Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 58/18

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Konstanz - Strafvollstreckungskammer - vom 05.02.2018 aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. X aus K zum Verfahrenspfleger wird aufgehoben. Zum Verfahrenspfleger wird Rechtsanwalt Benjamin Y aus M bestellt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Der Betroffene ist - nach vorausgegangener Untersuchungshaft und Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe - seit dem 11.05.2017 im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Z einstweilig untergebracht (§ 126a Abs. 1 StPO). Durch nicht rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27.01.2017 wurde der Betroffene zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Einen im Frühjahr 2017 gestellten Antrag auf gerichtliche Zustimmung zur zwangsweisen Behandlung mit antipsychotischer Medikation nahm das ZfP Z zurück, nachdem der Betroffene in der mündlichen Anhörung am 08.06.2017 seine Zustimmung zur Behandlung erteilt hatte. Mit der damals erfolgten Bestellung von Rechtsanwalt H erklärte sich der Betroffene nicht einverstanden.
Am 12.01.2018 beantragte das ZfP Z erneut die gerichtliche Zustimmung zur zwangsweisen Behandlung des Betroffenen mit einem antipsychotisch wirkenden Medikament. Das Landgericht Konstanz bestellte am 15.01.2018 - ohne Anhörung des Betroffenen - Rechtsanwalt Dr. X zum Verfahrenspfleger. Am 18.01.2018 meldete sich Rechtsanwalt Y, der im Strafverfahren als Verteidiger des Betroffenen bestellt ist, für den Betroffenen und widersprach der beantragten Zwangsbehandlung. Ebenfalls am 18.01.2018 erfolgte die mündliche Anhörung des Betroffenen im ZfP Z, an der neben dem Betroffenen der Verfahrenspfleger und der behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie teilnahmen. Mit Beschluss vom 19.01.2018 erließ das Landgericht Konstanz eine einstweilige Anordnung, mit der unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der beantragten Behandlung mit einem Antipsychotikum (und mit einem sedierenden Medikament) vorläufig bis längstens 02.02.2018 zugestimmt wurde.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt Y vom 24.01.2018 beantragte der Betroffene dessen Beiordnung und legte gegen den Beschluss vom 19.01.2018 Beschwerde ein (dies ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens 2 Ws 38/18). Mit weiterem Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 25.01.2018 wurde der am 24.01.2018 gestellte Antrag dahin „ergänzt“, dass Rechtsanwalt Y anstelle von Rechtsanwalt Dr. X zum Verfahrenspfleger bestellt werden solle. Telefonisch und mit Telefax vom 25.01.2018 bestätigte der Betroffene, von Rechtsanwalt Y vertreten werden zu wollen, und bevollmächtigte ihn. Rechtsanwalt Dr. X zeigte sich mit einem Wechsel in der Verfahrenspflegschaft erst nach Abschluss des laufenden Verfahrens einverstanden. Nachdem das Landgericht Konstanz mit einstweiliger Anordnung vom 02.02.2018 unter Anordnung der sofortigen Wirksamkeit die vorläufige Zustimmung zur zwangsweisen medikamentösen Behandlung des Betroffenen bis zum 16.02.2018 verlängert hatte, lehnte es mit weiterem Beschluss vom 05.02.2018 die Anträge auf Beiordnung von Rechtsanwalt Y zum Verteidiger und seine Bestellung als Verfahrenspfleger ab.
Mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 14.02.2018 wurde gegen die Beschlüsse vom 02.02.2018 (dies ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens 2 Ws 57/18) und vom 05.02.2018 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht Konstanz nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Zunächst ist das Begehren des Betroffenen nach dem Inhalt der Schriftsätze vom 24.01.2018 und vom 25.01.2018 sachgerecht dahin auszulegen, dass allein ein Wechsel in der Verfahrenspflegschaft durch Entpflichtung von Rechtsanwalt Dr. X und Bestellung von Rechtsanwalt Y beantragt wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Verfahren über die gerichtliche Zustimmung zur Zwangsbehandlung gemäß § 20 PsychKHG die Bestellung eines Verteidigers in entsprechender Anwendung von § 140 StPO nicht in Betracht kommt. § 20 Abs. 5 Satz 4 PsychKHG verweist hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrensrechts auf die die Zwangsbehandlung betreffenden Vorschriften über das Verfahren in Unterbringungssachen (§§ 312 bis 339 FamFG), die in § 315 FamFG auch eine abschließende Regelung zu den Verfahrensbeteiligten enthält, ohne die Bestellung eines Verteidigers vorzusehen.
2. Soweit mit der Beschwerde das Antragsbegehren weiterverfolgt wird, ist die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
a) Außerhalb der Bereichsverweisung auf die Vorschriften über das Verfahren in Unterbringungssachen nach dem FamFG in § 20 Abs. 5 Satz 4 PsychKHG richtet sich das Verfahren über die gerichtliche Zustimmung zur Zwangsbehandlung während der einstweiligen Unterbringung nach den allgemeinen strafprozessualen Regelungen, so dass gerichtliche Entscheidungen mit der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO anfechtbar sind (Senat, Beschluss vom 05.04.2016 - 2 Ws 90/16, Die Justiz 2017, 217; vgl. auch BGH RuP 2017, 167 zum bayerischen Recht).
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b) Wegen der beschränkten Verweisung in § 20 Abs. 5 Satz 4 PsychKHG findet § 276 Abs. 6 FamFG, der die selbständige Anfechtung von Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bestellung eines Verfahrenspflegers ausschließt, keine Anwendung.
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c) Die Beschwerde ist auch nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen.
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1) Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, ob vorliegend § 305 StPO wegen der Ausgestaltung des Verfahrens entsprechend anwendbar ist (vgl. KG StraFo 2015, 33; NStZ 2001, 448; OLG Hamburg ZfStrVo 2006, 307 - jeweils zu Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 189; OLG Düsseldorf NStZ 1999, 509 - jeweils zu Strafvollstreckungsverfahren; OLG Hamm NStZ 1987, 93 - Maßregelvollzugsverfahren; LR-Matt, StPO, 26. Aufl., § 305 Rn. 7). Denn auch bei seiner Anwendbarkeit führt § 305 Satz 1 StPO vorliegend nicht zum Ausschluss der Beschwerde.
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2) Unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Motive (dazu LR-Matt a.a.O., § 305 Rn. 1) ist der Ausschluss der Beschwerde nach dieser Vorschrift auf solche der Urteilsfällung vorausgehenden Entscheidungen beschränkt, die in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, nur der Urteilsvorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen äußern (so schon RGSt 67, 310, 312). Im Strafprozessrecht entspricht es dabei ganz herrschender Meinung, dass Entscheidungen über die Bestellung bzw. Auswechslung eines Verteidigers - jedenfalls wenn sie außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden - nicht ausschließlich der Urteilsvorbereitung, sondern auch der Sicherung eines justizförmigen Verfahrens dienen, und - bereits zeitlich - über die Urteilsfällung hinausreichen, so dass sie nicht der Beschränkung des § 305 Satz 1 StPO unterliegen (KG StraFo 2016, 414; 205, 33; OLG Celle NJW 2012, 246; OLG Stuttgart Die Justiz 1997, 143; OLG Düsseldorf StraFo 1999, 124; LR-Matt a.a.O., § 305 Rn. 29; KK-Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 141 Rn. 13; KK-Zabeck a.a.O, § 305 Rn. 8; SK-StPO-Frisch, 5. Aufl., § 305 Rn. 23; KMR-Plöd, StPO, § 305 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 141 Rn. 10a m.w.N., auch zur Gegenmeinung). Dies lässt sich auf die in ihrer Wirkung der Beiordnung eines Verteidigers vergleichbaren Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bestellung eines Verfahrenspflegers, der die Interessen des Betroffenen wahrnimmt (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG), ohne Weiteres übertragen.
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d) Nachdem bereits der Antrag ausdrücklich namens des Betroffenen gestellt worden war und dieser wiederholt seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, im Verfahren (nur) von seinem Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden zu wollen, ist auch ohne ausdrückliche Erklärung davon auszugehen, dass die Beschwerde vom Betroffenen selbst erhoben wird.
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3. Die Beschwerde erweist sich auch als begründet.
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a) Die angefochtene Entscheidung ist durch das funktionell zuständige Gericht getroffen worden. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ergibt sich aus §§ 20 Abs. 5 Satz 1, 32 Abs. 2 PsychKHG. Der Senat hält dabei an seiner im Beschluss vom 05.04.2016 - 2 Ws 90/16 (Die Justiz 2017, 217) geäußerten Auffassung fest, dass der Landesgesetzgeber zur näheren Ausgestaltung des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung berechtigt war. Der Bundesgesetzgeber hat bei der Neugestaltung des Untersuchungshaftrechts und der einstweiligen Unterbringung durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2274) ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, insoweit von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch machen zu wollen. In der Begründung zur Änderung des § 126a StPO ist dazu im Gesetzentwurf (BT-Drs. 16/11644 S. 47) ausgeführt: „Der Bund kann nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unproblematisch (weiterhin) das „Ob“ der einstweiligen Unterbringung als Teil des Kompetenztitels „gerichtliches Verfahren“ regeln. Der Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG („das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs)“) spricht zudem für die Annahme, dass der Bund auch nach der Föderalismusreform noch die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung innehat. Letztlich kann die Frage aber offenbleiben. Da die Länder bereits jetzt über Gesetze zum Maßregelvollzug verfügen und künftig auch die Untersuchungshaft regeln werden, erscheint es sachgerecht, ihnen auch die Normierung des Vollzugs der einstweiligen Unterbringung zu überlassen.“
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b) Inhaltlich kann die angefochtene Entscheidung dagegen keinen Bestand haben.
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1) Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) verbietet es, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens zu machen und setzt daher einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen des Betroffenen voraus. Auch der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebieten es regelmäßig, dem von einem staatlichen Verfahren Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bevor eine Entscheidung getroffen wird (BVerfGE 57, 250).
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Im Strafprozess schreibt deshalb § 142 Abs. 1 StPO vor, dass dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit gegeben werden soll, einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, und dass der vom Beschuldigten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Ist die Bestellung ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Beschuldigten erfolgt, ist auf nachfolgende Benennung eines Verteidigers seines Vertrauens durch den Beschuldigten die Bestellung aufzuheben und der vom Beschuldigten vorgeschlagene Verteidiger zu bestellen, soweit keine anderen Gründe dagegen sprechen (BVerfG NJW 2011, 3695; BGH NJW 2001, 237; OLG Stuttgart StV 2014, 11; 2007, 288; OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213; OLG Naumburg, Beschluss vom 18.11.2004 - 1 Ws 550/04, juris; OLG Celle a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 141 Rn. 3a, § 142 Rn. 19; KK-Laufhütte/Willnow a.a.O., § 142 Rn. 8).
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Der Bestellung eines Verfahrenspflegers im Verfahren über die gerichtliche Zustimmung zur Zwangsbehandlung, die insbesondere bei der Behandlung mit Neuroleptika einen besonders schwer wiegenden Eingriff in die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) darstellt (BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112; 142, 313), kommt im Hinblick auf die Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und die regelmäßig eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstvertretung des wegen einer psychischen Erkrankung untergebrachten Betroffenen mindestens die gleiche Bedeutung zu wie die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren. Der Betroffene hat daher ein besonderes Interesse daran, dass eine Person seines Vertrauens als Verfahrenspfleger seine Interessen im Verfahren vertritt. Die zur Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren entwickelten Grundsätze gelten deshalb auch bei der Auswahl und Bestellung des Verfahrenspflegers gemäß §§ 20 Abs. 5 Satz 4 PsychKHG, 317 Abs. 1 FamFG (vgl. auch § 319 Abs. 2 FamFG). Selbst wenn zunächst die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Hinblick auf unaufschiebbare Entscheidungen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgt ist, ist deshalb im weiteren Verfahren dem alsbald geäußerten Wunsch des Betroffenen, durch eine Person seines Vertrauens vertreten werden zu wollen, durch Austausch des Verfahrenspflegers grundsätzlich zu entsprechen.
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2) Vorliegend war der Betroffene weder vor der Bestellung des Verfahrenspflegers angehört worden noch war ihm danach Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Insbesondere ist die Frage der Auswahl des Verfahrenspflegers ausweislich des Protokolls nicht Gegenstand ausdrücklicher Erörterung bei der am 18.01.2018 erfolgten mündlichen Anhörung gewesen. Allein der Umstand, dass der Betroffene gegen die Tätigkeit des anwesenden Verfahrenspflegers keine Einwendungen erhoben hat, kann danach nicht als konkludente Zustimmung zu der gerichtlichen Auswahlentscheidung bewertet werden. Dementsprechend war dem alsbald danach gestellten Antrag auf Auswechslung des Verfahrenspflegers zu entsprechen, nachdem Gründe, die für eine fehlende Eignung des vom Betroffenen vorgeschlagenen Rechtsanwalts sprechen, nicht vorliegen.
III.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

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