105/13

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das am 23.7.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg, Geschäftszeichen: 31 O 66/13, abgeändert:

Dem Verfügungsbeklagten zu 2. wird die Befugnis, die Geschäfte der Verfügungsbeklagten zu 1., also der F. GmbH, zu führen und die Gesellschaft zu vertreten, bis zur Entscheidung des Landgerichts Magdeburg über die Abberufung des Verfügungsbeklagten zu 2. in der Gesellschafterversammlung vom 12.6.2013 (31 O 107/13 LG Magdeburg) einstweilen entzogen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz im Verfahren 31 O 66/13 LG Magdeburg trägt der Verfügungsbeklagte zu 2. Von den Kosten des Berufungsrechtszuges trägt der Verfügungskläger die außergerichtlichen Kosten der Verfügungsbeklagten zu 1.; von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Verfügungsklägers wird dem Verfügungskläger und dem Verfügungsbeklagten zu 2. je die Hälfte auferlegt; eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird - auch für die Zeit vor der Verbindung durch Senatsbeschluss vom 2. 10. 2013 - auf - jeweils - 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

I.

2

Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers hat in der Sache Erfolg. Die Aufhebung der am 10. 5. 2013 gegen den Verfügungsbeklagten zu 2. ergangenen einstweiligen Verfügung beruht auf einer Rechtsverletzung i.S.v. § 513 Abs. 1 ZPO. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es dem Gesellschaftergeschäftsführer einstweilen zu untersagen, die Geschäfte der Verfügungsbeklagten zu 1. zu führen, bis im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Magdeburg der Widerruf seiner Bestellung in der Gesellschafterversammlung vom 12. 6. 2013 geklärt ist (§§ 940, 938 Abs. 1 ZPO).

3

1. Das Landgericht hat im Urteil vom 23. 7. 2013 ausgeführt. Der Verfügungskläger könne an Stelle der Gesellschaft einstweiligen Rechtsschutz begehren. Dem stehe die beschlossene Einziehung seines Geschäftsanteils nicht entgegen, da über deren Bestand noch in der Hauptsache gestritten werde. Es sei auch möglich, der Gesellschaft aufzugeben, ihrem Geschäftsführer die Tätigkeit zu untersagen. Wichtige Gründe für den Widerruf der Bestellung des Geschäftsführers seien allerdings nicht glaubhaft gemacht. Die Gründung eines Konkurrenzunternehmens und die Überleitung von Verträgen auf dieses stellten zwar schwere Pflichtverstöße dar. Von der Seite der Verfügungsbeklagten werde allerdings Einigkeit der Gesellschafter über dieses Vorgehen behauptet und mit dem Protokoll vom 9. 11. 2012 glaubhaft gemacht. Der eidesstattlichen Versicherung des Verfügungsklägers, an keiner Gesellschafterversammlung teilgenommen und kein Protokoll unterzeichnet zu haben, stehe die eidesstattliche Versicherung des Verfügungsbeklagten zu 2. entgegen. Die vom Verfügungskläger darüber hinaus vorgelegten weiteren eidesstattlichen Versicherungen führten die Kammer zu nichts anderem. Denn der Verfügungsbeklagte zu 2. bringe eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin H. bei, welche den Kläger am 9. 11. 2012 aus den Geschäftsräumen der Gesellschaft habe kommen sehen und vom Verfügungsbeklagten zu 2. am gleichen Tag das Protokoll über die Gesellschafterversammlung erhalten habe. Frau H. erkenne auch die Unterschrift des Verfügungsklägers wieder. Aus der Eintragung im Unternehmensregister, wonach die Gesellschafterversammlung zur Feststellung des Jahresabschlusses am 7. 12. 2012 stattgefunden habe, lasse sich nicht zwingend auf eine Fälschung des Protokolls vom 9. 11. 2012 schließen. Es könne auch ein Übertragungsfehler unterlaufen sein, dessen Berichtigung der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1. folgerichtig veranlasst habe. Der Inhalt des vermeintlich getroffenen Beschlusses sei auch nicht derart realitätsfern, dass ein solches Übereinkommen der Gesellschafter ausgeschlossen sei.

4

2. Das greift der Verfügungskläger zu Recht mit seinem Rechtsmittel an. Es kommt hierfür nicht einmal vordergründig darauf an, ob sich das Landgericht des im einstweiligen Verfügungsverfahren unter Umständen geringeren Grades richterlicher Überzeugungsbildung in Form überwiegender Wahrscheinlichkeit (Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 935 Rdn. 8) bewusst war. Die mit §§ 936, 920 Abs. 2, 294, 925 Abs. 1, 937 Abs. 2 ZPO und dem Mündlichkeitsprinzip (§ 128 Abs. 1 ZPO) verbundene Glaubhaftmachungslast folgt der Beweislastverteilung im ordentlichen Verfahren (Zöller/Vollkommer, § 920 Rdn. 9, vor § 916 Rdn. 6a; PG/Fischer, ZPO, 5. Aufl., § 920 Rdn. 6). Danach muss der Verfügungsbeklagte zu 2. die den Widerruf seiner Bestellung aus wichtigem Grund hindernden Tatsachen, insbesondere den sein ansonsten pflichtwidriges Verhalten rechtfertigenden Beschluss der Gesellschafter glaubhaft machen. Das wiederum heißt, dass der Verfügungsbeklagte zu 2. darzulegen und glaubhaft zu machen hat, am 9. 11. 2012 mit dem Verfügungskläger eine Gesellschafterversammlung abgehalten und die im vorgelegten Protokoll niedergelegten Beschlüsse gefasst zu haben. Die angefochtene Entscheidung scheint demgegenüber von einer Pflicht des Verfügungsklägers auszugehen, diese Behauptung zu widerlegen.

5

Dem liegt möglicherweise nicht einmal ein Verkennen der grundsätzlichen Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast zugrunde, sondern eine falsche Würdigung des vom Verfügungsbeklagten zu 2. für sich in Anspruch genommenen Protokolls. Das Protokoll würde gemäß § 416 ZPO den vollen Beweis für die darin enthaltenen Erklärungen der Gesellschafter erbringen und damit ihren Beschluss belegen. Diese Beweiskraft kommt aber nur der vom Verfügungskläger unterschriebenen und damit echten Privaturkunde zu, was der Verfügungskläger bestreitet (§ 439 ZPO). Die Echtheit des Protokolls ist daher vom Verfügungsbeklagten zu 2. zu beweisen (§ 440 Abs. 1 ZPO), bevor es als Mittel zur Glaubhaftmachung nach § 294 Abs. 1 ZPO herangezogen werden kann. Da dieser Beweis mit präsenten Beweismitteln (§ 294 Abs. 2 ZPO) nicht geführt ist, kommt dem Protokoll keine Bedeutung bei der richterlichen Überzeugungsbildung zu, wohingegen sich das Landgericht rechtsfehlerhaft wesentlich hierauf stützte und so mit Blick auf seine sonstigen Erwägungen zu einem unrichtigen Ergebnis gelangte.

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Dem Verfügungsbeklagten zu 2. erwächst aus der fehlenden Verwertbarkeit des Protokolls vom 9. 11. 2012 kein unüberwindlicher Nachteil. Ist das Zustandekommen eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung umstritten, kann die gerichtliche Feststellung herbeigeführt werden. Für dahingehende Bestrebungen des Verfügungsbeklagten zu 2. ist aber nichts ersichtlich.

7

3. Wird in einer GmbH die Abberufung des Geschäftsführers betrieben, ist bis zur Entscheidung über das strittige Beschlussergebnis der Gesellschafterversammlung eine einstweilige Regelung der Organbefugnisse durch das Gericht nach § 940 ZPO zulässig (Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 20. Aufl., § 38 Rdn. 45, 69; Baumbach/Hueck/Haas, § 61 Rdn. 26). Dem Geschäftsführer kann die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis einstweilen entzogen oder ihm die Geschäftsführung und Vertretung einstweilen verboten werden (OLG München NZG 2013, 947, 948; Zöller/Vollkommer, § 940 Rdn. 8 - Stichwort: Gesellschaftsrecht m.w.N.).

8

Parteien eines darauf gerichteten Verfahrens sind die Gesellschaft und der Abzuberufende (OLG München a.a.O.). Das gilt selbst dann, wenn die Minderheit der Gesellschafter den Widerruf der Bestellung des Mehrheitsgesellschaftergeschäftsführers betreibt, weil der Abzuberufende bei der Entscheidung über das Erwirken einer einstweiligen Verfügung nicht stimmberechtigt ist (§ 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG).

9

Aber auch der abberufende Minderheitsgesellschafter einer zweigliedrigen GmbH ist in der Lage, an Stelle der in Person des Mehrheitsgesellschaftergeschäftsführers unwilligen GmbH im Abberufungsstreit eine vorübergehende gerichtliche Regelung der Geschäftsführung herbeizuführen, zumal vorliegend der Verfügungskläger durch die behaupteten Eingriffe in den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft in seinen Gesellschafterrechten und -interessen nachteilig betroffen ist (BGH, Urteil vom 11. 7. 1960, II ZR 260/50 - zitiert in juris; OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 1505, 1506; OLG Braunschweig, Urteil vom 9. 9. 2009, 3 U 41/09 - BeckRS 2009, 87615; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 38 Rdn. 73; Werner NZG 2006, 761, 762 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. 6. 1982, II ZR 199/81 - BeckRS 1982, 00651; OLG Frankfurt a.M. NJW 1999, 257).

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4. Der Verfügungskläger hat Anspruch auf Unterbindung der weiteren Geschäftsführung durch seinen Mitgesellschafter. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wurde der Verfügungsbeklagte zu 2. in der Gesellschafterversammlung vom 12. 6. 2013 als Geschäftsführer abberufen, sodass er sich aus der gesellschaftsvertraglichen Treupflicht heraus nicht mehr als Geschäftsführer betätigen darf.

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a) Die dem Beschluss über die Abberufung des Geschäftsführers (TOP 7a) vorausgegangene Einziehung der Geschäftsanteile des Verfügungsklägers und dessen Ausschluss aus der Gesellschaft (TOP 3) gingen ins Leere, sodass der Verfügungskläger sein mit den Geschäftsanteilen verbundenes Stimmrecht (§ 47 Abs. 2 GmbHG) nicht vor der Abstimmung über den TOP 7a verloren hatte.

12

Nach dem Gesellschaftsvertrag (vgl. § 34 Abs. 1 GmbHG) ist die Einziehung von Geschäftsanteilen nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters zulässig (§ 14 Abs. 1), die nicht vorlag. Der Gesellschafter kann gemäß § 14 Abs. 2 der Satzung ausgeschlossen werden, wenn er seine Gesellschafterpflichten grob verletzt. Es kann offen bleiben, ob der hierauf gegründete Ausschluss nach dem Gesellschaftsvertrag durch Beschluss erfolgen kann, insbesondere weil Einziehung und Ausschluss als Einheit zu betrachten sind (BGH NJW 1977, 2316), oder ob hierfür die Ausschlussklage zu erheben gewesen wäre. Selbst einem Beschluss wäre auf die vom Verfügungskläger im Hauptsacheverfahren unstreitig erhobene Anfechtungsklage die Rechtswirkung abzusprechen. Im Anfechtungsverfahren findet eine materielle Beschlusskontrolle statt, was vor allem für den benötigten wichtigen Grund gilt.

13

Eine den Ausschluss rechtfertigende grobe Verletzung von Gesellschafterpflichten konnte dem Verfügungskläger im Juni 2013 nicht mehr vorgeworfen werden. Die zum Gegenstand einer Selbstanzeige gemachten Manipulationen mit Tippprovisionen gingen auf die Zeit der Tätigkeit des Verfügungsklägers als Geschäftsführer zurück. Mit der Abberufung des Verfügungsklägers als Geschäftsführer Mitte November 2011 war eine Wiederholung oder Fortsetzung dieses pflichtwidrigen Verhaltens nicht mehr möglich. Der Ausschluss aus der Gesellschaft ist das äußerste Mittel zur Beseitigung eines auf den Gesellschafter zurück gehenden, nicht mehr hinnehmbaren Missstandes. Dessen bedurfte es nicht mehr, weil dem mit dem Entzug der Geschäftsführung ausreichend Rechnung getragen war (OLG Rostock NZG 2002, 294; Baumbach/Hueck/Fastrich, § 34 Rdn. 10). Es ist nicht ersichtlich, dass dem Verfügungsbeklagten zu 2. wegen der Jahre zurück liegenden Manipulationen und der Selbstanzeige dennoch im Juni 2013 die Fortführung der Gesellschaft mit dem Verfügungskläger unzumutbar gewesen wäre.

14

Zu berücksichtigen ist auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gesellschafter bzw. das Verbot willkürlicher Benachteiligung einzelner durch die Mehrheit. Das schließt die Einziehung des Geschäftsanteils aus, wenn der Einziehungstatbestand bei mehreren Gesellschaftern erfüllt ist, aber nur gegen einen Gesellschafter vorgegangen wird, ohne dass sich diese Differenzierung sachlich rechtfertigen lässt (Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 34 Rdn. 53; Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl., § 34 Rdn. 38 m.w.N.). Auch der Verfügungsbeklagte zu 2. hat in seiner Person einen wichtigen Grund zur Einziehung verwirklicht (§§ 9 Abs. 3 Satz 3; 14 Abs. 2 der Satzung - vgl. unten Bst. b). Deshalb war er höchstwahrscheinlich nicht einmal stimmberechtigt (Lutter, § 34 Rdn. 43).

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b) Dagegen dürfte am 12. 6. 2013 der Beschlussantrag zu TOP 7a auf Abberufung des Verfügungsbeklagten zu 2. nicht abgelehnt, sondern tatsächlich gebilligt worden sein, was der Verfügungskläger in der Hauptsache mit der Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage zu Recht geltend macht.

16

Entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers kommt es nicht darauf an, dass der Geschäftsführer gemäß §§ 8 Abs. 4, 5 Abs. 1 der Satzung jederzeit mit einfacher Mehrheit bei ausgeschlossenem eigenen Stimmrecht eines betroffenen Gesellschaftergeschäftsführers abberufen werden konnte. Der in der Gesellschafterversammlung zu behandelnde Beschlussantrag berief sich ausdrücklich auf wichtige Gründe. Solche lagen in der Person des Verfügungsbeklagten zu 2. in Form grober Pflichtverletzungen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) aber auch vor.

17

Die Gründung der Fa. F. GmbH und ihr Betreiben durch den Verfügungsbeklagten zu 2. ist zwischen den Parteien unstreitig. Diese Gesellschaft ähnelt nicht nur in ihrer Firma der Verfügungsbeklagten zu 1. Sie hat auch den gleichen Sitz und den nämlichen Geschäftsgegenstand. Damit verstößt der Verfügungsbeklagte zu 2. seit Ende 2012 offensichtlich gegen seine Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft und dem Verfügungskläger, insbesondere gegen das daraus herzuleitende und im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich hervorgehobene (§ 9 Abs. 2) Wettbewerbsverbot. Damit ist er auch als Geschäftsführer nicht mehr tragbar.

18

Darüber hinaus überträgt der Verfügungsbeklagte zu 2. natürlich Vermögensgegenstände der Verfügungsbeklagten zu 1. auf die neue Gesellschaft, auch wenn er dies bestreitet. Mit der Vorlage des Protokolls der vermeintlichen Gesellschafterversammlung vom 9. 11. 2012 und das Berufen auf die dort angeblich niedergelegten Gesellschafterbeschlüsse versucht der Verfügungsbeklagte zu 2. gerade die Übertragung des Tagesgeschäfts einschließlich des Kundenstamms nebst Mitarbeiter auf die neue Gesellschaft zu rechtfertigen. All das soll ihm in Vorbereitung der beabsichtigten Liquidation der Verfügungsbeklagten zu 1. gestattet worden sein, wie der Verfügungsbeklagte zu 2. in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts erklärte. Dieses Einwandes bedürfte es nicht, wenn nicht das teilweise durch Schriftverkehr belegte Vorbringen des Verfügungsklägers zuträfe. Es dürfte sogar unstreitig sein, dass der Verfügungsbeklagte zu 2. in der Vergangenheit genau das tat, was ihm am 9. 11. 2012 erlaubt worden sein soll. Damit beraubt er die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Grundlage, schmälert ihr Vermögen, ihren Wert und damit auch den Wert der Geschäftsanteile des Verfügungsklägers. Gegenleistungen wurden und werden ersichtlich nicht erbracht. Der Verfügungsbeklagte nimmt also nicht mehr die Interessen und Chancen der Gesellschaft wahr, sondern unterwandert diese und greift existenzvernichtend in das Unternehmen ein.

19

Eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung (vgl. § 6 Abs. 2 Nrn. 2.8, 2.9. Bst. b) fehlt. Der Senat ist nicht mit dem im einstweiligen Verfügungsverfahren notwendigen Maß davon überzeugt, dass die Gesellschafter am 9. 11. 2012 beschlossen, dem Verfügungsbeklagten zu 2. unter Aufhebung jedes erdenklichen Wettbewerbsverbots die Gründung einer neuen Finanzdienstleistungsgesellschaft und die Übertragung der Kundenbestände auf diese unter Nutzung der Räumlichkeiten, des Firmennamens, des Logos und der Ausstattung der Verfügungsbeklagten zu 1. unentgeltlich zu gestatten, um anschließend die Verfügungsbeklagte zu 1. zu liquidieren. Die eidesstattlichen Versicherungen des Verfügungsbeklagten zu 2. und des Verfügungsklägers widersprechen sich. Auf die vorgelegte Protokollurkunde kann sich der Verfügungsbeklagte nicht berufen, da deren Echtheit streitig und nicht bewiesen ist. Soweit dritte Personen Indizien an Eides statt versichern, genügen diese nicht, um von der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung überzeugt zu sein.

20

Der behauptete Inhalt des Beschlusses vom 9. 11. 2012 bevorteilt den Verfügungsbeklagten zu 2. in einem nach der Lebenserfahrung und bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht nachvollziehbaren Maße. Bis zur vermeintlichen Versammlung stritten die Gesellschafter mit weit auseinander liegenden Auffassungen über die Höhe der Abfindung des zum Anteilsverkauf bereiten Verfügungsklägers. Der Verfügungskläger konnte kein Interesse daran haben, den von ihm behaupteten erheblichen Wert seiner Geschäftsanteile zu schmälern, zumal man sich unstreitig noch im November und Dezember 2012 über die eingeschalteten Rechtsanwälte in Verhandlungen befand. Als Finanzdienstleistungsunternehmen wird der Wert der Gesellschaft gerade durch den Kundenstamm und die Mitarbeiter gebildet. Dass der Verfügungskläger beides dem Verfügungsbeklagten unentgeltlich zugestanden haben soll, liegt fern jeder wirtschaftlichen Vernunft und zwar auch unter Berücksichtigung der fehlenden Bereitschaft des Verfügungsbeklagten zu 2., sich den Preisvorstellungen des Verfügungsklägers anzuschließen. Es wäre dann sogar günstiger gewesen, die Gesellschaft zu kündigen (§ 15 der Satzung), was der Verfügungskläger schon lange vorher hätte tun können, woraus zu schließen ist, dass für ihn diese Lösung nicht in Betracht kam, er also am vollen Wert des laufenden Unternehmens partizipieren wollte.

21

Genauso wenig verständlich ist die ebenfalls an keine Gegenleistung geknüpfte Nutzung der Räumlichkeiten und der Geschäftsausstattung. Zuvor hatte der Verfügungskläger unstreitig noch Mietzins einzuziehen versucht.

22

Beide Seiten waren anwaltlich beraten und vertreten. Der Verfügungskläger weist zutreffend darauf hin, dass es nahezu ausgeschlossen erscheint, sich angesichts dessen ohne anwaltlichen Beistand in den Geschäftsräumen der Verfügungsbeklagten zu 1. zu treffen und eine ausschließlich für den Verfügungsbeklagten zu 2. vorteilhafte Regelung zu beschließen. Selbst Monate später, im Mai und Juni 2013 ging es nicht ohne Rechtsanwälte, obwohl man sich mit dem Beschluss vom 9. 11. 2012 geeinigt haben soll.

23

Hinzu kommt die sich aus der Eintragung der Bilanzfeststellung im Unternehmensregister ergebende Ungereimtheit. Nach der Behauptung der Beklagtenseite soll am 9. 11. 2012 auch die Bilanzfeststellung erfolgt sein. Im Unternehmensregister ist hierfür zunächst der 7. 12. 2012 festgehalten worden, an dem unstreitig keine Gesellschafterversammlung stattgefunden hat. Dies lässt sich nicht ohne weiteres unter Hinweis auf ein mögliches Versehen des Verfügungsbeklagten zu 2. oder des Steuerberaters bagatellisieren. Es ist nichts ersichtlich, das irgendwie eine falsche Übermittlung des 7. 12. 2012 an den Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers plausibel machen würde. Mit der Mitteilung des Jahresabschlusses und dessen Feststellung erfüllt die Gesellschaft ihre gesetzlichen Offenlegungspflichten. Es besteht von allen Seiten ein gesteigertes Interesse an der Richtigkeit der Angaben. Da diese nur einmal jährlich gemacht werden müssen, dürften die damit verbundenen Tätigkeiten erfahrungsgemäß mit größerer Sorgfalt vorgenommen werden. Irrtümer in Daten, die - wie der 9. 11. 2012 und der 7. 12. 2012 - augenscheinlich nichts miteinander gemein haben, dürften daher eher selten vorkommen. Der Verfügungsbeklagte zu 2. müsste sich gut an den für ihn sehr wichtigen Beschluss vom 9. 11. 2012 erinnert haben, der nach seiner Darstellung auch im Büro abgelegt worden war. Dem Steuerberater bot sich kaum Gelegenheit, Daten zu vertauschen oder derart falsch einzugeben. Erklären lässt sich das Ganze in der Gesamtschau eher mit der Darstellung des Verfügungsklägers, wonach am 9. 11. 2012 keine Gesellschafterversammlung mit Bilanzfeststellung stattgefunden hat.

24

Die Abberufung des Verfügungsbeklagten zu 2. als Geschäftsführer durfte nach alledem nicht abgelehnt werden. Tatsächlich ist das auch nicht geschehen; es kam ein Beschluss über die Abberufung zustande (§§ 38, 46 Nr. 5, 47, 48 Abs. 1, 49, 51 Abs. 1, Abs. 3 u. 4 GmbHG i.V.m. §§ 5 Abs. 1, 8 Abs. 4, 7, 9 Abs. 1 der Satzung). Nach dem Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 12. 6. 2013 hat der Verfügungsbeklagte zu 2. gegen seine Abberufung gestimmt. Er war aber mit dem Stimmrecht ausgeschlossen, sodass seine Stimme nicht zählt. Dies folgt bereits aus dem Vorliegen eines wichtiger Gründe für die Abberufung (Baumbach/Hueck/Zöllner, § 47 Rdn. 85; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 38 Rdn. 34 f.). Außerdem ist nach § 8 Abs. 4 Satz 1 der Satzung bei der Abstimmung über die Abberufung eines Gesellschaftergeschäftsführers der Betroffene nicht stimmberechtigt. Der Verfügungsbeklagte zu 2. konnte daher mit den Stimmen des Verfügungsklägers abberufen werden, da hierfür abweichend von § 8 Abs. 1 Satz 1 der Satzung die einfache Mehrheit des Stammkapitals ausreichte (§ 5 Abs. 1 der Satzung).

25

Der Verfügungskläger hat für die Abberufung gestimmt. Seine Vertretung bei der Stimmrechtsausübung war zulässig (§ 47 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4 des Gesellschaftsvertrages). Die einem Rechtsanwalt schriftlich erteilte Vollmacht ist unstreitig. Der Verfügungsbeklagte zu 2. kann der wirksamen Vertretung auch nicht mit Erfolg das Fehlen eines Vertretungsfalles i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 der Satzung entgegen halten, nachdem er sich auf die Gesellschafterversammlung mit und die Abstimmung durch den Vertreter des Verfügungsklägers eingelassen und diesen damit gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 3, 7 Abs. 3 Sätze 2 u. 3 der Satzung zugelassen hat. Zumindest ergibt sich dieses Ergebnis aus § 242 BGB (Baumbach/Hueck/Zöllner, § 47 Rdn. 52 für den Fall der formunwirksamen Vollmacht).

26

5. Hiernach ist die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer vorübergehenden Regelung nach § 940 ZPO unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen unabweisbar. Offensichtlich drohen der Gesellschaft und dem Verfügungskläger wesentliche Nachteile.

27

Die weitere Geschäftsführung durch den Verfügungsbeklagten zu 2. ist mit einer erheblichen Gefährdung des wirtschaftlichen Bestandes der Verfügungsbeklagten zu 1. verbunden, was auch dem Verfügungskläger selbst zum Nachteil gereichen wird. Aus dem bisherigen Handeln des Verfügungsbeklagten zu 2. folgt die Wiederholungsgefahr. Es ist nicht zu erwarten, dass der Verfügungsbeklagte zu 2. bis zur Klärung seiner Abberufung die Interessen der Gesellschaft und seines Mitgesellschafters wahren und sich seines gesellschaftsschädigenden Verhaltens enthalten wird. Nicht einmal die vom Landgericht zunächst erlassenen einstweiligen Verfügungen haben ihn an der Fortsetzung der Geschäftsführung und dem Versuch, den Verfügungskläger aus der Gesellschaft zu drängen, gehindert. Wesentlicher Nachteil ist auch der aus vertragswidrigem Verhalten drohende Schaden (Zöller/Vollkommer, § 940 Rdn. 4). Dagegen wiegen die Interessen des Verfügungsbeklagten zu 2. an einer Fortsetzung seiner Geschäftsführung keinesfalls schwerer. Er ist mit großer Wahrscheinlichkeit abberufen worden.

28

Erforderlich i.S.v. § 938 Abs. 1 ZPO ist die beantragte Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis. Der Senat ist an diesem Ausspruch nicht gehindert, weil der Gesellschaft damit kein vertretungsberechtigtes Organ verbleibt (BGH, Urteil vom 11. 7. 1960, II ZR 260/59 - zitiert in juris Rdn. 12; Urteil vom 20. 12. 1982, II ZR 110/82 - zitiert in juris Rdn. 14; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 38 Rdn. 3).

II.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10; 713 ZPO.

30

Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1, 40, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 3 ZPO. Zu einer Zusammenrechnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG kommt es selbst nach der Verbindung der Prozesse nicht. Die gegen die Verfügungsbeklagten gerichteten Anträge waren auf das gleiche Interesse gerichtet und damit wirtschaftlich identisch.


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