Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 6 Sa 53/14
Tenor
I.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich gemäß Beschluss vom 08.10.2014 beendet worden ist.
II.
Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
1
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs.
3Die Klägerin war bis zum 30.04.2013 als Pflegedienstleiterin bei der Beklagten beschäftigt. Mit Ihrer Klage vom 20.06.2013 hat sie einen Anspruch auf Abgeltung nicht genommener Freizeitausgleichstage sowie auf Erstattung eines Verkehrsunfallschadens geltend gemacht. Wegen der Klageanträge erster Instanz sowie weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.12.2013 - AZ: 15 Ca 3978/13 - Bezug genommen.
4Das vorgenannte Urteil, mit welchem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, ist der Klägerin am 20.12.2013 zugestellt worden. Mit einem am 13.01.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und diese mit einem am 18.02.2014 eingegangenen Schriftsatz begründet.
5Im Anschluss an einen Verhandlungstermin am 23.05.2014 unterbreitete der Vorsitzende der Kammer den Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 258 d.A. verwiesen wird. Der letzte Absatz des gerichtlichen Schreibens lautete wie folgt:
6"Beiden Parteien wird Gelegenheit gegeben, zu dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag bis zum 10.06.2014 schriftsätzlich Stellung zu nehmen. Im Fall der beiderseitigen Annahme wird das Gericht das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleiches gemäß § 278 Abs.6 ZPO durch Beschluss feststellen. Ein weiterer Verhandlungstermin wäre dann entbehrlich."
7Mit einem am 06.06.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz erklärte die Klägerin ihr Einverständnis mit dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag. Eine Durchschrift dieses Schriftsatzes wurde seitens des Gerichts am 11.06.2014 an die Beklagte übersandt. Am 13.06.2014 ging per Telefax ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit folgendem Inhalt ein:
8"�teilen wir namens und in Vollmacht der Beklagten mit, dass diese mit dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag einverstanden ist. Um eine entsprechende Protokollierung wird gebeten. �"
9Kurz darauf übersandten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten einen weiteren Schriftsatz, der laut Faxaufdruck ca. 11 Minuten später beim Landesarbeitsgericht einging. Darin teilten sie Folgendes mit:
10"� ist soeben versehentlich eine für ein anderes arbeitsgerichtliches Verfahren vorgesehene Erklärung per Telefax übersandt worden. Hierbei handelt es sich um ein bürointernes Versehen, so dass klarzustellen ist, dass die Beklagte dem in dem vorgenannten Verfahren vor Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag nicht zustimmt.
11Es wird darum gebeten, den soeben an das Gericht übersandten Schriftsatz, wonach sich die Beklagte mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden erklärt, als gegenstandslos anzusehen, wofür wir uns bedanken möchten. �"
12Infolge eines gerichtlichen Versehens wurde zunächst nur der zweite Schriftsatz, nicht hingegen die Annahmeerklärung an die Klägerseite übersandt. Diese reagierte mit einem Schriftsatz vom 20.06.2014, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 23.06.2014. Dort führte sie u.a. Folgendes aus:
13"� dürfen wir darum bitten, uns die Erklärung der Gegenseite, welche deren Schriftsatz vom 13.06.2014 sich bezieht zur Kenntnis zukommen zu lassen.
14Soweit eine Annahmeerklärung in diesem Rechtsstreit zu diesem Aktenzeichen erteilt wurde, ist nach diesseitiger Ansicht der Vergleich zustande gekommen.
15�"
16Mit einem am 14.08.2014 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte die Anfechtung der Annahme des Vergleiches wegen eines Irrtums erklärt.
17Der Vorsitzende der Kammer hat das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleiches mit einem Beschluss vom 08.10.2014 festgestellt.
18Die Beklagte hat die Fortführung des Rechtsstreits beantragt. Sie ist der Ansicht, der Vergleich sei bereits deshalb unwirksam, da ihre Annahmeerklärung erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist erfolgt sei. Ein in der verspäteten Annahmeerklärung etwaig liegendes neues Angebot sei gemäß § 130 Abs.1 S.2 BGB rechtzeitig widerrufen, bevor es der Klägerin zugegangen sei.
19Weiterhin meint die Beklagte, jedenfalls habe sie ihre Erklärung zur Annahme des Vergleiches wirksam wegen eines Irrtums angefochten. Hierzu trägt sie vor, es habe parallel einen Vergleichsvorschlag in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Duisburg (AZ: 2 Ca 953/14) gegeben, in welchem sie ebenfalls Partei sei. Beide Vergleichsvorschläge seien von ihrem Prozessbevollmächtigten mit ihr erörtert worden. Man sei so verblieben, dass sie eine Rückmeldung abgebe. Sie habe dann angerufen und ihrem Rechtsanwalt, der den Anruf nicht persönlich habe entgegen nehmen können, ausrichten lassen, dass der Vergleichsvorschlag im Verfahren beim Arbeitsgericht Duisburg angenommen werden solle. Über diese telefonische Rückmeldung sei unter dem Datum des 27.05.2014 folgender Vermerk verfasst worden:
20"Anruf von Fr. T. (Pflegepartner): Es besteht Einverständnis mit dem Vergleichsvorschlag der Gegenseite (ArbG Du)."
21Dementsprechend sei dann mit Schriftsatz vom 28.05.2014 der Vergleichsvorschlag in dem Verfahren beim Arbeitsgericht Duisburg angenommen worden. In der Folge sei der sachbearbeitende Rechtsanwalt für rund zwei Wochen erkrankt. Nach seiner Rückkehr habe er sich an den Vergleichsvorschlag im vorliegenden Verfahren erinnert und in der irrigen Annahme, dass sich der Gesprächsvermerk vom 27.05.2014 hierauf beziehe, den ersten Schriftsatz vom 13.06.2014 gefertigt und per Telefax an das Landesarbeitsgericht gesandt. Erst nach einem erneuten Durchlesen des Gesprächsvermerks nach Rückkehr vom Faxgerät habe er realisiert, dass sich der Vermerk auf das Verfahren beim Arbeitsgericht Duisburg bezogen habe.
22Die Beklagte beantragt,
23festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 08.10.2014 nicht beendet worden ist.
24Die Klägerin beantragt,
25festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 08.10.2014 beendet worden ist.
26Für den Fall, dass der Rechtsstreit nicht durch den gerichtlichen Vergleich vom 08.10.2014 beendet worden sein sollte, beantragt die Klägerin,
27das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.12.2013, 15 Ca 3978/13, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
2829
1. an die Klägerin 3.714,29 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.09.2013 zu zahlen;
302. an die Klägerin 1.228,17 € netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2013 zu zahlen.
3132
Die Beklagte beantragt für den Fall ihres Obsiegens mit dem Hauptantrag,
33die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
34Die Klägerin ist der Ansicht, der Vergleich sei wirksam zustande gekommen. Die Annahmeerklärung sei eindeutig und ein Anfechtungsgrund nicht ersichtlich. Zudem sei die Anfechtungserklärung nicht unverzüglich erfolgt.
35Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsprotokolle und ergänzend auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
36E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
37A.
38Der Antrag der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
39I. Da die Beklagte die Beendigung des Rechtsstreits in Frage gestellt hat, war hierüber unter Fortsetzung des Rechtsstreits durch Urteil zu entscheiden.
40Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur (vgl. hierzu BAG v. 12.05.2010 - 2 AZR 544/08 - Rn.15, AP Nr. 68 zu § 123 BGB). Er enthält eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt. Zugleich beruht er auf einem privatrechtlichen Vertrag, für den § 779 BGB und die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Willenserklärungen gelten. Die Einheit von Prozesshandlung sowie prozesswirtschaftliche Gründe sind maßgebend für die prozessualen Folgen materiell rechtlicher Mängel eines Prozessvergleichs. Soweit diese auf Umständen beruhen, die bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bestanden haben, ist der Prozessvergleich als Prozesshandlung unwirksam. Ihm kommt dann keine prozessbeendende Wirkung zu (BAG v. 12.05.2010 Rn.15 aaO; BAG v. 23.11.2006 - 6 AZR 394/06 - Rn.15, AP Nr. 8 zu § 623 BGB). Der Streit, ob aufgrund derartiger anfänglicher Mängel ein Prozessvergleich unwirksam ist, muss in demselben Verfahren ausgetragen werden, in dem der Vergleich geschlossen wurde (BAG v. 12.05.2010 Rn.16 aaO; BAG v. 23.11.2006 Rn.15 aaO; BGH v. 15.01.1985 - X ZR 16/83 - WM 1985, 673). Wird die Wirksamkeit verneint, kann hierüber ein Zwischenurteil ergehen, dass die Unwirksamkeit festsetzt. Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ergeht ein Endurteil dahin, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist (BAG v. 12.05.2010 Rn.16 aaO). Diese Grundsätze, die für den im Rahmen einer mündlichen Verhandlung protokollierten Vergleich entwickelt wurden, gelten auch für einen Vergleich gemäß § 278 Abs.6 ZPO, da diesem dieselben Wirkungen zukommen (vgl. Leipold in Stein/Jonas, ZPO, Band 4, 22. Auflage 2008, § 278 Rn. 88; Greger in Zöller, ZPO, 30 Auflage 2014, § 278 Rn. 35; Knauer/Wolf, NJW 2004, 2875, 2859).
41II. Der Antrag ist unbegründet, da der mit Beschluss vom 08.10.2014 festgestellte Vergleich gemäß § 278 Abs.6 S.1 Alt.2, S.2 ZPO wirksam zustande gekommen ist.
421. Das Gericht hat den Parteien unter dem Datum des 23.05.2014 einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet.
432. Diesen Vorschlag hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 13.06.2014 angenommen.
44a) Unerheblich ist, dass die Annahme des Vergleiches nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Stellungnahmefrist erfolgt ist.
45Die Auswirkungen einer im Rahmen eines Vergleichsvorschlags gesetzten gerichtlichen Frist auf verspätet erfolgte Annahmeerklärungen ist umstritten. Teilweise wird § 148 BGB entsprechend angewandt, mit der Folge, dass eine Partei, die innerhalb der Frist die Annahme erklärt, nur bis zum Ablauf der gerichtlichen Frist gebunden sein soll (Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 4, 4. Auflage 2013, § 278 Rn. 87; Musielak-Foerste, ZPO, 11. Auflage 2014, § 278 Rn. 17a; Foerste NJW 2001, 3103, 3105; so wohl auch Zöller-Greger, § 278 ZPO Rn. 34). Die Gegenansicht geht davon aus, eine gerichtliche Frist solle lediglich den Verfahrensablauf sichern (LAG Berlin - Brandenburg v. 10.05.2013 - 6 Sa 19/13 - Rn. 28, juris, zustimmend Engesser jurisPR-ArbG 33, 2013 Anm.5).
46Welcher Auffassung zu folgen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Sie kann nur hinsichtlich der Frage der Bindungswirkung einer fristgerecht erfolgten Annahmeerklärung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die beiderseitige Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages nach Fristablauf ist unschädlich möglich (ebenso Foerste NJW 2001, 3103, 3105 und Nungeßer NZA 2005, 1027, 1032). Es gibt keine Grundlage für die Annahme, eine Partei, die nach Ablauf einer gerichtlichen Frist einen Vergleichsvorschlag annimmt, sei an diese Willenserklärung nicht - vorerst - gebunden. § 148 BGB kann dem nicht entgegen stehen. Eine unmittelbare Anwendung ist ausgeschlossen, da das Gericht nicht Antragender des Vergleichs ist, sondern diesen lediglich vermittelt (Nungeßer NZA 2005, 1027, 1031 f.). Auch eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO ist für Annahmeerklärungen nach Fristablauf ausgeschlossen, denn eine Begrenzung der Bindungswirkung einer Willenserklärung durch eine bereits abgelaufene Frist macht schlichtweg keinen Sinn.
47b) Die Beklagte konnte ihre Erklärung nach Eingang beim Landesarbeitsgericht nicht mit dem kurz darauf eingegangenen Schriftsatz widerrufen.
48aa) Nach Eingang der Annahmeerklärung beim Gericht kann diese nicht mehr widerrufen werden.
49aaa)Unerheblich ist, dass zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung noch kein Beschluss gemäß § 278 Abs.6 S.2 ZPO ergangen war.
50Ein solcher Beschluss hat lediglich deklaratorischen Charakter (OLG Hamm v. 13.12.2010 NJW 2011, 1373; Wieczorek/Schütze - Assmann, § 278 Rn. 90; Geisler in Prütting/Gerhrlein, ZPO, 6. Auflage 2014, § 278 Rn.22). Dies lässt sich dem Wortlaut des § 278 Abs. 6 ZPO entnehmen. So kommt gemäß § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO der gerichtliche Vergleich bereits durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien gegenüber dem Gericht zustande, nicht erst durch den anschließenden Beschluss. Auch wird gemäß § 278 Abs.6 S.2 ZPO das "Zustandekommen" des gerichtlichen Vergleichs festgestellt, was voraussetzt, dass der Vergleich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits existiert. Schließlich wäre es mit dem berechtigten Interesse der Parteien, Rechtssicherheit über den vergleichsweisen Verfahrensabschluss zu haben, nicht vereinbar, wenn eine Bindungswirkung an die Annahmeerklärung erst ab dem Zeitpunkt entstünde, an dem das Gericht den Feststellungsbeschluss nach § 278 Abs.6 S.2 ZPO abfasst (OLG Hamm v. 13.12.2010 aaO Rn.18) bzw. dieser den inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts verlassen hat (vgl. hierzu LAG Nürnberg v. 25.02.2013 - 2 Ta 24/13 - juris; Prütting/Gerhlein- Geisler, § 278 ZPO Rn. 22).
51bbb) Ein Widerruf der Annahmeerklärung ist nicht bis zum Zeitpunkt ihres Zugangs beim Prozessgegner zulässig.
52Zu Unrecht beruft sich die Beklagte für ihre gegenteilige Auffassung auf § 130 Abs.1 S.2 BGB. Danach wird eine Willenserklärung unter Abwesenden nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Norm auf Annahmeerklärungen gerichtlicher Vergleichsvorschläge gemäß § 278 Abs. 6 ZPO überhaupt Anwendung findet. Auch wenn man hiervon ausgeht, so ist der Zeitpunkt, bis zu dem spätestens ein Widerruf erfolgen muss, der Zugang der Annahmeerklärung bei Gericht. Die Annahmeerklärung hat nämlich nicht gegenüber dem Gegner, sondern - nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 278 Abs. 6 ZPO - "durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht" zu erfolgen. Insoweit kann es dahingestellt bleiben, ob man davon ausgeht, dass es sich dabei um eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne des § 130 Abs. 3 BGB handelt (vgl. Siemon NJW 2011, 426, 429 f.), ob man das Gericht als Empfangsvertreter beider Parteien im Sinne des § 164 Abs. 3 BGB ansieht (Wieczorek/Schütze - Assmann, § 278 ZPO Rn. 87) oder ob man unterstellt, gemäß § 151 ZPO werde auf einen Zugang der Erklärung der anderen Partei verzichtet (so Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2859). Alle unterschiedlichen dogmatischen Ansätze führen hinsichtlich des Zeitpunkts eines möglichen Widerrufs der Annahmeerklärung zum selben Ergebnis.
53Geht man von einer amtsempfangsbedürftigen Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 3 BGB aus, so muss Gleiches auch für den Widerruf derselben gelten. Entscheidend ist dann allein der Zeitpunkt des Zugangs von Annahmeerklärung und Widerruf bei Gericht. Gleiches gilt, sofern man das Gericht als passiven Stellvertreter beider Parteien gem. § 164 Abs.3 BGB ansieht, denn in diesem Fall gilt die Annahmeerklärung der anderen Partei mit Eingang beim Gericht als zugegangen.
54Wendet man stattdessen § 151 S.1 BGB entsprechend an, so findet § 130 BGB keine Anwendung (Palandt - Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage 2013, § 130 Rn.1; A. Ahrend in Erman, BGB, 14. Auflage 2014, § 130 Rn. 32). § 130 BGB gilt nämlich ausschließlich für empfangsbedürftige Willenserklärungen (Eisele in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 130 Rn.1). An der Empfangsbedürftigkeit der Annahmeerklärung fehlt es aber im Anwendungsbereich des § 151 BGB.
55bb) Der Telefaxschriftsatz mit der Annahmeerklärung ist vor dem Widerruf bei Gericht eingegangen.
56Dabei ist es unerheblich, dass dem Vorsitzenden der Kammer beide Schriftsätze vom 13.06.2014 zeitgleich vorgelegt wurden. Für den Zugang der Annahmeerklärung ist die Kenntnisnahme des Vorsitzenden nicht erforderlich. Per Telefax übersandte Schriftsätze gehen zu dem Zeitpunkt ein, an dem die gesendeten Signale vollständig vom Faxgerät empfangen wurden (so BGH v. 08.05.2007 - VI ZB 74/07 - NJW 2007, 2045). Die Signale für den Schriftsatz vom 13.06.2014 mit der Annahmeerklärung sind vor dem zweiten Schriftsatz vom selben Tage vom Faxgerät empfangen worden. Stellt man alternativ auf die Regelungen für den Zugang von Willenserklärungen ab, so ist entscheidend, wann mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Dies ist bei Telefaxschreiben dann der Fall, wenn der Druckvorgang abgeschlossen ist (vgl. etwa BGH v. 07.12.1994 - VIII ZR 153/93 - NJW 1995, 665), jedenfalls, wenn dies - wie hier - während der üblichen Geschäftszeiten des Gerichts geschieht. Auch in diesem Fall erfolgte der Widerruf verspätet, denn die Schriftsätze sind in der Reihenfolge ihres Eingangs ausgedruckt worden.
573. Auch die Klägerin hat den gerichtlichen Vergleichsvorschlag wirksam angenommen.
58Insoweit kann es dahingestellt bleiben, ob ihre Annahmeerklärung mit Schriftsatz vom 06.06.2014 am 13.06.2014 noch bindend war. Sollte man dies verneinen, so wäre jedenfalls mit dem am 23.06.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 20.06.2014 eine erneute Annahmeerklärung erfolgt.
59a) Diese Annahmeerklärung erfolgte rechtzeitig.
60Auch insoweit ist es unerheblich, dass sie nach Ablauf der gerichtlichen Stellungnahmefrist erfolgt ist. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer 2 a) wird insoweit verwiesen.
61Der Schriftsatz vom 20.06.2014 ist zu einem Zeitpunkt eingegangen, an dem die entsprechende Erklärung der Beklagten noch fort galt. §§ 147, 148 BGB sind zwar nicht unmittelbar anwendbar, da eine Prozesspartei, die zuerst die Annahme eines gerichtlichen Vergleiches erklärt, kein Angebot im Sinne der vorgenannten Normen abgibt. Es ist aber sachgerecht, diese Normen analog anzuwenden (Wieczorek/Schütze - Assmann, § 278 ZPO Rn.87; Nungeßer NZA 2005, 1027, 1032; Musielak - Foerste, § 278 ZPO Rn. 17a), da insoweit eine ungewollte Regelungslücke vorliegt und der Sachverhalt mit demjenigen der §§ 147, 148 BGB vergleichbar ist. Ohne eine Anwendung dieser Regelungen wäre die Partei, die einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag zuerst annimmt, bis zur Grenze der Verwirkung hieran gebunden mit der Folge, dass die andere Partei es in der Hand hätte, das Zustandekommen eines Vergleiches von dem für sie günstigen oder ungünstigen weiteren Verlauf des Rechtsstreits abhängig zu machen.
62Da die Beklagte ihre Annahmeerklärung nicht mit einer Frist verbunden hat, ist gemäß § 147 Abs. 2 BGB darauf abzustellen, bis zu welchem Zeitpunkt mit einer entsprechenden Erklärung der Klägerin noch gerechnet werden durfte. Angesichts dessen, dass das Gericht ursprünglich eine zweiwöchige Stellungnahmefrist gesetzt hatte, erscheint nach den Umständen jedenfalls ein Abwarten von zwei Wochen ab Zugang der Annahmeerklärung der Beklagten bei Gericht als angemessen. Innerhalb dieser bis zum 27.06.2014 laufenden Frist ist der Schriftsatz der Klägerin bei Gericht eingegangen.
63b) Unerheblich ist, dass der Schriftsatz der Klägerin vom 20.06.2014 keine ausdrückliche Annahmeerklärung enthielt. Die darin enthaltenen Erklärungen lassen sich gemäß §§ 133, 157 BGB in eine erneute Annahme auslegen, zumindest aber entsprechend umdeuten.
64Das Fehlen einer ausdrücklichen Annahmeerklärung in dem Schriftsatz vom 20.06.2014 beruhte erkennbar darauf, dass die Klägerin davon ausging, ihre dahingehende Erklärung vom 06.06.2014 würde noch Bindungswirkung entfalten. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie ausführt, im Falle einer - ihr noch nicht vorliegenden - Annahmeerklärung der Beklagten sei ein Vergleich wirksam zustande gekommen. Damit hat sie unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie unverändert den Vergleich akzeptieren wollte. Dies lässt sich zugleich als erneute Annahme des Vergleiches für den - von ihr nicht gewollten - Fall der fehlenden Bindungswirkung ihrer ursprünglichen Erklärung verstehen.
654. Der Vergleich ist nicht gemäß § 142 Abs.1 BGB wegen einer erfolgten Anfechtung nichtig.
66Zwar ist davon auszugehen, dass die Beklagte den Vergleich bereits mit dem zweiten Schriftsatz vom 13.06.2014 und nicht erst mit der ausdrücklichen Erklärung im Schriftsatz vom 14.08.2014 angefochten hat, so dass die Anfechtung unverzüglich im Sinne des § 121 Abs.1 BGB erklärt worden ist. Es fehlt jedoch an einem Anfechtungsgrund.
67a) § 120 BGB findet keine Anwendung. Die Rechtsanwälte der Beklagten haben infolge ihrer Prozessvollmacht gemäß §§ 81, 85 ZPO als Vertreter gehandelt und damit eigene Erklärungen im Namen der Beklagten abgegeben. § 120 BGB gilt hingegen nur für die Übermittlung von Erklärungen der Partei durch eine Mittelsperson, insbesondere Boten, nicht für den Vertreter einer Partei (allgemeine Meinung, vgl. nur Ahrens in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar, 9. Auflage 2014, § 121 Rn. 2).
68b) Die Voraussetzungen einer Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB liegen nicht vor.
69Insoweit ist gemäß § 166 Abs.1 BGB auf etwaige Willensmängel des handelnden Rechtsanwalts abzustellen. Dieser ist jedoch weder einem Inhalts- noch einem Erklärungsirrtum, sondern einem bloßen - nicht zur Anfechtung berechtigenden - Motivirrtum unterlegen.
70Ein Erklärungsirrtum (Irrtum in der Erklärungshandlung) gem. § 119 Abs.1 Fall 2 BGB liegt vor, wenn der Erklärende mit seiner Erklärung etwas anderes ausgedrückt hat als er mitteilen wollte (vgl. BAG v. 19.08.1982 - 2 AZR 116/81 - AP Nr. 10 zu § 9 MuSchG 1968), indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift (MünchKommBGB-Armbrüster, § 119 BGB Rn. 46). Im Unterschied zum Erklärungsirrtum entspricht beim Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 Fall 1 BGB das äußere Bild der Willenserklärung dem Willen des Erklärenden. Indessen weicht der Bedeutungsgehalt, die dieser Erklärung vom Empfängerhorizont aus objektiv zuzumessen ist, vom Willen des Erklärenden ab. Der Erklärende unterliegt somit einer Fehlvorstellung über den objektiven, rechtlich wirksamen Inhalt seiner Erklärung (MünchKommBGB-Armbrüster, § 119 BGB Rn. 56).
71Der für die Beklagte handelnde Rechtsanwalt unterlag bei Abgabe der Annahmeerklärung weder einem Erklärungs- noch einem Inhaltsirrtum. Der erste Schriftsatz vom 13.06.2014 hat exakt das wiedergegeben, was zu diesem Zeitpunkt seinem Willen entsprach, nämlich die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlages im vorliegenden Rechtsstreit. Weder wollte er eine andere Erklärung - etwa Ablehnung - abgeben noch sollte die Erklärung in einem anderen Rechtsstreit - etwa im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Duisburg - erfolgen. Ein etwaiger Irrtum bezog sich allein auf den Willen der von ihm vertretenen Beklagten. Er ging - das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt - irrtümlich davon aus, die Beklagte sei mit dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag vom 23.05.2014 einverstanden gewesen, obwohl ein solches Einverständnis in der vorliegenden Angelegenheit nicht erklärt worden ist. Das ist aber ein typischer Motivirrtum. Ein solcher berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung (vgl. BGH v. 26.01.2005 - VIII ZR 79/04 - NJW 2005, 976).
72B.
73I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 S.1 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Parteien in dem Vergleich gemäß Beschluss vom 08.10.2014 eine Einigung über die bis dahin angefallenen Kosten getroffen haben. Die weitergehenden Kosten hat jedoch die Beklagte als unterliegende Partei zu tragen. Insoweit wird § 91 ZPO nicht durch die im Vergleich enthaltene Kostenregelung verdrängt (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, Bd. 7, 22. Auflage 2002, § 794 Rn. 59 mwN).
7475
II. Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die höchstrichterlich noch nicht geklärten Fragen, bis wann ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag annahmefähig ist, und ob bzw. wie lange eine Partei an eine gemäß § 278 Abs.6 S.1 ZPO getätigte Annahmeerklärung gebunden ist, sind von grundsätzlicher Bedeutung.
76RECHTSMITTELBELEHRUNG
77Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
78R E V I S I O N
79eingelegt werden.
80Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
81Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
82Bundesarbeitsgericht
83Hugo-Preuß-Platz 1
8499084 Erfurt
85Fax: 0361-2636 2000
86eingelegt werden.
87Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
88Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
891.Rechtsanwälte,
902.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
913.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
92In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
93Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
94Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
95* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
96
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