Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 KS 1/12

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2012 wird hinsichtlich seiner Ziffer 1) insoweit aufgehoben, als darin festgestellt wurde, dass der Verein Hells Angels MC Charter Kiel sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist ein nicht eingetragener Verein mit Sitz in Kiel. Mit der vorliegenden Klage wendet er sich gegen das vom Innenminister des Landes Schleswig-Holstein im Januar 2012 ausgesprochene Vereinsverbot.

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Der klägerische Verein ging im Jahre 1994 aus einem Chapter der MC Bones hervor, der - nach einer Zeit als Prospect-Chapter unter der Bezeichnung MC Germany - im September 1994 den Vollstatus eines Ortsvereins Hells Angels Motorradclub Kiel erhielt.

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Der Verein „Hells Angels MC Charter Kiel“ (im Folgenden: „HAMC Kiel“) ist Teil der im März 1948 in San Bernardino, Kalifornien/USA gegründeten weltweit vertretenen Hells Angels-Bewegung. In Deutschland gibt es derzeit ca. 55 Charter der Hells Angels MC. Die einzelnen Charter sind auf bestimmte Territorien bezogene Clubs, die ihrerseits über regionale Supporter-Clubs (Unterstützer-Clubs) verfügen. Im lokalen Bereich des HAMC Kiel handelt es sich um die „Kiel-Crew“ sowie die „Legion 81“. Beide Organisationen sind inzwischen aufgelöst worden. Die Kiel-Crew löste sich zugunsten der Legion 81 auf, letztere löste sich aufgrund umfangreicher Ermittlungsverfahren gegen deren Mitglieder auf. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung bestand der HAMC Kiel aus einem siebenköpfigen Vorstand, dem Präsidenten D.R, dem Vizepräsidenten P., dem Secretary Markus Ct, dem Treasurer Hi. und den Sergeants at Arms, Ge. und J.. Daneben hatte der HAMC Kiel nach Angaben seines Prozessbevollmächtigten zum damaligen Zeitpunkt 10 weitere Vollmitglieder, 4 sogenannte Anwärter (Prospect´s) sowie einen Anwärter niederen Grades (Hangaround). Im Bescheid selbst sind 25 Personen als Adressaten („z.Hd.“) benannt, die dem HAMC Kiel zugeordnet werden. Die unstreitig ehemaligen Mitglieder K., Wa, Lu. und Bo. wechselten nach der Gründung des Vereins „Hells Angels MC Charter Lübeck“ im Januar 2010 zum Lübecker Verein. Das ebenfalls unstreitig ehemalige Mitglied Kr. verließ den HAMC Kiel im Dezember 2006, das ehemalige Mitglied R. verließ den Verein im Sommer 2010.

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Eine geschriebene Vereinssatzung des HAMC Kiel ist nicht bekannt.

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Der Beklagte stellte nach Beantwortung des mit Schreiben vom 17. Januar 2012 erbetenen Benehmens des Bundesministeriums des Innern mit an den Kläger - zu Händen namentlich genannter 25 Vereinsmitglieder - gerichteter Verfügung vom 18. Januar 2012 fest, dass der Zweck und die Tätigkeit des Klägers den Strafgesetzen zuwiderliefen und der Kläger sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Der Verein wurde verboten und aufgelöst. Seine Tätigkeit und die Bildung von Ersatzorganisationen sowie die Verbreitung oder öffentliche oder in einer Versammlung praktizierte Verwendung von Kennzeichen wurde untersagt. Das Vereinsvermögen wurde beschlagnahmt und eingezogen. Sachen Dritter wurden ebenfalls beschlagnahmt und eingezogen, soweit der Berechtigte durch Überlassung der Sachen an den Kläger dessen strafrechtswidrige Zwecke und Tätigkeiten vorsätzlich gefördert habe oder die Sachen zur Förderung dieser Zwecke und Tätigkeiten bestimmt seien.

6

Der Beklagte begründete seine Feststellung, dass Zweck und Tätigkeit des Klägers den Strafgesetzen zuwiderliefen, mit im einzelnen aufgelisteten Straftaten von Vereinsmitgliedern, deren Verfolgung sich teilweise im Stadium von staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren befinde, teilweise bereits zu rechtskräftigen Urteilen geführt habe. Wegen der im Einzelnen bezeichneten Straftaten wird auf die auf Seite 10 bis 30 der Verbotsverfügung (Bl. 60 - 80 der Beiakte A) bezeichneten Sachverhalte sowie die gerichtlichen Beiakten B1 und B2 Bezug genommen.

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Die Zweckbestimmung des Klägers sei nicht allein das gemeinsame Motorradfahren oder die gemeinsame Teilnahme an Veranstaltungen rund um die Biker-Szene, sondern eine Gebiets- und Machtentfaltung auf dem kriminellen Sektor gegenüber verfeindeten Organisationen, insbesondere den Bandidos und den Mongols sowie deren Supporterclubs in Schleswig-Holstein. Die Straftaten stünden in einem inneren Zusammenhang mit dem Verein und seien insgesamt charakterisierend für das von strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen geprägte Vereinsleben und kennzeichnend für den wirklichen Zweck der Vereinstätigkeit. Sie seien zumindest mit Wissen und Billigung der Funktionsträger des Vereins und in einigen Fällen auch mit deren Beteiligung begangen worden. Die hierarchische Gliederung innerhalb des verbotenen Vereins stelle sicher, dass zumindest die Funktionsträger über nahezu alle für den Verein bedeutenden Straftaten der einzelnen Mitglieder unterrichtet seien und gegebenenfalls in der Lage seien, solche Straftaten auch steuernd zu beeinflussen. Die unterschiedliche Tatbeteiligung der einzelnen Mitglieder ergebe sich dabei mit Zufallscharakter aus der jeweiligen Verfügbarkeit einzelner Mitglieder oder Supporter, insbesondere um eine zahlenmäßige Übermacht zu gewinnen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Taten nicht längerfristig geplant sei. Sie entstünden vielmehr aus Situationen heraus, in denen nicht alle Mitglieder spontan als Täter verfügbar vor Ort seien. Dementsprechend sei es trotz Zurechnung zum Verein unwahrscheinlich, dass eine Tat von allen Mitgliedern des Vereins gemeinsam wahrgenommen werde; vielmehr seien wechselnde Zusammenstellungen der Normalfall. Die gemeinschaftliche Beteiligung einer erheblichen Anzahl von Vereinsmitgliedern und Funktionsträgern lasse nur den Schluss auf eine im Rahmen des Vereins begangene Straftat zu. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, wenn einzelne Mitglieder eines so kleinen Vereins, der zudem das gesamte Leben seiner Mitglieder präge, außerhalb dieses Vereins in derart organisierter Weise zusammenarbeiteten.

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Im Rahmen des Vereins seien auch Straftaten begangen worden, die einzelne Mitglieder schon wegen der organisatorischen Anforderungen nicht allein hätten begehen können und die typisch für den Bereich der organisierten Kriminalität seien. Dies betreffe das Handeln mit Betäubungsmitteln in erheblichem Umfang, das angesichts der Mengen und der Vielzahl der Abnehmer nicht ein Mitglied allein ins Werk setzen könne. So sei beispielsweise in einem Falle mehr als eine Tonne Betäubungsmittel eingeführt worden.

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Durch den Verein werde den Mitgliedern und der Öffentlichkeit auch zum Ausdruck gebracht, dass der Verein hinter seinen Mitgliedern stehe. Der Verein habe sich auch nicht von Gewalttaten seiner Mitglieder distanziert. Trotz der Taten des (ehemaligen) Vereinsmitglieds F. sei dieser nicht vom Verein suspendiert worden. Die Taten seien vielmehr gebilligt und die Aufklärung der Sachverhalte durch die Strafverfolgungsbehörden erschwert worden. Auch die finanzielle und persönliche Unterstützung straffällig gewordener Vereinsmitglieder stelle eine Konkretisierung strafgesetzwidriger Zwecke dar. Nach den sogenannten „Rules“ der Hells Angels-Vereinigung sei vorgesehen, dass alle Mitglieder in einen sogenannten Defense-Fund einzuzahlen haben, der unter anderem die finanzielle Grundlage dafür biete, das jedem Vereinsmitglied, das eine Gefängnisstrafe zu verbüßen habe, eine entsprechende finanzielle Unterstützung gewährt werde. Dies gelte auch für Mitglieder des HAMC Kiel.

10

Die Aufrüstung mit Waffen sei ebenfalls dem gesamten Verein zuzuordnen, weil die Bewaffnung bei zahlreichen Mitgliedern festzustellen gewesen sei, die Mitglieder bei der Verdeckung der Zuordnung der Waffen zu einzelnen Mitgliedern zusammengewirkt hätten und sogar Unterstützer seitens des Vereins mit Waffen ausgerüstet worden seien.

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Das Vereinsverbot könne sich auch darauf stützen, dass sich Zweck und Tätigkeit des Vereins gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Die Erschwerung der Verfolgung von durch Vereinsmitglieder begangenen Straftaten und die Einrichtung des sogenannten Defense-Fund zeige, dass der Verein eine eigene Rechtsordnung habe, und stelle unter Inkaufnahme der Verwirklichung von strafrechtlichen Verstößen in Form von gegen Leib und Leben anderer gerichteter Vergehen und Verbrechen eine Absage an das Gewaltmonopol des Staates dar. Das Vereinsverbot sei auch verhältnismäßig, weil es die organisierte strafgesetzwidrige Tätigkeit des HAMC Kiel unterbinden solle. Hierfür sei die Anwendung strafrechtlicher Vorschriften gegen einzelne Vereinsmitglieder nicht ausreichend. Die Begehung von Straftaten und deren anschließende Billigung lasse erkennen, dass der Verein als solcher die objektive Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit in einer solchen Weise grob missachte, dass ein bloßes Betätigungsverbot bei gleichzeitigem Fortbestehen des Vereins zur Wahrung der Rechtsordnung nicht ausreichend wäre.

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Am 21. Februar 2012 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er trägt vor, der in Verbotsverfügung als Vereinsmitglied genannte Herr F. sei zu keinem Zeitpunkt dem Verein verbunden gewesen. G. und Jk. seien zwar Anwärter gewesen, aber nicht als Mitglied übernommen worden und vor Erlass der Verbotsverfügung aus dem Verein ausgeschieden. Im Übrigen seien die Angaben im Bescheid hinsichtlich der Vereinszugehörigkeit zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung zutreffend. Der Kläger sei Bestandteil der Hells Angels-Bewegung. Ungeachtet des Umstandes der organisatorischen Eigenständigkeit der einzelnen Charter könnten bei den Mitgliedern übereinstimmende Überzeugungen, Werte, Normen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen festgestellt werden. Zudem werde die Zugehörigkeit der einzelnen Charter sowie deren Mitglieder zur Hells Angels-Bewegung durch die Verwendung weltweit einheitlicher Symbole verdeutlicht. Die Mitglieder der Charter bezeichneten sich als „Brüder“. Sie seien einander unter der Losung „einer für alle, alle für einen“ zu gegenseitiger Solidarität verpflichtet. Ein verbindendes Element sei die Freude am Motorradfahren. Die Hells Angels trügen eine Vereinskluft mit Vereinswappen, den sogenannten Back Patches. Der HAMC Kiel sei seit seiner Gründung am 17. September 1994 in Kiel ansässig. Über ein Vereinsheim verfüge der Kläger nicht. Treffpunkt sei insbesondere nicht das Lokal „San-Si-Bar“ in Kiel.

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Die Verbotsverfügung sei rechtswidrig.

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Die gegen das Verbot erhobene Klage müsse Erfolg haben. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht sei gemäß § 48 Abs. 2 VwGO im ersten Rechtszuge zuständig. Ein verwaltungsrechtliches Vorverfahren sei nicht vorgesehen. Die Klagebefugnis des Klägers, der durch die Mitglieder vertreten werde, sei gegeben. Der Kläger sei auch unstreitig klagebefugt. Auch nach seinem Verbot und seiner Auflösung verbleibe ihm eine auf die Rechtsverteidigung im Anfechtungsverfahren beschränkte Rechtsstellung.

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Die vom 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts bisher entwickelten Grundsätze zu § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG trügen den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Vereinigungsfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Die Vereinigungsfreiheit sei grundgesetzlich nach Art. 9 Abs. 1 GG geschützt, wonach alle Deutschen das Recht haben, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Die Verfassungsbestimmung des Art. 9 Abs. 2 GG, welche bestimme, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderliefen verboten seien, schränke die nach Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistete Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit ein. Die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit müsse aber vor dem Hintergrund der auch vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Bedeutung des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit gesehen werden. Es sei eine strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten. Die Verbotsnormen müssten restriktiv angewendet werden. Ein Vereinsverbot komme ohnehin nur in Betracht, wenn eine wirksame Abwehr der verfassungswidrigen Tätigkeit mit milderen Mitteln nicht möglich sei. Zwar genüge es grundsätzlich verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsanforderungen, dass strafbewehrte Verhaltensweisen von Vereinsmitgliedern dem Verein, orientiert an den bisher obergerichtlich herausgearbeiteten Kriterien im Sinne einer dem Vereinscharakter zukommenden strafgesetzwidrigen Prägung, zugerechnet würden. Die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Verbotskriterien müssten jedoch, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen, modifiziert werden. Die strafbaren Handlungsweisen müssten im Verhältnis zu anderen erlaubten Vereinigungsaktivitäten derart im Vordergrund stehen, dass sie nach den Umständen des Einzelfalls der betreffenden Vereinigung das Gepräge geben. Ein Vereinsverbot als Reaktion auf selbst eine Vielzahl von Bagatellstraftaten scheide von vornherein aus. Die Zurechnung strafbaren Verhaltens müsse im Verbotsverfahren besonders kritisch hinterfragt werden. Selbst Straftaten, die von mehreren Vereinsmitgliedern gemeinsam begangen würden, könnten dem Verein nicht zugerechnet werden, wenn die Tat einen Zusammenhang mit dem Verein nicht erkennen lasse. Die Ermittlungen der Verbotsbehörde müssten sich intensiv mit den jeweiligen Absichten und Verhaltensweisen der Mitglieder der betroffenen Vereinigung auseinandersetzen. Die Vereinbarung gegenseitiger Einstands- und Treuepflichten könne für sich genommen eine Zurechnung und Prägung des Vereins nicht begründen. Allein der Umstand, dass innerhalb der subkulturell geprägten Motorradszene mitunter erhebliche Straftaten begangen würden, sei für die Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung unerheblich. Zwar müsse eine Strafgesetzwidrigkeit nicht auf Dauer bestehen, in zeitlicher Hinsicht seien jedoch nur die Straftaten relevant, die seitens der Vereinsmitglieder während der Dauer ihrer Mitgliedschaft begangen wurden. Zusätzlich zu den bislang in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Verbotsvoraussetzungen müsse gefordert werden, dass ein elementarer Angriff auf den Bestand der staatlichen Ordnung vorliegen müsse. Es reiche nicht aus, dass die Straftaten der Selbstbehauptung gegenüber einer konkurrierenden Organisation gedient hätten oder dass die hinsichtlich ihrer Vereinsprägung zu beurteilenden strafbaren Verhaltensweisen von Personen mit Leitungsfunktionen verübt worden seien. Da der Staat zu einem seiner „schwersten Schwerter“ greife, müsse gefordert werden, dass die Vereinigung nicht nur die Rechtsordnung gefährde, sondern sich gegen die verfassungsmäßige Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden richte. Die zugerechneten Taten müssten erkennen lassen, dass sich der Verein als Ganzes gegen die verfasste Rechtsordnung im Staate richte. Ansonsten reiche es aus, die einzelnen Straftaten einzelner Vereinsmitglieder zu ahnden beziehungsweise zu verhindern. Diese über die bisherigen Kriterien hinausgehende Anforderung an die Verhältnismäßigkeit korrespondiere auch mit den anderen beiden Verbotsalternativen des Art. 9 Abs. 2 GG, bei denen jeweils eine „kämpferisch-aggressive Haltung“ gegenüber den geschützten Rechtsgütern vorausgesetzt werde. Diesen Anforderungen genüge - wie noch auszuführen sei - das Vereinsverbot nicht.

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Darüber hinaus sei das Vereinsverbot auch deshalb rechtswidrig, weil das vorgeschaltete Ermittlungsverfahren rechtsfehlerhaft durchgeführt worden sei. Zunächst offenbare der Verfahrensgang, dass der allein zuständigen Verbotsbehörde im Rahmen des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens überhaupt keine Behördenvorgänge vorgelegen hätten. Der Beklagte habe offengelegt, nicht ansatzweise eine eigene Ermittlungstätigkeit entfaltet beziehungsweise Ermessenserwägungen angestellt zu haben. Die Verbotsbehörde des Innenministeriums habe das vereinsrechtliche Verbotsverfahren im Grunde vollständig auf das ihr zugeordnete Landeskriminalamt übertragen. Urheber der Verbotsverfügung sei nicht die Verbotsbehörde, sondern das Landeskriminalamt. Infolge der dem Gericht übersandten ausgewählten Auszüge von Einstellungsverfügungen, Anklageschriften und Urteilen an das Gericht sei klar, dass die Verbotsbehörde über keine eigene Dokumentation der Behördenvorgänge verfügt habe. Dem behördlichen Erkenntnisverfahren hätten keine strafrechtlichen Ermittlungsakten, sondern bestenfalls unvollständige Auszüge zugrunde gelegen. Dem Mitglied Ge. sei im gerichtlichen Verfahren nachträglich ein weiterer Vorgang zur Last gelegt worden, der nach Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten Vereinsbezug aufweise.

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§ 4 VereinsG regele jedoch, dass vor der Verbotsverfügung ein Ermittlungsverfahren durchzuführen sei, in dessen Rahmen die Verbotsbehörde eigenständig das Vorliegen eines Verbotstatbestandes zu prüfen habe. Die Vorschrift gebe der Vereinsbehörde Ermittlungsbefugnisse an die Hand, bestimme aber zugleich auch, dass andere Behörden nicht zu Ermittlungen befugt seien. Vielmehr liege die Zuständigkeit wegen der Schwere des staatlichen Eingriffs in die verfassungsrechtlich gewährleistete Vereinigungsfreiheit ausschließlich bei den obersten Landesbehörden, regelmäßig bei den Innenministerien. Deren Ermittlungstätigkeit dürfe sich nicht in der bloßen Sammlung von Material nachgeschalteter Behörden erschöpfen. Im vorliegenden Falle habe das zuständige Innenministerium selbst überhaupt keine Ermittlungstätigkeit entfaltet. Dies zeige die als Verwaltungsverfahren lediglich übersandte Beiakte „A“. Der Beklagte habe selbst eingeräumt, keinen eigenen Behördenvorgang angelegt zu haben, sondern die vom Landeskriminalamt freigegebenen Dokumente zugrunde gelegt zu haben. Die Ermittlungstätigkeit des Innenministeriums habe sich praktisch in der Unterschriftsleistung unter die vom Landeskriminalamt verfasste Verbotsverfügung vom 18. Januar 2012 erschöpft. Die (lückenhafte) Materialsammlung des Landeskriminalamtes sei erst nachträglich im gerichtlichen Verfahren präsentiert worden. Damit fehle es dem Vereinsverbot zu seiner Wirksamkeit bereits an der zwingend erforderlichen Durchführung des ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens durch die Verbotsbehörde selbst. Die unreflektierte Übernahme der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen und in Strafurteilen festgeschriebenen Erkenntnisse in ein Vereinsverbotsverfahren sei nicht zulässig. Die Verpflichtung eigenständiger Ermittlungen der Verbotsbehörde sei auch deshalb geboten, weil polizeiliche Informationen häufig von einer nicht unabhängigen Instanz zusammengetragen würden. Hier spiele der Wunsch staatlicher Stellen hinsichtlich einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Kriminalisierung der Mitglieder von Motorradclubs - etwa durch Einberufung einer entsprechenden Projektgruppe mit der Zielsetzung, gegen Motorradclubs vorzugehen - eine Rolle. Anlass für die Einsetzung einer solchen Projektgruppe sei beispielsweise die in Notwehr begangene Tötung eines Polizeibeamten durch ein Mitglied der Hells Angels am 17. März 2010 gewesen. Diese Tat habe zu einem Freispruch geführt (BGH, Urt. v. 02.11.2011 - 2 StR 275/11 -). Wahrnehmung und Wirklichkeit sowie Fremd- und Selbstbezichtigung müssten nicht zwangsläufig übereinstimmen und seien im Ermittlungsverfahren durch die Verbotsbehörde kritisch zu hinterfragen. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2013 (BVerwG, - 6 B 40.12 - NVwZ 2013, 521) die Einholung von Informationen bei anderen Behörden als wesentliches Mittel der Sachverhaltsaufklärung angesehen und ausgeführt, es verstehe sich von selbst, dass die Verbotsbehörde im Rahmen ihrer Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts auf Erkenntnisse zurückgreifen dürfe, die je nach dem in Rede stehenden Verbotsgrund bei anderen insoweit befassten Behörden angefallen seien. Dies bedeute aber auch, dass die Verbotsbehörde den Sachverhalt selbst aufklären und einer rechtlichen Beurteilung unterwerfen müsse. Eine Auslagerung der Sachverhaltsermittlung auf unzuständige Dienststellen sei rechtswidrig. Die Verbotsbehörde müsse insbesondere eigene Ermessenserwägungen anstellen und sich von den Zuschreibungen und einseitigen Zielsetzungen der Polizeibehörde abkoppeln. Der Beklagte habe aber offensichtlich aus dem im Verhältnis zum Landeskriminalamt bestehenden Weisungsverhältnis die Berechtigung abgeleitet, das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren auf das Landeskriminalamt übertragen zu dürfen.

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Darüber hinaus sei es mit rechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren, dass ein Verein auf Grundlage unvollständiger Ermittlungen in der Hoffnung verboten wird, man möge im Nachgang die Ermittlungen vervollständigen können. Für die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach die Ermittlungen auch nach dem Erlass der Verbotsverfügung zur Untermauerung der bereits benannten Verbotsgründe fortgeführt werden können, sei eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte den beiden mit Schriftsatz vom 15. Februar 2013 neu eingeführten Ereignissen „Ge.“ und „P.“ eine eigenständige Bedeutung zumesse, komme eine Verwertung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr in Betracht. Selbst wenn man nachfolgenden Ermittlungen eine „indizielle Aussagekraft“ bezüglich der Richtigkeit der Behördenentscheidung beimessen wolle (so etwa BVerwG, Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4.02 - NVwZ 2003, 986), sei grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Bezüglich der Fälle „Ge.“ und „P.“ müsse dabei berücksichtigt werden, dass sich die belastenden Aussagen des Rb. als umfassend wahrheitswidrig erwiesen hätten. Während dessen Zeugenaussage im Schriftsatz des Beklagten vom 15. Februar 2013 noch für „hoch glaubwürdig“ gehalten worden sei, sei aufgrund des Schreibens des Generalbundesanwaltes vom 15. August 2012 eine vollkommen andere Einschätzung zu Tage getreten. Sämtliche der etwa 200 Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der Angaben von Rb., auch die im Schriftsatz vom 15. Februar 2013 neu eingeführten angeblichen Delikte von Ge. und P., hätten eingestellt werden müssen und ein Zusammenhang zwischen den Hells Angels mit dem „Fall BC.“ habe trotz intensiver Suche und staatanwaltlicher Ermittlungen und insbesondere intensiver Nachforschungen zu der angeblich unter einer Halle in einem Gewerbegebiet liegenden Leiche des BC. nicht gefunden werden können. Es sei auch nicht dargelegt worden, welche Informationen des Rb. von der Verbotsbehörde verwendet worden seien und welche nicht.

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Die zwischenzeitlich erfolgten weiteren Verfahrenseinstellungen und die entlastenden Feststellungen der Staatsanwaltschaften seien zunächst hintangehalten worden. Dies zeige eine Manipulation der Dokumentation des (unvollständigen) Behördenvorganges. Das Landeskriminalamt habe erkannt, dass nach der vom Generalbundesanwalt bereits mit Schreiben vom 15. August 2012 offenbarten Unverwertbarkeit der Angaben des Rb. auch die Zuschreibungen der Verbotsverfügung hinsichtlich einer strafgesetzwidrigen Prägung nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Im Ergebnis sei gegenüber dem Gericht umfassend unzutreffend vorgetragen worden in der Hoffnung, dass die Unterdrückung der Behördenvorgänge verborgen bleibe, um die fehlerhaft ermittelte Verbotsverfügung nicht zu gefährden. Die ungeprüfte Übernahme der Zuschreibungen des Landeskriminalamtes durch die Verbotsbehörde verletze im Übrigen auch die strafprozessualen Verfahrensrechte des Klägers, was wiederum auf das verwaltungsgerichtliche Erkenntnisverfahren durchschlage. Eine spätere Beiziehung von Strafverfahrensakten im gerichtlichen Verfahren ersetze die gebotene Aktenführung und den zu leistenden Zurechnungsvorgang im Verwaltungsverfahren nicht.

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Die Verbotsverfügung sei bereits wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs rechtswidrig. Die Verbotsbehörde habe vor dem Erlass der Verbotsverfügung nicht gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von einer Anhörung absehen dürfen. Die Verbotsbehörde habe verkannt, dass die grundsätzlich anerkannte Vermeidung des sogenannten „Ankündigungseffektes“ einer Anhörung nicht automatisch die Rechtsfolge des § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG auslöse, sondern einer Einzelfallbetrachtung auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse bedürfe. Eine Gefahr im Verzuge habe nicht vorgelegen. Die wesentlichen Erkenntnisse der Verbotsverfügung hätten sich auf erhebliche Zeit zurückliegende Ereignisse gestützt. Aktuelle Straftaten oder eine aktuelle Verdichtung des angenommenen Gefährdungspotenzials seien in der Verbotsverfügung nicht aufgeführt worden. Das Vereinsverbot habe sich zudem bereits erhebliche Zeit vor dessen Erlass angekündigt, sodass der angebliche „Ankündigungseffekt“ auch nicht durch ein Absehen von der Anhörung im Verwaltungsverfahren beseitigt werden konnte. Die mit einer grundsätzlich gebotenen Anhörung verbundene Aufklärungsmöglichkeit sei gerade im Rahmen eines vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens besonders wichtig. Die Verbotsbehörde sei angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Vereinigungsfreiheit gehalten, nicht nur belastende, sondern auch entlastende Informationen zu ermitteln. Eine Anhörung des betroffenen Vereins könne gerade insoweit Missverständnisse ausräumen. Deshalb sei auch ein Absehen von der Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG die Ausnahme und restriktiv zu handhaben. Die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die Verbotsbehörde eine sofortige Entscheidung ohne Anhörung für notwendig halten dürfe, weil die mit einer Anhörung verbundene Unterrichtung des betroffenen Vereins über den bevorstehenden Eingriff diesem Gelegenheit gegeben hätte, seine Infrastruktur, Beweismittel und sein Vermögen dem behördlichen Zugriff zu entziehen, werde der Bedeutung der Vereinigungsfreiheit und der gebotenen Einzelfallgerechtigkeit nicht gerecht.

22

Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach einer Erörterung des Vereinsverbots in den Medien und der Öffentlichkeit nicht der gleiche „Ankündigungseffekt“ zukommt, wie ihn eine Anhörung im Rahmen eines konkreten Verbotsverfahrens gehabt hätte (BVerwG, NVwZ-RR 2011, 14), sei nicht überzeugend. Im Einzelfalle könne sehr wohl eine vorausgehende Diskussion in den Medien und der Öffentlichkeit die Annahme begründen, dass der betroffene Verein von einer Verbotsabsicht der Behörde ausgehe. Der Verweis auf einen möglichen „Ankündigungseffekt“ gehe in solchen Fällen grundsätzlich fehl. Das Absehen von der Anhörung mit der Begründung, der Verein könne ansonsten Vermögenswerte beiseiteschaffen, sei schon grundsätzlich unzulässig, da die Vermögenseinziehung ohnehin verfassungswidrig sei. Aber auch unabhängig von dieser Fragestellung müsse im Einzelfall festgestellt werden, welche wirtschaftliche Relevanz das Vereinsvermögen aufweist, dessen Beiseiteschaffen vermieden werden soll. Die unabdingbar einzelfallbezogene Begründung des Absehens von der Anhörung fehle hier. Die Verbotsbehörde habe lediglich abstrakte Rechtsgrundsätze angeführt, jedoch keine Tatsachen benannt. Es sei nicht einmal ersichtlich, ob die Verbotsbehörde die Möglichkeit einer Anhörung überhaupt in Betracht gezogen habe. Insoweit hätte auch geprüft werden müssen, ob eine Anhörung unter Gewährung kürzester Anhörungsfristen als milderes Mittel vorzuziehen sei. Darüber hinaus sei - was die Gefahr des Beiseiteschaffens von Vereinsvermögen aufgrund einer Anhörung angehe - zu berücksichtigen, dass nur das Vereinsverbot, nicht aber die Vermögenseinziehung von der Behörde mit Sofortvollzug versehen worden sei. Aufgrund der der Verbotsbehörde gesetzlich zugewiesenen umfassenden Ermittlungsbefugnisse könnten ausreichend Vorkehrungen getroffen werden, um einem möglichen „Ankündigungseffekt“ der Anhörung entgegensteuern. Beispielsweise habe die Behörde Möglichkeiten der Beweissicherung in Anwendung strafprozessualer Vorschriften bei der Beschlagnahme von Beweismitteln. Möglichen Verschleierungsmaßnahmen könne auch durch Auskunftsverlangen gegenüber Vorstandsmitgliedern eines Vereins gemäß § 10 Abs. 4 VereinsG begegnet werden. So könne - was in der Vergangenheit auch geschehen sei - die Vorlage eines Bestandsverzeichnisses gefordert werden. Eine stereotype Unterlassung der grundsätzlich gebotenen Anhörung mit dem pauschalen Argument des drohenden „Ankündigungseffektes“ überzeuge deshalb nicht. Dem Kläger sei die Möglichkeit abgeschnitten worden, auf eine Anhörung hin die Entwicklung ab dem Zeitpunkt der letzten zur Last gelegten Straftaten darzulegen. Das Agieren des Vereins in der Zeit nach dem Verbot des HAMC Flensburg hätte berücksichtigt werden müssen. Keinesfalls sei das Anhörungsverfahren deshalb entbehrlich, weil der Kläger aufgrund des vorangegangenen Verbotes des HAMC Flensburg mit einem eigenen Verbot habe rechnen müssen. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse v. 20.12.2013 - 7 B 18/13 und 7 B 19/13 -).

23

Das gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 VereinsG einzuholende Benehmen des Bundesministeriums des Innern liege nicht in zureichender Form vor. Der Beklagte habe zwar unter Vorlage eines Entwurfs der Verbotsverfügung um das Einvernehmen des Bundesministers des Innern nachgesucht. Die in Bezug genommenen Behördenakten seien jedoch soweit ersichtlich nicht vorgelegt worden. Bei dieser Sachlage sei ein geordnetes Prüfungsverfahren des Bundesministers des Innern zur Erteilung des Einvernehmens ausgeschlossen. Zu den Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung der Herstellung des Benehmens fehle bislang höchstrichterliche Rechtsprechung. Es könne nicht ausreichen, dass dem Bundesminister des Innern lediglich Mitteilung über die Verbotsabsicht gemacht wurde. Fordere man über eine bloße Anhörung hinaus eine stärker Beteiligungsform im Sinne einer Verständigung, die von dem Willen getragen ist, auch die Belange der anderen Seite zu berücksichtigen, sei die Übermittlung der zum Vereinsverbot gehörenden Akten und Erkenntnisquellen unabdingbare Voraussetzung. Das Benehmenserfordernis dürfe nicht dahingehend verkommen, dass vom Bundesinnenministerium nur der Verbotswunsch ungeprüft übernommen und eine bloße Freigabe erteilt wird. Vielmehr sei eine eingehende Überprüfung der vom Land angeführten Verbotsvoraussetzungen zu fordern. Wie im gerichtlichen Verfahren bereits gerügt worden sei, könne die allein vom Beklagten übersandte Beiakte „A“ wegen ihrer erkennbaren Unvollständigkeit nicht den gesamten Verwaltungsvorgang darstellen. Der Behördenvorgang sei nachträglich auf vom Landeskriminalamt zusammengestellte Auszüge aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beschränkt worden, die nach eigenen Angaben im Schriftsatz vom 15. Februar 2013 der Verbotsbehörde selbst zum Erlasszeitpunkt der Verbotsverfügung nicht bekannt gewesen seien. Die Nutzung weiterer Erkenntnisquellen sei auch mit Schriftsatz vom 19. Juni 2012 bestätigt worden. Die Unvollständigkeit des Behördenvorganges stehe deshalb fest. Vorgelegten Auszügen aus Strafverfahrensakten komme kein gerichtsverwertbarer Gehalt zu, weil sie nicht Gegenstand des Erkenntnis- und Ermittlungsverfahrens der Verbotsbehörde gewesen seien. Die Verletzung der Aktenführungspflicht vereitele die Rechtskontrolle des Vereinsverbotes. Das auf ausreichender Erkenntnisgrundlage fußende Ermittlungsverfahren müsse vor der Verbotsverfügung durchgeführt werden, was vorliegend mangels Vorlage aller der Verbotsverfügung zugrundeliegenden Erkenntnismittel nicht überprüfbar sei. Die Verwaltungsakten stellten die Grundlage des behördlichen Handels dar und müssten deshalb vollständig sein, damit die Behörden ihrer aus der Bindung an Gesetz und Recht und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflicht zur Objektivität nachkommen könnten. Eigene Behördenvorgänge des Fachreferats des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein seien in der Beiakte „A“ überhaupt nicht dokumentiert. Die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sowie aus den einfachgesetzlichen Regelungen der § 29 VwVfG und § 99 VwGO folgende Pflicht zur umfänglichen Aktenführung sei deshalb verletzt. Hierdurch werde auch der Kläger in seinen Rechten verletzt, weil er die Klage nur bei Vorlage vollständiger Verwaltungsvorgänge vollumfänglich begründen könne. Die Verteidigungsmöglichkeit des Klägers werde erheblich eingeschränkt und die Vertretung durch die Verfahrensbevollmächtigten behindert. Das Gericht verletze die eigene Aufklärungspflicht, wenn es nicht auf der Vorlage sämtlicher Akten bestehe.

24

Die Verbotsverfügung sei desweiteren rechtswidrig, da sie von sachfremden Erwägungen getragen sei. Das Vereinsverbot gliedere sich in eine Reihe von aktuellen Verbotsverfahren gegen Vereinigungen sogenannter Rockerclubs ein. Obwohl trotz umfangreicher und zielgerichteter Ermittlungen ein Nachweis einer organisierten kriminellen Vereinigung in keinem Falle habe geführt werden können, sei seitens der Polizei die Strategie von Vereinsverboten etabliert worden. Der historisch bedingte, jedoch unverschuldete schlechte Ruf der Hells Angels in den USA habe die Bereitschaft, den Motorradclub allgemein zu kriminalisieren, gefördert.

25

Eine (strafrechtliche) Sanktion innerhalb der Vereine gegen Waffenhandel sei in keinem einzigen Fall erforderlich geworden. Im Übrigen sei die gewerbliche Tätigkeit einiger Mitglieder im Rotlichtmilieu vollkommen legal. Die auf Vorurteilen basierende Strategie der Kriminalisierung sei durch eine Bund-Länder-Projektgruppe in einem 64 Seiten umfassenden Dokument zur Bekämpfung der „Rockerkriminalität“ zu Papier gebracht worden. Dies basiere auf der aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu belegenden Annahme, dass Rockergruppierungen im Allgemeinen der organisieren Kriminalität nahe stünden. Die in dem Strategiepapier empfohlenen Maßnahmen könnten nur als ein umfassendes Stigmatisierungskonzept verstanden werden. Dementsprechend gebe es eine Vielzahl von Beispielen medienwirksamer polizeilicher Großeinsätze, die gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstießen. So hätten beispielsweise in Norddeutschland vor der Verhandlung des Vereinsverbotes des HAMC Charter Flensburg am 19. Juni 2012 vor dem Senat etwa 1200 Polizisten Wohnungen und Vereinsheime der Hells Angels gestürmt. Zugleich sei das Gerücht gestreut worden, die Hells Angels hätten eine Leiche im Keller. Diesbezügliche Aussagen des Belastungszeugen Rb. hätten sich jedoch als haltlos erwiesen. An die Eigentümerin der abgerissenen Lagerhalle seien Schadensersatzleistungen in Höhe von etwa 800.000,-- Euro gezahlt worden. Das planvolle, gegen
Rockervereinigungen gerichtete Vorgehen der Innenministerien sei mit der Polizeifestigkeit der Vereinigungsfreiheit unvereinbar. Die flächendeckenden Überwachungsmaßnahmen, insbesondere auch die Mobiltelefonortung der einzelnen Mitglieder von Motorradclubs und das damit erzielte Bewegungsprotokoll seien rechtsstaatlich bedenklich.

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Die Verbotsverfügung beruhe nicht nur auf Voreingenommenheit, sondern auch auf der Außerachtlassung soziologischer und kriminologischer Erkenntnisse. Entgegen der Auffassung der Verbotsbehörde, wonach aufgrund des hierarchisch geordneten Vereinslebens kriminelle Handlungen befördert und kriminelle Strukturen geschaffen werden können, wiesen die Forschungsergebnisse genau auf das Gegenteil hin. Die Organisationskultur der Motorradclubs definiere sich im Wesentlichen durch eine Aushandlungsordnung, welche durch vielfältige Möglichkeiten zur chancengleichen Partizipation und der Mitwirkung an Entscheidungsfindungsprozessen geprägt werde. Das Klischee von sozial auffälligen oder delinquenten Mitgliedern der Rockervereinigungen sei verkehrt. Diese perspektivische Verengung habe zu einer fehlerhaften Zurechnung einzelner Straftaten von Mitgliedern gegenüber dem Verein geführt. Zum Beweis für die im Einzelnen benannten unzutreffenden Grundannahmen des Beklagten bezüglich der Vereine der Hells
Angels werde Ass. Jur. Florian C. Albrecht MA als sachverständiger Zeuge benannt.

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Für den Fall, dass sich der Senat der umstrittenen Rechtsmeinung anschließen wolle, dass auch nachträgliche Umstände zur Begründung des Vereinsverbots herangezogen werden können, müsse einer verbotenen Vereinigung auch zugestanden werden, nach dem Vereinsverbot etwa durch Ausschluss von Mitgliedern und die Aufgabe von Mitgliedschaften den in Streit stehenden Verbotstatbestand zu entkräften.

28

Soweit sich die Verbotsbehörde auf lediglich anhängige Ermittlungsverfahren gestützt habe, komme der Annahme eines strafrechtswidrigen Vereinsverhaltens für das Vereinsverbot keine rechtliche Bedeutung zu. Anderenfalls werde der Grundsatz der Unschuldsvermutung verletzt. Es solle nicht verkannt werden, dass einige Mitglieder des Klägers strafrechtlich auffällig geworden seien. Die Verbotsverfügung setze jedoch einen konstitutiven Beschluss voraus, kollektiv Straftaten zu begehen oder zu unterstützen. Letztlich sei auch zu fordern, dass die staatliche Rechtsordnung vor einer Situation stehe, der mit den allgemein zur Verfügung stehenden Eingriffs- und Sanktionsmaßnahmen nicht mehr begegnet werden könne. Dies sei hier nicht der Fall. Die allgemeinen Annahmen der Verbotsbehörde seien nicht belegt. Die Behauptung einer Machtentfaltung im kriminellen Wirtschaftsbereich gegenüber konkurrierenden Gruppierungen werde ohne Nachweis lediglich behauptet. Dies lasse sich weder aus einer Satzung noch aus sonstigen Äußerungen und Handlungen von Mitgliedern oder Funktionsträgern belegen. Die vorgeworfenen Straftaten seien individuell veranlasst und auf einen spontanen, nicht planmäßigen Entschluss der jeweiligen Täter zurückzuführen. Sie könnten dem Verein nicht zugerechnet werden. Insbesondere falsch sei die allgemeine Annahme der Verbotsbehörde, wonach allein die Zugehörigkeit zur Hells Angels-Dachorganisation ein nicht unerhebliches Indiz für eine bewusst außergesetzliche Ausrichtung der Mitgliedervereine sei und man hieraus einen den Strafgesetzen zuwiderlaufenden Zweck begründen könne.

29

Entgegen der Annahme seien sämtliche Mitglieder des Klägers wirtschaftliche Eigentümer von Motorrädern. Zwar möge es zutreffen, dass Herr F. über keinerlei Fahrerlaubnis der Klasse A verfüge; dies sei jedoch unerheblich, weil Herr F. niemals Mitglied im HAMC Kiel gewesen sei.

30

Die Verpflichtung zu gegenseitiger Solidarität der Mitglieder der Hells Angels dürfe für sich allein genommen nicht negativ bewertet werden. Die der Verbotsverfügung zugrunde liegende Annahme, der verbotene Verein werde aufgrund umfassender Hilfeleistungen und gegenseitiger Einstandsverpflichtungen durch die von seinen Mitgliedern begangenen Straftaten geprägt, betreffe nur den „inneren Tatbestand“, der einer Beurteilung durch Außenstehende nur sehr eingeschränkt zugänglich sei und der Überzeugungsbildung der Verbotsbehörde nicht ohne weiteres zugrundegelegt werden dürfe. Objektive Belege sei der Beklagte schuldig geblieben. Der Verweis des Beklagten in der Verbotsverfügung auf einen sogenannten Defense-Fund gehe ebenso fehl wie der Verweis auf eine Satzung des Klägers. Die von der Verbotsbehörde in Bezug genommene Satzung sei den Mitgliedern des Klägers selbst unbekannt. Es könne nur vermutet werden, dass die Informationen von dem Informanten des Landeskriminalamtes Rb. stammten, dessen Angaben unverwertbar seien. Mangels Kenntnis der Urheberschaft der Satzungen und deren Authentizität komme eine Verwertung im Verbotsverfahren nicht in Betracht. Dokumente, die den Bestand oder die Funktion eines Defense-Funds belegen könnten, habe der Beklagte nicht vorgelegt. Ein solcher Defense-Fund existiere auch nicht. Im Übrigen würde es sich dabei um die Wahrnehmung einfachgesetzlich beziehungsweise verfassungsrechtlich verbürgter Jedermannsrechte handeln, die den Rechtsstaat ausmachen, nicht aber strafgesetzwidrige Organisationen prägen.

31

Unter Erörterung der einzelnen, vom Beklagten in der Verbotsverfügung und im gerichtlichen Verfahren angeführten Straftaten macht der Kläger geltend, diese könnten - soweit diesbezüglich überhaupt Verurteilungen erfolgt seien - nicht als prägend dem Verein zugerechnet werden. Teils lägen sie viele Jahre zurück, teils fehle den im Privaten zu verortenden Vorgängen jeder Vereinsbezug. Teils - wie dies etwa bei Herrn K. der Fall sei - hätten die Beschuldigten seit langem den Verein verlassen oder - wie dies bei Herrn F. der Fall sei - dem Verein niemals angehört. K. (F.) sei ab dem 14. April 2000 als Secretary zum HAMC Lübeck gewechselt und habe ab da auch nicht mehr faktisch dem Kläger angehört. Anderslautende Behauptungen unter Berufung auf ein angebliches - nicht vorgelegtes - sogenanntes Meeting-Protokoll träfen nicht zu. Etliche Straftaten beruhten auf den Aussagen des vollkommen unglaubwürdigen Zeugen Rb.. Dies betreffe etwa die im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 15. Februar 2013 nachträglich zur Begründung angeführte angebliche „Rückerpressung“ einer von den Herren R., J. und K. an die Opfer gezahlten Entschädigung. Bei den in Frage stehenden Waffendelikten sei ein Vereinsbezug nicht nachgewiesen und im Übrigen ohne Kenntnis der Ermittlungsakten und sonstiger Behördenvorgänge auch nicht einer Rechtskontrolle zugänglich. Die Annahme einer systematischen Bewaffnung und bevorstehenden Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen habe sich im Übrigen nicht bestätigt. Bei den angeblichen Waffendelikten vernachlässige der Beklagtenvertreter die gebotene Unterscheidung zwischen bloßen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten. Vielfältige, allerdings vom Beklagten nicht erwähnte Kontrollen hätten gerade keinen Waffenbesitz ergeben, was gegen eine systematische Bewaffnung des Klägers spreche.

32

Soweit Straftaten im Zusammenhang mit der Prostitution in Streit stünden, gelte Folgendes: Der HAMC Kiel betreibe keine Bordelle und sei auch in keiner sonstigen Weise wirtschaftlich in das Prostitutionswesen verstrickt. Das verurteilte ehemalige Vereinsmitglied St. sei bereits im Jahr 1997 - dem Jahr seiner Verurteilung - kein Vereinsmitglied im HAMC Kiel mehr gewesen und bereits 2005 verstorben. Eine Zurechnung zum Kläger sei schon deshalb nicht möglich. Der am 8. September 1998 wegen Zuhälterei in drei Fällen verurteilte Ge. sei zum Tatzeitpunkt im Jahre 1998 ebenfalls kein Mitglied im HAMC Kiel gewesen. Die Tat zeige auch keinen Vereinsbezug auf. Zudem liege die Tat 14 Jahre zurück. Auch die übrigen im Zusammenhang mit der Prostitution erhobenen Vorwürfe seien dem Verein nicht zuzurechnen. Der Beklagte grenze auch nicht deutlich den ohne Weiteres zulässigen Betrieb einer prostitutiven Einrichtung von der im Jahr 2003 noch strafbaren Tathandlung durch P. und D.R ab. Vielmehr werde in rechtlich unzulässiger Weise der Betrieb und die Unternehmensführung eines Bordells kriminalisiert, um einen Zusammenhang zur Organisationsstruktur des Klägers mit strafgesetzwidriger Zweckrichtung herzustellen. Der Betrieb der prostitutiven Einrichtung sei vollkommen legal und die Begründung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen auch mit Mitgliedern der Hells Angels oder zwischen Mitgliedern des gleichen Charters seien unbedenklich und wiesen keine strafgesetzwidrige Tätigkeit oder Zweckrichtung auf. Die Annahme einer strafrechtswidrigen Prägung des Klägers wegen Betätigung im Prostitutionswesen sei in doppelter Hinsicht fehlerhaft. Einerseits übe der Verein selbst keine gewerbliche Tätigkeit aus, andererseits sei die vom Beklagten beanstandete gewerbliche Tätigkeit einiger weniger Mitglieder uneingeschränkt legal.

33

Zur vorgeworfenen Tatbegehung des Einschleusens von Ausländerinnen hätten sich im Übrigen weder P. noch D.R der Vereinsstruktur bedient, sondern im eigenen wirtschaftlichen Interesse gehandelt. Zudem liege auch diese gegenständliche Tat bereits 13 Jahre zurück. Die Straftaten, wegen derer Kr. verurteilt worden sei, könnten dem Verein nicht zugerechnet werden. Weder habe der Kläger Herrn Kr., von dessen krankhaften Zügen er erst nach seinem Verlassen des Vereins Kenntnis erlangt habe, unterstützt, noch liege eine fehlende ausreichende Distanzierung im Nachhinein vor. Die Straftaten, die im Zusammenhang mit Betäubungskriminalität angeführt würden, könnten einen Zurechnungszusammenhang zum HAMC Kiel ebenfalls nicht begründen. Insbesondere hätten sich die jeweiligen Beschuldigten nicht des Klägers zum Zwecke der Finanzierung bedient. Die Erwägung, dass Kr. bei der Einfuhr von mindestens 1,5 Tonnen Marihuana aus den Niederlanden im Zeitraum von Oktober 1999 bis zum 29. Juni 2001 sich der Organisation des Klägers bedient haben müsse, weil der Ankauf und der Absatz einer derart großen Menge von einem Einzeltäter nicht zu bewerkstelligen sei, sei spekulativ. Kr. habe sich anderer Personen bedient, nicht jedoch der Vereinsstruktur des Klägers. Darüber hinaus sei auch hier von entscheidender Bedeutung, dass Herr Kr. zum Verbotszeitpunkt am 18. Januar 2012 nicht Mitglied des Vereins gewesen sei. Außerdem liege die Tatbegehung 10 Jahre zurück.

34

Zusammenfassend lasse sich sagen, dass die angeführten Gewalttaten überwiegend Individualtaten seien. Die Tatbegehungen seien entweder widerlegt oder jedenfalls nicht belegt oder individuell veranlasst und lange zurückliegend. Im Übrigen genügten die
Taten - soweit sie überhaupt feststünden - hinsichtlich der Intensität und des fehlenden Funktionszusammenhangs zum Kläger nicht zur Begründung eines Vereinsverbotes. Der unerlaubte Waffenbesitz mit angeblichem Vereinsbezug sei ebenfalls widerlegt beziehungsweise nicht belegt. Es handele sich um individuell zu verantwortende Ordnungswidrigkeiten, die auch in ihrer Vielzahl in einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren nicht zu einer zurechnungsfähigen Straftat würden. Von einer allgemeinen Bewaffnung könne nicht ausgegangen werden. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen den Straftaten in Verbindung mit der Prostitution und der Vereinstätigkeit bestehe nicht. Insbesondere übe der Verein keine gewerbliche Tätigkeit, auch nicht im Prostitutionswesen aus. Teilweise fehle der Tatbezug zur Prostitution, teilweise lägen Individualtaten ohne Vereinsbezug vor, die teilweise sogar über 13 Jahre zurücklägen. Die dem Vereinsmitglied P. sehr vage unterstellte Vergewaltigung sei, wenn überhaupt geschehen, höchst persönlich veranlasst und ohne jeden Bezug zu Dritten. Entsprechendes gelte für die BTM-Delikte. Die beiden angeführten Taten seien von Einzeltätern mit eigener wirtschaftlicher Interessenlage begangen worden, lägen über 10 Jahre zurück und wiesen auf keine Dauerhaftigkeit hin. Die nachträglich in das gerichtliche Verfahren eingeführten strafrechtlichen Vorwürfe gegen das Vereinsmitglied Hi., für die sich angeblich bei der Durchsuchung
anlässlich der Zustellung der Verbotsverfügung Hinweise gefunden haben sollen (Verdacht des Versicherungsbetruges, Besitz eines sogenannten Delta-Darts), träfen nicht zu.

35

Der Kläger übe weder eine legale noch illegale wirtschaftliche Tätigkeit aus. Der Handel mit Waffen, Drogen und Menschen werde von der Verbotsbehörde lediglich unterstellt, jedoch nicht belegt. Die Mitglieder des HAMC Kiel seien auch nicht im Türstehergewerbe tätig. Soweit einzelne Mitglieder Bordelle betrieben oder darin arbeiteten, handele es sich um eine legale unternehmerische Tätigkeit und vollkommen beanstandungsfreie Arbeitsverhältnisse. Eine Gebiets- und Machtentfaltung zur Gewinnung und Verteidigung von Territorien in bestimmten Wirtschaftsfeldern sei auch nicht ansatzweise belegt. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppierungen sei es nicht gekommen. Die Vereinsmitglieder seien insbesondere nicht in Kutten aufgetreten und hätten keinerlei Vereinsinsignien gezeigt. Einer etwa in Betracht kommenden ordnungsrechtlichen Gefahrenlage sei bereits durch die stattgefundenen Gefährdungsabsprachen zwischen der Polizei und dem Vereinsvorstand vorgebeugt worden, sodass für ein Vereinsverbot kein Raum mehr sei.

36

Als einzige Tathandlung von Relevanz komme der Vorfall vom 15. März 2010 im Fitnessstudio „WellYou“ in Kiel in Betracht. Zwar habe der Senat entschieden, dass im Einzelfall bereits ein Vorfall allein die strafgesetzwidrige Prägung auslösen könne. Der Vorfall vom 15. März 2010 sei jedoch weder von der Veranlassung, noch von der Intensität, Tatausführung, Planung, Organisation und der Anzahl beteiligter Vereinsmitglieder vergleichbar. Die Tat habe nicht der Selbstbehauptung gegenüber einer konkurrierenden Organisation gedient. Vereinszeichen seien keine getragen worden. Bei den drei betroffenen Personen habe es sich mit einer Ausnahme nicht um Vereinsmitglieder gehandelt. Leitungsfunktionen seien keine ausgelöst oder wahrgenommen worden. Entsprechende strafbare Verhaltensweisen im Bereich der Mitglieder seien nicht aufgetreten oder im Interesse des Vereins begangen worden.

37

Im Übrigen gebiete - wie bereits ausgeführt - die Verfassung selbst strengere Zurechnungskriterien als die bisher in der Rechtsprechung entwickelten. Die bisherigen durch das Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze zur Annahme einer Strafgesetzwidrigkeit entspringe einer verfassungswidrigen Anwendung und Auslegung des Tatbestandsmerkmales „Strafgesetzwidrigkeit“. Es könne nicht ausreichend sein, wenn die
Begehung einer oder mehrerer Straftaten die Zurechnungskriterien erfülle. Angesichts der überragenden Bedeutung der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG setze ein Vereinsverbot voraus, dass die Freiheitsgewährleistung des Art. 9 Abs. 1 GG in einer Weise ausgeübt wird, die letztlich zur erheblichen Beeinträchtigung von Rechtsgütern geeignet ist und daher die über die Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Friedens- und Ordnungsfunktion des Staates aktiviert. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Es gebe keine Hilfestellung von Mitgliedern zu den von ihnen begangenen Straftaten und auch keine Unterstützungsleistung gegenüber in Haft befindlichen Vereinsmitgliedern. Etwaige Besuche im Gefängnis dienten der Resozialisierung, zu der der verbotene Verein im Rahmen der gegenseitigen Solidarität nach den Bestimmungen des Strafvollzugs durch die Unterstützung inhaftierter Mitglieder vollkommen legal beigetragen habe. Hieraus zusätzliche Argumente für ein Vereinsverbot gewinnen zu wollen, sei eine Verkehrung der Rechtslage. Auch könne dem Verein nicht angelastet werden, Vorbestrafte als Vereinsmitglieder aufzunehmen oder zu dulden. Die Forderung, Personen mit Vorstrafen auszuschließen, würde auf eine zweite Bestrafung der Betroffenen hinauslaufen und sie von der legitimen Teilhabe am Gemeinwesen ausschließen, was mit dem Verbot der Doppelbestrafung unvereinbar sei und die Menschenwürde verletze. Zu Unrecht sei deshalb die Verbotsbehörde von einem isolierten Zurechnungsgrund bei der Aufnahme von Straftätern in den Verein ausgegangen. Auch Straftäter dürften einen Verein gründen und an diesem partizipieren. Anderenfalls könnte angesichts der Ubiquität von Straftaten nahezu jeder Verein mit einem größeren Mitgliederbestand - etwa auch der ADAC - als verbotswürdig angesehen werden.

38

Jedenfalls verstoße das Vereinsverbot gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Einhaltung dieses Grundsatzes sei vom Beklagten nicht nachvollziehbar begründet worden. Vielmehr sei die Straffälligkeit einiger weniger Vereinsmitglieder vollkommen übertrieben worden. Bereits die Tatsache, dass bei dem beklagten Innenministerium als Teil des hierarchischen Behördenaufbaus sich die Positionen des Ermittlers und des Richters vereinigen würden, ließen exekutive und judikative Aufgaben verschwimmen und bedingten eine Verletzung des Rechtstaatsgebotes und fast zwangsläufig einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßgebot. Die Ermessensentscheidung sei entscheidend von dem vorgefassten Wunsch nach Kriminalisierung der Hells Angels geprägt. Grundannahme der Verbotsbehörde sei das Erfordernis des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität. Da jedoch der Kläger nicht dem Verdikt einer kriminellen Vereinigung unterfalle und auch keine kriminelle „Parallelgesellschaft“ bilde, sei jedes Mittel zur Beseitigung des verbotenen Vereins rechtswidrig.

39

Mildere Mittel wie zum Beispiel partielle Vereinsbetätigungsverbote sowie Maßnahmen und Auflagen polizeilicher, versammlungsrechtlicher oder auch presserechtlicher Natur hätten als milderes Mittel erwogen werden müssen. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner unklaren Rechtsprechung die Auffassung vertrete, die Verbotsbehörde müsse auf der Rechtsfolgenseite grundsätzlich keine Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Verbots anstellen (BVerwG, NVwZ 2013, 521, 525), so werde dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Der Beklagte hätte auf der Rechtsfolgenseite prüfen müssen, ob bloße Auflagen - etwa aufgenommene Straftäter auszuschließen oder die Besuche inhaftierter Mitglieder einzustellen - die angenommene Gefahrenlage ebenfalls beseitigen könnten. Auch habe sich die Verbotsbehörde nicht mit der Frage
einer zeitlichen Befristung des Vereinsverbots befasst.

40

Der Beklagte habe Art. 11 EMRK nicht hinreichend berücksichtigt. Nach Satz 1 der Vorschrift dürfe die Ausübung der Vereinigungsfreiheit nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig seien für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Der EGMR habe in ständiger Rechtsprechung den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Demokratie, Pluralismus und Vereinigungsfreiheit herausgestellt. Hiernach reiche es nicht aus, wenn das Vereinsverbot nur nützlich oder zweckmäßig zur Verfolgung solcher öffentlicher Bedürfnisse beitragen kann; vielmehr müsse das Verbot einem zwingenden sozialen Bedürfnis folgen. Dabei müsse das Nichtvorhandensein milderer Mittel nach der Rechtsprechung des EGMR von der Verbotsbehörde bewiesen werden. Dies habe der EGMR in seinem Urteil vom 11.11.2011 (Verein Rhino u.a. / Schweiz) noch einmal bestätigt.

41

Diese Rechtsprechung des EGMR sei bisher in der bundesdeutschen Rechtsprechung nicht berücksichtigt worden, was mit den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zur völkerrechtsfreundlichen Rezeption des Konventionstextes im deutschen Recht unvereinbar sei. Der Beklagte sei der ihm hiernach obliegenden Nachweispflicht bezüglich des Nichtvorhandenseins milderer Mittel nicht nachgekommen.

42

Schließlich unterliege die Art und Weise der Datengewinnung durch die Verbotsbehörde grundsätzlichen Bedenken. Die Informationen, die ihnen durch unterstellte beziehungsweise sonstige Hilfsbehörden im Sinne von § 4 Abs. 1 VereinsG übermittelt würden, unterlägen als personenbezogene Daten dem Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG folgenden Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Mangels einer bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage fehle es bereits an der Befugnis der Verbotsbehörde, diejenigen personenbezogenen Daten, die zur Durchführung des Verbotsverfahrens erforderlich seien, zu erheben. Ebenso fehle es an einer bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen von Hilfeleistungen untergeordneter Behörden gemäß § 4 Abs. 1 VereinsG. Insbesondere sei die Datenübermittlung zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Verbotsbehörde unzulässig, da Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht zu den durch § 4 Abs. 1 VereinsG bezeichneten Hilfsbehörden gehörten. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfe die Abfrage von Daten (bei untergeordneten Dienststellen) und die Übermittlung der Daten jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage. An einer solchen Rechtsgrundlage fehle es aber. Die allgemeine Aufgabenzuweisung des § 3 VereinsG sei hierfür nicht geeignet. Ohne einen normativ klar festgeschriebenen Eingriffstatbestand dürfe daher die Verbotsbehörde keine Daten bei nachgeordneten Dienststellen abfragen. § 4 Abs. 1 VereinsG wiederum lasse schon dem Wortlaut nach eine Übermittlung von Daten durch Strafverfolgungsbehörden nicht zu. Zwar sei die Frage, ob das Landesrecht ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen für eine Datenerhebung der Verbotsbehörde bei dritten Behörden bereitstelle, eine Auslegungsfrage des nicht revisiblen Landesrechts (BVerwG, Beschl. v. 09.04.2013 - 8 B 71.12 -, BeckRS 2013, 50105 Rn. 3). Vorliegend stehe aber ein Verstoß gegen des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG herzuleitenden bundesverfassungsrechtlichen Grundsatz ausreichender Normenbestimmtheit in Frage. Es sei zumindest zu diskutieren, ob die Schwere der durch Datenerhebungen von Verbotsbehörden bei dritten Behörden ausgelösten Grundrechtseingriffe für die Betroffenen nicht zwingend eine bundesrechtliche Regelung im Vereinsgesetz voraussetze. Der Bundesgesetzgeber habe hinsichtlich der Regelung des öffentlichen Vereinsrechts von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und den Regelungsgegenstand der Gesetzgebungskompetenz der Länder vollständig entzogen. Aus diesem Grunde könnten landesgesetzliche Bestimmungen für die im Rahmen des vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens stattfindende Datenverarbeitung nicht herangezogen werden. Der Bund habe eine grundrechtlich verankerte Verantwortung für den Umgang mit bei der Verbotsbehörde erhobenen, verarbeiteten und gespeicherten personenbezogenen Daten.

43

Die unzulässige Informationserhebung sowie die bereits beschriebenen Mängel des Verwaltungsverfahrens könnten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht geheilt werden. Das Gericht sei gehindert, einen Ausgleich von Fehlern bei der Sachverhaltsaufklärung mittels eigenständiger Ermittlungen zu beseitigen. Verfahrensfehlerhaft erlangte Beweismittel unterlägen vielmehr einem Verwertungsverbot im gerichtlichen Verfahren.

44

Auch die Feststellung, dass der Verein Hells Angels MC Charter Kiel sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte (Ziffer 1 Satz 2 der Verbotsverfügung), sei rechtswidrig und aufzuheben. Erforderlich sei hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine kämpferisch-aggressive Verwirklichung verfassungsfeindlicher Ziele, das heißt, dass der Verein die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben
wolle. Dies werde vom Beklagten nicht ansatzweise dargelegt. Eine Veränderung des Demokratieprinzips strebe der Kläger nicht an. Er nehme gar keine politischen oder rechtsstaatlichen Sonderrechte für sich in Anspruch. Soweit es im Konfliktfalle zwischen Handlungsweisen und der geltenden Rechtsordnung der staatlichen Regulierung und obrigkeitlicher Sanktionierung bedürfe, werde das Gewaltmonopol des Staates ausdrücklich anerkannt. Die Unterstellung der Einrichtung eines Defense-Funds, um Mitglieder der Hells Angels im Falle staatlicher Sanktionen wirtschaftlich abzusichern, würde lediglich für ein die Wahrnehmung von Vereinsrechten organisiertes Handeln ohne Außenwirkung sprechen. Eine kämpferisch-aggressive Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung könne hierin schlechterdings nicht gesehen werden. Dementsprechend habe der erkennende Senat auch im Verfahren 4 KS 2/10 die gegen den Verein Hells Angels MC Charter Flensburg getroffene Feststellung insoweit aufgehoben.

45

Der Kläger beantragt,

46

die Verfügung des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 18. Januar 2012 aufzuheben.

47

Der Beklagte beantragt,

48

 die Klage abzuweisen.

49

Er macht geltend, zusätzlich zu den in der Verbotsverfügung angeführten Straftaten seien weitere Strafermittlungsverfahren gegen Vereinsmitglieder zu berücksichtigen, welche vor Erlass der Verbotsverfügung begangen worden seien. So sei das Mitglied Ge. wegen räuberischer Erpressung angeklagt (Az. 593 Js 20067/12). Die Anklage sei beim Landgericht Kiel anhängig (10 KLs 35/12). Dem Präsidenten des Klägers werde vorgeworfen, die Rückerpressung einer bereits geleisteten Zahlung veranlasst zu haben, zu der sich Vereinsmitglieder zur Abgeltung von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen verpflichtet hatten. Die räuberische Erpressung weise Vereinsbezug auf. Aus den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Kiel vom 14. Juni 2012 gegen Rb. (28 KLs 1/11) gehe hervor, dass führende Vereinsmitglieder zahlreiche Straftaten veranlasst hätten, die von Mitgliedern der Legion 81, dem Supporter-Club des HAMC Kiel, verübt wurden und durch die die Gründung eines Chapters des Bandidos MC in Preetz verhindert werden sollte. Auch wenn das Strafverfahren gegen Ge. wegen Anstiftung zu einem Angriff mit einer Schusswaffe auf das Opfer Be. in Preetz gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, lasse sich den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Kiel gegen Rb. entnehmen, dass zahlreiche Straftaten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verhinderung der Gründung eines Chapters des Bandidos MC in Preetz sowie der Auseinandersetzung mit Mitgliedern des zwischenzeitlich gegründeten Bandidos MC Probationary Chapter Neumünster standen. Die einzelnen Straftaten seien auf Veranlassung und im Interesse des Klägers durch Mitglieder des Supporter-Clubs begangen worden. Sie seien dem Kläger zuzurechnen.

50

Der von den Vereinsmitgliedern P., D.R und St. geführte Bordellbetrieb stelle sich letztlich als organisatorischer Teil des Vereinslebens dar. Den Feststellungen des die genannten Vereinsmitglieder betreffenden Urteils der 7. Großen Strafkammer des Landgerichts Kiel vom 16. April 2003 lasse sich entnehmen, dass sich die drei Täter die Organisationsstruktur der Organisation der Hells Angels zu Nutze gemacht hätten, indem sie Mitglieder als Wirtschafter eingesetzt hätten.

51

Zu Unrecht meine der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der Beklagte habe seine Ermittlungsbefugnisse und Pflichten nicht selbst und eigenständig wahrgenommen. Hierzu habe das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 29. Januar 2013
(6 B 40.12) ausdrücklich festgehalten, die Einholung von Informationen bei anderen Behörden sei ein wesentliches Mittel der Sachverhaltsaufklärung und stehe nicht etwa in einem Gegensatz zur eigenständigen Ermittlung. Es verstehe sich von selbst, dass es an dieser eigenständigen Würdigung nicht allein deshalb fehle, weil die Verbotsbehörde ihr überzeugend erscheinende Feststellungen anderer Behörden und Gerichte übernehme. Im Übrigen liege bereits in der Fertigung der in der Verbotsverfügung enthaltenen
Begründung und der Entscheidung, welche einzelnen Vorgänge in der Verbotsverfügung aufgezählt werden, eine intensive eigene Auseinandersetzung des zuständigen Fachreferats mit den Erkenntnissen anderer Dienststellen.

52

Zu Unrecht moniere der Kläger, dass sich die Verbotsverfügung zwar an einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit halte, diese Rechtsprechung aber der Bedeutung des betroffenen Grundrechts der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG sowie dem entsprechenden Grundrecht aus Art. 11 EMRK nicht gerecht werde. Dies verkenne, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer ganzen Reihe von Entscheidungen zu Vereinsverboten und deren Rechtsfolgen bei Anwendung dieser etablieren Grundsätze jeweils keine Grundrechtsverletzungen angenommen habe. Auch der Beklagte habe in der Verbotsverfügung angenommen, dass Art. 11 EMRK vor Erlass eines Vereinsverbotes die Prüfung der Möglichkeit milderer Mittel verlange.

53

Teilweise verkenne der Kläger offensichtlich die Anwendbarkeit schleswig-holsteinischen Verfahrensrechtes sowie des schleswig-holsteinischen Polizeiorganisationsgesetzes. Ausführungen zu hessischem Landesrecht seien nicht relevant.

54

Mit seiner Sachverhaltsdarstellung bestätige der Kläger letztlich, dass sämtliche Personen, deren Straftaten die Verbotsverfügung des Beklagten dem Kläger zurechne, auch tatsächlich Mitglieder des Klägers waren. Soweit dies bei einzelnen Mitgliedern des Vereins zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung nicht der Fall war, sei die Zurechnung keine Frage des Sachverhalts, sondern eine Rechtsfrage.

55

Soweit der Kläger den vom Landeskriminalamt als Zeugen in diversen Strafverfahren gehörten Rb. für unglaubwürdig halte und sich hierbei auf eine Einschätzung des Generalbundesanwaltes beziehe, sei dies für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung nicht relevant, da diese in überwiegenden Teilen nicht auf Aussagen des Rb. als Zeugen gestützt sei, sondern nur in geringen Teilen auf ein Urteil des Landgerichts Kiel gegen Rb. und im verbleibenden Rest nur auf solche Aussagen des Rb., die zugleich von anderen Zeugen bestätig worden seien. Entgegen der Darstellung des Klägers seien auch nicht sämtliche auf den Aussagen des Rb. fußende Ermittlungsverfahren eingestellt worden.

56

Nicht relevant für die hier streitgegenständliche Verbotsverfügung sei ein angeblich voreingenommenes und schikanöses Verhalten gegenüber den Hells Angels in anderen Bundesländern sowie die vom Kläger angeführte Existenz eines Strategiepapiers einer Bund-Länder-Projektgruppe zu einer „Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität“ und zur angeblichen Umsetzung dieses Papiers unter anderem in Berlin. Der Kläger habe selbst ausgeführt, dass Bezugnahme auf sonstige Vorfälle und Konflikte im Bundesgebiet für den verbotenen Verein nicht prägend seien.

57

Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Das beklagte Innenministerium sei nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VereinsG für den Erlass der Verbotsverfügung zuständig gewesen. Der Beklagte habe als oberste Landesbehörde im Rahmen der Ermittlungen die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellen in Anspruch nehmen dürfen. Dies schließe ein, dass die Verbotsbehörde
- der Beklagte - die Ermittlungen vollständig dadurch führe, dass sie bei anderen Behörden Erkenntnisse abfrage und sich diese nach einer Prüfung zu eigen mache. § 4 Abs. 1 Satz 1 VereinsG erlaube es den vom Beklagten ersuchten Behörden, innerhalb ihrer Aufgaben und Befugnisse dieselben auch dafür zu nutzen, gezielt für ein Vereinsverbot relevante Informationen zu ermitteln. Insbesondere die Polizei dürfe Ermittlungshilfe leisten. Sowohl das Landeskriminalamt, aber auch sämtliche weiteren Behörden und Dienststellen der Polizei seien originär, erst Recht aber nach einem entsprechenden Ermittlungsersuchen des Beklagten befugt, Ermittlungen zu betreiben, die zielgerichtet auf ein Vereinsverbot hinführen. Das Verwaltungsverfahren sei im Wesentlichen so geführt worden, dass das zuständige Fachreferat des Beklagten bei den anderen beteiligten Stellen innerhalb und in geringerem Umfang auch außerhalb des Beklagten die jeweils für das Vereinsverbot erforderlichen Informationen abgefragt habe, beginnend mit einer vom Landeskriminalamt erstellten Materialsammlung. Diese Informationen seien dann einer eigenen Bewertung unterzogen worden und daraufhin die hier streitgegenständliche Verbotsverfügung erstellt worden. Es sei nicht zu beanstanden, dass der weitere Entstehungsprozess der Verbotsverfügung und die Willensbildung innerhalb des Beklagten im Verwaltungsvorgang nicht dokumentiert sei. Der eigentliche Entscheidungsprozess zeige sich in der Begründung des Verwaltungsaktes in Form der Verbotsverfügung. Auch sonst sei es üblich, dass Behörden selbst umfangreichste, teilweise mehrere tausend Seiten starke Verwaltungsakte ohne jeglichen schriftlichen Vorbereitungsvermerk direkt aus extern beschafften oder von anderen Behörden zur Verfügung gestellten Unterlagen erstellen. Zu Unrecht rüge der Kläger eine „ausschließliche und unreflektierte Übernahme der im
Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen und in Strafurteilen festgeschriebenen
Erkenntnisse hinsichtlich der maßgeblichen Vereinsaktivitäten in ein Verbotsverfahren“. Zum einen habe das Fachreferat des Beklagten die Erkenntnisse anderer Behörden im Rahmen der Übernahme in die Verbotsverfügung einer eigenen Prüfung unterzogen, zum anderen übersehe der Kläger, dass es sich bei der Entscheidung über ein Vereinsverbot grundsätzlich um eine gebundene Entscheidung handele. Der Beklagte sei nicht verpflichtet, ausschließlich auf eigene Ermittlungsbefugnisse gemäß § 4 VereinsG zurückzugreifen. Diese Vorschrift stelle aus sich heraus keine Vorschrift zum Schutz der Rechte des Vereins dar, sondern erweitere lediglich die Befugnisse der Verbotsbehörde.

58

Für die gerichtliche Überprüfung einer Verbotsverfügung sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Verbotsverfügung maßgeblich. Gleichwohl dürfe aus nach dem Zeitpunkt der Verbotsverfügung eingetretenen Tatsachen darauf zurückgeschlossen werden, dass die Voraussetzungen des Vereinsverbots im Zeitpunkt der Verbotsverfügung bereits vorgelegen hätten. Auch das Vereinsgesetz selbst gehe davon aus, dass das Ermittlungsverfahren nicht mit der Verbotsverfügung ende, sondern darüber hinaus fortgeführt werde. So setze beispielsweise die Mitwirkungspflicht der Vorstandsmitglieder im Ermittlungsverfahren gemäß § 10 Abs. 4 VereinsG erst mit dem Verbot ein. Auch dem Kläger sei nicht verwehrt, nachträglich Tatsachen zu ermitteln, die entweder vor dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Verbotsverfügung eintraten oder aber auf diesen Zeitpunkt zurückschließen ließen. Demgegenüber sei es dem Kläger verwehrt, nach Erlass der Verbotsverfügung erstmals Tatsachen zu schaffen, die den im maßgeblichen Zeitpunkt der Verbotsverfügung bestehenden Sachstand nachträglich ändern würden.

59

Von einer Anhörung vor dem Vereinsverbot habe der Beklagte zu Recht wegen des damit verbundenen Ankündigungseffektes abgesehen. Eine vorherige Anhörung hätte es dem Kläger ermöglicht, gegebenenfalls zu beschlagnahmendes und einzuziehendes Vereinsvermögen sowie potentiell mit der Zustellung der Verbotsverfügung zugleich zu sichernde Beweismittel dem Zugriff der Verbotsbehörde zu entziehen. Dem lasse sich auch nicht entgegenhalten, dass die Vermögenseinziehung gemäß § 11 Abs. 2 VereinsG erst mit der Unanfechtbarkeit des Vereinsverbots wirksam werde. Die hierauf zielende Argumentation des Klägers verkenne den Unterschied zwischen der endgültig wirksamen Vermögenseinziehung und der Beschlagnahme des Vereinsvermögens gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 2, 10 VereinsG.

60

Das gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG erforderliche Benehmen - nicht Einvernehmen - mit dem Bundesministerium des Innern sei durch Übersendung des Entwurfes der Verbotsverfügung und die anschließende Erklärung des Bundesministeriums des Inneren, dass gegen das hier streitgegenständliche Vereinsverbot keine im Rahmen des § 3 Abs. 2 Satz 2 VereinsG zu prüfenden Bedenken bestünden, hergestellt worden.

61

Die Verbotsverfügung sei auch nicht etwa deshalb (formell) rechtswidrig, weil der zugrunde liegende Verwaltungsvorgang den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aktenführung nicht entspreche. Dem Vorgang seien diejenigen Informationen zu entnehmen, die dem zuständigen Fachreferat des Beklagten schriftlich unmittelbar vorgelegen hätten. Die zu Rate gezogenen Strafverfahrensakten seien nicht fotokopiert, aber inhaltlich zu Rate gezogen worden. Auf die jeweiligen strafrechtlichen Ermittlungsakten werde in der Verbotsverfügung verwiesen. Damit sei das Ergebnis der behördlichen Entscheidung für das Gericht überprüfbar. Dass der Beklagte vom Kläger verlangte Akten im gerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt habe, sei keine Verweigerung der Vorlage von Akten, die nach den Maßstäben des § 99 VwGO erfolgen dürfte. Vielmehr habe der Beklagte schlicht darauf hingewiesen, dass er diejenigen Akten, die er über den eigentlichen Verwaltungsvorgang hinaus als Erkenntnisquelle nutzte, selbst nicht vorlegen könne, da sie bei ihm nicht vorhanden seien, dass aber die jeweils aktenführende Stelle dem erkennenden Gericht diese Akten vorlegen könne.

62

Die Datenerhebung von personenbezogenen Daten im Verbotsverfahren einschließlich der Übermittlung von Daten aus den Strafverfahren sei jedenfalls im Sinne der § 11 Abs. 1 Nr. 2 LDSG zulässig gewesen gemäß §§ 162 Abs. 2, 177 Abs. 1, 178 Abs. 1 Satz 2, 179 Abs. 1, 189 Abs. 1 Satz 4, 191 LVwG i.V.m. §§ 474 Abs. 2, 481 StPO. Da sich der Begriff der verantwortlichen Stelle im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 LDSG an den vom Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrecht vorgegebenen Behördenbegriff anschließt, sei das Fachreferat des Beklagten für Vereinsverbote und das Landeskriminalamt im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 LDSG eine einheitliche öffentliche Stelle. Informationsflüsse zwischen Fachreferat und Landeskriminalamt seien dementsprechend keine Datenübermittlung im Sinne des Datenschutzrechts und bedürften keiner entsprechenden rechtlichen Grundlage. Selbst wenn § 4 VereinsG keine hinreichende Ermächtigung für die Datenverarbeitung im Sinn des § 11 Abs. 1 Nr. 3 LDSG wäre, sei die konkrete Datenverarbeitung des Beklagten jedenfalls gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 LDSG aufgrund mehrerer besonderer und bereichsspezifischer Rechtsgrundlagen zulässig, hilfsweise zudem aufgrund der Generalklausel des § 14 LDSG i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LDSG und § 13 Abs. 3 Nr. 2 LDSG. Für die gerichtliche Beiziehung von Akten aus den Strafverfahren durch das erkennende Gericht sei § 99 Abs. 1 VwGO eine hinreichende gesetzliche Grundlage. Entsprechend habe auch bereits der erkennende Senat im Urteil vom 19. Juni 2012 (4 KS 2/10) entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Beschluss vom 29. Januar 2013 (6 B 40.12) die Beiziehung der Strafakten im genannten Verfahren für rechtmäßig erachtet und im Übrigen die Auslegung des Landesrechts durch den erkennenden Senat als einer revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen angesehen.

63

Die Verbotsverfügung sei auch materiell rechtmäßig gemäß § 3 Abs. 1 VereinsG. Entgegen der Auffassung des Klägers sei es nicht erforderlich, dass der Verein in seinem
Gesamtcharakter strafgesetzwidrig geprägt sei. Es reiche aus, dass dem Verein Straftaten in einer Weise zuzurechnen seien, die zumindest einen nicht völlig unbeachtlichen strafgesetzwidrigen Zweck und eine nicht vollständig untergeordnete strafgesetzwidrige Tätigkeit des Vereins belegen. Auch das straffällige Verhalten einfacher Mitglieder reiche für die Zurechnung aus, wenn zu einem strafbaren Verhalten einfacher Mitglieder ein
Zurechnungsgrund in Form strafbaren oder straffreien, aber auf die Straftaten bezogenen Funktionsverhaltens hinzutrete, was eine Zurechnung ermögliche. Entsprechendes könne auch aus der Satzung des klagenden Vereins abgeleitet werden. So könne auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus der besonderen Verpflichtung zu umfassender gegenseitiger Solidarität der auf wenige Personen beschränkten Mitglieder sowie deren strafrechtlich relevantem Verhalten eine Zurechnung der Straftaten einzelner Mitglieder zum Verein folgen. Soweit der Kläger unter Berufung auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung strengere Zurechnungskriterien reklamiere, gebe er die zitierte Rechtsprechung jedenfalls teilweise unvollständig und unrichtig wieder. Insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 18.10.1988
- 1 A 89.83 -) gehe hervor, dass auch eine Strafbarkeit nur einzelner Vereinsmitglieder für eine Zurechnung in einem Verbot ausreichen könne. Auch Ermittlungsverfahren, die zu einer Einstellung gemäß §§ 170 Abs. 2, 153, 153 a StPO geführt hätten, seien nicht von vornherein für eine Verwertung im Vereinsverbotsverfahren ungeeignet. Hinsichtlich der einzelnen unter 1a) bis 1i) in der Verbotsverfügung aufgelisteten Gewalttaten sei sämtlich eine Vereinsprägung anzunehmen, auch wenn - im Wesentlichen mangels Zuordnung der Taten zu einzelnen konkreten Vereinsmitgliedern - die Strafermittlungsverfahren eingestellt worden seien. Soweit es um Taten des F., geb. K., gehe, möge dieser zwar formell aus dem klagenden Verein ausgetreten sein, er habe sich aber bis zum Vereinsverbot aktiv am Vereinsleben beteiligt. Der formelle Austritt sei damit zu erklären, dass nach den gemeinsamen, übergreifenden Statuten aller Charter der Hells Angels ein Charter nur dann neu gegründet werden dürfe, wenn es mindestens sechs Vollmitglieder aufweise. Da der hier klagende Kieler Ortsverein mehr als sechs Vollmitglieder hatte, habe sich F. seit Anfang 2010 für den neu gegründeten Ortsverein in Lübeck als Funktionsträger zur Verfügung gestellt, sei aber materiell gleichwohl Mitglied des Klägers geblieben. Laut einem sogenannten Meetingprotokoll vom 29. März 2011, das im Rahmen des Vollzugs des hier streitgegenständlichen Vereinsverbotes am 31. Januar 2012 beim ehemaligen Secretary Ct. sichergestellt wurde, sei F. ab März 2011 (auch) wieder Funktionsträger beim Kläger gewesen. Spätestens seit März 2011 sei er als Vice-President beim Kläger tätig gewesen. Offiziell hingegen sei F. in der Zeit vom 16. Januar 2010 bis zum 22. Februar 2011 Secretary beim HAMC Lübeck gewesen. Seit dem 22. Februar 2011 sei er
Vice-President beim HAMC Southport. Aus diesem Grunde sei er in der Verbotsverfügung nicht als betroffenes Mitglied des klagenden Vereins angeführt. Gleichwohl seien dessen Taten dem Verein zuzurechnen.

64

Eine Zurechnung von Straftaten von Mitgliedern des Supporter-Clubs
Legion 81 scheitere nicht deshalb, weil dessen Vice-President, Rb., unglaubwürdig sei. Zwar habe der Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof seinerzeit vom Leitenden Oberstaatsanwalt in Kiel Aussagen des Rb. vorgelegt bekommen, wonach Mitglieder des sogenannten National-Sozialistischen-Untergrund (NSU) Waffen aus einem dem Zeugen Rb. bekannten Umfeld gekauft hätten und sich zu diesem einzelnen Komplex, dessen Verfahrensübernahme abgelehnt wurde, dahingehend geäußert, dass die entsprechenden Aussagen des Rb. rein tatsächlich unbrauchbar seien. Zu den übrigen bei den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein und dem Landeskriminalamt des Beklagten anhängigen Verfahrenskomplexen, in denen Aussagen des Rb. von Bedeutung sein konnten und können, habe sich der Generalbundesanwalt jedoch nicht geäußert. Hinzukomme, dass die Ausführungen des Rb. durch andere Zeugenaussagen gestützt würden.

65

Die teilweise als Straftat, teilweise als Ordnungswidrigkeit geahndeten, teilweise eingestellten Verfahren wegen der einzelnen unter 2 a) bis 2 v) aufgelisteten Waffendelikte vermöchten für sich genommen ein Vereinsverbot nicht zu tragen, seien aber ergänzend in den (verklammernden) Gesamtzusammenhang einzustellen.

66

Hinsichtlich der Straftaten im Zusammenhang mit der Prostitution betreibe zwar der klagende Verein selbst nach eigenem Verständnis keine Bordelle. Allerdings bestreite auch der Kläger nicht, dass mehrere seiner Mitglieder, darunter insbesondere Funktionsträger wie der Präsident, im Prostitutionsgewerbe tätig seien. Bei den Straftaten mit Bezug auf die Prostitution sei eine Zurechnung auch möglich durch die nachträgliche Förderung solcher Straftaten. Auch wenn der wegen schweren Menschenhandels und Körperverletzung verurteilte St. (Ziffer 3 a) der Verbotsverfügung) erst nach der Tat Vereinsmitglied geworden sein sollte, so habe der Verein dessen Tat im Nachhinein gebilligt und müsse sich diese zurechnen lassen, auch wenn sie bereits Jahre zurückliege. Auch bei dem wegen Zuhälterei in drei Fällen sowie Körperverletzung verurteilen Ge. komme es nicht darauf an, ob die der Verurteilung zugrundeliegenden Straftaten begangen wurden, als dieser schon Vereinsmitglied gewesen sei. Der Kläger müsse sich den unter 3 b) der Verbotsverfügung aufgelisteten Tatkomplex ebenfalls wegen nachträglicher Billigung zuordnen lassen. In jedem Fall sei auch anhand dieser Tat die Hinwendung der Mitglieder des Klägers zum Prostitutionsmilieu und zu szenetypischen Straftaten zu erkennen, von der der Kläger insgesamt geprägt sei.

67

P., D.R. und St. seien durch das Landgericht Kiel (Az.: 7 KLs 2/03) wegen gemeinschaftlichen und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Hierbei seien führende Funktionsträger des Klägers gemeinsam tätig geworden. Zwar sei der Betrieb eines Bordells für sich allein betrachtet rechtmäßig. Strafbar seien allerdings bestimmte, mit diesem Betrieb einhergehende Verstöße gegen Strafgesetze wie im vorliegenden Falle die begangenen Straftaten gegen das Ausländergesetz durch Beihilfe zum illegalen Aufenthalt durch Einschleusen. Zwar sei die (unter 3 c) der Verbotsverfügung abgehandelte) Tat nicht eine solche des klagenden Vereins insgesamt. Es habe sich aber um eine Tat der beiden herausragenden Funktionsträger gehandelt, die diese Tat in einem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld begingen, in dem auch eine Mehrzahl anderer Vereinsmitglieder tätig gewesen seien und sich dort fortlaufende Einkünfte aus Tätigkeits- und Beschäftigungsverhältnissen im Bordellbereich versprochen hätten. Auch die unter3 d) und e) aufgeführten Straftaten seien dem Verein zuzurechnen, auch wenn erstere gemäß § 154 Abs. 1 StPO nicht weiter verfolgt worden sei und letztere keine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Gegenstand habe. Auch der unter 3 f) abgehandelte Tatkomplex weise Vereinsbezug auf. Kr., der bis Ende 2006 dem Kläger angehört habe, sei wegen Menschenhandel zum Zweck der Zuhälterei, Zuhälterei sowie gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden (Landgericht Kiel Az.: 10 KLs 4/11). Der Ausschluss des Kr. aus dem klagenden Verein bedeute keine Distanzierung von dessen Taten. Kr. sei auch nicht im Hinblick auf diese Straftaten ausgeschlossen worden.

68

Ferner gehe aus dem Urteil des Landgerichts Kiel vom 14. Juni 2012 (28 KLs 1/11) hervor, dass Rb. die Prostituierte W. gezwungen habe, dem Vereinsmitglied P. sexuell zu Diensten zu sein, um sich als Präsident des Supporter-Clubs Ansehen beim Kläger zu verschaffen, wessen sich P. auch bewusst gewesen sei. Aus diesem Grunde sei auch dieses nachträglich vom Beklagten ermittelte und in das Verfahren eingeführte Tatgeschehen als vereinsprägend dem Kläger zuzurechnen. Dies sei auch bei den in der Verbotsverfügung aufgelisteten Betäubungsmitteldelikten der Fall.

69

Schließlich sei das Mitglied Hi. entgegen der Ausführungen des Klägers sehr wohl noch strafrechtlich in Erscheinung getreten. So seien bei der Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts Schleswig im Zusammenhang mit der Zustellung des hier streitgegenständlichen Vereinsverbotes am 31. Januar 2012 bei Hi. ein sogenanntes Delta-Dart sowie zwei sogenannten Nunchakus aufgefunden worden, womit sich Hi. strafbar gemäß § 52 Waffengesetz gemacht habe. Er sei diesbezüglich mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 7. Dezember 2013 (Az.: 34 Gs 80/12) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,-- Euro verurteilt worden. Bei der Durchsuchung seien ferner Unterlagen aufgefunden worden, die auf mehrfache Betrugshandlungen zum Nachteil von Versicherungsunternehmen hindeuteten. Den an den Taten beteiligten Mitarbeitern einer Versicherungsgesellschaft werde in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Kiel vom 15. April 2013 vorgeworfen, zahlreiche Schadensmeldungen von Mitgliedern des HAMC Kiel oder ihnen nahestehenden Personen reguliert zu haben, obgleich die in den Anträgen geschilderten Ereignisse nicht stattgefunden hätten. Herr Hi. habe seine Funktion als Bevollmächtigter von Personen erklärt, die der Gruppierung Hells Angels zuzurechnen seien. Die erschlichenen Versicherungsleistungen seien teilweise nicht an die Mitglieder des Klägers ausgezahlt worden, sondern über Hi. als „Treasurer“ des Klägers auch unmittelbar dem Vereinsvermögen zugutegekommen. Hieraus ergebe sich ein vereinsrechtlicher Bezug dieser Straftaten zum Kläger.

70

Das Vereinsverbot sei im Übrigen verhältnismäßig im weiteren und im engeren Sinne. Der Beklagte habe Minusmaßnahmen als mildere Mittel erwogen, sei aber zwangsläufig zu dem Ergebnis gekommen, dass gleich geeignete Minusmaßnahmen als mildere Mittel gegenüber einem Vereinsverbot nicht ersichtlich seien. Ein zeitlich befristetes Vereinsverbot wäre als milderes Mittel nur geeignet, wenn die dem Verein zuzurechnenden Straftaten aus äußeren Umständen herrührten, die erkennbar mit Zeitablauf wegfallen würden, was hier offensichtlich nicht der Fall sei. Auch im Übrigen zeige der Kläger keine gleich geeigneten Minusmaßnahmen auf.

71

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte des vorliegenden Verfahrens (insbesondere auf die Klagebegründung v. 28. August 2013, die Klagerwiderung v. 16. Dezember 2013 und den Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers v. 17. Februar 2014) und des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ( 4 MR 2/12 ), die gerichtlichen Beiakten (Beiakte B I und B II) sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten (Beiakte A) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

72

Die Klage ist zulässig.

73

Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, da der streitgegenständliche Verwaltungsakt von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist (§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist innerhalb der Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes in Vollmacht aller nach dem Vorbringen des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorhandenen Mitglieder des klagenden Vereins erhoben worden. Die Klageerhebung für einen nicht rechtsfähigen Verein hat gem. § 62 Abs. 3 VwGO in Vollmacht seiner gesetzlichen Vertreter und Vorstände zu erfolgen. Dies sind gem. § 54 i.V.m. § 709 Abs. 1 BGB die Mitglieder des Vereins gemeinschaftlich, da im vorliegenden Falle nicht durch Satzung Stimmenmehrheit vereinbart oder eine Übertragung der Geschäftsführung erfolgt ist.

74

Dass die in der Verbotsverfügung namentlich benannten G. und Jk. die Klage nicht gemeinschaftlich mit erhoben haben, ist unschädlich, da sie, wie der nunmehrige Prozessbevollmächtigte in der Klagebegründung vom 28. August 2013 unwidersprochen ausgeführt hat, zwar zeitweilig den Status eines Prospects hatten, jedoch nie den Status eines Vollmitglieds erreichten und zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung auch aus dem Verein ausgeschieden waren. Umgekehrt ist auch unschädlich, dass die Klage auch namens und in Vollmacht von Herrn F. mit erhoben wurde, der - wie der Kläger unwidersprochen vorgetragen hat - niemals Vereinsmitglied war.

75

Lediglich für das Vollmitglied XY wurde bei Erhebung der Klage zunächst keine Vollmacht vorgelegt. Dies wurde jedoch durch den nunmehrigen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 20. April 2012 nachgeholt (Bl. 75 PA). Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Klage auch in Vollmacht von Herrn Neumann erhoben wurde. Dass für Herrn Tk. keine Vollmacht durch den nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden ist, berührt die Wirksamkeit der Klageerhebung schon deshalb nicht, weil bei Klageerhebung eine Vollmacht für den ursprünglichen Prozessbevollmächtigten vorlag (Bl. 61 R).

76

Der Kläger ist auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats wirksam durch seinen Prozessbevollmächtigten - Herrn Rechtsanwalt Kh. - vertreten. Die fehlende Vollmacht für Herrn Tk. ändert hieran nichts. Herr T. ist nach dem nicht bestrittenen Vortrag in der Klagebegründung nicht Vollmitglied, sondern hat den Status “Prospect“ inne. Seine Vollmacht ist deshalb für eine wirksame Bevollmächtigung durch den klagenden Verein nicht erforderlich.

77

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Voraussetzung ist, dass ein Verwaltungsakt angefochten wird, der zum Zeitpunkt der Klageerhebung erlassen worden sein muss.
Hieran bestehen keine Zweifel. Zum einen ist die Verbotsverfügung vom 18. Januar 2012 am 30. Januar 2012 allen Vollmitgliedern wirksam bekanntgegeben worden, sei es durch Aushändigung der Verfügung, sei es durch Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 181 Abs. 1 ZPO). Soweit einzelne Mitglieder sich geweigert haben, das jeweilige Empfangsbekenntnis zu unterschreiben, galt die Verbotsverfügung mit der Annahmeverweigerung als zugestellt (§ 179 S. 3 ZPO). Abgesehen davon, dass der Kläger Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung der Verbotsverfügung an alle seine Mitglieder nicht geltend macht, wäre dies auch unerheblich, da etwaige Zustellungsmängel jedenfalls durch die Zustellungsfiktion geheilt wären (§§ 56 Abs. 1 u. 2 VwGO, 189 ZPO) und an der Wirksamkeit des Verbots nach Veröffentlichung des Verfügungstenors im Bundesanzeiger (BAnz 26/2012 v. 15.02.2012, 616) ohnehin kein Zweifel besteht (§ 3 Abs. 4 S. 3 VereinsG).

78

Die Klage ist jedoch im Wesentlichen unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist lediglich insoweit rechtswidrig und daher gem. § 113 Abs. 1 VwGO aufzuheben, als in ihm festgestellt wird, dass der Kläger sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, ohne dass allerdings hierdurch die Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Feststellung, dass der Kläger verboten ist, berührt würde.

79

Die formellen Voraussetzungen für den Erlass der Verbotsverfügung, insbesondere die Schriftform, die Begründung sowie die Bekanntmachungen im Bundesanzeiger sowie im amtlichen Mitteilungsblatt des Landes Schleswig-Holstein (AmtsBl. S-H 2012 Nr. 10,
S. 180) gem. § 3 Abs. 4 S. 1 u. 2 VereinsG, sind erfüllt.

80

Der Beklagte als für die Regelung des Vereinswesens oberste Landesbehörde war gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VereinsG für den Erlass der Verbotsverfügung zuständig, da sich die nach den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Informationen erkennbare Organisation und Tätigkeit des Klägers auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein beschränkte. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dem Kläger eine eigenständige Stellung als Vereinigung innerhalb der bundes- und weltweiten sogenannten Bewegung der “Hells Angels“ zukommt. Die Mitglieder des Klägers sind in Schleswig-Holstein wohnhaft; wesentliche Aktivitäten des Vereins außerhalb Schleswig-Holsteins sind nicht bekannt geworden.

81

Unabhängig von der Frage, ob der Kläger lediglich eine Teilvereinigung eines über das Gebiet Schleswig-Holsteins hinausgehenden größeren Vereins der “Hells Angels Bewegung“ darstellt und eine Einholung des Benehmens des Bundesministers des Innern nach § 3 Abs. 2 S. 2 VereinsG erforderlich war, ist dieses Benehmen vorsorglich hergestellt worden. Das Anschreiben des Beklagten an das Bundesministerium des Innern vom
12. Januar 2012, mit dem um Herstellung des Benehmens nach § 3 Abs. 2 S. 2 des Vereinsgesetzes nachgesucht wurde, enthielt in der Anlage den Entwurf der Verbotsverfügung. Die darin enthaltenen Informationen reichten jedenfalls aus, um den Bundesinnenminister in die Lage zu versetzen, bei Zweifeln an der Recht- oder Zweckmäßigkeit des erbetenen Benehmens weitere Nachfragen gegenüber dem Beklagten zu tätigen. Dieses ist jedoch nicht erfolgt. Vielmehr bedankte sich das Bundesministerium des Innern mit Schreiben vom 17. Januar 2012 unter dem Betreff: “Herstellung des Benehmens nach § 3 Abs. 2 S. 2 VereinsG“ für die Übersendung des Entwurfes einer Verbotsverfügung und teilte mit, das Bundesministerium des Inneren habe keine Anmerkungen. Damit ist den Anforderungen des § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 VereinsG jedenfalls Genüge getan. Die vorherige Übermittlung sämtlicher Informationsgrundlagen für die beabsichtigte Verfügung ist für eine wirksame Einholung des Benehmens nach § 3 Abs. 2 S. 2 VereinsG nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung des Senats, Urt. v. 19.06.2012 - 4 KS 2/10 -; v. 13.11.2012 - 4 KS 1/10 -). In dem Umstand, dass dem Bundesministerium nicht die weiteren zum Vereinsverbot vorliegenden Erkenntnisquellen vorgelegen haben, liegt deshalb entgegen der Auffassung des Klägers kein Verfahrensfehler, der Zweifel an der Wirksamkeit des vorsorglich hergestellten Benehmens begründen könnte (vgl. so auch VGH Hessen, Urt. v. 21.02.2013 - 8 C 2134/11 -, Juris). Erst recht hängt die Frage, ob die Entscheidung der Verbotsbehörde im Benehmen mit dem Bundesministerium des Innern erfolgt ist, nicht davon ab, ob ein im Sinne des Klägers “vollständiger“ Verwaltungsvorgang geführt wurde oder ein solcher vollständig dem Gericht zur Verfügung gestellt worden ist.

82

Der Beklagte durfte von einer Anhörung des Klägers vor Erlass der Verbotsverfügung absehen. Zwar ist grundsätzlich dem von einem Eingriff in seinen Rechten Betroffenen vor Erlass eines Verwaltungsaktes Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 87 Abs. 1 LVwG). Hiervon kann jedoch unter anderem abgesehen werden, wenn eine Anhörung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist, insbesondere eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 87 Abs. 2 Nr. 1 LVwG). Diese Voraussetzungen lagen vor. Mit dem Verbot des Klägers ist, entsprechend der in § 3 Abs. 1 S. 2 VereinsG vorgesehenen Regel, auch die Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens sowie Sachen Dritter verfügt worden. Der Beklagte hat sich in seiner Verfügung insoweit auf einen unerwünschten „Ankündigungseffekt“ einer behördlichen Anhörung bezogen, die es dem Kläger ermöglicht hätte, Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu entziehen und damit ein wirksames Vorgehen gegen den Verein beeinträchtigt oder unmöglich gemacht hätte. Dieser Aspekt stellt einen nachvollziehbaren Gesichtspunkt dar, unter dem gem. § 87 Abs. 2 Nr. 1 LVwG im öffentlichen Interesse auf eine Anhörung verzichtet werden durfte, selbst wenn ein mögliches Verbot des klägerischen Vereins schon einige Zeit vorher in der öffentlichen Diskussion gefordert oder erwogen worden war (vgl. BVerwG, ständige Rechtsprechung, Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 -, Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 -, BVerwGE 134, 275 f., beide Juris, m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Klägers bleibt dieser Aspekt nachvollziehbar, auch wenn der Kläger nicht über ein eigenes Vereinsheim verfügte. Hierdurch wurde die Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen, dass - bei einer Ankündigung des Vereinsverbotes - Vereinsvermögen oder Sachen Dritter und Beweismittel beiseitegeschaffen würden. Der Umstand allein, dass sich die Mitglieder nach Vorbringen des Klägers nicht in einem eigenen Vereinsheim trafen, entzieht dieser Befürchtung nicht von vornherein die Grundlage. Ausreichend ist vielmehr, dass die Verbotsbehörde aufgrund ihr bekannt gewordener Tatsachen annehmen durfte, eine Anhörung könnte der betroffenen Vereinigung die Gelegenheit geben, ihr Vermögen, verbotsrelevante Unterlagen oder dergleichen dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Dies ist in aller Regel bereits dann der Fall, wenn es tatsächliche Hinweise auf das Vorhandensein von nennenswerten Vermögensgegenständen oder Beweismaterialien gibt. Weitergehender Feststellungen und Erläuterungen bedarf es dann nicht (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2013 - 6 B 40.12 -, DÖV 2013, 609 und v. 19.11.2013
- 6 B 25/13 -, Juris). So liegt es auch hier. Der Beklagte durfte von der Gefahr ausgehen, dass bei einer Ankündigung des Vereinsverbotes seine Infrastruktur, verbotsrelevante Unterlagen, Vereinsvermögen oder Sachen Dritter sowie für strafrechtliche Ermittlungsverfahren relevante Beweismittel beiseite geschafft würden. Letztere Gefahr lag wegen der teilweise im Stadium noch nicht abgeschlossener staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren befindlichen Strafverfahren gegen einzelne Mitglieder des Klägers nahe. Angesichts der einer Anhörung entgegengehaltenen Gefahren war dem Kläger auch kein Recht zuzugestehen, sich durch entsprechende Dispositionen wie eine allein durch den drohenden Erlass des Verbots veranlasste Distanzierung von Mitgliedern auf diese vereinsrechtliche Maßnahmen einzustellen.

83

Der Senat kann bei dieser Sachlage offenlassen, ob überhaupt bei unterbliebener Anhörung die Aufhebung des Vereinsverbotes wegen dieses Formfehlers beansprucht werden kann. Anzumerken ist nur, dass es sich bei dem hier streitgegenständlichen Vereinsverbot nicht um eine Ermessensentscheidung handelt, sondern um eine gebundene Entscheidung. Sie ist entweder rechtmäßig oder rechtswidrig. Ob das Vereinsverbot rechtlich zulässig ist, entscheidet sich nicht nach dem Willen der hiermit befassten Behörde, sondern nach der objektiven Sach- und Rechtslage. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass im Bereich der gebundenen Verwaltung gem. § 115 LVwG die Aufhebung eines Bescheides nicht allein wegen eines Formfehlers beansprucht werden kann, da es hier offensichtlich an einem wirklichen Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Entscheidung in der Sache fehlt (vgl. Senat, B. v. 22. Oktober 2012 - 4 MB 52/12 -). Ob dies auch im Vereinsverbotsverfahren gilt, kann hier aber offenbleiben, da - wie oben dargelegt - die Anhörung ohnehin unterbleiben durfte.

84

Die Verbotsverfügung ist nicht deshalb verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil der Beklagte - wie der Kläger geltend macht - keine eigenen ausreichenden Ermittlungen getätigt hat, sondern sich vom Landeskriminalamt und anderen Polizeibehörden hat “zuarbeiten lassen“. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VereinsG kann die Verbotsbehörde für ihre Ermittlungen die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellen in Anspruch nehmen. Sie darf im Rahmen ihrer Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts selbstverständlich auf Erkenntnisse zurückgreifen, die je nach dem in Rede stehenden Verbotsgrund bei anderen insoweit befassten Behörden angefallen sind. Die Einholung von Informationen bei anderen Behörden ist insoweit ein wesentliches Mittel der Sachverhaltsaufklärung und steht nicht in einem Gegensatz zu eigenständigen Ermittlungen der Behörde. An der gebotenen eigenständigen Würdigung des mit Hilfe anderer Behörden zusammengetragenen Informationsmaterials fehlt es nicht etwa allein deshalb, weil die Verbotsbehörde ihr überzeugend erscheinende Feststellungen anderer Behörden und Gerichte übernimmt (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2013 - a.a.O. und v. 19.11.2013 - 6 B 25/13 -, Juris).

85

Bei der Entscheidung darüber, ob die Zwecke und die Tätigkeiten eines Vereins im Sinne des in § 3 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative VereinsG aufgenommenen Verbotsgrundes aus Art. 9 Abs. 2, 1. Alternative GG den Strafgesetzen zuwider laufen, da Mitglieder und Funktionsträger des verbotenen Vereins in einer diesem zuzurechnenden und ihn prägenden Weise gegen Straftatbestände verstoßen haben, handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Die Zurechnung von Straftaten einzelner Mitglieder zum Verein auf einer unzureichenden oder falschen Tatsachengrundlage oder aufgrund einer Fehlgewichtung einzelner für die Zurechnungsentscheidung relevanter Aspekte führt für sich genommen nicht etwa zur Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung. Ebenso wenig handelt es sich um eine einen Abwägungsvorgang voraussetzende Entscheidung, die den Anforderungen des etwa im Planfeststellungsrecht geltenden Abwägungsgebotes genügen müsste. Dort verlangt das Abwägungsgebot zum einen, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, zum anderen, dass in die Abwägung Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden müssen, und schließlich, dass weder die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 - 4 C 21.74 -, BVerwG 48, 56 63, 64). Derartige Anforderungen in verfahrensrechtlicher Hinsicht gelten im vorliegenden Vereinsverbotsverfahren nicht. Ein rechtliches Gebot zu ausschließlich eigenständiger Ermittlung und Gewichtung der Tatsachengrundlagen für die hier in Rede stehende Feststellung der Strafrechtswidrigkeit besteht nicht. § 4 Abs. 1 Satz 1 VereinsG bietet die Grundlage dafür, dass die Verbotsbehörde für ihre Ermittlungen die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit zuständigen Behörden und Dienststellen in Anspruch nehmen kann, wie dies vorliegend etwa durch Einbindung der im Landeskriminalamt bestehenden, über besondere Sachkunde auf dem Gebiet der sog. Rockerkriminalität verfügenden Ermittlungsstäbe sowie durch Übermittlung von Informationen seitens der Staatsanwaltschaften geschehen ist (vgl. dazu bereits Senat, Urt. v. 19 Juni 2012 - Az. 4 KS 2/10). Die Kriterien für eine Zurechnung einzelner Straftaten, welche durch Mitglieder des Vereins begangen wurden, sind - wie oben ausgeführt - in der höchstrichterlicher Rechtsprechung und in der Rechtsprechung des Senats geklärt. Ob unter Berücksichtigung dieser Kriterien einzelne Straftaten der Vereinsmitglieder den Verein prägen und deshalb seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider laufen, ist eine vom Gericht zu überprüfende Frage der Erfüllung des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG.

86

Aus dem gleichen Grunde wird die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung auch nicht dadurch berührt, dass der Verwaltungsvorgang - auch dies macht der Kläger geltend - “abgemagert“ ist und insbesondere die der Entscheidung über die Verbotsverfügung zugrunde liegende Auswertung strafrechtlicher Ermittlungsakten in ihm nicht dokumentiert wurde. Zwar hat sich der Senat im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Beschl. v. 17.08.2012 - 4 MR 2/12 -) zu der Anmerkung veranlasst gesehen, der übersandte Verwaltungsvorgang lasse eine Dokumentation des Entscheidungsprozesses nicht erkennen. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung obliege den Behörden die Pflicht zur Führung vollständiger und ordnungsgemäßer Akten. Bei einer Verletzung der Aktenführungspflicht komme im Einzelfall eine Beweislastumkehr in Betracht. Die Verpflichtung zur vollständigen Aktenführung und die in § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO geregelte Verpflichtung der Behörde zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften solle sicherstellen, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt so umfassend wie möglich aufgeklärt werde und dass alle Verfahrensbeteiligten von entscheidungserheblichen Vorgängen Kenntnis erlangten, um diese zur Grundlage ihres Vorbringens im Rechtsstreit machen zu können (BVerwG, Beschl. v. 04.01.2005 - 6 B 59.04 -, Juris m.w.N.) Der Umstand, dass der Verwaltungsvorgang keine Dokumentation der Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen sowie der bis zum Erlass der Verbotsverfügung eingesehenen Strafermittlungsakten beziehungsweise deren Auszüge enthält, kann jedoch aus den oben genannten Gründen nicht die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung berühren. Dem Kläger wird auch nicht etwa hierdurch eine effektive Rechtsverteidigung verunmöglicht. Er hatte Gelegenheit, im gerichtlichen Verfahren zu den in der Verbotsverfügung benannten strafrechtlich relevanten Sachverhalten und deren Zurechnung ebenso Stellung zu nehmen wie zu den nachträglich vom Beklagten - beispielsweise durch Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts Kiel vom 14. Juni 2012 gegen Rb. (28 KLs 1/11) - zur Begründung des Vereinsverbots herangezogenen Straftaten, was er auch getan hat. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass im Einzelfall strafrechtliche Ermittlungsverfahren, die sich auf Tatbestände beziehen, welche vor Erlass der Verbotsverfügung verwirklicht wurden, erst später abgeschlossen und ausgewertet werden können; dass in diesem Falle das Gericht im Wege der ihm obliegenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen selbst ermittelt, hat auch das Bundesverwaltungsgericht nicht beanstandet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.01.2013, a.a.O.). Etwaige erst im gerichtlichen Verfahren zu Tage tretenden Erkenntnisse strafrechtlicher Art sind für die durch das Gericht zu leistende Beurteilung des Vereinsverbotes heranzuziehen, sofern sie sich auf Straftaten beziehen, die vor Erlass der Verbotsverfügung liegen. Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch dann, wenn der entsprechende Vorwurf der Vereinsbehörde bis zum Verbot nicht bekannt war oder der entsprechende Vorwurf aus anderen Gründen nicht in die Verbotsverfügung übernommen wurde. Der Grund hierfür liegt darin, dass Vereine, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, von Verfassungs wegen (Art. 9 Abs. 2 GG) verboten sind. Die diesen Tatbestand umsetzende Feststellung der Verbotsbehörde ist vom Senat objektiv zu überprüfen. Für eine „Verwirkung“ strafrechtlicher Vorwürfe im gerichtlichen Verfahren unter dem Gesichtspunkt, dass entsprechende Strafvorwürfe in der Verbotsverfügung nicht „angelegt“ wurden, ist deshalb kein Raum.

87

Schließlich ist die Verbotsverfügung auch nicht deshalb rechtswidrig, weil bei der Sammlung, Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen wurde. Der Senat hat zu dieser Problematik im Verfahren 4 KS 2/10 (Urt. v. 19.06.2012 - NordÖR 2012, 502) Folgendes ausgeführt:

88

„Schließlich bestehen auch gegen die mit der Durchführung des Verbotsverfahrens verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Beklagten - auch soweit sie eine Übermittlung bzw. Nutzung von Daten aus Strafverfahren und von Daten betreffen, die von Polizeibehörden zum Zwecke der Gefahrenabwehr erhoben und gespeichert worden sind - keine Bedenken, die sich auf die Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots auswirken könnten. Zutreffend ist, dass das Vereinsgesetz selbst keine bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen für eine derartige Datenverarbeitung enthält (vgl. dazu auch Grundmann, a.a.O., S. 68). Der durch
§ 1 Abs. 1 der Landesverordnung über die zuständigen Behörden für das öffentliche Vereinsrecht für das Verbot zuständig erklärte Beklagte kann sich als Behörde der Gefahrenabwehr (vgl. § 1 Abs. 2 VereinsG: „...zur Wahrung der öffentlichen
Sicherheit ...“) jedoch auf die Rechtsgrundlagen der §§ 177 ff. LVwG, insbesondere die Erhebungsgrundlagen der §§ 177, Abs. 1, 178 Abs. 1 Satz 2, 179 Abs. 1 Nr. 1 LVwG und die Speicherungs- und Nutzungsgrundlage des § 188 Abs. 1 LVwG, stützen. Soweit die Daten aus Strafverfahren durch gemäß § 4 Abs. 1 VereinsG zulässigerweise im Rahmen der vereinsrechtlichen Ermittlungen mit in Anspruch genommene Polizeibehörden ausgewertet und an den Beklagten als Vereinsverbotsbehörde weitergeleitet worden sind, liegen die Voraussetzung einer Datenübermittlung und -verwendung aus dem auf das LVwG als Polizeigesetz verweisenden § 481 StPO vor, wobei der Beklagte gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Organisation der Polizei in Schleswig-Holstein (POG) v. 12. November 2004 (GVOBl. Schl.-H. S. 408) eine Behörde der Polizei und Landespolizei- sowie Landeskriminalamt gemäß §§ 2, 3 POG zugeordnete Ämter beim Beklagten sind. Bedenken im Hinblick auf die bereichsspezifische, präzise und normenklare Festlegung der Voraussetzungen eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 - 1 BvR 1550/03 u.a. -, BVerfGE 118, 168, Juris Rn. 93 ff.) der Mitglieder des Klägers (unabhängig davon, ob sie im Verfahren des klägerischen Vereins überhaupt zu überprüfen sind) bestehen im Ergebnis nicht. Es handelt sich um einen auf Grundlage der genannten Normen auch für die Betroffenen überschaubaren Datenverarbeitungsvorgang, dessen Anlass, Gegenstand, Zwecksetzung und Kreis der berechtigten Behörden jedenfalls hinsichtlich der Verwendung von Daten aus Strafverfahren und aus präventiv-polizeilichen Datensammlungen hinreichend präzise festgelegt ist“.

89

An dieser Auslegung nicht revisiblen Landesrechts (vgl. hierzu BVerwG, Beschl.
v. 29.01.2013, a.a.O.) hält der Senat fest.

90

Im Übrigen wäre, selbst wenn nach verfassungsrechtlichen Maßstäben eine präzisere gesetzliche Festlegung der Datenverarbeitungsbefugnisse im Zusammenhang mit dem Erlass von Vereinsverboten erforderlich wäre, vorliegend kein Verwertungsverbot der vom Beklagten im Einklang mit dem Gesetzeszweck des Vereinsgesetzes erlangten personenbezogenen Informationen aus Strafverfahren und Datensammlungen zur Gefahrenabwehr anzunehmen. Ein ausnahmsloses Beweisverwertungsverbot im Falle einer unzulässigen Datenverarbeitung lässt sich der Rechtsordnung weder allgemein noch im Bezug auf besonders tief in die Rechte Betroffener eingreifende Bereiche staatlichen Handelns entnehmen. So hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt für den Bereich des Strafprozesses festgestellt, dass von Verfassungs wegen kein allgemeines Verwertungsgebot rechtsfehlerhaft gewonnener Beweise besteht, vielmehr ein Beweisverwertungsgebot angesichts des ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Belanges funktionstüchtiger Strafrechtspflege eine begründungsbedürftige Ausnahme darstellt, für die eine gesetzliche Grundlage gegeben oder ein übergeordneter wichtiger Grund anzuerkennen sein muss. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus Grundrechten ist nur in Fällen des Eingriffs in den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.11.2010 - 2 BvR 2101/09 -, EuGRZ 2010, 780, Juris Rn. 43 ff.; Beschl. v. 15.10.2009 - 2 BvR 2438/08 -, NJW 2010, 287, Juris Rn. 7 m.w.N.). Auf den vorliegenden Regelungszusammenhang übertragen ist zu berücksichtigen, dass § 3 Vereinsgesetz eine bereits verfassungsrechtlich vorgesehene Schranke der Vereinigungsfreiheit lediglich konkretisiert. Eine Nichtverwertung von zu Zwecken der Strafverfolgung und damit inhaltlich mit dem Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit des Vereins gleichgerichteten Zwecken sowie zu Zwecken der Gefahrenabwehr gewonnenen Daten stünde mithin der Umsetzung eines bereits aus Verfassungsrecht abzuleitenden Vereinsverbots im Wege und wäre daher ähnlich wie im Strafprozessrecht ebenfalls aus übergeordneten Gesichtspunkten begründungsbedürftig, welche hier nicht ersichtlich sind (Senat, Urt.
v. 19.06.2012 a.a.O.)

91

Die Verbotsverfügung ist insoweit rechtmäßig, als festgestellt wurde, dass der Zweck und die Tätigkeit des klagenden Vereins den Strafgesetzen zuwider laufen, und an diese Feststellung die in den nachfolgenden Ziffern 2 - 5 ausgesprochenen rechtlichen Folgen geknüpft wurden.

92

Die Zwecke und die Tätigkeit des Klägers laufen i.S.d. in § 3 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt.
VereinsG aufgenommenen Verbotsgrundes aus Art. 9 Abs. 2, 1. Alt. GG den Strafgesetzen zuwider, da Mitglieder und Funktionsträger des verbotenen Vereins in einer diesem zuzurechnenden und ihn prägenden Weise gegen Straftatbestände verstoßen haben.

93

Der strafgesetzwidrige Zweck und die strafgesetzwidrige Tätigkeit einer Vereinigung ergeben sich aus den Absichten und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder, denn eine Vereinigung ist als solche nicht straffähig. Straffähig können nur natürliche Personen sein, da Strafbarkeit Schuldzurechnungsfähigkeit voraussetzt und diese nur natürlichen Personen zukommt. Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist gleichwohl rechtlich möglich, weil diese durch ihre Mitglieder und die sie repräsentierenden Vereinsorgane einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen bilden und insofern eine eigene Zweckrichtung festlegen sowie selbständig handeln kann. Ergibt sich aus dieser eigenen Zweckrichtung oder dem selbständigen Handeln einer Vereinigung ein Verstoß gegen Strafgesetze, so ist der Verbotstatbestand erfüllt.

94

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhalten der Mitglieder der Vereinigung zugerechnet werden kann. Eine durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit muss den Charakter der Vereinigung prägen. Eine Vereinigung kann gleichzeitig verschiedene Zwecke, insbesondere neben dem satzungsmäßig ausgewiesenen legalen Zweck auch strafrechtsrelevante Ziele anstreben und durch das Verhalten ihrer Mitglieder verwirklichen. In diesem Falle ist es zur Erfüllung des Verbotstatbestandes nicht erforderlich, dass die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht. Ebenso wenig muss eine Strafgesetzwidrigkeit auf Dauer bestehen. Es genügt vielmehr, wenn eine Vereinigung erst im Laufe der Zeit strafgesetzwidrig wird oder die Strafgesetzwidrigkeit zeitlich begrenzt ist. Die Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist auch dann gegeben, wenn deren Mitglieder zwar spontan und aufgrund eines eigenen Entschlusses Straftaten begehen, dabei aber immer wieder geschlossen als Vereinigung auftreten, so dass sich die Straftaten nach außen als Vereinsaktivitäten darstellen, und die Vereinigung diesen Umstand kennt und billigt oder jedenfalls widerspruchslos hinnimmt. Der Vereinigung zurechenbar sind ferner solche strafbaren Verhaltensweisen der Vereinsmitglieder, die die Vereinigung deckt, indem sie ihren Mitgliedern durch eigene Hilfestellung oder Hilfestellung anderer Mitglieder Rückhalt bietet. Die Einbeziehung dieser Fallkonstellation ist vor allem durch den Sinn des Verbotstatbestandes geboten: Mit ihm soll nicht die Verletzung der Strafgesetze durch einzelne Personen zusätzlich sanktioniert, sondern einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begegnet werden, die in der Gründung oder Fortführung einer Organisation zum Ausdruck kommt, aus der heraus Straftaten geplant oder begangen werden. Derartige Organisationen bergen eine besondere Gefahr für die durch Strafgesetze geschützten Rechtsgüter in sich. Die ihnen innewohnende Eigendynamik und ihr organisiertes Sach- und Personalpotential erleichtern und begünstigen strafbares Verhalten. Zugleich wird das Verantwortungsgefühl des einzelnen Mitgliedes häufig gemindert, die individuelle Hemmschwelle zum Begehen von Straftaten abgebaut und der Anreiz zu neuen Straftaten geweckt. Eine derartige verbotsrelevante Hilfestellung muss nicht von vornherein auf die Begehung konkreter Straftaten ausgerichtet sein oder auf einem zuvor gefassten Vereinsbeschluss beruhen. Das Vorliegen einer derartigen, von der Vereinigung ihren Mitgliedern zugedachten Hilfestellung bestimmt sich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten der Teilnahme oder Begünstigung, die für eine Vereinigung mangels Straffähigkeit nicht relevant sein können. Es genügt vielmehr, dass vereinsintern den Mitgliedern oder nach außen der Öffentlichkeit, insbesondere den Opfern der Straftaten, gegenüber zum Ausdruck gebracht wird, die Vereinigung gewähre zu den Straftaten ihrer Mitglieder jederzeit den erwarteten Schutz (BVerwG, Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 -, BVerwGE 134, 275, Juris Rn. 15 f.; Beschl. v. 25.08.2008 - 6 VR 2/08 -, Juris Rn. 11; Urt. v. 18.10.1988 - 1 A 89/83 - , BVerwGE 80, 299, DVBl. 1989, 311 Rn. 38 f.). Im Falle der Überprüfung des 1983 erlassenen Vereinsverbotes gegenüber dem „Hell‘s Angels Motor-Club e.V.“ Hamburg hat das Bundesverwaltungsgericht die Zurechnung einzelner Straftaten unter anderem mit dem Gesichtspunkt begründet, dass die Straftaten in Vereinskluft begangen wurden und dadurch den Ruf des Vereins als besonders gewalttätige und brutale Rockergruppe begründet oder bestätigt hätten (BVerwG, Urt. v. 18.10.1988 a.a.O., Rn. 50). Demgegenüber kommt es auf den in der Satzung niedergelegten Zweck (Motorradclub) nicht entscheidend an, da strafrechtliche Zwecke üblicherweise nicht offen gelegt werden. Soweit in der Vereinssatzung aber der Grundsatz der Solidarität ausdrücklich als Vereinszweck genannt wird, kann dies als Ausdruck der unter den Mitgliedern angestrebten umfassenden Solidarität gewertet werden (BVerwG, Urt. v. 18.10.1988 a.a.O., Rn. 43).

95

Der prägende Charakter von Straftaten der Mitglieder kann sich auch daraus ergeben, dass die Straftaten der Selbstbehauptung gegenüber einer konkurrierenden Organisation gedient haben (BVerwG, Urt. v. 01.02.2000 - 1 A 4/98 -, Buchholz 402.45 VereinsG
Nr. 32, Juris Rn. 12). Eine Prägung des betreffenden Vereins durch ihm zuzurechnende strafbare Verhaltensweisen von Mitgliedern liegt insbesondere dann nahe, wenn es sich bei den betreffenden Mitgliedern um Personen mit Leitungsfunktionen handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 -, sowie Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 -, a.a.O.) oder wenn entsprechende strafbare Verhaltensweisen von Mitgliedern in großer Zahl sowie auch noch nach einer strafrechtlichen Ahndung entsprechender Taten im Bereich der Vereinsmitglieder erfolgen (BVerwG, Urt. v. 05.08.2009, a.a.O.). Ein prägender Charakter kann sich auch daraus ergeben, dass die betreffenden Taten im Interesse des Vereins begangen worden sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.02.2000 - 1 A 4/98 -, a.a.O.).

96

Ein Verbot wegen Strafgesetzwidrigkeit eines Vereins setzt eine vorherige strafrichterliche Verurteilung von Einzelpersonen nicht voraus. Ebenso wenig besteht eine materielle oder formelle Bindung an die rechtliche Würdigung eines bereits ergangenen Strafurteils. Die Strafgesetzwidrigkeit ist von der Verbotsbehörde und dem Verwaltungsgericht in eigener Kompetenz zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 -, a.a.O.; Urt.
v. 18.10.1988, a.a.O.; std. Rspr.).

97

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung ist derjenige ihres Erlasses. Zur Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit können, wie auch sonst im Gefahrenabwehrrecht, zurückliegende Umstände herangezogen werden, soweit sie im maßgeblichen Zeitpunkt noch aussagekräftig sind (BVerwG, Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, NVwZ 2003, 986; Urt. v. 01.02.2000 - 1 A 4/98 -, Juris; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 16.01.1992 - 1 S 3626/88 -; BayVGH, Urt. v. 24.01.2007 - 4 A 06/52 - sowie Beschl. v. 20.09.2006 - 4 AS 06.2036 -, alle in Juris). Berücksichtigungsfähig können auch Gesichtspunkte aus einer strafgerichtlichen Verurteilung nach Ergehen der Verbotsverfügung sein, soweit sie eine vor Erlass der Verbotsverfügung begangene Straftat betreffen (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 -, Juris Rn. 38). Andererseits bietet Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 VereinsG aber keine Grundlage für die Berücksichtigung von Veränderungen, die der Verein nach seinem Verbot vornehmen möchte, um dessen Voraussetzungen entfallen zu lassen. Solche nach Erlass der Verbotsverfügung geschaffenen Tatsachen können keine Wirkungen auf die Sachlage zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Verbotsbescheides mehr entfalten. Dem Verein sind im Übrigen Aktivitäten, soweit sie nicht die Rechtsverteidigung gegen das Vereinsverbot betreffen, und damit auch organisatorische Umgestaltungen, untersagt.

98

In Konkretisierung der genannten, aus Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 VereinsG abgeleiteten Maßstäbe hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 5 VereinsG ausdrücklich ergänzende („auch“) Maßstäbe für die Zurechnung von Handlungen von Mitgliedern zum Verein festgeschrieben, wonach ein Verbot auch dann auf Handlungen von Mitgliedern gestützt werden kann, wenn ein Zusammenhang zur Tätigkeit oder zu der Zielsetzung des Vereines besteht, die Handlungen auf einer organisierten Willensbildung beruhen und nach den Umständen anzunehmen ist, dass sie vom Verein geduldet werden. Eine Erweiterung oder Einschränkung der zu Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe liegt in dieser ausdrücklich zur Schließung einer Regelungslücke getroffenen ergänzenden gesetzgeberischen Regelung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 45) jedoch nicht. Die Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG sind in der Verfassung abschließend benannt; der Gesetzgeber darf keine zusätzlichen Verbotsgründe einführen (vgl. Löwer in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Komm. zum GG, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 63; Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot - Dogmatik und Praxis des Art. 9 Abs. 2 GG, Baden-Baden 2005, S. 115).

99

Die Annahme der Strafrechtswidrigkeit eines Vereins kann im Einzelfall bereits auf Grund einer Straftat der Mitglieder des Vereins gerechtfertigt sein (Senat, Urt. v. 19.06.2012
- 4 KS 2/10 -).

100

Bei Anwendung der dargestellten Maßstäbe muss sich der Kläger eine Reihe von Straftaten zurechnen lassen, die das Vereinsverbot rechtfertigen.

101

Das Mitglied Hi. ist durch Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 14. Juni 2006 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitstrafe von 8 Monaten verurteilt worden (Fall 1a; siehe Verbotsverfügung). Nach den unter anderem auf dem umfassenden Geständnis des Angeklagten beruhenden Feststellungen des Amtsgerichts Kiel trafen der Angeklagte und der Geschädigte Mark U. am 26. Juni 2005 in der Gaststätte “Other Place“ in Kiel, Wall 58, aufeinander. Im Jahre 2000 war es zwischen Hi. und U., mit dem er lange Zeit befreundet war, im Zusammenhang mit ausstehenden Mietzahlungen für die von U. angemietete Wohnung zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Folge Hi. erhebliche Messerstichverletzungen erlitt. U. war von Mitgliedern des Motorradclubs „Hells Angels“ auf der Straße als derjenige erkannt worden, der dem Angeklagten im Jahre 2000 die Messerstiche beigebracht hatte. U. wurde in die Gaststätte verbracht, wo sich weitere Mitglieder des Motorradclubs aufhielten. Die übrigen Gäste der Gaststätte wurden hinaus gebeten. Zu diesem Zeitpunkt trat Hi. in die Gaststätte ein. Er versetzte U. mit einem Motorradhelm massive Schläge ins Gesicht und auf den oberen Brustbereich. Hierdurch zog sich das Opfer erhebliche Verletzungen zu, unter anderem einen traumatischen Hämatopneumothorax sowie Rippenbrüche.

102

Entgegen der Auffassung des Klägers liegt in der zu beurteilenden Straftat keineswegs eine rein private, nicht vereinsbezogene Auseinandersetzung, auch wenn die “Vorgeschichte“ (körperliche Auseinandersetzung zwischen Hi. und U. im Jahre 2000) im Ausgangspunkt eine private Auseinandersetzung vor dem Hintergrund ausstehender Mietzahlungen gewesen sein mag. Die Tat vom 26. Juni 2005 weist jedenfalls einen deutlichen Vereinsbezug auf. Die gefährliche Körperverletzung ist überhaupt erst durch das Zusammenwirken von Mitgliedern der “Hells Angels“ ermöglicht worden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die der Senat nicht in Zweifel zieht, war das Opfer von Mitgliedern des Motorradclubs auf der Straße erkannt und in die Gaststätte verbracht worden, wo sich zudem weitere Mitglieder des Motorradclubs aufhielten. Hierbei hat es sich nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung in der Verbotsverfügung immerhin um 8 (seinerzeitige) Mitglieder und damit um etwa ein Drittel aller Mitglieder des Klägers gehandelt. Durch das Hinausschicken anderer Gäste sowie auch der Bedienung (nach der insoweit ebenfalls nicht bestrittenen Darstellung in der Verbotsverfügung) wurde eine Abrechnungsmöglichkeit für den Täter geschaffen, ohne dass sein Opfer in Folge der gegebenen Übermacht eine Chance zur Verteidigung gehabt hätte und ohne dass Zeugen zu befürchten waren. Dieses arbeitsteilige Zusammenwirken bei der Ausführung der Tat rechtfertigt eine Zurechnung zum Kläger. Hieran vermag auch der Hinweis des Klägers nichts zu ändern, dass es zu Verurteilungen anderer Vereinsmitglieder wegen Mittäterschaft nicht gekommen sei.

103

Der Senat ist der Auffassung, dass sich die Strafrechtswidrigkeit des Klägers bereits aus dieser Tat ableiten lässt, auch wenn ihre Begehung, worauf der Kläger hingewiesen hat, bereits 6 Jahre vor Erlass Verbotsverfügung liegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in keiner Weise ersichtlich ist, dass sich der Kläger etwa im Nachhinein von diesem Verhalten Hi.s und anderer Mitglieder distanziert hätte. Hi. selbst ist bis zum Erlass der Verbotsverfügung Mitglied gewesen und bekleidete zu diesem Zeitpunkt eine herausgehobene Funktion (Treasurer). Es bleibt festzustellen, dass ein erheblicher Anteil des seinerzeitigen Mitgliederbestandes des Klägers in arbeitsteiligem Zusammenwirkung eine Situation nutzte, um einen der Ihren zu „rächen“, ohne dass auch nur ansatzweise deutlich wird, dass der Verein derartige Fälle von Selbstjustiz und Rache ablehnt und durch Einwirken auf seine Mitglieder für die Zukunft zu unterbinden sucht.

104

Erst Recht lässt sich die Strafgesetzwidrigkeit des klagenden Vereins jedenfalls in einer Zusammenschau mit einer weiteren Straftat (1 h der Verbotsverfügung) ableiten. Mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 03. November 2010 sind die Angeklagten K.,
J. und R. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Das Urteil ist zunächst bezüglich der Angeklagten J. und R. rechtskräftig geworden, nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung mittlerweile auch bezüglich K. (F.).

105

J. ist unstreitig bis zum Erlass des Vereinsverbotes Vollmitglied des Klägers gewesen. Er bekleidete als Funktionsträger die Position eines “Sergeant at arms“. R. war bis zum Sommer 2010 nach dem Vortrag in der Klagebegründung Mitglied der Hells Angels. Der mitgliedschaftliche Status von K. (jetzt: F.) ist streitig. Der Kläger trägt vor, K. (F.) sei im Januar 2010 aus dem Verein ausgeschieden. Auch der Beklagte konzediert, K. sei “offiziell“ vom 14. April 2000 bis zum 16. Januar 2010 Mitglied gewesen; danach habe er vom 16. Januar 2010 an die Position eines Secretary beim HAMC Lübeck gekleidet. Deshalb sei er in der Verbotsverfügung nicht als Vereinsmitglied aufgeführt worden; tatsächlich aber habe er das Vereinsleben bis zum Erlass der Verbotsverfügung geprägt. Auf dem Vereinskalender 2012 sei er neben dem damaligen Sergeant at arms J. abgebildet. Darüber hinaus gebe es ein im Zuge des Vollzugs des Vereinsverbotes am 31. Januar 2012 sichergestelltes Protokoll über ein Meeting vom 29. März 2011, aus welchem geschlossen werden könne, dass K. (F.) zu diesem Zeitpunkt Funktionsträger (Vice-President) beim Kläger war. Dies kann jedoch dahinstehen. Auch wenn man unterstellt, dass K. (F.) zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht Mitglied des Klägers gewesen ist, liegt eine schwere Straftat vor, die den Kläger prägt und ihm zuzurechnen ist. Nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Kiel trainierten die Nebenkläger Gr. und Mi. in den späten Nachmittagsstunden des 15. März 2010 im Fitnessstudio „wellyou“ in der Feldstraße in Kiel. Der Vater des Nebenklägers Gr. war im Frühjahr 2010 sogenannter „Prospect“, das heißt Anwärter auf eine Mitgliedschaft bei der Rockergruppe Bandidos; das Opfer Gr. selbst hegte seinerzeit Sympathie für diese Gruppierung und hatte bereits mehrere Male Treffen der Bandidos besucht. Auch das damalige Vereinsmitglied R. trainierte im wellyou. Während des Trainings hörte der Nebenkläger Gr. auf seinem Handy Musik, wobei das Display das Logo der Bandidos zeigte. Dieser Sachverhalt wurde von R. wahrgenommen. Das Landgericht schloss nicht aus, dass Herr R. vor dem Hintergrund der früheren tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Rockergruppen Hells Angels und Bandidos sowie Drohungen im Internet gegen seine Person mit einem Angriff auf sich rechnete. In der Folgezeit versuchte er mehrfach, J. anzurufen. Als er ihn erreichte, bat er um Beistand. J. entschloss sich nach dem Anruf R.s, diesem im Fitnessstudio zur Seite zu stehen. Kurze Zeit später traf er auf K. (F.), mit dem er zum wellyou fuhr. Das Landgericht Kiel schloss in seiner Urteilsbegründung nicht aus, dass beide einen Angriff von den „Bandidos“ nahestehenden Personen auf R. befürchteten. K. trug eine Dose Pfefferspray sowie ein einschneidiges Messer mit einer Klingenbreite von höchstens 1,7 cm mit sich. Im Eingangsbereich des wellyou trafen sich J., K. und R. gegen 19:35 Uhr. Sie sahen die Nebenkläger das Fitnessstudio verlassen. R. berichtete, dass er bei einem der Trainierenden ein Bandidos-Logo auf dem Handy wahrgenommen habe. J., K. und R. folgten den Nebenklägern in Richtung des Treppenaufganges, der zum rückwärtigen Parkplatz des wellyou führte. Auf Anforderung der Angeklagten gab der Nebenkläger Gr. sein Handy heraus. Spätestens beim Anschauen des Handys entschloss sich K. dazu, Pfefferspray in die Gesichter der Nebenkläger zu sprühen. Daraufhin tränten und schmerzten die Augen der Tatopfer stark, so dass sie nichts mehr sehen konnten. Der Nebenkläger Mi. ging aufgrund der Schmerzen in den Augen zu Boden. Unmittelbar darauf erhielt zumindestens der Nebenkläger Gr. Faustschläge von einem oder zweien der Angeklagten. Aufgrund der Wirkung des Tränengases und der Faustschläge ging auch der Nebenkläger Gr. zu Boden und kam auf Mi. zu liegen. K. zog sein Messer und stach damit auf die am Boden liegenden Nebenkläger ein. Während Mi. nicht lebensgefährlich verletzt wurde, erlitt Gr. eine obere Stichverletzung im neunten Zwischenrippenraum, welche zu einer sogenannten Blut-Luft-Brust führte. Dies war ein lebensgefährlicher Zustand. Das Landgericht wollte dabei nicht ausschließen, dass R. und J. die Messerattacken nicht mitbekommen hatten. J. versetzte am Ende der Auseinandersetzung einem der am Boden liegenden Opfer noch einen Fußtritt in den Rücken. Er nutzte dabei aus, dass sie nicht in der Lage waren, sich zu wehren. Die Angeklagten entfernten sich vom Tatort. Die über Notruf um
19:43 Uhr alarmierte Rettungsleitstelle in Kiel veranlasste den Transport der Opfer durch ein Notarzteinsatzfahrzeug und zwei Rettungswagen. Die Nebenkläger wurden in das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein verbracht. Zwischenzeitlich hatte der Vater des Nebenklägers Gr. ein Mitglied der Rockergruppe Bandidos über den Angriff informiert. Kurze Zeit nach dem Transport der Nebenkläger ins Krankenhaus erschienen mehrere den Bandidos zuzuordnende Personen am Tatort, welche später auch das Universitätsklinikum aufsuchten. Weitere körperliche Auseinandersetzungen konnten an diesem Tag von der Polizei verhindert werden. Die Feststellungen zum Tatgeschehen am 15. März 2010 beruhten der nachvollziehbaren Begründung des Landgerichts Kiel (7 KLs 24/10) zufolge auf den glaubhaften Geständnissen der Angeklagten, den Aussagen der Zeugen Gr. und Mi. sowie der zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten Ho. und Sch., im Übrigen auf der Verlesung und Inaugenscheinnahme von Vermerken und Berichten ermittelnder Polizeibeamter sowie von Lichtbildern vom Tatort. Der Angeklagte J. hat über seinen Verteidiger unter anderem einräumen lassen, er habe kurz vor dem gemeinsamen Verlassen des Tatorts noch einen Fußtritt gegen den Rücken einer der am Boden liegenden Zeugen geführt, ohne einen Messereinsatz zuvor wahrgenommen zu haben und ohne sagen zu können, welchen der Zeugen er selber getroffen habe. K. (F.) hat erklären lassen, er selbst sei am 3. März 2007 vor der Discothek “Mausefalle“ von Personen, die später zu den ersten Mitgliedern von Ablegern der sogenannten Bandidos in Schleswig-Holstein gehört hätten, lebensbedrohlich verletzt worden. Der Messerstecher selber habe zum Umfeld der Bandidos gehört. Aufgrund der Mitteilung seines Freundes J. sei er davon ausgegangen, dass R., der entsprechende Drohungen erhalten hatte, im “wellyou“ konkret bedroht sei. Es habe das Gerücht gegeben, dass durch gezielte Aktionen versucht worden sei, Mitglieder der Hells Angels alleine anzutreffen, um diese dann mit mehreren Personen der Bandidos anzugreifen. Von so einem Angriff gegenüber R. sei er ausgegangen. Die Messerstiche habe er gesetzt, um nicht erneut selbst ernsthaft verletzt zu werden.

106

In seiner Bewertung hat das Landgericht ausgeführt, die Motivation K.s, mit den Messerstichen jegliche Möglichkeit eines körperlichen Angriffs auf ihn zu verhindern, und das gedankliche Mitbewusstsein seiner bei früheren Auseinandersetzungen erlittenen schweren Verletzungen seien aufgrund der Schilderungen dieses Angeklagten für die Kammer nachvollziehbar. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Bundesgerichtshof (Urt. v. 04.05.2011 - 4 StR 75/11 -) das Urteil des Landgerichts Kiel vom 3. November 2010 aufgehoben, soweit es den Angeklagten K. betrifft, und zwar im Ausspruch über die im Fall II.2.b (Tat vom 15. März 2010) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und die Gesamtstrafe. Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass die Strafkammer zugunsten des Angeklagten K. angeführt habe, dass es sich bei dem Angriff um eine ungeplante Spontantat gehandelt habe, bei der der Angeklagte einen Angriff auf den mitangeklagten R. oder auf sich selbst für möglich hielt. Nach den zu beanstandenden Ausführungen der Strafkammer lasse „sich nicht ausschließen, dass der Angeklagte nicht nur durch das Tränengas, sondern auch durch die Messerstiche jegliche Möglichkeit an der körperlichen Gegenwehr der Tatopfer und eigener Verletzungen von vornherein verhindern wollte, wenngleich - wie festgestellt - ein derartiger Angriff oder Gegenwehr der Nebenkläger nicht bevorstanden“. Insoweit sei es rechtsfehlerhaft, die nicht „ausschließbare“ Vorstellung des Angeklagten (K.) bei dem Messereinsatz gegen die bereits kampfunfähigen und wehrlos am Boden liegenden Tatopfer - nämlich um jegliche Möglichkeit einer körperlichen Gegenwehr und eigene Verletzungen von vornherein zu verhindern - als bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt zu berücksichtigen. Eine Gegenwehr der Opfer sei auch aus subjektiver Sicht des Angeklagten nicht mehr zu erwarten gewesen; ein von dem Landgericht angenommener „vorbeugender“ Messereinsatz könne auch mit Blick auf frühere gewalttätige Auseinandersetzungen, in die der Angeklagte verwickelt gewesen sei und bei denen er selbst erheblich verletzt worden sei, nicht zur Begründung einer Strafmilderung herangezogen werden. Darüber hinaus begegne es durchgreifenden Bedenken, die Vorgehensweise des Angeklagten als ungeplante Spontantat zu bewerten. Es habe zum Zeitpunkt der Übergriffe keine wie auch immer geartete Provokation seitens der Tatopfer vorgelegen. Vielmehr hätten der Angeklagte und die Mitangeklagten die Auseinandersetzung mit den Nebenklägern, in die sich der Angeklagte bewaffnet begeben hatte, gezielt gesucht und die vorgefundene Situation zu einem für die Nebenkläger überraschend geführten Angriff ausgenutzt. Die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen führten zur Aufhebung des Strafausspruchs im Umfang der Anfechtung. Bei den hier lediglich vorliegenden Wertungsfehlern bedürfe es jedoch keiner Aufhebung von Feststellungen. Die bisherigen Feststellungen könnten um solche ergänzt werden, die zu den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.

107

Dieser Bewertung schließt sich der Senat an. Die gefährliche Körperverletzung gegenüber Gr. und Mi. wurde gemeinschaftlich begangen. Sie kann nur vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen den „Bandidos“ und den „Hells Angels“ gesehen werden. Der Kläger selbst räumt ein, R., der bereits zuvor als damaliges Vereinsmitglied Drohungen erhalten hatte, habe sich aufgrund des wahrgenommenen Vereinszeichens der Bandidos MC Neumünster im Handy-Display bedroht gefühlt.

108

Der Umstand, dass Gr. und Mi. keine Mitglieder des MC Bandidos waren, ändert nichts daran, dass die Täter, die sämtlich einen Bezug zum Kläger haben oder zumindest hatten, im Wege arbeitsteiligen Zusammenwirkens begangen wurde. Der Funktionsträger J. (Sergeant at arms) und das ehemalige Vereinsmitglied K. (F.) - welcher unstreitig zum Tatzeitpunkt nach dem formalen Ausscheiden aus dem HAMC Kiel jedenfalls Mitglied eines anderen Charters der Hells Angels (HAMC Lübeck) gewesen ist - sind auf die telefonische Bitte des R. hin zum Fitnessstudio wellyou gefahren, um dem damaligen Vereinsmitglied R. gegen einen (vermeintlichen) Angriff Beistand zu leisten. Nachdem vor Ort kein Angriff der das Fitnessstudio verlassenden Herren Gr. und Mi. festzustellen war, erfolgte gleichwohl ein mittäterschaftlich durchgeführter Angriff dieser beiden Personen. Auch nach der Bewertung des Bundesgerichtshofs ist die Auseinandersetzung mit den Opfern gezielt gesucht worden. Der Senat bewertet die gemeinschaftlich ausgeführte Tat als vereinsprägend. Darauf, dass dieser Tat auch nach Auffassung des Beklagten ursprünglich eine Fehleinschätzung der Situation durch R. zugrunde gelegen hat, kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass - wenn auch aus der Situation heraus - das ehemalige HAMC Kiel-Mitglied und seinerzeitige Mitglied des HAMC Lübeck K. zusammen mit dem damaligen Vereinsmitglied R. und dem Funktionsträger J., ohne selbst angegriffen worden zu sein, gezielt die strafrechtlich relevante Auseinandersetzung mit den Opfern suchten. Eine Distanzierung des Klägers zu diesem Tatgeschehen ist nicht erkennbar. Der Umstand, dass K. (F.) seit dem 16. Januar 2010 nicht mehr „offiziell“ Mitglied des HAMC Kiel war, belegt keinesfalls eine Distanzierung des Klägers vom Tatgeschehen des
15. März 2010. Der Beklagte hat vielmehr unwidersprochen darauf hingewiesen, dass der Austritt erfolgte, um Secretary im HAMC Lübeck werden können.

109

Soweit der Kläger rügt, er könne sich ohne Beiziehung der Strafakten nicht zum Vorbringen des Beklagtenvertreters einlassen, wonach J., wie sich aus Bl. 148 der Strafakten entnehmen lasse, einen Pullover mit einer bestimmten auf die Hells Angels oder deren Umfeld verweisenden Aufschrift getragen habe, ist dieser Sachverhalt für die Zurechnung nicht von Bedeutung. Der Senat legt nicht zugrunde, dass J. bei der Tatausführung „Vereinskluft“ getragen hat.

110

Soweit der Kläger ferner rügt, er könne die Bezugnahme des Prozessbevollmächtigten auf Blatt 152 der Strafakten nicht nachvollziehen, wonach die Vereinsmitglieder K. und J. die Beobachtung des R. hinsichtlich des Logos der Bandidos auf dem Mobilfunkdisplay bestätigt hätten, so ist eine Beeinträchtigung der prozessualen Rechte des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich, weil sich die maßgeblichen Umstände für die Zurechnung der mittäterschaftlich begangenen Körperverletzung ohne weiteres aus den insoweit nicht bestrittenen Tatsachenfeststellungen des Urteils des Landgerichts Kiel vom 03. November 2010 ergibt, welches dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt ist und welches auch in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist.

111

Hinzu kommt, dass weitere Straftaten dem Kläger zuzurechnen sind. Diese Straftaten sind zwar nicht durch Mitglieder begangen worden, sie wurden jedoch von Mitgliedern des Supporterclubs Legion 81 im Interesse des Klägers verübt. Dies reicht jedenfalls im vorliegenden Falle für eine Zurechenbarkeit aus. Eine Vereinigung erfüllt den hier in Rede stehenden Verbotstatbestand der Strafgesetzwidrigkeit zwar zuvörderst dann, wenn ihre Mitglieder oder Funktionsträger Straftaten begehen, die der Vereinigung zurechenbar sind und ihren Charakter prägen. Darin erschöpft sich der Verbotstatbestand aber nicht. Er verlangt nicht, dass Mitglieder oder Funktionsträger der Vereinigung gegen Strafgesetze verstoßen oder ihnen zuwider handeln. Er setzt vielmehr in einem darüber hinausweisenden Sinne Zwecke oder Tätigkeiten voraus, die den Strafgesetzen zuwider laufen. Den Strafgesetzen zuwiderlaufen Zwecke und Tätigkeiten aber nicht nur dann, wenn unmittelbar gegen Strafgesetze verstoßen wird, sondern auch dann, wenn Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert werden. Mit dem Verbotsgrund soll nicht die Verletzung der Strafgesetze durch einzelne Personen zusätzlich vereinsrechtlich sanktioniert werden. Vielmehr soll einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begegnet werden, die sich daraus ergibt, dass Straftaten in einem vereinsmäßig organisierten Zusammenhang begangen werden. Diese Gefährdung geht von der Vereinigung als solcher aus. Nach dem Sinn und Zweck des Verbotsgrundes laufen ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwider, wenn sie die Gefahr einer Begehung von Straftaten bewusst hervorruft oder verstärkt oder diese Gefahr tatsächlich von ihr ausgeht. Werden durch die Vereinigung Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert, ist unerheblich, ob diese Straftaten durch Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger der Vereinigung oder durch Dritte begangen werden (BVerwG, Urt. v. 19.12.2012, NVwZ 2013, 870).

112

So liegt es hier. Mit Urteil vom 14. Juni 2012 verurteilte das Landgericht Kiel (28 KLs 1/11) den ehemaligen Präsidenten der Legion 81 Rb. - unter anderem - wegen gemeinschaftlich versuchter gefährlicher Körperverletzung, gemeinschaftlich begangener Sachbeschädigung und schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit Zuhälterei und mit Beihilfe zur Zuhälterei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 4 Monaten. Zur Vorgeschichte der gemeinschaftlichen versuchten gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des Opfers Be. vom 20. Januar 2010 stellte das Landgericht fest, vor dem Hintergrund der von den Hells Angels abgelehnten Gründungstätigkeiten für ein Chapter der Motorradorganisation „Bandidos“ in Preetz sei Rb. Mitte/Ende 2009 vom Vizepräsidenten des Klägers, P., um Unterstützung gebeten worden. Es sollte vom Angeklagten ein Supporterclub für die Hells Angels Kiel aufgebaut werden, um den Aufbau des verfeindeten Clubs zu verhindern und die Hells Angels allgemein zu unterstützen. Als „Belohnung“ für Rb. sei zwischen ihm und der Führung der Hells Angels beabsichtigt gewesen, nach erfolgreicher Beendigung der Auseinandersetzungen mit den Bandidos gemeinsam mit weiteren Personen ein eigenes Charter der Hells Angels in Kiel-Gaarden zu eröffnen. Ab etwa Ende 2009 habe der Angeklagte an regelmäßigen Treffen mit der Führung der Hells Angels teilgenommen. Zu dieser Zeit hätten unter anderem das spätere Opfer Be. und das ehemalige Vereinsmitglied Kr. beabsichtigt, in Preetz ein neues Chapter der mit den Hells Angels verfeindeten Bandidos zu gründen, dessen Vizepräsident das Opfer Be. werden wollte. In diesem Zeitraum, nämlich zum 1. Januar 2010, sei die Legion 81 „offiziell“ gegründet worden. Präsident sei Rb. gewesen. Die Struktur der Hells Angels sei übernommen worden. Es habe insgesamt der Grundsatz von Befehl und Gehorsam gegolten, wobei der Zusammenschluss auf der einen Seite auf dem Gedanken einer Bruderschaft, auf der anderen Seite bei Verstößen und Versagen auf Bestrafung durch Demütigung und Gewalt beruht habe. Rb. seinerseits habe den Hells Angels unterstanden. Als eine erste Bewährungsprobe habe der Präsident der Legion 81 von den Hells Angels den Auftrag erhalten, das Opfer Be. als Bestrafung für einen ins Internet gestellten, die Hells Angels demütigenden Comicstrip sowie für die Pläne zur Eröffnung eines Bandidos-Chapters in Preetz durch Legionäre zu verprügeln. Diverse Versuche in dieser Richtung seien jedoch gescheitert. Rb. sei dann von den führenden Personen der Hells Angels damit beauftragt worden, dafür zu sorgen, dass Mitglieder der Legion 81 einen Schuss auf das Bein des Zeugen Be. abgäben. Der Geschädigte habe eine letzte Warnung erhalten und konkludent mit dem Tode bedroht werden sollen. Rb. habe bei einem Treffen mit H., D.R. und Ge. 5.000,-- Euro Bargeld erhalten, wovon 3.000,-- Euro als teilweise Entlohnung für den Auftrag und 2.000,-- Euro für den Kauf eines Fahrzeugs zur Ausführung der Tat gedacht gewesen seien. Ferner sei dem Angeklagten zuvor im Rahmen einer größeren Waffenlieferung von Ge. ein Revolver der Marke Weihrauch Arminius Kaliber 38 Spezial übergeben worden, mit welchem der Schuss durch den Zeugen B. abgegeben werden sollte. Das Mitglied der Legion 81 B. sei von Rb. mit dem Argument, die Tat würde einen Befähigungsnachweis gegenüber den Hells Angels darstellen, als Schütze eingeteilt worden. Am Morgen des 20. Januar 2010 seien B. und der als Fahrer fungierende Zeuge U. mit dem geladenen Revolver, Schlagstöcken und zur Maskierung dienenden Sturmhauben nach Preetz gefahren. Rb. habe sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb Kiels befunden, um nicht in Tatverdacht geraten zu können. Er habe sich als Verantwortlicher für die Organisation des ihm anvertrauten Anschlags auf Be. gesehen. Gegen 9.20 Uhr trafen nach Feststellung des Landgerichts Kiel B. und U. am Wohnort von Be. ein. Der Zeuge B. kurbelte das Fenster der Beifahrertür hinunter und zielte auf den nur wenige Meter von ihm entfernten Be., entschloss sich jedoch dann, entgegen dem eigentlichen Tatplan nicht in dessen Bein zu schießen, sondern schoss neben den Zeugen Be. auf das Garagentor. Aufgrund der von Be. der Polizei gegenüber gegen 9.35 Uhr abgegebenen Fahrzeugbeschreibung konnte das in Richtung Kiel flüchtende Auto festgestellt und gestoppt werden. Die Zeugen B. und U. wurden vorläufig festgenommen. Bei der Durchsuchung des Fahrzeugs wurde - unter anderem - der für die Tat benutzte Revolver sichergestellt.

113

Mit der Tatausführung seien weder der Angeklagte noch die Verantwortlichen der Hells Angels zufrieden gewesen. Die für die Verteidigung B.s und U.s notwendig werdenden Anwaltskosten seien von den Verantwortlichen der Hells Angels nicht übernommen worden, da es „für ein Loch in einer Garage“ kein weiteres Geld gebe. Letztlich sei der Zweck der Einschüchterung aber eingetreten. Der Zeuge Be. habe unter Aufgabe der Pläne der Gründung eines Bandidos-Chapters in Preetz seine „Kutte“ der Bandidos bei den Hells Angels abgegeben und ein ihm auferlegtes Strafgeld gezahlt.

114

Das Kerngeschehen beim Anschlag auf Be. am 20. Januar 2010 ist unstreitig.
Rb. ist durch Urteil des Landgerichts Kiel (rechtskräftig seit dem
15. August 2012) als Mittäter, nicht lediglich als Anstifter, verurteilt worden. Er sei gemeinsam mit jedenfalls B. aufgrund eines gemeinsamen Tatwillens und mitgewollter gemeinsamer Tatherrschaft tätig gewesen. Zwar habe er keine Mitwirkung am Kerngeschehen vor Ort in Preetz erbracht, jedoch die gemeinsam gewollte Tat durch weitgehende Vorbereitungshandlungen gefördert, insbesondere bestimmte Personen als Fahrer und Schützen festgelegt und ihnen den Tattag und die Tatausführung, welche von ihm in Absprache mit den Hells Angels entwickelt worden sei, vorgegeben, die Anschaffung des Tatfahrzeuges befohlen sowie dessen Zulassung veranlasst. Auch habe er den Revolver gestellt und diesen dem Zeugen B. übergeben. Der Kläger bestreitet das Kerngeschehen nicht, macht jedoch geltend, die Tat könne dem Verein nicht zugerechnet werden. Ein Vereinsbezug zum HAMC Kiel sei nicht nachgewiesen beziehungsweise widerlegt. Dies ergebe sich auch aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel vom 28. Dezember 2011 im Ermittlungsverfahren 593 Js 32213/11. Der Belastungszeuge Rb. sei unglaubwürdig. Dies gehe aus dem Schreiben des Generalbundesanwaltes vom 15. August 2012 hervor, mit dem dieser wegen Unbrauchbarkeit der Zeugenaussage des Rb. eine Übernahme der Ermittlungen wegen angeblicher Waffengeschäfte zwischen dem HAMC Kiel und dem NSU abgelehnt habe. Dem folgt der Senat nicht. Die Tat vom 20. Januar 2010 ist dem Kläger zuzurechnen, auch wenn sie nicht durch Vereinsmitglieder ausgeführt worden ist. Der Hintergrund der Tat ist aufgrund der Aussagen des Angeklagten Rb. beleuchtet worden. Der Umstand, dass - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - der Generalbundesanwalt in anderem Zusammenhang (angebliche Waffengeschäfte zwischen dem Kläger und dem NSU) die Aussagen des Rb. als unbrauchbar eingestuft hat, führen nicht zur allgemeinen Unglaubwürdigkeit des Rb.. Die Würdigung des Landgerichts, wonach den Aussagen Rb.s bezüglich der Tat vom 20. Januar 2010 zu folgen sei, ist für den Senat nachvollziehbar. Während Bezichtigungen in anderem Zusammenhang damit erklärt werden könnten, Rb. habe absichtlich übertrieben, um seinen Wert als Belastungszeuge gegenüber dem HAMC Kiel zu steigern und sich dadurch möglicherweise einen größeren Strafnachlass zu sichern, ist hier von Bedeutung, dass Rb. sich selbst schwer belastet hat. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Anschlag auf Be. im Interesse des Klägers ausgeübt wurde mit dem (letztlich auch erreichten) Ziel der Verhinderung eines konkurrierenden Chapters der Bandidos in Preetz. Dies wird nicht dadurch widerlegt, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Sergeant at Arms Ge. eingestellt worden ist. Ge. wurde in diesem Ermittlungsverfahren (Fall 1h) zur Last gelegt, eine Sporttasche mit Waffen im Treffpunkt der Supporterorganisation „Legion 81“ an deren Mitglieder übergeben zu haben. Die Einstellung erfolgte, da aufgrund der Vagheit der Angaben des Zeugen B. und der nicht sichergestellten Waffen und der damit einhergehenden fehlenden Möglichkeit einer Überprüfung durch einen Sachverständigen sowie der ergebnislos erfolgten zeitweiligen Überwachung der Kommunikation von Ge. eine Wahrscheinlichkeit späterer Verurteilung durch die Staatsanwaltschaft verneint wurde. Das Verfahren ist deshalb gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Dies steht einer Zurechnung nach den oben beschriebenen vereinsrechtlichen Kriterien jedoch nicht entgegen. Der Nachweis einer Übergabe der Sporttasche mit Waffen durch Ge. ist hierfür ebenso wenig erforderlich wie eine Verurteilung einzelner Vereinsmitglieder wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Tat vom 20. Januar 2010. Es ist auch nicht der Nachweis erforderlich, dass ein oder mehrere Vereinsmitglieder - wie dies bei der Anstiftung gemäß § 26 StGB im Hinblick auf den Vorsatz des Anstifters erforderlich ist - sich der wesentlichen Punkte der dem Angestifteten angesponnenen Tat bewusst waren. Es reicht aus, dass führende Vereinsmitglieder eine Einschüchterung des Zeugen Be. wünschten. Hiervon ist der Senat aufgrund der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils überzeugt. Dass der Senat diese tatsächlichen Feststellungen zugrundelegen will, ist im Übrigen in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden; die Parteien haben dem in der mündlichen Verhandlung insoweit auch nicht widersprochen. Der Vereinsbezug wird zusätzlich dadurch deutlich, dass - wiewohl der Schuss „nur“ auf das Garagentor abgegeben wurde - der Geschädigte Be. den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils zufolge unter Aufgabe der Pläne der Gründung eines Bandidos-Chapters in Preetz seine Bandido-„Kutte“ bei den Hells Angels abgab und ein ihm auferlegtes Strafgeld zahlte.

115

Ein Nachweis der konkreten Kenntnis von führenden Vereinsmitgliedern von der Tatausführung im Detail ist für eine Zurechnung nicht erforderlich. Entsprechend steht die fehlende strafrechtliche Verurteilung von Mitgliedern des Klägers wegen Mittäterschaft, Beihilfe oder Anstiftung zum Attentat auf Be. dieser Wertung nicht entgegen. Das Motiv, durch die Einschüchterung die Gründung eines konkurrierenden Chapters der Bandidos in Preetz zu verhindern, diente der Erhaltung und Festigung des territorialen Machtanspruches des Klägers und der Vorbeugung einer konkurrierenden Betätigung durch die Bandidos. Bei dieser Sachlage ist die Zurechnung der Tat vom 20. Januar 2010 gerechtfertigt. Sie stellt sich ebenfalls als vereinsprägend dar.

116

Auch diese Straftat kann bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots aus den oben bereits dargelegten Gründen herangezogen werden und begründet bereits für sich allein genommen die Strafgesetzwidrigkeit des klagenden Vereins. Diese Schlussfolgerung wird noch bestärkt durch den Umstand, dass das Attentat auf Be. zwar - soweit ersichtlich - ein besonders schwerwiegender Einschüchterungsversuch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und den Bandidos, nicht jedoch der einzige gewesen ist. Nach den im Wesentlichen auf dem Geständnis des Rb. beruhenden Feststellungen des Landgerichts Kiel, denen der Senat folgt, beauftragten führende Mitglieder des HAMC Kiel Rb. als Präsident der Legion 81 damit, das Mitglied der Bandidos in Neumünster, C., zu schädigen. Mitglieder der Legion 81 sollten die Scheiben im Hause des Zeugen C. einwerfen und diesen, wenn er aus dem Haus herauskäme, verprügeln. Dementsprechend fuhren mehrere Mitglieder der Legion 81 mit Steinen zum Wohnort des C. nach Molfsee und schlugen die Scheiben des Wohnzimmerfensters ein. Da niemand heraustrat (C. befand sich an diesem Abend nicht im Haus), fuhren die Täter wieder davon. Der Senat schließt sich der Bewertung des Landgerichts an, wonach die ihn selbst in diesem Punkte belastenden Zeugenaussagen des Rb. glaubhaft sind. Auch hier ist eine Zurechnung der Straftat (gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung) zum Kläger gerechtfertigt, da die Tat vor dem Hintergrund der rivalisierenden Auseinandersetzung mit den Bandidos im Interesse der eigenen Machtentfaltung und territorialen Gebietsabgrenzung des Klägers erfolgte.

117

Hinzu kommt die im Urteil des Landgerichts Kiel vom 14. Juni 2012 ebenfalls abgeurteilte gemeinschaftlich begangenen Sachbeschädigung vom 4. Mai 2010, bei der ein Fahrzeug des seinerzeitigen Bandidos-Mitglieds Mh. in Kiel durch Rb. und weitere Mitglieder der Legion 81 beschädigt wurde. Auch diese vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung der Bandidos und der Hells Angels und deren Interesse an der Durchsetzung ihres territorialen Gebietsanspruches in Kiel zu sehende Straftat geschah mit Wissen und Billigung von Funktionsträgern des Klägers und in seinem Interesse.

118

Rb. ist in dem bezeichneten Urteil des Landgerichts Kiel ferner rechtskräftig wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit Zuhälterei und mit Beihilfe zur Zuhälterei verurteilt worden. Dem lag - unter anderem - zugrunde, dass Rb. die unter 21 Jahre alte Frau W. zur Prostitution brachte und seines Vermögensvorteils wegen Ort, Zeit und Ausmaß ihrer Prostitutionsausübung bestimmte. Rb. überredete zusammen mit dem Mitglied der Legion 81 T. Frau W. und deren Freundin Ba. Ende September/Anfang Oktober 2010, in der „Aphrodite“ mitzuarbeiten, um dort dann bereits nach kurzer Zeit der Prostitution nachzugehen. Das Landgericht traf hierzu die Feststellung, es habe Ende September 2010 von Rb. und Herrn T. den Plan gegeben, die kennengelernten Frauen, von denen sie wussten, dass sie unter 21 Jahre gewesen seien, zur Prostitution zu bringen, um daraus Gewinn ziehen zu können. Frauen zur Prostitution zu bringen und an dem Prostitutionsgewinn teilzuhaben, sei Mitgliedern der Hells Angels und der Legion 81 regelmäßig von der Führung nahegelegt worden. Dies sei zum einen aus finanziellen Gründen geschehen. Zum anderen sei damit auch ein Ansehensgewinn zu erreichen gewesen. Besonders aktiven Zubringern sei der Status als Mitglied der sogenannten „red-light-crew“ verliehen worden, einer Sondergruppierung der Hells Angels, die durch eine entsprechende Kennzeichnung auf den Kutten erkennbar gewesen sei. Mit der Zugehörigkeit zur „red-light-crew“ sei die besondere Stellung im Rotlichtbezirk verdeutlicht worden. Eine solche „Auszeichnung“ habe Ansehen innerhalb der Gruppen, insbesondere bei den Hells Angels verschafft. Auch für den Angeklagten, der Mitglied der „red-light-crew“ wurde und für die übrigen Member der Legion sei dies von einiger Wichtigkeit gewesen, da ein entsprechendes Ansehen notwendig war, um wie geplant das Hells Angels Charter Kiel Süd eröffnen zu können und zu dürfen. Bei der Bar „Aphrodite Wellness-Club“ in Grevenkrug an der B 4 habe es sich um ein legales von den Hells Angels betriebenes Bordell gehandelt. Die finanziellen Bedingungen seien dergestalt geregelt gewesen, dass der Club 50 % der Prostitutionseinnahmen behalten habe; 25 % seien an die Prostituierte und 25 % an den jeweiligen Zuhälter gegangen. Rb. habe Ort, Zeit und Ausmaß der Prostitutionsausübung von Frau W., T. Ort, Zeit und Ausmaß der Prostitutionsausübung von Frau Ba. bestimmt. Gegen den Wunsch der Frauen bestimmten sie auch, dass die Frauen ab Ende Oktober 2010 in dem ebenfalls von den Hells Angels geführten, jedoch illegalen Bordell „White House“ in Flensburg der Prostitution nachgehen sollten, weil dort mehr Kundschaft auflief und dementsprechend höhere Gewinne erzielt werden konnten. Frau W. habe sich im Januar 2011 der Polizei offenbart, während sie noch der Prostitution nachgegangen sei, wobei sie diese vorwiegend in der „Aphrodite“ ausgeübt habe. Außerdem habe Rb. sie gezwungen, regelmäßig nach Treffen der Legion 81 mit dem damaligen Vizepräsidenten der Hells Angels Kiel, dem gesondert verfolgten P., eine Wohnung aufzusuchen, wo dieser die Zeugin W. mehrfach sexuell missbraucht und vergewaltigt habe und ihr durch Einführen eines großen Dildos in den Analbereich erhebliche Schmerzen zugefügt habe. Dabei ist das Landgericht zugunsten von Rb. davon ausgegangen, dass dieser von dem genauen Geschehen, insbesondere der Zufügung der Schmerzen, zu diesem Zeitpunkt nicht informiert gewesen sei, sondern lediglich von einer Prostitutionstätigkeit ausgegangen sei. Die von Rb. begangenen Straftaten (§§ 232 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Nr. 3, 1. Alternative, 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) prägen den Kläger. Dabei ist unerheblich, dass der Vizepräsident des Klägers, P., wegen der ihm vorgeworfenen sexuellen Handlungen an W. nicht rechtskräftig verurteilt ist. Hierauf kommt es bei der Zurechnung der von Rb. im Zusammenhang mit der Ausübung der Prostitution begangenen Straftaten nicht an. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat nicht in Zweifel zieht, entsprach es dem ausdrücklichen Wunsch führender Mitglieder des Klägers, dass durch die Mitglieder der Legion 81 für Nachschub an Prostituierten gesorgt wurde, die in der Aphrodite beziehungsweise im White-House arbeiteten. In der mündlichen Verhandlung ist darauf hingewiesen worden, dass nach den Ausführungen im Urteil des Landgerichts Kiel v. 14. Juni 2012 jedenfalls diese beiden Betriebe von den Hells Angels geführt wurden. Dies ist in der mündlichen Verhandlung konkret nicht mehr bestritten worden. Auch hat der Kläger nicht bestritten, dass Rb. Mitglied der „red-light-crew“ war und dass der im Urteil des Landgerichts Kiel festgestellte Verteilungsschlüssel für die Einnahmen aus dem Bordellbetrieb (50 % an den Betreiber) zutrifft. Bei dieser Sachlage ist eine Zurechnung der von Rb. begangenen Straftaten an den Verein gerechtfertigt. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass der Kläger durch die Etablierung eines Ansehen verschaffenden Mitgliedsstatus bei der sogenannten red-light-crew, welcher durch entsprechenden Aufnäher auf der Kutte erkennbar war, seinen Einfluss und seine Interessen im Bereich des Rotlicht-Milieus manifestiert hat. Zwar ist das Betreiben eines Bordells - worauf der Kläger hingewiesen hat - für sich genommen nicht strafbar. Dies ändert aber nichts daran, dass der Kläger, wenn er seine Interessen auf diesen Bereich erstreckt und durchzusetzen versucht, eine Verantwortung dafür trägt, dass es nicht zu Straftaten seiner Mitglieder in diesem Bereich kommt bzw. dass er sich von Mitgliedern, erst recht von Funktionsträgern distanziert, die Straftaten begangen haben, die mit dem Rotlichtmilieu in eindeutigem Zusammenhang stehen.

119

Dabei kann trotz des erheblichen zeitlichen Abstandes nicht außer Betracht bleiben, dass D.R., der Präsident des Klägers, und P., der Vizepräsident, durch das Landgericht Kiel mit rechtskräftigem Urteil vom 16. April 2003 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von jeweils 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden sind. Der Kläger hält eine Zurechnung zum Verein für fehlerhaft, da ein zeitlicher Bezug zum Vereinsverbot vom
18. Januar 2012 fehle, das Bordell in Kiel nicht vom Kläger selbst betrieben werde und eine organisatorische Hilfe des Vereins speziell bei der der Verurteilung zugrunde liegenden Einschleusung nicht dargetan sei. Der Betrieb einer prostitutiven Einrichtung sei zudem vollkommen legal. P., D.R. und (der zwischenzeitlich verstorbene) Andreas St. hätten sich lediglich persönliche Einnahmequellen verschaffen wollen. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach der unter anderem auf den Geständnissen der Angeklagten fußenden Überzeugung des Landgerichts vereinbarten P. und D.R spätestens im September 1999, in Kiel ein Bordell unter Einsatz zumeist ausländischer, möglicherweise illegal aufhältiger Frauen zu betreiben. Der Angeklagte P. sollte der Ansprechpartner und Hauptverantwortliche in dem Bordell sein. Der Angeklagte D.R wollte die entsprechenden Räumlichkeiten besorgen und die organisatorische und verwaltungstechnische Abwicklung gestalten. Der Angeklagte St. erklärte sich bereit, als Hauptwirtschafter des Bordells zu fungieren und die übrigen Wirtschafter, die vor allem aus dem Kreise der sonstigen Hells Angels in Kiel rekrutiert werden sollten, zu überwachen. Er sollte sich vorwiegend nachts in dem Bordell aufhalten, die Miete kassieren und Belegungslisten erstellen. Diese sollten von dem Angeklagten D.R kontrolliert und weiterbearbeitet werden. Entsprechend dem vorgefassten Plan übernahm der Angeklagte D.R die Anmietung des Gebäudes im Wall 50 in Kiel, um dort das Bordell „Eros Center“ zu gründen. Zunächst mietete der Angeklagte D.R über seine Lebensgefährtin das Objekt zum 15. Dezember 1999 an. P. und St. bewarben das Objekt im September 1999, so dass die Eröffnung am 15. Dezember 1999 stattfinden konnte. Die Angeklagten unterstützen in der Folgezeit zahlreiche Ausländerinnen, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, indem sie den zum
großen Teil freiwillig in das Bordell kommenden ausländischen Frauen erlaubten, dort eine Tätigkeit als Prostituierte aufzunehmen. Die Angeklagten ließen sich von den Frauen einen Vermögensvorteil versprechen oder auszahlen, indem sie den angereisten Frauen unmittelbar nach Ankunft eine Kaution in Höhe von 500,-- DM beziehungsweise
250,-- Euro abnahmen beziehungsweise in Rechnung stellten und in der Folgezeit eine Zimmermiete in Höhe von täglich an die Nachtwirtschafter zu entrichtenden 200,-- DM oder 100,-- Euro abverlangten. Die sogenannte Kaution wurde in keinem Fall zurückerstattet. Als Gegenleistung gewährten die Angeklagten den Prostituierten Unterkunft, damit diese ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen und die entsprechenden Gelder erarbeiten konnten. Ihrer Zielsetzung entsprechend organisierten die Angeklagten in ständiger Abstimmung arbeitsteilig die Geschehensabläufe in dem Bordell. Sie machten den dort tätigen
Prostituierten und Wirtschaftern aus der Hells Angels-Szene Vorschriften hinsichtlich der Arbeitsabläufe und überwachten deren Einhaltung. Gegenüber den Prostituierten gab sich P. regelmäßig als der Hauptverantwortliche und damit Ansprechpartner des Bordells aus. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landgericht als erheblich belastend den Umstand, dass die beiden Angeklagten P. und D.R als Hauptinitiatoren der planmäßigen Verstöße gegen das Ausländergesetz anzusehen seien. D.R habe die Aufgabe des Organisators der Räumlichkeiten und der verwaltungstechnischen Abwicklung wahrgenommen, während der Angeklagte P. für die Beschaffung der Frauen und als deren Ansprechpartner aufgetreten sei. Sie hätten auch den Hauptgewinn aus dem dargestellten Erlös erlangt. Dabei hätten sie sich die Organisationsstruktur der Organisation der Hells Angels zunutze gemachte, indem sie diese als Wirtschafter eingesetzt hätten. Angesichts dieser herausragenden Bedeutung von P. und D.R bei dem Betrieb des Bordells hätten die Strafen nicht mehr dem unteren Bereich des Strafrahmens entnommen werden können.

120

Der Senat sieht keinen Anlass, an den auf den nach Ansicht des Landgerichts Kiel glaubhaften Geständnissen der Angeklagten und den übrigen in der Hauptverhandlung herangezogenen Beweismitteln beruhenden Feststellungen des Urteils vom 16. April 2003 zu zweifeln. Auch wenn das „Eros-Center“ nicht vom Kläger betrieben wurde, so stehen die im Zusammenhang mit dem Bordellbetrieb stehenden Verstöße gegen das Ausländergesetz doch in Zusammenhang mit seiner Organisationsstruktur. Von einer Distanzierung des Klägers kann keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei D.R. und P. um die Führungsspitze des Klägers.

121

Das (ehemalige) Vereinsmitglied Kr. ist mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. Dezember 2011 rechtskräftig wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei und Körperverletzung verurteilt worden. Der Beginn der Verwirklichung dieser Straftatbestände liegt im März 2005. Zu diesem Zeitpunkt war Kr. Mitglied des Klägers. Er ist unstreitig erst Ende 2006 aus dem Verein ausgeschieden. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die im Kern auch vom Kläger nicht bestritten werden, verwirklichte Kr. den Tatbestand des schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, als er die vor ihm aus Kiel geflohene M. im März 2005 aus Hannover abholen ließ und nach ihrer Rückkehr durch Schläge und Drohungen dazu brachte, die Prostitution für ihn nach seinen Vorgaben weiter fortzusetzen. M. habe durch ihre Flucht zum Zeugen H. nach Hannover im März 2005, wo sie für ein „neues Leben“ habe Geld verdienen wollen, gezeigt, dass sie die Prostitution für den Angeklagten nicht weiter fortsetzen wollte. Kr. habe ab März 2005 gegen den Willen des Opfers deren Tätigkeit im Bordell „Innenhof“ in Kiel kontrolliert. Er habe von ihr gefordert, dass sie auch Personen, zu denen sie keinen Kontakt aufnehmen wollte, anspreche und mit ihnen anschließend den entgeltlichen Geschlechtsverkehr vollziehen sollte. Für den Fall der Nichtfolgeleistung habe Kr. der Nebenklägerin Schläge angedroht. Er habe Frau M. im Zuge fast täglicher Auseinandersetzungen geschlagen, wobei sich mit zunehmender Dauer der Beziehung die Intensität der Schläge gesteigert habe. Kr. habe der Prostituierten einen so erheblichen Teil ihrer Einnahmen entzogen, dass es zu einer gravierenden Beschränkung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit geführt habe, wodurch er sich der ausbeuterischen, ferner auch aufgrund seiner bestimmenden Einflussnahme auf die Prostitutionstätigkeit der dirigierenden Zuhälterei gemäß § 181 a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB strafbar gemacht habe.

122

Auch diese, von einem Vereinsmitglied begangene Straftat ist dem Verein zuzurechnen. Der Kläger macht insoweit geltend, die Ausbeutung der Zeugin M. sei ohne Billigung des Vereins geschehen. Das Verhalten des Kr. habe auf individueller und krankhafter Eifersucht beruht. Auf das zu missbilligende Verhalten sei der Verein erst nach der Flucht der Nebenklägerin nach Hannover aufmerksam geworden. Für die Rückführung aus Hannover habe Kr. einen privaten Kontakt genutzt. Zudem sei Kr. im Dezember 2006 ausgeschlossen worden; der Verein habe sich mithin distanziert. Soweit die Verbotsverfügung argumentiere, der Austritt von Kr. aus dem Verein beruhe darauf, dass er sich von Vereinsinteressen im Prostitutionsgewerbe distanziert habe, stehe dies mit den Feststellungen des Landgerichts selbst nicht in Einklang, wonach Kr. sogleich nach seinem Ausschluss das Opfer M. dazu bestimmt habe, als Prostituierte in einem Bordell in Nürnberg weiterhin der Prostitution nachzugehen.

123

Diese Argumentation stellt eine Zurechnung nach den benannten Kriterien jedoch nicht in Frage. Zunächst widerspricht es jeglicher Lebenserfahrung, dass die Lebens- und Arbeitsumstände der Prostituierten M. sämtlichen anderen Vereinsmitgliedern unbekannt geblieben seien. Das Bordell Innenhof gehörte, auch wenn es nicht vom Kläger selbst betrieben wurde, zum Einflussgebiet der Hells Angels Kiel. Der Kläger räumt auch selbst ein, dass er jedenfalls nach der Flucht der Nebenklägerin nach Hannover auf das zu missbilligende Verhalten (des Kr.) aufmerksam geworden sei. Dies war im März 2005. Gleichwohl verblieb Kr. unstreitig bis Ende 2006 Mitglied beim Kläger. Von
einer zeitnahen Distanzierung kann deshalb nicht gesprochen werden. Für einen Bezug zum Kläger sprechen ferner die Umstände der Flucht von Frau M. nach Hannover und deren Rückführung nach Kiel. Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete die Nebenklägerin während der Cebit 2005 (10. - 16. März 2005) nach Weisung des Angeklagten Kr. in einem Bordell des dortigen Hells Angels Präsidenten H. in Hannover. Nach ihrer Rückkehr nach Kiel kam es zum Streit mit Kr., woraufhin sich die Nebenklägerin in der Annahme, ihre Flucht zu einem „Vereinskameraden“ würde von Kr. womöglich eher akzeptiert werden als eine Flucht zu fremden Zuhältern, nach Hannover in das von dem Zeugen H. geführte Bordell begab. Bereits wenige Stunden nach dem Eintreffen im Bordell sei Frau M. von Kr. auf ihrem Zimmertelefon angerufen, bedroht und zur Rückkehr aufgefordert worden. Zwei Personen seien dann im Auftrag von Kr. nach Hannover gefahren und hätten die Nebenklägerin zurückgebracht, wo sie von Kr. geschlagen und mit weiteren Züchtigungen bedroht worden sei. In der Folgezeit habe er sie durch Drohungen gezwungen, weiter der Prostitution nachzugehen. Da sich der Angeklagte Ende 2006 mit den Hells Angels in Kiel überworfen habe, habe er den „Innenhof“, der in den von den Hells Angels beanspruchten Kieler Bereich fiel, aufgeben müssen. Die Nebenklägerin habe dann auf Anweisung von Kr. mit weiteren Frauen aus dem „Innenhof“ zunächst in einem Bordell in Nürnberg arbeiten müssen. Zu den Umständen der Rückführung von Frau M. aus dem Bordell in Hannover hat der Beklagtenvertreter - insoweit unwidersprochen - darauf hingewiesen, eine der Personen sei Thorsten Schütt gewesen. Dieser sei Mitglied des damaligen Supporter-Vereins MC Yakuza gewesen. Die von Kr. organisierte Rückführung und die damit verbundene Autofahrt falle in das typische Dienstleistungsspektrum der Unterstützervereine. Jedenfalls habe das „zu missbilligende Verhalten“ des Kr. in Bezug auf die Prostituierte M. nicht zum Ausscheiden aus dem Verein geführt. Dies sei vielmehr erfolgt, um ein zutage getretenes Konfliktpotenzial zwischen Kr. und dem Verein zu vermeiden. Kr. habe sich keineswegs vom Prostitutionsgewerbe abgewandt, sondern sich gegen die Übernahme eines weiteren Bordellbetriebs ausgesprochen, weil damit wirtschaftliche Konsequenzen für einen Freund außerhalb des Vereins verbunden gewesen wären.

124

Jedenfalls ist festzustellen, dass Kr. bis Ende 2006 Mitglied des Klägers blieb, obgleich - auch nach dem Vorbringen des Klägers - dieser jedenfalls aufgrund der Flucht von Frau M. nach Hannover auf das zu missbilligende Verhalten von Kr. gegenüber Frau M. aufmerksam geworden ist. Es wurde gebilligt, dass das Vereinsmitglied Kr. Frau M. noch mehr als 1 1/2 Jahre im „Innenhof“ in Kiel als Prostituierte arbeiten ließ. Die oben bereits angesprochene gesteigerte Verpflichtung zu einer Distanzierung von Mitgliedern, die auch für den juristischen Laien erkennbar strafrechtlich relevante Verhaltenweisen an den Tag legen, die für das Rotlicht-Milieu typisch sind, sind bis zum Ausscheiden des Kr. aus dem HAMC Kiel auch nicht im Ansatz erkennbar.

125

Insgesamt ist der Senat der Auffassung, dass die in der Verbotsverfügung unter 3 c), 3 f) aufgeführten sowie der dem Kläger ebenfalls zurechenbaren Straftaten von Rb. zu Lasten von Frau W. - insofern bereits für sich genommen und unter Hinwegdenken der bereits erörterten Gewalttaten - die Feststellung rechtfertigen, dass Zweck und Tätigkeit des klägerischen Vereins den Strafgesetzen zuwider laufen. Erst recht ist dies in einer Gesamtschau der hier angesprochenen Straftaten der Fall.

126

Ergänzend und die Annahme der Strafgesetzwidrigkeit des Klägers weiter bestärkend ist der Umstand, dass auch die unter 2 o), q), r), s) und t) der Verbotsverfügung aufgelisteten Verstöße gegen waffenrechtliche Strafvorschriften dem Kläger zuzurechnen sind.

127

2o):

128

Am 12. Dezember 2009 wurde das Vereinsmitglied Edward Dabrowski im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung des „Motorradweihnachtsmarktes“ in Neumünster, die vom Verein „Hells Angels MC Charter Kiel“ ausgerichtet wurde, mit einem Einhandmesser sowie einem Schlagstock angetroffen (Straftat gem. § 52 Abs. 3 Nr. 9 i.V.m. § 42 Abs. 1 Waffengesetz). Das Strafverfahren (StA Kiel 593 Js 9039/10) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Neumünster vom 5. Mai 2010 gemäß § 153 a Abs. 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 300,-- Euro vorläufig für die Dauer von 6 Monaten eingestellt.

129

2q):

130

Das Mitglied RK wurde an diesem Tage mit einem Reizstoffsprühgerät ohne Kennzeichnung, einem Gassprühstock, einem Elektroschockgerät, einem Teleskopschlagstock, einem Reizstoffsprühgerät mit Kennzeichnung sowie einem Messer mit feststehender Klinge über 12 cm Länge (Straftat gem. § 52 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 42 Abs. 1 Waffengesetz) angetroffen. Das Strafverfahren (StA Kiel 593 Js 10426/10) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Neumünster vom 3. Juni 2010 (23 Ds 201/10) gemäß § 153 a Abs. 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages von 300,-- Euro vorläufig für die Dauer von 6 Monaten eingestellt.

131

2r):

132

Der Vizepräsident des Klägers P. wurde - ebenfalls am 12. Dezember 2009 - im Rahmen derselben öffentlichen Veranstaltung mit einem Einhandmesser, einem Delta-Dart-Dolch aus Metall, einem Delta-Dart-Dolch aus Hartplastik, einer Präzisionsschleuder mit Armstütze, einer Bauchtasche gefüllt mit Steinen und einer als Gehstock getarnten Hieb- und Stoßwaffe (Straftat gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 9 i.V.m. § 42 Abs. 1 Waffengesetz) angetroffen. Das Strafermittlungsverfahren (StA Kiel 593 Js 37907/10) wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts Neumünster (23 Ds 122/11) beendet. Der Strafbefehl zum Punkt 2r) ist in der Verfahrensübersicht (Beiakte B) nicht abgeheftet. Insofern trägt jedoch der Kläger selbst vor (S. 164 der Klagebegründung), dass der unter 2r) der Verbotsverfügung beschriebene Waffenfund bei P. durch Strafbefehl geahndet worden ist.

133

2s):

134

Das Mitglied Horst Bruno Neumann wurde am 12. Dezember 2009 im Rahmen derselben öffentlichen Veranstaltung mit einem sogenannten Delta-Dart-Dolch aus Hartplastik, einem Teleskopschlagstock sowie einem Säbel angetroffen (Straftat gem. § 52 Abs. 3 Nr. 9 i.V.m. § 42 Abs. 1 Waffengesetz). Das Verfahren (StA Kiel 578 Js 8157/10) wurde durch staatsanwaltliche Verfügung vom 8. März 2010 gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO eingestellt. Von der Verfolgung solle abgesehen werden, weil die Schuld als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung bestehe. Es lägen keine Vorstrafen vor.

135

2t):

136

Am 13. Dezember 2009 wurde das Vereinsmitglied Ge. am gleichen Ort mit einem Teleskopschlagstock sowie einem Einhandmesser angetroffen (Straftat gem. § 52 Abs. 3 Nr. 9 i.V.m. § 42 Abs. 1 Waffengesetz). Das Strafverfahren (StA Kiel 593 Js 9033/10) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Neumünster (23 Ds 174/10) gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig für die Dauer von 5 Monaten gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 500,-- Euro eingestellt.

137

Bei den bezeichneten Waffenfunden handelt es sich nicht etwa um bloße Ordnungswidrigkeiten, die mit Bußgeldbescheiden geahndet worden wären. Der Umstand, dass die Verfahren - bis auf den Fall 2r) - gegen Zahlung eines Geldbetrages oder aus personenbezogenen Gründen eingestellt wurden, ändert an der Verwirklichung der waffenrechtlichen Strafvorschriften nicht. Sämtliche Verstöße wurden von Vereinsmitgliedern begangen. Auch der Vizepräsident P. und der Sergeant at Arms Ge. sind hierbei in Erscheinung getreten. Die Verstöße wurden auf einer unstreitig vom Kläger ausgerichteten und kontrollierten Veranstaltung in Neumünster, dem Motorrad-Weihnachtsmarkt begangen. Damit ist ein eindeutiger Vereinsbezug zu bejahen.

138

Aus diesen waffenrechtlichen Verstößen kann zwar noch nicht auf eine systematische Bewaffnung des Vereins geschlossen werden; die Vorfälle belegen aber, dass mehrere Vereinsmitglieder koordiniert unter Missachtung von Strafvorschriften Waffen bei sich trugen, um „ihre“ Veranstaltung zu kontrollieren. Die Straftaten sind deshalb dem Verein zuzurechnen.

139

Ob auch noch weitere, in der Verbotsverfügung aufgelistete Straftaten von Vereinsmitgliedern begangen, und als vereinsprägend dem Kläger zuzurechnen wären, ist nach allem nicht mehr entscheidungserheblich.

140

Das Vereinsverbot ist bei dieser Sachlage auch ohne weiteres verhältnismäßig.

141

Die Forderung des Klägers, über die bisher von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats im Rahmen der Konturierung des Verbotsgrundes der Strafgesetzwidrigkeit entwickelten Kriterien zur Zurechenbarkeit und Prägung eines Vereins müssten aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips modifiziert und weiterentwickelt (verschärft) werden, teilt der Senat nicht. Er folgt der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Tatbestandsseite der Norm, das heißt bei der Prüfung Rechnung zu tragen ist, ob die Voraussetzungen eines Vereinsverbotes vorliegen. Hierbei bildet bei dem Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG das Erfordernis, dass ein unter dem Gesichtspunkt der Strafgesetzwidrigkeit relevantes Verhalten einzelner Personen dem Verein zurechenbar sei und dessen Charakter prägen muss, den Ansatzpunkt für die Berücksichtigung der aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ableitbaren Gebote (vgl. nur BVerwG, B. v. 19.11.2013 a.a.O. m.w.N.). Die Forderung des Klägers, darüber hinaus müsse nachgewiesen werden, dass sich der Verein nicht nur gegen die Rechtsordnung wendet, sondern sich als Ganzes kämpferisch-agressiv gegen die verfasste Rechtsordnung des Staates richtet, ist weder von Verfassungs wegen noch durch die Vorschrift des Art. 11 Abs. 2 EMRK im Rahmen des hier zu betrachtenden Verbotsgrundes gefordert und wird der Gefährlichkeit eines Vereins, dessen Charakter von strafrechtswidrigen Verhaltensweisen geprägt wird, nicht gerecht.

142

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass der EGMR an die Notwendigkeit des Eingriffes i.S. v. Art. 11 Abs. 2 EMRK einen strengen Maßstab anlegt und in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, bloße Erwägungen der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit genügten nicht, ist dies richtig, besagt aber nichts über die Verhältnismäßigkeit des vorliegenden konkreten Vereinsverbotes.

143

Soweit sich der Kläger auf die deutsche Übersetzung der Entscheidung des EGMR v. 11.10.2011 - 48848/07- (Urteil in der Sache Verein Rhino u.a. / Schweiz, ZVR-Online Dok. Nr. 25/2013) berufen hat, lässt sich aus dieser in der mündlichen Verhandlung erörterten Entscheidung keine Unverhältnismäßigkeit des hier zu beurteilenden Vereinsverbotes herleiten.

144

Das Urteil betriff die - vom EGMR verneinte – Frage, ob die Auflösung eines Hausbesetzervereins in der Schweiz im dort zu beurteilenden Einzelfall ein in einer demokratischen Gesellschaft notwendiger Eingriff i. S. v. Art. 11 Abs. 2 EMRK war. Im Hinblick auf das legitime Schutzziel „Rechte anderer“ (der Eigentümer der besetzten Gebäude) verneinte der Gerichtshof die Notwendigkeit mit der Erwägung, dass die Auflösung die Besetzung der Gebäude nicht beseitigt habe. Die Maßnahme habe nicht konkret und tatsächlich dem Schutz der Rechte der Gebäudeeigentümer zum Ziel gehabt.

145

Im Hinblick auf das Schutzziel „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ zweifelte der Gerichtshof bereits daran, ob die Auflösung, welche von den Eigentümern der besetzten Gebäude beantragt worden war, überhaupt aus diesem Grund erfolgt war, ließ dies jedoch dahinstehen. Jedenfalls war der EGMR von der Notwendigkeit der Maßnahme (zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) nicht überzeugt. Angesichts der Hausbesetzungen seit November 1988, der jahrelangen Weigerung der örtlichen kantonalen Behörden, Räumungsanordnungen durchzusetzen, solange die Wohnungen von den Eigentümern in spekulativer Absicht leer stehend gelassen wurden, und der Satzungsziele des Vereins (welche nach dem Selbstverständnis des Vereins eine gewisse politische Zielsetzung enthielten), fehle es jedenfalls an dem Nachweis, dass keine milderen Mittel zur Verfügung gestanden hätten.

146

Einen über den entschiedenen Fall hinausweisenden Rechtssatz dahin, dass bei einem Vereinsverbot die Behörden den Nachweis des Nichtvorhandenseins milderer Mittel stets in der Verbotsverfügung führen müssten, um den Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK zu genügen, ergibt sich aus der Entscheidung nicht. Bei einem strafrechtswidrigen Verein im Sinne des hier bejahten Verbotsgrundes entspricht die die verfassungsrechtliche Vorgabe umsetzende Verbotsverfügung vielmehr regelmäßig einem zwingenden sozialen Bedürfnis zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne der Rechtsprechung des EGMR.

147

Das durch die Strafgesetzwidrigkeit getragene Vereinsverbot erwiese sich auch dann als rechtmäßig, wenn die in Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 VereinsG einzig vorgesehene grundrechtseinschränkende Maßnahme des Verbots und der Auflösung wegen des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als „ultima ratio“ lediglich dann angewendet werden dürfte, wenn mildere Mittel wie partielle Betätigungsverbote, Warnungen oder die Anwendung von Straftatbeständen nicht in Betracht kämen bzw. ausgeschöpft wären (str., vgl. zum Meinungsstand Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, a.a.O.,
S. 184 ff.; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GGK, a.a.O., Art. 9 Rn. 46; Scholz,
in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand: Januar 2012, Art. 9 Rn. 114, 134; Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, 2. Aufl. 2004, Art. 9 Rn. 60). Solche Mittel wären hier angesichts der Dichte der strafrechtlichen Verfehlungen mit Vereinsbezug und der Massivität der Geschehen insbesondere vom 26. Juni 2005, 20. Januar 2010 und 15. März 2010 nicht ausreichend, um der Gefahr für Leib und Leben Dritter durch ein Fortbestehen der Vereinigung zu begegnen. Strafrechtliche Mittel sind von den Ermittlungsbehörden gegenüber Mitgliedern des Klägers hinreichend ausgeschöpft worden. Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Verbotsverfügung nicht die Funktion zu erfüllen hat, der Verbotsbehörde auf Rechtsfolgenseite der Norm die Ausübung von Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Sie dient vielmehr - jedenfalls in der Regel - allein dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine Vereinigung einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt, und durch die entsprechende Feststellung die gesetzlich vorgesehene Sperre für ein Vorgehen gegen den Verein aufzuheben. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist deshalb bereits - wie ausgeführt - auf der Tatbestandsseite der Norm Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2013, a.a.O. m.w.N.).

148

Nichts anderes folgt aus Art. 11 Abs. 2 EMRK. Diese Vorschrift gebietet die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, fordert jedoch nicht, dass die Verbotsbehörde in der Begründung der Verbotsverfügung den Nachweis des Nichtvorhandenseins milderer Mittel führen muss. Hiervon abgesehen hat sich aber die Verbotsbehörde vorliegend auch ausdrücklich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit des Vereinsverbots auseinandergesetzt (S. 40 bis 42 der Verbotsverfügung).

149

Entgegen der Auffassung des Klägers war der Beklagte auch nicht etwa verpflichtet, im Hinblick auf die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit besondere Vorkehrungen für ein Wiederaufleben des verbotenen Vereins - etwa durch eine Befristung des Verbots - zu treffen. Mit dem Vereinsverbot wird der Verein aufgelöst; er erlischt mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verbots und der Anordnung über die Einziehung seines Vermögens (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 2 Satz 1 und 3 VereinsG). Eine Befristung des Vereinsverbots aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist regelmäßig nicht erforderlich, zumal sich die betroffenen Vereinsmitglieder jederzeit zu einer neuen - nicht verbotenen - Vereinigung zusammenschließen könnten (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.2012 - NVwZ 2013, 870).

150

Zu Recht hat auch der Beklagtenvertreter in der Klagerwiderungsschrift vom 16. Dezember 2013 darauf hingewiesen, dass eine bloße Auflage dahin, Straftäter als Mitglieder auszuschließen oder nicht aufzunehmen oder den Kontakt zu verurteilten Mitgliedern abzubrechen, nicht in gleicher Weise geeignet ist, den strafgesetzwidrigen Zweck des Vereins zu unterbinden. Der Beklagte war insbesondere nicht verpflichtet, die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in Erwägung gezogenen sogenannten Minusmaßnahmen zunächst als milderes Mittel zu versuchen. Diese Forderung wird der Gefährlichkeit einer Vereinigung wie dem Kläger nicht gerecht, der durch die Straftaten seiner Mitglieder geprägt wird.

151

Dagegen erweist sich die Feststellung in Ziffer 1 Satz 2 der angefochtenen Verbotsverfügung, dass sich der klägerische Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte, als nicht hinreichend tragfähig und damit rechtswidrig. Sie ist demzufolge aufzuheben.

152

Zu der durch den Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2, 2. Alt. GG geschützten verfassungsmäßigen Ordnung gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor allem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, das demokratische Prinzip mit der Verantwortlichkeit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Das Verbot einer Vereinigung ist nicht schon gerechtfertigt, wenn diese die verfassungsmäßige Ordnung lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegenstellt. Sie muss ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch kämpferisch-aggressiv verwirklichen wollen. Dazu genügt, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will. Sie muss ihre Ziele nicht durch Gewaltanwendung oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen. Die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Ziele einer Vereinigung lassen sich in der Regel weniger ihrer Satzung und ihrem Programm, sondern eher ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Publikationen sowie den Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer Funktionsträger entnehmen. Da Vereinigungen etwaige verfassungsfeindliche Bestrebungen erfahrungsgemäß zu verheimlichen suchen, wird sich der Verbotstatbestand in der Regel nur aus dem Gesamtbild ergeben, das sich aus einzelnen Äußerungen und Verhaltensweisen zusammenfügt (BVerwG, std. Rspr., vgl. Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 -, Juris Rn. 13 f.; Beschl.
v. 11.08.2009 - 6 VR 2/09 -, NVwZ-RR 2009, 803; Urt. v. 05.08.2009 - 6 A 3/08 -, BVerwG 134, 275 f., Juris Rn. 44 f; Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, NVwZ 2003, 986). Auch das Gewaltmonopol der Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland gehört zu der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes, welche eine der Grundelemente der verfassungsmäßigen Ordnung darstellt (BVerwG, Urt. v. 27.11.2002, a.a.O., Juris
Rn. 37). Ein durch eine eigene Ordnung mit Maßnahmen der Gewaltausübung zu deren Sicherung verbundener Herrschaftsanspruch, welcher der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland entgegengesetzt wird, kann eine kämpferisch-aggressive Weise der Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung darstellen, wenn etwa systematisch die Legitimität der verfassungsmäßigen Ordnung bestritten wird und Anhänger der eigenen propagierten Ordnung geschult, indoktriniert und zu Verfassungsfeinden herangezogen werden (vgl. ebd., Rn. 42).

153

In der Verbotsverfügung wie auch ergänzend durch den Vortrag des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Erfüllung dieses Verbotsgrundes des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Wesentlichen mit der Unterstützung straffällig gewordener Vereinsmitglieder aus Mitteln eines sogenannten Defense-Funds begründet worden.

154

Für das Vorliegen des zusätzlichen Verbotsgrundes des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung trägt der Beklagte die materielle Beweislast.

155

Die aus den zum Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit als tragend bzw. ergänzend angeführten strafbaren Verhaltensweisen der Mitglieder des Klägers, welche ihm zuzurechnen sind, belegen zwar eine Bereitschaft, Vereinsziele erforderlichenfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Eine kämpferisch-aggressive Verfolgung gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteter Ziele liegt in diesen konkret beim Kläger festgestellten Verhaltensweisen jedoch nach Auffassung des Senats noch nicht. Die für den Verbotsgrund des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung unerlässliche Komponente einer aktiven Bekämpfung muss sich nämlich gerade gegen die für staatliche Strukturen grundlegende Prinzipien richten. Sie liegt nicht bereits vor, wenn eine Gewaltbereitschaft gegenüber anderen privaten Personen oder Gruppierungen festgestellt wird. Andernfalls wären weite Teile der organisierten Gewaltkriminalität deckungsgleich mit Bestrebungen, die sich auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Ein solch weites Verständnis des Verbotsgrundes des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung ist aus Sicht des Senates weder gerechtfertigt noch notwendig, da die in einer Gewaltanwendung liegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit bereits durch den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit abgedeckt wird. Vielmehr bestehen für die Feststellung des Verbotsgrundes des § 3 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2, 2. Alt. GG hohe Hürden, die über die reine Strafrechtswidrigkeit eines Vereins hinausgehen. Zu einem im Sinne der angegriffenen Verbotsverfügung weitgreifenden Verständnis dieses Verbotsgrundes veranlasst auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit dem Vereinsverbot des sog. „Kalifatstaates“, im Rahmen derer fachgerichtlich eine kämpferisch-aggressive Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele bejaht worden und dieses vom Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich unbeanstandet geblieben war (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, a.a.O., Juris Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 02.10.2003 - 1 BvR 536/03 -, BVerfGK 2, 22, Juris Rn. 22 f.). Der in diesem Einzelfall festgestellte Anspruch des verbotenen Vereins, legitimerweise Gewalt anstelle einer staatlichen Ordnung ausüben zu dürfen, wurde höchstrichterlich auf dem Hintergrund eines betonten Selbstverständnisses des Vereins „Kalifatstaat“ gewürdigt, einen Staat mit eigenem Rechtssystem (Scharia) unter gänzlicher Verdrängung der staatlichen Herrschaftsordnung, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland und anderen betroffenen Staaten existiert, zu errichten. Ein ähnlich weit reichender Anspruch, der mit der verfassungsmäßigen Ordnung notwendigerweise kollidiert, ist für den Kläger im vorliegenden Verfahren weder aus der Verbotsverfügung und dem sie verteidigenden Beklagtenvortrag noch aus den sonstigen beigezogenen Vorgängen ersichtlich. Eine finanzielle Unterstützung straffälliger Vereinsmitglieder reicht hierfür nicht aus. Dies impliziert noch nicht, dass der Kläger eine eigene Rechtsordnung etablieren will und sich kämpferisch-agressiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richtet. Der Kläger und seine Mitglieder haben vielmehr beansprucht, Auseinandersetzungen mit einer konkurrierenden beziehungsweise rivalisierenden Vereinigung oder Einzelpersonen auch mit Gewalt zu führen, während sie in Bezug auf die staatliche Gewalt im Wesentlichen eine Verweigerungshaltung in Bezug auf Aussagen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entfaltet haben. Hieraus lässt sich ein Herrschaftsanspruch, der die rechtsstaatliche Ordnung in maßgeblicher Weise ersetzen und damit die Verfassung aktiv-kämpferisch beseitigen wollte, noch nicht ableiten.

156

Der mangelnde Nachweis hinreichender Tatsachen, die für die Verwirklichung des Verbotsgrundes nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. VereinsG sprechen, führt zur insoweit bestehenden Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verbotsverfügung und damit zur Teilaufhebung des Bescheides im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage. Zwar wird das Vereinsverbot in hinreichender Weise durch die Verwirklichung des in dieser Vorschrift erstgenannten Verbotsgrundes der Strafrechtswidrigkeit getragen. Der Beklagte hat die Feststellung der Verwirklichung des Verbotsgrundes des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung jedoch eigenständig der Feststellung der Strafgesetzwidrigkeit des Klägers in Ziffer 1 der Verbotsverfügung zur Seite gestellt. Die ausdrückliche Feststellung des im konkreten Fall nach Auffassung der Verbotsbehörde einschlägigen Verbotsgrundes gemäß Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 VereinsG im verfügenden Teil des Verbots verlangt auch § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Sie stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Wirksamkeitsvoraussetzung für ein auf einen oder mehrere dieser Gründe zu stützendes Verbot dar (vgl. BVerwG, Urt.
v. 25.01.1978 - I A 3.76 -, BVerwGE 55, 175, Juris Rn. 37 f.; Urt. v. 28.02.1978 - I A 9.72 -, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 2, Juris Rn. 49; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, Baden-Baden 1999, S. 110). Die Feststellung des Verbotsgrundes ist als Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken der Vereinigungsfreiheit für das Verbot konstitutiv (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, Juris Rn. 25). Das Erfordernis der besonderen Feststellung des Verbotsgrundes oder der Verbotsgründe im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG beruht darauf, dass die rechtlichen Folgen einer Tätigkeit im Rahmen einer verbotenen Vereinigung je nach dem durch die zuständige Behörde festgestellten Verbotsgrund verschieden sind. Die gegenüber der allgemeinen Strafnorm des § 20 VereinsG bestehenden Strafverschärfungen der §§ 85, 86 und 86 a StGB für die Fortführung und weitere Unterstützung bzw. Bewerbung einer verbotenen Vereinigung hängen davon ab, ob die strafbare Tätigkeit eine Vereinigung betrifft, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die an die Feststellung des Verbotsgrundes gebundenen Strafgerichte müssen aus dem verfügenden Teil der Verbotsverfügung eindeutig ersehen können, ob die Vereinigung aus einem strafrechtlich als Qualifizierungsgrund zu bewertenden Verbotsgrund verboten worden ist (vgl. auch Grundmann, a.a.O. S. 110). Jedenfalls auch diesem Zweck dient im Übrigen die auf den verfügenden Teil beschränkte Bekanntmachung des Verbots gem. §§ 3 Abs. 4, 7 Abs. 1 VereinsG bei Erlass und erneut nach Unanfechtbarkeit des Verbots durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger und dem amtlichen Mitteilungsblatt des Landes (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.1978, a.a.O., Juris Rn. 40). Die Feststellung des konkreten Verbotsgrundes ist besonders bedeutsam in den Fällen, in denen die Behörde mehrere Verbotsgründe im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG angenommen hat, sich aber bei der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung ergibt, dass nicht alle diese Gründe vorliegen. Insbesondere in diesen Fällen muss durch die abschließende Bekanntmachung des verfügenden Teils des Vereinsverbots nach § 7 Abs. 1 VereinsG mit allseitiger Verbindlichkeit festgestellt werden, aus welchem Verbotsgrund oder welchen Verbotsgründen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG der Verein verboten ist (ebd.).

157

Daraus folgt, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung der Verbotsverfügung die Frage des Vorliegens eines Verbotsgrundes, welcher (straf-)rechtlich qualifizierende Rechtsfolgen auslösen kann, selbst dann nicht offen lassen kann, wenn es bereits festgestellt hat, dass ein anderer das Verbot mit der Folge der Auflösung des Vereins, der Beschlagnahme und Einziehung von Vermögen, Forderungen und Sachen als solches vollumfänglich tragender Grund vorliegt (vgl. dagegen zum Offenbleiben der Strafgesetzwidrigkeit eines Vereins BVerwG, Urt. v. 01.09.2010 - 6 A 4/09 -, a.a.O., Juris Rn. 12; Beschl. v. 11.08.2009 - 6 VR 2/09 -, a.a.O., Juris Rn. 41 (im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes); Urt. v. 03.12.2004 - 6 A 10/02 -, NVwZ 2005, 1435, Juris Rn. 84; Urt. v. 27.11.2002 - 6 A 4/02 -, a.a.O. Juris Rn. 36; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.06.2010 OVG 1 A 4.09 -, NVwZ-RR 2010, 886, Juris Rn. 29; BayVGH, Urt. v. 24.01.2007 - 4 A 06.52, Juris Rn. 37; dagegen das Sich-Richten gegen die verfassungsmäßige Ordnung bzw. den Gedanken der Völkerverständigung offen lassend: BVerwG, Beschl. v. 25.08.2009 - 6 VR 2/08 -, a.a.O. Juris Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.06.1997 - 1 S 1377/96 -, AuAS 1998, 19, Juris Rn. 25, 27). Ein solcher qualifizierender Verbotsgrund ist in jedem Falle das hier von dem Beklagten festgestellte Sich-Richten des Klägers gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

158

Die Feststellung in Ziffer 1 Satz 2 der angefochtenen Verbotsverfügung ist inhaltlich von den sonstigen Verfügungspunkten auch abtrennbar und somit gesondert aufhebbar (vgl. hierzu Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 113 Rn. 158 ff.). Es handelt sich hierbei um einen besonderen Verbotsgrund, der eigenständig durch in der Rechtsprechung ausgeformte Voraussetzungen ausgefüllt ist, nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem vorangestellten Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit des Vereins steht und das Verbot auch im Falle einer Aufhebung des Verbotsgrundes der Strafgesetzwidrigkeit des Vereins im weiteren Verlauf des Verbotsverfahrens tragen könnte.

159

Nachdem die in Ziffer 1 der Verbotsverfügung enthaltene Feststellung, dass Zweck und Tätigkeit des klägerischen Vereins den Strafgesetzen zuwider laufen, sich als rechtmäßig erweist, sind auch die weiteren Regelungen in dem angefochtenen Bescheid unter Ziffern 2 bis 5 rechtmäßig und die Klage insoweit unbegründet. Die in Ziffer 2 verfügte Auflösung des Vereines stützt sich auf die Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VereinsG. Die in Ziffer 3 des Bescheides enthaltene Untersagung jeder Vereinstätigkeit folgt unmittelbar aus dem Verbot und der Auflösung des Vereins. Rechtsgrundlage für die Untersagung der Bildung von Ersatzorganisationen in Ziffer 3 des Bescheides sowie der Verbreitung und öffentlichen oder in einer Versammlung durchgeführten Verwendung seiner Kennzeichen sind die §§ 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG. Die in Ziffer 4 der Verbotsverfügung angeordnete Vermögensbeschlagnahme und -einziehung stützt sich auf § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG, wobei ein Ausnahmefall zur gesetzlich vorgesehenen Regel nicht vorliegt. Die in Ziffer 5 der Verfügung angeordnete Beschlagnahme und Einziehung von Sachen Dritter, soweit der Berechtigte durch ihre Überlassung an den Verein dessen strafrechtswidrige Zwecke und Tätigkeit vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung diese Zwecke und Tätigkeit bestimmt sind, findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VereinsG. Soweit die hinsichtlich der Ziffern 2 bis 5 bestehenden Rechtsgrundlagen als tatbestandliche Voraussetzung auf „verfassungswidrige Bestrebungen“ des Vereins verweisen, sind damit - anders als es die Ähnlichkeit dieses Tatbestandsmerkmales zum Wortlaut des Verbotsgrundes des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung nahelegen könnte - sämtliche in § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, Art. 9 Abs. 2 GG genannten Verbotsgründe abgedeckt. Dies folgt zum einen aus dem besonderen Hinweis auf Art. 9 Abs. 2 GG, der in § 8 Abs. 1 VereinsG enthalten ist und damit (allerdings in sprachlich wenig stringenter Form) auf eine tatbestandliche Öffnung über die verfassungsmäßige Ordnung im engeren Sinne hinaus auch für die beiden in Art. 9 Abs. 2 GG bereits genannten weiteren Verbotsgründe verweist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06.09.1995 - 1 VR 2.95 -, NVwZ 1997, 68 f. Juris Rn. 18). Zum anderen findet sich ein maßgeblicher Hinweis auf eine erweiternde Auslegung der Rechtsgrundlagen für die genannten Folgerungen eines Vereinsverbotes in der Entwurfsbegründung zum Vereinsgesetz, wo es heißt: „ Unter „verfassungswidrigen“ Bestrebungen im Sinne des § 8 Abs. 1 sind, wie aus dem Zusammenhang zu entnehmen ist, alle nach Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen Bestrebungen zu verstehen.“ (BT-Dr. IV/430, S. 18). Im Übrigen ließe sich auch kein inhaltlich tragfähiger Gesichtspunkt für eine Differenzierung zwischen den drei Verbotsgründen im Hinblick auf die Möglichkeit der Einziehung von Sachen Dritter, des Verbots der Bildung von Ersatzorganisationen sowie der Einziehung von Forderungen Dritter (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 VereinsG), wo der Begriff der verfassungswidrigen Bestrebungen ebenfalls verwendet wird, denken. So ist es Sinn des Verbotes der Bildung von Ersatzorganisationen nach § 8 VereinsG, die Schaffung eines funktionellen Ersatzes für die von der Verfassung als gefährlich und daher verboten erkannten Bestrebungen zu unterbinden (vgl. nur Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, a.a.O. S. 157 f.). Außerdem hat der Gesetzgeber in den entsprechenden Regelungen, die verfassungswidrige Bestrebungen nennen, gerade nicht ausdrücklich den Verbotsgrund des Sich-Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung aufgegriffen, sondern hat ersichtlich versucht, einen übergreifenden Begriff für verbotsbegründende „Zwecke“, „Tätigkeit“ und „Sich-Richten“ zu finden. Im Ergebnis besteht daher auch in der Literatur (vgl. Grundmann, a.a.O.; Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, a.a.O. S. 196 Rn. 791; zur Gleichsetzung des Verbotsgründe in Art. 8 Abs. 2 GG vgl. auch Planker, Das Vereinsverbot gemäß Art. 9 Abs. 2 GG/§ 3 ff. Vereinsgesetz, Bonn 1994, S. 118) und in der Rechtsprechung (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.01.2012 - 1 S 2823/11 -, Juris Rn. 37; BVerwG, Urt. v. 18.10.1988 - 1 A 89.83 -, BVerwGE 80, 299 f. Juris Rn. 82) Einigkeit, dass die Rechtsgrundlagen der §§ 3 Satz 2, 8 bis 12 Vereinsgesetz auf sämtliche verboten Vereine angewandt werden können, ganz gleich, welcher der drei Verbotsgründe vorliegt.

160

Die Klage war daher im tenorierten Umfang abzuweisen.

161

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat hat das Unterliegen des Beklagten im Hinblick auf die Feststellung des Sich- Richtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung mit 1/4 der anfallenden Kosten bemessen, da die weiteren Rechtsfolgen des Vereinsverbotes selbstständig durch den tragfähigen Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit des klägerischen Vereins begründet werden.

162

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

163

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da Gründe gem. § 132 Abs. 2 VwGO hierfür nicht vorliegen.


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