Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 007 Ks-10 Js 287/10-11/11
Tenor
Es sind schuldig:
der Angeklagte I der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, in einem der Fälle in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sowie des schweren Raubes;
der Angeklagte L des schweren Raubes sowie der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen;
der Angeklagte T des schweren Raubes;
der Angeklagte C der gefährlichen Körperverletzung.
Es wird erkannt:
gegen den Angeklagten I auf eine Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten;
gegen den Angeklagten L unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16.02.2009 (132 Ls 70 Js 12533/08), vom 03.06.2009 (132 Ls 70 Js 16020/08) und vom 19.04.2010 (138 Ls 70 Js 16382/09) auf eine Einheitsjugendstrafe von vier Jahren;
gegen den Angeklagten T auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
Betreffend den Angeklagten C wird die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Monaten zur Bewährung ausgesetzt.
Die Angeklagten T2 und T3 werden freigesprochen.
Bezüglich der Angeklagten I, L und C wird von einer Auferlegung von Verfahrenskosten abgesehen. Sie tragen jedoch ihre notwendigen Auslagen selbst, der Angeklagte I auch die notwendigen Auslagen der Nebenkläger N3 und S1, der Angeklagte L auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers T6.
Der Angeklagte T trägt die Kosten des Verfahrens und die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen.
Hinsichtlich der Angeklagten T2 und T3 fallen die Kosten des Verfahrens und die diesen Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
Dem Angeklagten T3 steht für die Zeit seiner Polizei- und Untersuchungshaft vom 19.07.2011 bis zum 29.07.2011 kein Anspruch auf Entschädigung aus der Staatskasse zu.
Angewandte Vorschriften:
bezüglich I: §§ 212, 223, 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 5, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB;
bezüglich L:§§ 223, 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2, 53 StGB;
bezüglich T: §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB;
bezüglich C: §§ 223, 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4, 5 StGB.
1
Gründe
3(hinsichtlich des Angeklagten C abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO,hinsichtlich der Angeklagten T3 und T2 abgekürzt nach§ 267 Abs. 5 S. 2 StPO)
4A.
5I.
6Der zur Tatzeit 17 Jahre alte Angeklagte I wurde in Düsseldorf geboren und wuchs mit seiner sieben Jahre jüngeren Schwester und seinem vier Jahre jüngeren Bruder bei seinen Eltern auf. Beide Eltern sind berufstätig, wobei die Mutter des Angeklagten Bürotätigkeiten im Schlossereibetrieb des Vaters ausübt. Die Erziehung des Angeklagten durch seine Eltern gestaltete sich schwierig. Seinem Vater rutschte, weil der aus dessen Sicht hyperaktive und verbal ausfallende Angeklagte für ihn nicht zugänglich war und dieser stets nur langsam verstand, was ihm durch den Vater erklärt wurde, des Öfteren die Hand aus. Im Gegenzug hierzu gestaltete die Mutter die Erziehung des Angeklagten materiell verwöhnend. Nachdem es im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung zu körperlichen Übergriffen des Vaters auf den Sohn gekommen war – der Angeklagte war nun vierzehn Jahre alt – beschloss sein Vater, der das Gefühl hatte, seinen Sohn erzieherisch nicht mehr erreichen zu können, die Erziehung gänzlich der Mutter zu überlassen und auf diese selbst keinen Einfluss mehr zu nehmen. In der Zeit vor den hier zur Verurteilung stehenden Taten war auch seine Mutter kaum noch in der Lage, ihn erzieherisch zu erreichen. Den Eltern missfiel der Freundeskreis ihres Sohnes, sie sahen sich jedoch außerstande, den Angeklagten, dem seine Freunde und sein Ansehen in diesem Freundeskreis wichtig waren, hiervon zu lösen.
7Bereits im Kindergarten war der Angeklagte verhaltensauffällig, nach seiner Einschulung im Alter von sieben Jahren zeigte er sich auch dort hauptsächlich unruhig und unkonzentriert. Der den Angeklagten damals behandelnden Arzt C4 diagnostizierte bei dem Angeklagten „ADHS“ und begann eine medikamentöse Therapie mit Ritalin. Hierdurch verbesserte sich die Konzentrationsfähigkeit des Angeklagten und damit auch seine schulischen Leistungen. Dies änderte sich jedoch wieder, als er nach drei oder vier Jahren die medikamentöse Behandlung selbständig abbrach, indem er die von der Mutter überreichten Tabletten nicht mehr einnahm. Von der nach der Grundschule zunächst besuchten Realschule wechselte der Angeklagte in der sechsten Klasse auf eine Hauptschule, die er aufgrund von Problemen mit einer Lehrerin, die er beleidigt hatte, wieder verlassen musste. Auf der sodann besuchten Hauptschule wiederholte er die 9. Klasse, bevor er die Schule im Sommer 2009 ohne Abschluss verließ. Es schloss sich ein einjähriges Praktikum in einem Fitnessstudio an, das der Angeklagte aber des Öfteren schwänzte. Danach begann er in dem Betrieb seines Vaters eine Ausbildung zum Schlosser, die er jedoch aufgrund schulischer und persönlicher Probleme mit seinem Vater bereits nach einem halben Jahr wieder abbrach. Trotzdem ermöglichte der Vater ihm ein weiteres halbes Jahr als fest angestellte Kraft im väterlichen Betrieb zu arbeiten. In dieser Zeit zog der Angeklagte jedoch Telefonate und Treffen mit seinen Freunden zuverlässiger Arbeit vor, weshalb der Vater auch diese Beschäftigung seines Sohnes beendete. In der Folgezeit übte der Angeklagte keine regelmäßige Tätigkeit mehr aus, er erhielt von seinen Eltern 50,00 € Taschengeld im Monat.
8Der Angeklagte wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 17.06.2010 von der seit dem 30.05.2010 bestehenden Untersuchungshaft verschont und in der „Kooperative Stop & Go“ – ein Zusammenschluss der Ev. Jugendhilfe Iserlohn gGmbH, der Kinderheim und Jugendhilfe Herne & Wanne-Eickel gGmbH und des Neukirchener Erziehungsvereins zum Betrieb von Standorten zur Untersuchungshaftvermeidung in NRW – untergebracht. Innerhalb der ersten Monate zeigte er dort erhebliche Verhaltensauffälligkeiten in Form übertriebener Körperhygiene, oppositionellen Verhaltens, das täglich zu Konflikten mit den dortigen Betreuern führte, verbaler Bedrohung von Betreuern sowie Sporttreibens bis zur körperlichen Erschöpfung. Seine Entwicklung verlief ab Sommer 2010 jedoch positiv. Er erhielt nunmehr auch wieder Unterstützung durch seine Familie, die ihn jeden Samstag gemeinsam besucht. Das Verhältnis zu seinen Eltern verbesserte sich im Lauf der dortigen Therapie erheblich. Auch seine Körperhygiene ist nun angemessen, Sport treibt er im normalen Rahmen. Insbesondere hat er gelernt, sich von anderen Jugendlichen in der Jugendeinrichtung abzugrenzen und trägt dort zur Deeskalation von aufkommenden Konflikten bei. Noch stets ist er jedoch in erheblichem Maße auf eine feste Tagesstruktur angewiesen, Brüche im Tagesablauf führen unmittelbar zu Stimmungsschwankungen. Zurzeit besucht der Angeklagte parallel zu seiner am 24.08.2011 begonnenen und auf dreieinhalb Jahre ausgerichteten Ausbildung zum Metallbauer im Fachbereich Konstruktionstechnik eine Berufs- und Förderschule, um seine erheblichen schulischen Defizite auszugleichen. In seinem Ausbildungsbetrieb, in dem er zuvor ein Praktikum absolviert hatte, kommt es zu keinerlei Problemen. Er wird dort als zuverlässiger und guter Mitarbeiter geschätzt.
9Körperlich ist der Angeklagte gesund, schwere Krankheiten hat er nicht durch litten, wenngleich er unter einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, einer ADHS-Störung nach ICD 10: F 90.1. leidet.
10Intellektuell weist der Angeklagte, der laut eines Kaufmann-Tests zur Intelligenzmessung vom 19.07.2011 einen Intelligenzquotienten von 78 und damit eine Grenzbegabung auf, jedoch keine leichte Intelligenzminderung im Sinne der ICD-10: F 70.
11Der Angeklagte entwickelte in der Zeit vor seiner Verhaftung eine Drogen- und Alkoholproblematik, die zu einem zeitweisen schädlichen Gebrauch von Alkohol im Sinne der ICD-10: F 10.1. und von Cannabinoiden im Sinne der Kategorie F 12.1. führte. Er konsumierte regelmäßig, zeitweise täglich, Alkohol und Marihuana in erheblichen Mengen. Ein Abhängigkeitssyndrom hat der Angeklagte jedoch nicht entwickelt.
12Zu seinen strafrechtlichen Vorbelastungen hat die Kammer folgendes festgestellt:
131.
14Am 13.11.2006 stellte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf das Verfahren 70 Js 14794/06 wegen Diebstahls – der Angeklagte hatte gemeinsam mit weiteren Jugendlichen am 10.09.2006 die Standsicherung eines Zeitungsautomaten durchtrennt, um diesen gemeinsam wegzutragen und im Anschluss daran aufzubrechen – gemäß § 45 Abs. 1 JGG ein.
152.
16Das Verfahren 70 Js 13262/06 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls – der Angeklagte war am 19.08.2006 gemeinsam mit weiteren Jugendlichen in eine Wohnung eingestiegen, wo sie 35,00 €, einen Gameboy und eine Digitalkamera entwendet hatten – wurde durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am 15.01.2007 nach Ableistung von 20 Arbeitsstunden gemäß § 45 Abs. 2 JGG eingestellt.
173.
18Durch seit dem 22.10.2007 rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts – Jugendrichter – Düsseldorf vom 15.10.2007 (138 Ds-70 Js 5441/07-351/07) wurde der Angeklagte wegen versuchter räuberischer Erpressung zur Ableistung von 60 Arbeitsstunden verurteilt und verwarnt. Die Arbeitsstunden leistete er ab.
19Der Angeklagte hatte am 17.03.2007 gemeinsam mit anderen Jugendlichen beobachtet, wie die zwei späteren Geschädigten eine Bank betraten und war diesen bei Verlassen der Bank mit seinen Tatgenossen gefolgt. Der Angeklagte hatte einen der Geschädigten festgehalten, auf diesen eingeschlagen und ihn aufgefordert, das zuvor abgehobene Geld herauszugeben. Als der Geschädigte dieser Aufforderung nicht nachkam, hatte er erneut auf ihn eingeschlagen. Erst als sich Passanten einmischten, ließen die Tatgenossen von ihren Opfern ab.
204.
21Am 01.09.2008 stellte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf das Verfahren 70 Js 12223/08 wegen Sachbeschädigung – am 06.05.2008 hatten der Angeklagte und ein weiterer Jugendlicher auf einem Holztisch am Nordstrand des Unterbacher Sees ein Feuer entfacht und diesen dabei an zwei Stellen leicht verbrannt - gemäß § 45 Abs.1 JGG ein.
225.
23Durch Urteil vom 12.01.2009, rechtskräftig seit dem selben Tag, erkannte das Amtsgericht – Jugendrichter – Düsseldorf (138 Ds-70 Js 13989/08-567/08) gegen den Angeklagten, der einer Mitschülerin grundlos zweimal mit der Faust in das Gesicht geschlagen hatte, wodurch diese Prellungen erlitten hatte, wegen Körperverletzung auf 40 Arbeitsstunden sowie die Teilnahme an einem Antiaggressionstraining und verwarnte den Angeklagten. Die Auflagen hat der Angeklagte erfüllt.
246.
25Mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendrichter – Düsseldorf vom 23.03.2009, rechtskräftig seit dem 31.03.2009 (138 Ds-70 Js 17481/08-38/09), wurden dem Angeklagten wegen Beleidigung 30 Arbeitsstunden auferlegt, zusätzlich wurde er verwarnt. Der Angeklagte hatte am 17.11.2008 seinen Mathematiklehrer als Hurensohn bezeichnet, nachdem dieser seinen Notenstand mit ungenügend bezeichnet hatte.
26II.
27Der zur Tatzeit 20 Jahre alte Angeklagte C wurde als einziges gemeinsames Kind seiner Eltern in Hilden geboren und besuchte dort einen Kindergarten. Nach der Trennung seiner Eltern verblieb der damals dreijährige Angeklagte im mütterlichen Haushalt. Aus der neuen Beziehung seines Vaters hat der Angeklagte eine zehnjährige Halbschwester und einen fünfjährigen Halbbruder. Der bis zu seinem 16. Lebensjahr regelmäßige und gute Kontakt zu seinem Vater verschlechterte sich, nachdem der Angeklagte eine Ausbildung zum Koch, die der Vater vermittelt hatte, abbrach.
28Die Grundschulzeit des Angeklagten verlief problemlos, auch auf der von ihm besuchten Fliedner Realschule in Hilden erreichte er 2006 den Hauptschulabschluss, ohne dass es zu Schwierigkeiten kam. Seit August 2007 absolviert er eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann im Fitnessstudio seiner Mutter und bezeichnet dies als seinen Wunschberuf. Er befindet sich im dritten Lehrjahr und verdient 330,00 €, zusätzlich erhält er eine Berufsausbildungsbeihilfe von 300,00 €. Da er auch Interesse am Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers hat, will er möglicherweise nach Abschluss der jetzigen Ausbildung noch eine weitere anschließen.
29Der Angeklagte lebt bereits seit dem Jahr 2006 selbständig in einer eigenen Wohnung, anfangs gemeinsam mit einem Freund, ab 2009 alleine und seit August 2011 gemeinsam mit seiner Freundin. Seine Mutter, zu der er ein gutes Verhältnis hat, besucht ihn dort regelmäßig, um nach dem Rechten zu sehen und ihn zu unterstützen.
30In seiner Freizeit treibt er viel Sport, angelt am Wochenende und verbringt sein freie Zeit im Übrigen mit seinen Freunden und seiner Freundin. Der körperlich gesunde Angeklagte konsumierte regelmäßig, am Wochenende auch im Übermaß Alkohol und Cannabis, seit der hier zur Verurteilung stehenden Tat hat er diesen Konsum seinen eigenen Angaben zufolge jedoch gänzlich eingestellt.
31Zu seinen strafrechtlichen Vorbelastungen hat die Kammer folgendes festgestellt:
321.
33Am 4.10.2007 stellte das Amtsgericht – Jugendrichter – Düsseldorf das Verfahren 133 Ds-60 Js 1957/07-334/07 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln – der Angeklagte hatte am 09.04.2007 über 5,8 Gramm Marihuana verfügt ohne im Besitz einer Erlaubnis zu sein - gemäß § 47 JGG nach Ableistung von 15 Arbeitsstunden ein.
342.
35Das Verfahren 70 Js 3706/07 wegen Verstoßes nach dem Pflichtversicherungsgesetz – der Versicherungsschutz für das von dem Angeklagten am 05.03.2007 geführte Kleinkraftrad war abgelaufen – wurde am 21.11.2007 nach Zahlung einer Geldbuße von 80,00 € durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gemäß § 45 Abs. 2 JGG eingestellt.
363.
37Am 11.09.2008 stellte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf das Verfahren 70 Js 1658/08 wegen Beihilfe zum schweren Diebstahl – der Angeklagte hatte zwei Bekannten den Schlüssel zu einer Wohnung übergeben, mit dem diese sich Zugang verschafft und einen PC, Kleidungsstücke und Alkohol entwendet hatten – gegen den Angeklagten nach Zahlung einer Geldauflage von 200,00 € gemäß § 45 Abs. 2 JGG ein.
38III.
39Der zur Tatzeit 19 Jahre alte Angeklagte L ist bis zu seinem 12. Lebensjahr bei seinen Eltern in Düsseldorf aufgewachsen. Seit der durch den Alkoholkonsum des Vaters bedingten Trennung seiner Eltern lebt er – heute noch gemeinsam mit vier seiner sechs Geschwister – bei seiner Mutter. Dort teilte er sich bis zu seiner Inhaftierung in hiesiger Sache ein Zimmer mit seinem Bruder. Zu seinem Vater, der bis zum Jahre 2010 im Haus neben der Mutter und seinen Kindern wohnte, hat der Angeklagte weiterhin guten Kontakt. Die Familie lebt von staatlicher Unterstützung, der Vater übt einen 1-Euro-Job aus, seine Mutter ist Hausfrau.
40Der Angeklagte besuchte einen Kinder- und Vorschulkindergarten und wurde mit sieben Jahren auf die Grundschule eingeschult. Nach Wiederholung der ersten Klasse wechselte er auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt lernen. Diese verließ er 2007 mit dem Abgangszeugnis nach Klasse 10. Es schlossen sich verschiedene Maßnahmen der Jugendberufshilfe an, von denen er eine – im Bereich des Tischlerberufs – zu Ende führte und zweit weitere nach einem bzw. zwei Monaten abbrach. Ein halbes Jahr war er für das Unternehmen Awista tätig. In den letzten zwei Jahren vor seiner Inhaftierung in hiesiger Sache ging er keiner geregelten Beschäftigung mehr nach.
41Mit seiner Verlobten, T8, hat der Angeklagte die am 29.10.2009 geborene Tochter L6. Mit seiner Verlobten hatte der Angeklagte des Öfteren größere Differenzen, unter anderem kam es zu dem im Rahmen der Vorbelastungen unter Ziff. 9 und Ziff. 10 c) geschilderten Geschehen. Seit sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, hat sich ihre Beziehung jedoch stabilisiert und sie beabsichtigen, zu heiraten.
42Körperlich ist der Angeklagte gesund, schwere Krankheiten hat er nicht. Bis zu seiner Inhaftierung konsumierte der Angeklagte regelmäßig Alkohol in erheblichen Mengen und zusätzlich Amphetamine, einmal auch Kokain.
43Er weist die folgenden strafrechtlichen Vorbelastungen auf:
441.
45Am 22.07.2005 sah die Staatsanwaltschaft Düsseldorf in dem gegen ihn wegen Diebstahls geführten Verfahren 70 Js 7769/05 nach Ableistung von zehn Arbeitsstunden gemäß § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung ab.
462.
47Am 24.04.2006 stellte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf das Verfahren 70 Js 5222/06 wegen Missbrauchs von Notrufen – der Angeklagte hatte am 18.03.2006 den Notruf der Polizei gerufen und fälschlicherweise angegeben, dass eine Person von einem Dach springen wolle – gemäß § 45 Abs. 1 JGG ein.
483.
49Mit Urteil vom 02.04.2007, rechtskräftig seit dem 11.04.2007 verwarnte das Amtsgericht – Jungendrichter – Düsseldorf den Angeklagten, der am 16.08.2006 einen Anderen als Wichser, Arschloch, Hurenbock und Penner bezeichnet hatte, in dem Verfahren 138 Ds-70 Js 14776/06-267/06 wegen Beleidigung.
504.
51Am 10.04.2007 stellte das Amtsgericht Düsseldorf das Verfahren 135 Ds-70 Js 5126/06-245/06 wegen gemeinschaftlichen Betrugs gegen den Angeklagten nach Ableistung von 20 Arbeitsstunden gemäß §§ 45, 47 JGG ein. Der Angeklagte hatte am 13.03.2006 gemeinsam mit weiteren Jugendlichen mit der EC-Karte eines Tatgenossen Kleidungsstücke im Wert von 290,13 € in dem Bewusstsein gekauft, das dessen Konto keine Deckung aufwies und anschließend mit denselben Tatgenossen unter Verwendung der selben EC-Karte versucht, Schuhe im Gesamtwert von 416,90 € zu kaufen, wobei dieses Mal die Karte nicht angenommen worden war.
525.
53Am 10.09.2007 verwarnte das Amtsgericht – Jugendrichter – Düsseldorf den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in dem Verfahren 138 Ds-70 Js 7795/07-366/07 mit seit dem 18.09.2007 rechtskräftigem Urteil und gab ihm 40 Arbeitsstunden auf. Am 15.05.2007 hatte er gemeinsam mit weiteren Jugendlichen Geldbörsen, Schlüsselanhänger und Schreibwaren zum Gesamtwert von 1.572,75 € in einem Kaufhaus entwendet. Die Arbeitsstunden hat der Angeklagte abgeleistet.
546.
55Mit Urteil vom 6.6.2008, rechtskräftig seit dem 19.08.2008, erkannte das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düsseldorf (138 Ls-70 Js 9705/07-561/07) gegen den Angeklagten wegen Körperverletzung auf einen Dauerarrest von zwei Wochen, den der Angeklagte vom 13.10.2008 bis 27.10.2008 verbüßte. Der Angeklagte hatte am 24.01.2008 dem Begleiter seiner Exfreundin ohne vorangegangenen Streit mit der Faust in das Gesicht geschlagen und diesem mehrere Backpfeifen gegeben.
567.
57Mit Urteil vom 16.02.2009, rechtskräftig seit dem 24.02.2009, verurteilte das Amtsgericht – Jugendschöffengericht - Düsseldorf (132 Ls-70 Js 12533/08-666/08) den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte hatte am 27.06.2008 gemeinsam mit seinen Tatgenossen dem Geschädigten – einer vorherigen Auseinandersetzung nachfolgend – in einem Bus auf die Schläfe und die Rippen geschlagen, ihm ein Goldkettchen vom Arm gerissen und dieses eingesteckt.
588.
59Mit Urteil vom 3.6.2009, rechtskräftig seit dem selben Tag, hat das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düsseldorf (132 Ls-70 Js 16020/08-107/09) gegen den Angeklagten unter Einbeziehung des vorstehend zu Ziff. 7 genannten Urteils wegen gemeinschaftlichen Raubes eine Einheitsjugendstrafe von acht Monaten verhängt und deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Am 27.06.2008 hatte der Angeklagte gemeinsam mit seinem Tatgenossen dem Geschädigten unter Drohungen dessen Goldkette, die er um den Hals getragen hatte, abgenommen.
609.
61Am 18.11.2009 stellte das Amtsgericht – Jugendrichter – Düsseldorf das Verfahren 138 Ds-70 Js 12590/09-513/09 wegen Körperverletzung – der Angeklagte hatte seiner schwangeren Freundin (jetzigen Verlobten) mit der flachen Hand in den Nacken, sodann mit der Faust in das Gesicht geschlagen und sie gegen einen Zaun geschubst – gemäß § 47 JGG ein, nachdem diese sich mit dem Angeklagten wieder versöhnt hatte.
6210.
63Mit Urteil vom 19.04.2010, rechtskräftig seit dem 07.10.2010, verurteilte das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düsseldorf (138 Ls-70 Js 12382/09-583/09) den Angeklagten unter Einbeziehung des vorstehend zu Ziff. 8. bezeichneten Urteils wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung sowie vorsätzlicher Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
64Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
65a)Der Angeklagte hatte am 17.09.2009 im Rahmen einer Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die dortigen Angeklagten – die Mittäter des Angeklagten in dem vorstehend zu Ziff. 7 genannten Urteil – als Zeuge ausgesagt. Dort sagte der Angeklagte wahrheitswidrig aus, dass er und die dortigen Angeklagten mit der Wegnahme der Kette nichts zu tun gehabt hätten, um diese vor einer Bestrafung zu bewahren.
66b)Der Angeklagte hatte am 18.01.2010 mit einem fahrerlaubnispflichtigen Kleinkraftrad am Straßenverkehr teilgenommen, ohne eine gültige Fahrerlaubnis zu besitzen.
67c)Der Angeklagte war am 19.12.2009 in eine Wohnung eingebrochen und hatte dort auf seine heutige Verlobte T8 und eine weitere Geschädigte eingeschlagen, wodurch diese Prellungen erlitten hatten.
68IV.
69Der bei Tatbegehung 28 Jahre alte und damit als einziger erwachsene Angeklagte T wuchs bei Pflegeeltern auf, hatte an den Wochenende jedoch stets Kontakt zu seiner leiblichen Mutter. Im Alter von 13 Jahren nahm diese den Angeklagten wieder ganz bei sich auf, zu seinem Vater hatte er nie Kontakt.
70Er besuchte einen Kindergarten sowie die Grundschule und letztlich die Gesamtschule. Die 10. Klasse verließ er ohne Abschluss. Er absolvierte keine Ausbildung, arbeitete aber fünf Jahre bei einer Immobilienfirma, deren Fonds er am Telefon verkaufte. Hier verdiente er gut und entwickelte etwa im Jahre 2006 über den Kontakt zu Kollegen eine Kokainabhängigkeit. Er konsumierte ca. zwei bis drei Gramm Kokain täglich sowie Cannabis. Ende 2008 besuchte er für drei Monate eine Drogenentzugsklinik. Dies jedoch führte dazu, dass der Angeklagte zwar seinen Kokainkonsum einstellte, statt dessen aber Alkohol in erheblichen Mengen, zeitweise täglich nach der Arbeit drei bis sechs halbe Liter Flaschen Bier, trank und weiterhin auch Cannabis konsumierte, wobei er trotz dieses Konsums in der später in hiesiger Sache vollzogenen Untersuchungshaft nicht an körperlichen Entzugserscheinungen litt. Infolge der ersten großen Finanzkriese 2009 wurde er schließlich arbeitslos und lebt seither von Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich ca. 800,00 €.
71Der Angeklagte war vom 14.5.2004 bis zum 24.11.2009 verheiratet, die Ehe wurde - Grund hierfür war seine zuvor erwähnte Kokainabhängigkeit - kinderlos geschieden. Während der Ehezeit bewohnte er mit seiner Frau eine gemeinsame Wohnung, danach zog er zurück in den mütterlichen Haushalt.
72Der Angeklagte ist körperlich gesund.
73Er ist strafrechtlich wie folgt vorbelastet:
741.
75Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Düsseldorf vom 14.07.2009 (113 Cs-110 Js 2176/09-487/09) wegen Betruges – der Angeklagte hatte am 22.09.2008 in Düsseldorf gegenüber der Agentur für Arbeit wahrheitswidrig behauptet, ein von dieser übersandter Verrechnungsscheck sei nicht angekommen, daraufhin eine Barauszahlung erhalten und sich den Verrechnungsscheck dennoch am 6.10.2008 auszahlen lassen – wurde gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € festgesetzt, die Strafe wurde von dem Angeklagten noch nicht vollständig beglichen.
762.
77Am 15.12.2009 wurde gegen den Angeklagte wegen Betruges durch das Amtsgerichts Düsseldorf ein Strafbefehl erlassen (113 Cs-110 Js 7919/09-922/09) – er hatte zwischen dem 12.12.2007 und dem 29.02.2009 der Cesanstalt für Arbeit eine entlohnte Beschäftigung nicht mitgeteilt und hierdurch eine zu Hohe Unterstützung erhalten – und eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 20,00 € festgesetzt. Die Vollstreckung wurde durch Einbeziehung in die nachstehende Verurteilung zu Ziff. 3 erledigt.
783.
79Mit Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf v. 03.02.2010, rechtskräftig seit dem 11.02.2010 (104 Ls-110 Js 7825/08-73/08), wurde der Angeklagte wegen räuberischer Erpressung unter Einbeziehung des Strafbefehls des AG Düsseldorf vom 15.12.2009 (113 Cs-110 Js 7919/09-922/09) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte hatte am 13.10.2008 einen Drogeriemarkt betreten und die Kassiererin mit den Worten „los jetzt Geld her“ aufgefordert, die Kasse zu öffnen. Als diese entgegnet hatte, dass das Geld bereits im Tresor sei und sie diesen nicht öffnen könne, hatte er eine Hand hinter seinen Rücken geführt, um anzudeuten, dass sich dort eine Schusswaffe befinde. Gleichzeitig hatte er die Zeugin mit den Worten: „ich knall dich ab“ bedroht. Eine Schusswaffe hatte der Angeklagte tatsächlich jedoch nicht bei sich geführt. Die Zeugin hatte den Angeklagten mit Bonbon-Tüten beworfen, ihn am Kragen gepackt und aus der Filiale geschoben.
80B.
81I. Anklage 10 Js 287/10
82Der 29.05.2010, ein Samstag, war in Düsseldorf der sogenannte Japan-Tag, ein alljährlich stattfindendes Spektakel mit tagsüber vielfältigen Darbietungen und nach Einbruch der Dunkelheit großem Feuerwerk über dem Rhein mit üblicherweise zuschauenden Menschenmassen beidseits am Ufer und auf den Brücken. Dorthin, zum Rhein, wollten zum Abend auch die Angeklagten – mit Ausnahme des Angeklagten T – in großer, lose gefügter Gruppe miteinander befreundeter oder einander bloß bekannter junger Leute. Viele von ihnen trafen sich zum Vorfeiern, insbesondere zum Trinken, schon nachmittags in der Wohnung der Zeugin M und auf deren Einladung, darunter die Angeklagten I, C und T3, von wo aus man sich am späten Nachmittag gemeinsam auf den Weg machte, mit Bus und Bahn zum Rhein zu fahren. Schon an der Haltestelle zum Bus traf man auf den Angeklagten L, der von seiner Schwester und Freundin begleitet wurde und mäßig alkoholisiert war, sowie den Angeklagten T2, die sich nun wie geplant anschlossen, so dass die Gruppe auf inzwischen mehr als zwanzig Köpfe angewachsen war.
83Schon im Bus drohte die anfänglich gute Stimmung zu kippen, als L aus nicht aufzuklärenden Gründen im Zusammenhang mit dem Ausstieg gegen einen Spiegel schlug, den Bus dann zwar wie alle anderen verließ, sich aber blutende Schnittverletzungen an der Hand zugezogen hatte, die ärztlicher Versorgung bedurften. Deshalb begab er sich zu ambulanter Behandlung ins Krankenhaus und stieß erst deutlich später am Rhein wieder zur Gruppe, seine Hand jetzt mit einem weißen Verband umwickelt, was ihn im Verlauf der späteren Auseinandersetzung besonders gut kenntlich machte.
84Die Gruppe, die auch noch weiteren Zulauf bekam, hatte sich inzwischen auf dem ufernahen Gelände linksrheinisch im Bereich der Oberkasseler Brücke eingefunden. Man saß oder stand überwiegend beieinander, und zwar nahe einer Steinkante am Übergang der Uferwiesen zum Geröll, dabei einige der Mädchen etwas abseits. Jedenfalls C lief auch herum, quatschte Leute an, bedachte sie teilweise mit dummen Sprüchen und nervte damit sogar die eigenen Freunde, ohne dass das schon zu Weiterungen führte.
85Ganz in der Nähe, ein bisschen unter der Brücke, weil es leicht zu nieseln angefangen hatte, aber noch auf dem Geröllstreifen am Ufer, hatte sich unterdessen eine kleine Gruppe anderer, von den Angeklagten als „Punks“ bezeichneter junger Leute niedergelassen, der Nebenkläger N3 mit rückenlangen, zum Zopf geCenen Haaren und rotem T-Shirt, dessen Freundin G, der Nebenkläger S1 mit allenfalls mittellangen Haaren und schwarzem Achsel-Shirt, dazu die Zeugen U, L1, M1 und N4. Diese Sieben hatte eine Decke ausgebreitet, spielten Karten und wollten gerade – gegen 21.30 Uhr – mit dem Grillen beginnen, als nun aus der Gruppe um die Angeklagten kleine Kieselsteine, möglicherweise auch eine leere Flasche, in ihre Richtung flogen, ersichtlich um zu provozieren, ohne dass die Kammer das einem der Angeklagten – als Steine- und/oder Flaschenwerfer – sicher zuordnen kann. Das nahmen N3 und seine Freunde solange noch hin, bis einer der Steine die Zeugin G traf. Jetzt nahmen sie sich vor, die Steineschmeißer aufzufordern, das doch sein zu lassen, wozu sie, bis auf die Zeugin G, die von ihrem Freund aufgefordert worden war, zurück zu bleiben, alle aufstanden und sich die paar Schritte dorthin begaben, S1 ein wenig später, weil er sich in Erwartung bevorstehenden Ärgers erst noch seine Freeclimbing-Handschuhe angezogen hatte. In ausgesprochen freundlichem Ton fragte N3 jetzt zur Gruppe um die Angeklagten, ob sie das gewesen seien mit den Steinen, sie möchten das doch sein lassen. Währenddessen war auch S1 bei seinen Freunden angekommen. Er stand in der Nähe des Angeklagten L und tat sich bei dem allenfalls kurzen Wortwechsel auch nicht besonders hervor.
86Die Unruhe bei seinen Freunden bekam auch der mit zwei Mädchen etwas beiseite sitzende Angeklagte I mit. Er lief hinzu, holte auf dem nur kurzen Weg aus seiner Kleidung ein mitgeführtes Springmesser hervor, baute sich unmittelbar neben den Zeugen U und N4 auf, hielt das Messer, mit ausgefahrener Klinge an der Daumenseite der Hand, mit ausgestrecktem Arm vor sich und schrie sinngemäß, wer mache hier Stress, wer hier Stress mache, den steche er ab. Das ließ sofort die Zeuginnen N5 und H1 aus seiner Freundesgruppe eingreifen, die ihn zu beruhigen versuchten. Die Zeugin N5 jedenfalls sprach ihn an, forderte ihn auf, das Messer wegzustecken, und versuchte auch, ihn zurückzuziehen, wurde von ihm jedoch möglicherweise mit den Worten, sie solle das Maul halten, zurückgestoßen. Gleichwohl griff I zunächst nicht weiter ein, sondern hielt sich am Rande des Pulks mit in der Hand gehaltenem Messer und anfangs von dem sich dadurch latent bedroht fühlenden Zeugen U beobachtet zurück.
87Innerhalb des Pulks verblieb es nicht bei bloßen Wortgefechten. Ganz unvermittelt schlug nun der Angeklagte L dem ihm am nächsten stehenden Nebenkläger S1 mit der Faust so heftig ins Gesicht, dass dieser taumelte und zu Boden fiel. L war dabei klar, dass er sich für die nach seiner Vorstellung nun anstehende Prügelei auf seine Freunde verlassen konnte, er ihnen mit seinem ersten Schlag also das Signal gab, auch ihrerseits einzugreifen und auf die Kontrahenten einzuschlagen. Dass er dabei auch mit dem späteren Einsatz eines Messers rechnete, steht dagegen schon deshalb nicht fest, weil er Is am Geschehnisrand vollführte Drohgebärden mit dem Messer möglicherweise gar nicht mitbekam.
88Erwartungsgemäß kam nun der Nebenkläger N3 seinem Freund S1 zu Hilfe, wurde aber sofort auch selbst von Ls Freunden angegangen und mit einem kräftigen Faustschlag zu Boden gestreckt. S1 hatte sich unterdessen wieder erheben können, wollte nun N3 helfen, griff sich sogleich eine der diesen umstellenden Personen und zog sie mit einem Armwürgegriff zu Boden. Es kann sein, dass diese Person der Angeklagte T3 war, der jedenfalls jetzt im Rahmen des Kampfgetümmels mit S1 zu liegen kam, zuletzt über ihm, von S1 im sogenannten Schwitzkasten gehalten, ohne dass die Kammer weiß, ob T3 sich bis dahin überhaupt an der Auseinandersetzung beteiligt hatte oder nur deshalb hineingeraten war, weil er in der Nähe stand. Es waren jetzt mehrere, die T3 aus S1s Umklammerung zu lösen versuchten, an S1 zogen, ihn dabei auch vielfach schlugen und traten. Kaum dass T3 freigekommen war, erhielt S1, selbst um sich aufzurichten noch auf den Knien und mit den Händen vor sich auf dem Boden, mehrere Schläge mit einer Glasflasche auf den Kopf, ob vom Angeklagten T2 steht nicht fest.
89Mittlerweile befand sich der Nebenkläger N3 nicht mehr in S1s Nähe. Er war von anderen praktisch nach unten Richtung Ufer, leicht flussab, geprügelt worden, wo er knapp zwanzig Schritte entfernt zum Liegen kam und wo weiter heftig auf ihn eingeschlagen und -getreten wurde.
90Unterdessen blieb S1 bemüht, sich vollständig aufzurichten, obwohl ihm noch immer mehrere zusetzten und auf ihn einschlugen und –traten. Einen oder zwei davon stieß erst noch der Zeuge L1 zur Seite, der seinem Freund S1 nun beisprang. Das sah der nach wie vor seitlich am Rande stehende Angeklagte I, der jetzt auf Seiten seiner Freunde eingriff. Mit dem Messer in der Faust, die Klinge jetzt an der Kleinfingerseite austretend, stürzte er auf S1 zu, der sich immer noch in leicht gebeugter Haltung der Angreifer zu erwehren suchte und auf wollte. Im Bewusstsein der in der konkreten Art der jetzigen Anwendung Lebensgefährlichkeit des Messers und dessen Einsatzes stach I nun in schneller Folge vielfach in Richtung S1s, nach dem Eindruck selbst seiner – S1s – umstehender Freunde einfach nur wild drauf los (so L1), sehr unkontrolliert und unkoordiniert (so N4) und überhaupt nicht gezielt (so M1). Es kann sein, dass es zwanzig oder gar mehr Stichbewegungen waren, darunter auch solche mit in der Hand nicht richtig aufgestellter und deshalb nicht auf S1s Körper gerichteter Klinge, von denen jedenfalls viele nicht trafen, einige höchstens streiften, andere sogar vorbei gingen.
91Getroffen wurde S1, wie sich aus den Ausführungen des ihn behandelnden Arztes M1 erschlossen hat, allerdings insgesamt neun Mal, im Bereich der Schulter, des Rückens seitlich rechts und des linken Armes. Dass I bei seinen Stichen über die sicher feststehende Inkaufnahme lebensgefährlicher Verletzungen hinaus auch den Tod dieses Nebenklägers billigend in Kauf nahm, kann die Kammer angesichts des bewegten Geschehens im Rahmen des noch fortdauernden Kampfes und vor allem in Anbetracht der Stichführung des Angeklagten nicht sicher feststellen, auch wenn die Stiche allesamt in Richtung auf S1 geführt wurden und teilweise dessen Oberkörper auch trafen.
92Neben dem Zeugen L1 hatte auch der Zeuge L5, der an der Auseinandersetzung nicht beteiligt war, dem Nebenkläger S1 aufhelfen wollen. Als jetzt der Angeklagte auf S1 einstach, versuchte L5, das Opfer zur Seite zu ziehen, was ihm nicht gelang und wobei er selbst von dem Messer getroffen wurde, was bei ihm eine tiefe Schnittwunde an zwei Fingern seiner rechten Hand hinterließ. I wegzuziehen schaffte auch der Zeuge U nicht, der dessen Stichbewegungen als Schläge deutete und das Messer in dessen Hand erst wahrnahm, als dieser von sich aus von S1 abließ. Er redete I beruhigend zu, der dabei wahrnahm, das S1 sich langsam aufrichtete, sich ihm aber nicht mehr zuwandte, um ihn weiter zu attackieren, sondern sich abkehrte und weg ging, nach wie vor mit dem Messer in der Hand, aber nicht in Richtung des Tatgeschehens um dem Nebenkläger N3, sondern ein wenig flussaufwärts. Der Nebenkläger S1 bemerkte erst beim Aufstehen, dass er blutete. Er wurde sogleich von Umstehenden erstversorgt.
93Die schon genannten knapp zwanzig Schritt entfernt, etwas flussab und auf dem Gestein in Ufernähe, war unterdessen der Nebenkläger N3 von ebenfalls mehreren, mindestens vier, jungen Leuten traktiert worden, unter ihnen der Angeklagte C. Er war an seinen langen Haaren zu Boden gerissen, es war auf ihn eingeschlagen und eingetreten worden. Auch N3 hatte sich zwischenzeitlich immer wieder aufzurichten versucht und kniete gerade, als C, gut kenntlich an seinem schwarzen Muskel-Shirt, einer mit einer Armeemarke als Anhänger versehenen Halskette und vor allem seinen Vornamen als Tattoo auf dem Unterarm, mehrere Meter Anlauf nahm und ihm aus vollem Lauf mit dem Sportschuh am Fuß wuchtig gegen den Kopf trat. Dasselbe tat anschließend ein unbekannt gebliebener anderer Tatgenosse, während C dem N3 möglicherweise weiter mehrfach gegen den Oberkörper trat, ihn zumindest schlug, bis die Zeuginnen B und T5 ihn anschrien, „L nein, L lass das, L hör auf“, und ihn wegzogen. Während dieser Aktionen schlug ein weiterer Tatbeteiligter dem N3 eine noch großteils gefüllte Flasche so heftig auf den Kopf, das sie zerbarst. Dass das der Angeklagte T2 war, steht nicht sicher fest.
94N3 war aufgrund der heftigen Schläge und Tritte zu Boden gefallen, wo er ersichtlich hilf- und wehrlos lag, bäuchlings, dabei den Rücken links leicht seitlich nach oben gekehrt. In dieser Situation trat der Angeklagte I hinzu, das Messer erneut oder noch immer in der Hand, die ausgefahrene Klinge an der Kleinfingerseite, beugte sich zu N3 hinab, umfasste dessen Schulter, fixierend, mit der einen Hand und stieß ihm mit der anderen Hand das Messer mit einem wuchtigen Stich wirbelsäulennah und tief in den linksseitigen Rücken, wobei er diesmal nicht nur um die Beschaffenheit des Messers als gefährlichem Werkzeug und die Lebensgefährlichkeit solchen Messereinsatzes wusste, sondern bei dieser Art der Stichführung, von hinten wuchtig und linksseitig in den Oberkörper eines ihm wehrlos den Rücken zukehrenden Gegners, zumindest damit rechnete und auch billigend in Kauf nahm, dass dieser Stich zum Tode führte.
95Ein zweites Mal stach I nicht zu. Er sah, dass N3 liegen blieb, und wandte sich daraufhin ab. Dass er bereits das Signalhorn eines Polizeifahrzeuges hörte, steht nicht fest.
96Die Zeugin G hatte sich durch die Menge zu ihrem Freund N3 durchgekämpft, in Kopfhöhe neben ihm gekniet und der Beibringung des Stichs machtlos zusehen müssen. Als sie ihn nun aus der Wunde am Rücken bluten sah, warf sie sich mit ihrem ganzen Körper über ihn, um ihn zu schützen. Gleichwohl ging nun der Angeklagte C noch einmal zu ihm, beugte sich hinab, breitete die Arme aus, schrie ihn an, trat ihn aber nicht erneut und zog sich dann zurück. Auch N3 wurde von Anwesenden, darunter ausgebildeten Sanitätern, an Ort und Stelle erstversorgt.
97Beide Nebenkläger wurden nach alsbaldiger notärztlicher Versorgung am Tatort in Krankenhäuser verbracht.
98N3 war in den sechsten Zwischenrippenraum links neben der Wirbelsäule getroffen worden. Der Stich hatte bei einer Eindringtiefe von mindestens fünf Zentimeter nur mit viel Glück Oberbauchorgane, Nieren und große Blutgefäße in Thorax und Abdomen jeweils soeben verfehlt, jedoch das Lungengewebe erreicht und zu einem Pneumothorax und Hämatothorax links geführt. Akute Lebensgefahr bestand bei Einlieferung in die Klinik nicht, wo jedoch eine Thoraxdrainage anzulegen war. Er wurde eine Nacht intensivmedizinisch und vier weitere Tage stationär behandelt. Je eine Platzwunde am Kopf vorn seitlich links und am Hinterkopf, ein Riss in der Oberlippe sowie ein Hämatom am Auge sind verheilt. Verblieben ist allerdings ein Taubheitsgefühl im linken Brustkorb.
99S1 wies sechs Stichverletzungen am hinteren Oberkörper auf, drei davon subkutan am rechten Schulterblatt, davon zwei mit einer Einstichtiefe von jeweils ein bis anderthalb Zentimetern, die dritte mit einem bis auf vier bis fünf Zentimeter sondierbaren, nach außen zum Schultergelenk hin führenden Stichkanal, drei weitere an der rechten lateralen Flanke im Bereich der 11. und 12. Rippe, zwei davon über der Muskulatur, jeweils etwa einen Zentimeter tief, die dritte bis hinter das Bauchfell reichend und auf vier bis fünf Zentimeter sondierbar, jedoch ohne Verletzung von Organen im Abdomen, insbesondere Leber oder Lunge. Sicher erkennbar drei weitere, jeweils oberflächliche Stichverletzungen fanden sich an der Beugeseite des linken Armes, zwei am Unterarm körpereinwärts, eine weitere nahezu mittig über der Armbeuge, dazu mehrere Kopfhautplatzwunden. Seine Verletzungen waren nicht lebensbedrohlich. Er wurde postoperativ zwei Tage intensivmedizinisch überwacht und befand sich anschließend für weitere sechs Tage zu allgemein stationärer Behandlung in der Klinik. Noch heute plagen ihn Schmerzen und Beweglichkeitseinschränkungen im Schulterbereich, weshalb er in fachorthopädischer Behandlung ist. Außerdem leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Schlafproblemen und Angstsymptomen. Größere Menschenansammlungen meidet er deshalb konsequent.
100Der Angeklagte I hatte sich nach Abwendung vom Nebenkläger N3 über die Rheinwiesen in Richtung Kaiser-Friedrich-Ring zum Aufgang auf die Oberkasseler Brücke begeben. Des Messers hatte er sich auf dem Weg entledigt. Noch vor Erreichen der Brücke wurde er um 21.50 Uhr des Tages vorläufig festgenommen. Kurz nach Mitternacht wurden ihm Blutproben entnommen, um 0.02 Uhr zur Untersuchung auf Alkohol, um 0.03 Uhr zur Untersuchung auf Drogen. Die erste Blutprobe wies eine mittlere Blutalkoholkonzentration von 0,97 Promille auf, die zweite einen positiven Befund bei Testung auf Cannabinoide. Deren Ergebnisse im Einzelnen belegen mit einem THC-Wert von 2,3 ng/ml einen mehr als einmaligen Gebrauch und lassen den Konsum dreier Joints, nachmittags zu zweit, und das Mitrauchen an einer Marihuana enthaltenden Zigarette kurz vor den Tatgeschehnissen, wie vom Angeklagten I angegeben, als möglich erscheinen. Zurückgerechnet auf den Zeitpunkt der Tat – ca. 21.30 Uhr – betrug die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten I 1,67 Promille.
101Der Angeklagte C wurde wenige Minuten nach dem Angeklagten I auf der Brücke festgenommen. Die ihm um 23.33 Uhr entnommene Blutprobe erbrachte einen mittleren Blutalkoholgehalt von 1,75 Promille, aus der sich bezogen auf den Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,35 Promille errechnet. Auch die Testung auf Rauschmittelkonsum aus der ihm um 23.34 Uhr entnommenen Blutprobe verlief in Bezug auf Cannabinoide positiv.
102Es ist danach nicht ausgeschlossen, das I und C jeweils rauschmittelbedingt, I dabei im Zusammenwirken mit vorhandenen Persönlichkeitsdefiziten, bei Tatausführung erheblich vermindert steuerungsfähig gewesen sind. Für eine über alkoholbedingte Enthemmung hinausgehende erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten L bieten sich dagegen keine Anhaltspunkte.
103II. Anklage 110 Js 2725/10
1041.
105Am Abend des 09.01.2010 hielt sich der Angeklagte T in der Wohnung der Schwester des Angeklagten L in der S3 Straße in Düsseldorf auf. Es kann sein, dass er spätestens um 20.00 Uhr des Tages dort mit der Gastgeberin Alkohol zu trinken begann, jetzt und auch ab 21.00 Uhr mit seinen dann erschienenen Tatgenossen I und L ausschließlich Wodka, stets der Marke Borsoy mit 37,5 Vol. % Alkohol, die Flaschen zu je 0,7 l, gelegentlich im Mix mit Red Bull. Es ist möglich, dass T und L zusätzlich Rauschgift konsumierten, nicht ausschließbar 1,5 gr. Cannabis, möglicherweise gemeinsam, und je 2 gr. Amphetamin. Die Kammer kann deshalb nicht ausschließen, dass die drei Angeklagten bei Begehung ihrer Tat um 23.21 Uhr des Abends rauschmittelbedingt in ihrer Steuerungsfähigkeit jeweils erheblich beeinträchtigt waren.
106Im Verlauf des Abends entstand der Plan, sich durch einen bewaffneten Überfall Geld zu beschaffen. Von wem die Idee kam, steht nicht fest. Es fanden sich jedenfalls alle drei schnell zur Mitwirkung bereit. Als Tatwaffe sollten Ls Walther P 99 dienen, eine Schreckschusspistole mit nach vorn austretendem Explosionsdruck, die L direkt aus der im selben Haus gelegenen Wohnung seines Vaters holte und samt mitgebrachtem, mit zehn Schreckschusspatronen befülltem Magazin den beiden Tatgenossen präsentierte, was ihre Billigung fand. Mit einem Tuch sollte, so der Plan, das Gesicht eines jeden von ihnen bis unter die Augen verdeckt werden, wozu möglicherweise eine Strumpfhose Ls zerschnitten wurde. Als Tatobjekt ausersehen war zunächst ein Büdchen im Stadtteil F1, wohin die drei sich zu Fuß auf den Weg machten. Es kann sein, dass die konkrete Art der Tatausführung bis dahin noch nicht erörtert worden, insbesondere noch offen war, wem bei der Tat welche Aufgabe zukam. In der Nähe des Büdchens angelangt verwarfen sie ihren Plan insoweit jedoch wieder. Ob das Büdchen schon geschlossen war oder einem der Angeklagten, möglicherweise I, der Überfall dort als zu gefährlich erschien, steht nicht fest.
107Ohne langes Überlegen nahmen sie sich nun vor, statt des Büdchens die nicht viel weiter im selben Stadtteil an der Ecke L4/I6 Straße gelegene Shell-Tankstelle zu überfallen. Auch dorthin gingen sie zu Fuß, ausgestattet, wie alle wussten, mit der Schreckschusspistole Ls samt zugehörigem, mit zehn Patronen, Kaliber 9 mm, Knall, befülltem Magazin, jeweils mit Kapuzen-Shirts und den zuvor zugeschnittenen Tüchern zu möglichst weitgehender Verdeckung ihrer Gesichter, T und L außerdem mit Handschuhen, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
108Auf der der Tankstelle gegenüberliegenden Seite der L4 Straße beobachteten sie zunächst noch für möglicherweise wenige Minuten die Abläufe auf dem Gelände und im nach vorn zu den Zapfanlagen verglasten und deshalb teilweise einsehbaren Verkaufsraum und besprachen die Tatausführung im Einzelnen. Spätestens jetzt erklärte sich I bereit, mit der unterladenen Waffe den anderen voran in den Verkaufsraum zu gehen, den, wie sie festgestellt hatten, darin allein befindlichen Kassierer die Schusswaffe vorzuhalten und die beiden anderen zu diesem von außen wahrnehmbaren Zeitpunkt des Ziehens der Waffe folgen zu lassen, um die Tat so zu dritt zu begehen. Damit waren alle einverstanden.
109Absprachegemäß betrat I um 23.21 Uhr den Verkaufsraum und wartete mit in die Stirn gezogener Kapuze und gesenktem Kopf an den Auslagen direkt neben der Kassentheke, bis der den Nachtdienst als Tankwart versehende Zeuge B3 wenige Sekunden später aus dem Aufenthaltsraum hinter die Kasse trat. Dessen Gruß erwiderte I mit einem guten Abend, zog sich das Tuch bis über die Oberlippe, nahm die Pistole aus der inneren Brusttasche seiner Jacke, streckte sie dem Zeugen B3 entgegen, mit der Mündung auf dessen Brust, und lud sie mit den Worten durch, das sei ein Überfall, Geld raus. Dabei geriet I versehentlich an die Arretierung des Magazins, das daraufhin mit darin verbliebenen neun Patronen aus der Waffe auf die Theke fiel und dort geistesgegenwärtig vom Zeugen B3 ergriffen und zur Seite befördert wurde. I bemerkte das, hielt die Pistole auf den Zeugen B3 gerichtet und beantwortete dessen Aufforderung, er solle nach Hause gehen, es sei kein Bargeld da, mit dem Hinweis, eine Patrone sei noch drin.
110In diesem Moment stürmten wie abgesprochen T und L herein, beide mit bis unter die Augen reichenden Tüchern und übergezogener Kapuze teilmaskiert und jeweils Handschuhe tragend. Während T noch schrie, Geld her, Überfall, lief er zu I, nahm ihm, von B3 unbemerkt, die Pistole aus der Hand, drängte ihn zur Seite, woraufhin er dem L hinter die Theke nachlief, und streckte nun seinerseits dem Zeugen B3 die Pistole mit den Worten, Kasse auf, entgegen. Der jetzt, nach dem Erscheinen zweier weiterer Täter und angesichts vermeintlich zweier Schusswaffen ernstlich um sein Leben fürchtende Zeuge B3 nahm die Hände zum Zeichen seiner Aufgabe hoch und antwortete T wahrheitsgemäß, es gebe kein Bargeld, nur eine Kleingeldkasse. Unterdessen waren L und I hinter dem Tresen angelangt, durchsuchten die dortigen Schubladen und nahmen daraus Geldscheine und Kleingeldrollen, insgesamt mindestens 430,00 €, an sich. Auf Fragen T’s, wo noch mehr Geld und wo die sogenannten Paysafe-Karten seien, verwies der Zeuge B3 jeweils nur auf den dortigen Automaten. Inzwischen war T klar, dass dort mehr Geld nicht zu holen sei. Weg hier, rief er den beiden anderen zu und wandte sich zum Ausgang, woraufhin I und L ebenfalls hinter der Theke vor zum Ausgang eilten, wobei I eine Münzrolle zu Boden fiel, nach welcher er sich bückte und sie aufhob. Nach nur gut 30 Sekunden waren alle drei mit ihrer Beute aus dem Verkaufsraum gelaufen, rannten über die auf Teilen des Tankstellengeländes und den Zuwegungen vorhandene Schneedecke weg, ohne zu stürzen. Es kann sein, dass sie in ihnen sicher erscheinender Entfernung zur Tankstelle beschlossen, sich zu trennen und auf unterschiedlichen Wegen zur Wohnung Ls zurückzukehren. In der Wohnung angelangt teilten sie das erbeutete Geld untereinander auf, jedenfalls T und L zu gleichen Teilen, ob I mit nur 7,00 € deutlich weniger erhielt, steht nicht fest. I erhielt jedoch von L massive Vorwürfe, weil er das Magazin aus der Pistole verloren hatte und I wegen seiner Fingerabdrücke und/oder derjenigen seines Vaters darauf um seine Entdeckung fürchtete. T äußerte sich dazu nicht.
111Der Angeklagte B3 rief nach der Flucht der Angeklagten direkt die Polizei, arbeitete danach aber bis zum Schichtende plangemäß weiter. In den Folgemonaten erwog er unter dem Eindruck der Ereignisse wiederholt, seine Tätigkeit als Tankwart nachts aufzugeben. Daran denkt er mittlerweile nicht mehr und glaubt, das Geschehene verwunden zu haben.
1122. (verCener Vorgang 110 Js 1395/11)Am Abend des 07.05.2010 gegen 21.15 Uhr traf der Angeklagte L, der sich in Begleitung seines Vaters L7 und des E3 befand, an einem Unterstand am Unterbacher See in Höhe des Grundstücks L8 in Düsseldorf auf den dort Bier trinkenden späteren Geschädigten T6 sowie dessen Begleiter K. Der Vater des L verlangte von K die Rückgabe eines Fahrradanhängers, worüber sich zwischen beiden ein Streitgespräch entwickelte, in das sich möglicherweise auch T6 einmischte. Plötzlich und unvermittelt schlug der Angeklagte L mit zwei Bierflaschen derart in das Gesicht und an den Hinterkopf des T6, dass beide Flaschen zerbrachen und T6 – wie von dem Angeklagten zumindest billigend inkauf genommen – jeweils eine Platzwunde an der rechten frontalen Gesichtshälfte und am Hinterkopf links erlitt. Der Geschädigte begab sich in ambulante Behandlung in ein Krankenhaus, wo die Verletzungen desinfiziert und verCen wurden. Auf der Stirn vorne rechts verblieb eine Narbe.
113Diese Feststellungen beruhen auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung.
114C.
115I.
116Die Angeklagten haben sich zu ihren Lebensläufen so eingelassen, wie es unter A. I. bis IV. dargestellt ist.
117II.
118Zu jeweils der Tatvorgeschichte und den eigentlichen Tatgeschehnissen haben sie sich wie folgt erklärt:
1191. Zum Tatgeschehen vom 29.05.2010 (B.I.)
1201.1.
121Der Angeklagte I hat die Tat betreffend den Nebenkläger N3 zur äußeren Tatseite eingeräumt, nicht jedoch die zum Nachteil des Nebenklägers S1. Abweichend von den getroffenen Feststellungen hat er sich im Zusammenhang wie folgt geäußert:
122Er habe an dem Abend ein Springmesser mit silberner, ungefähr zehn Zentimeter langer Klinge dabei gehabt, obwohl er wisse, dass dies verboten sei; dies habe er – weil er Messer sammele – Wochen zuvor von L bekommen. Getrunken habe er von selbst mitgebrachtem Wodka, auch Bier und Apfelkorn, und sich davon, von den nachmittags mit C gerauchten zwei Joints und der am Rhein mit zwei ihm unbekannten Mädchen gerauchten Zigarette, die Marihuana enthalten habe, etwas benebelt gefühlt. Als er sich von diesen Mädchen getrennt habe, sei er wieder zu den anderen gegangen, die an der Steinkante gesessen hätten. Dass von denen mit Kieselsteinen geworfen worden sei, habe er nicht mitbekommen, auch nicht, dass sich fünf bis sechs Leute darüber beschwert hätten. Es hätten jedoch plötzlich alle gestanden und er sei mit einem Mal in einem Tumult von Menschen gewesen. Als er von hinten umgerissen worden sei, habe er noch am Boden das Messer aus der Jackentasche geholt. Es sei ihm zwar aus der Hand gefallen, als er in einen Schwitzkasten genommen worden sei, er habe es aber wiedergefunden und aufgehoben. Er sei ausgerastet, weil er zu Boden gerissen worden sei. Dass er mit dem Messer herumgefuchtelt habe, wisse er nicht, er erinnere sich aber, dass er auf eine Person mit rotem T-Shirt und hüftlangen Haaren zugerannt sei und auf diese eingestochen habe. Diese Person sei kein Angreifer gewesen. Sie habe vielmehr auf dem Boden mit dem Rücken zu ihm gekniet. Er habe sich mit der linken Hand an deren Schulter gestützt und dann mit dem Messer in der Faust ein paar Mal, meine er, wisse aber nicht genau, wie oft, zugestochen. Warum er das getan habe, könne er nicht sagen. Er habe aber realisiert, dass er die Person steche. Er wisse, dass er dadurch jemanden verletzen und natürlich auch mehr passieren könne. Wie die Person auf die Stiche reagiert habe, wisse er nicht mehr. Er habe weder gemerkt, dass sich da noch andere geprügelt hätten, noch erinnere er sich, dass ihn Mädchen weggezogen oder mit ihm gesprochen hätten. Auch seine mitangeklagten Freunde habe er sämtlich nicht wahrgenommen. Er sei nach den Stichen nach oben Richtung Straße weggegangen und wisse wohl noch, das Ls Schwester und dessen Freundin etwas zu ihm gesagt hätten und wie die Polizei ihn festgenommen habe. Was mit dem Messer passiert sei, wisse er dagegen nicht mehr.
123Er habe auch keine Erinnerung daran, noch auf eine zweite Person eingestochen zu haben, wolle das aber – wie er im späteren Verlauf der Hauptverhandlung nach Vernehmung etlicher Zeugen erklärt hat – auch nicht ausschließen. Wenn das so gewesen sei, entschuldige er sich bei ihr genauso wie er sich bei der Person mit dem roten Shirt – N3 – entschuldigt habe.
124Es sei zwar öfter vorgekommen, dass die anderen ihn als Lutscher bezeichnet hätten, falls er bei einer Schlägerei nicht mit mache, woraufhin er dann doch mitgewirkt habe, weil ihm wichtig gewesen sei, was die von ihm gedacht hätten. Das sei hier aber nicht so gewesen.
125Der Angeklagte I ist über sein Geständnis hinaus der Täterschaft bezüglich beider Nebenkläger und der jeweiligen Tathandlungen so überführt wie festgestellt.
126Das entnimmt die Kammer nicht den Angaben der beiden Nebenkläger, die zum Tatgeschehen zwar Wahrnehmungen gemacht und wiedergegeben haben, auch jeweils noch mitbekommen haben, dass auf sie eingeschlagen worden ist, die aber beide – nachvollziehbar – die Stichbeibringung im Verlauf des Kampfgeschehens nicht selbst bemerkt haben und zur Person des Messerstechers deshalb auch keine Angaben haben machen können.
127Zunächst ist durch die Aussagen der Zeugen U, N4, L1 und M1 verlässlich belegt, dass der Angeklagte I alsbald nach Beginn der körperlicher Auseinandersetzung mit vorgehaltenem Messer gestanden und getönt hat, wer hier Stress mache, den steche er ab. Das haben diese Zeugen zwar mit geringgradigen Abweichungen im Wortlaut, aber sinngemäß übereinstimmend so geschildert, der Zeuge U sogar mit der Bemerkung, das habe so ausgesehen, als wenn er sein tolles Messer habe vorführen wollen. Es wird auch von der zur Gruppe um I gehörigen Zeugin N5, wenn auch ohne Erinnerung an den Wortlaut der Äußerung, so bestätigt, die ihm in dieser Situation sogar noch zuzureden und ihn wegzuziehen versucht hat.
128Zu den Feststellungen über die Kampflage um den Nebenkläger S1 und die durch den Angeklagten I in dessen Richtung geführten Schlag- und Stichbewegungen ist die Kammer vor allem aufgrund der Aussagen sowohl der als Freunde S1s um diesen besorgten und das Geschehen deshalb besonders aufmerksam verfolgenden Zeugen L1, N4, U und M1 sowie der keinem der beiden Lager direkt zuzurechnenden, zufällig in unmittelbarer Nähe stehenden und aus ihrer Position zu genauer Beobachtung befähigten Zeugen N6 und L5 gelangt. Alle Genannten haben sicher den Angeklagten I als den Messerstecher bezeichnet. Das ist bei dem grundsätzlich keinen Alkohol trinkenden Zeugen L5 schon deshalb besonders überzeugend, weil er selbst durch den Täter mit dem Messer verletzt worden ist. Er hat insbesondere erklärt: Er habe sich, weil er einzelne gekannt habe, in derjenigen Gruppe aufgehalten, die nach seiner Bewertung aggressiv bis provozierend Steine geworfen und sich darüber unterhalten gehabt habe, man solle dem – gemeint N3 mit dem hüftlangen Zopf – die Haare abschneiden. Der sei mit seinen Freunden friedlich gekommen. Es sei eskaliert, als der erste Faustschlag aus der Gruppe der Provokateure gekommen sei. Der Angeklagte I habe mit dem Messer erst gestochen, als S1 auf allen vieren am Boden gekniet habe. I sei dazu noch um ihn – L5 – herumgerannt, habe dann hinter S1 gestanden und vielfach – wenn er eine Zahl nennen solle, dann zwölfmal oder mehr – in dessen Richtung gestochen, wobei er sich noch über die komische Schlagweise gewundert habe. Er selbst sei von dem Messer bei seinem Versuch getroffen worden, S1 zur Seite zu ziehen, was er daraufhin habe lassen müssen. I habe von selbst abgelassen und sei dann weg.
129Wie der Zeuge L5 hat auch der Zeuge N6 den Angeklagten I als denjenigen identifiziert, der auf den Nebenkläger S1 eingestochen habe. Das sei nur ein paar Meter vor seinen Augen gewesen. I habe sich zuvor schon mit dem Messer gebrüstet und von Abstechen geredet. Jetzt habe er sich über das mit schwarzem Shirt bekleidete Opfer gebeugt und zugestochen. Dabei habe auch der Zeuge L5, mit dem er vor Ort gewesen sei, mit dem Messer in die Finger gekriegt.
130Mit den Aussagen des Weiteren der Zeugen L1, N4, U und M1 verbleibt an der Täterschaft des Angeklagten I insoweit kein Zweifel. Diese Zeugen haben ihn sämtlich als den Messerstecher betreffend S1 wieder erkannt, jeweils gestützt durch ihre Beobachtung, das sei der gewesen, der vorher schon mit dem Messer geprahlt habe. Dieser „Messermann“ sei auf den nicht mehr stehenden Nebenkläger S1 zugestürmt, wie von der Tarantel gestochen, so N4, nach dessen Empfinden er dann zig Mal auf ihn eingestochen habe, sehr unkontrolliert, nicht gezielt und auch abrutschend. Als einfach nur wild drauf los hat der Zeuge L1 das Einstechen Is auf S1 beschrieben, „wat ging“, richtig schnell, ohne Ende, bestimmt zwanzig Mal, überhaupt nicht gezielt und in schneller Schlagabfolge hat der Zeuge M1 ergänzt, was ausgesehen habe, als wäre S1 gegen den Rücken geboxt worden. Zu den jeweiligen Positionen haben auch diese Zeugen praktisch übereinstimmend erklärt, der Angeklagte I habe sich hinter dem am Boden befindlichen, knieenden Nebenkläger befunden und sich beim Schlagen bzw. Stechen zu ihm hinab gebeugt. Das ist auch mit den Ausführungen des sachverständigen Zeugen M1 vereinbar, denen zufolge der bis hinter das Bauchfell reichende Stich in die rechte Flanke bei aufrechter Stellung des Opfers naheliegend zu einer Verletzung der Leber geführt hätte.
131In Bezug auf die Geschehnisse zum Nachteil des Nebenklägers N3 ist das Geständnis des Angeklagten I, auf ihn eingestochen zu haben, zutreffend. Eine Vielzahl mit I gut bekannter Zeuginnen, so N5, M, C2 und B2, wie auch ihn vorher nicht kennende Anwesende haben ihm den Einsatz des Messers zugeschrieben, die als Freundin N3 besonders betroffene Zeugin G, er habe mit hasserfülltem Gesichtsausdruck und fiesem Grinsen zugestochen. Wie die keinem der Lager zuzurechnenden Zeugen X und A4 haben alle vorgenannten Zeuginnen beobachtet, dass I das Messer mit der rechten Hand geführt habe und die Klinge an der Kleinfingerseite der Faust ausgetreten sei. Allesamt haben sie Is Einlassung bestätigt, das Opfer – N3 – habe sich auf dem Boden befunden und ihm – I – den Rücken zugewandt. Die Zeugen haben das sogar dahin präzisiert, das Opfer habe bereits auf dem Boden gelegen, bäuchlings, sich nicht gewehrt, seine Hände möglicherweise schützend, so der Zeuge X, am Kopf. Auch die Stichbewegung, sich hinab beugend, das Opfer mit links an der Schulter haltend, mit rechts ausholend und zustechend, haben die Zeugen so beschrieben, auch dass er sich dann aufgerichtet habe und mit – nach Angaben der Zeugin G – bebluteter Messerklinge stehend das reglos liegen bleibende Opfer betrachtet und sich dann umgewandt habe. Der Kammer verbleibt deshalb am festgestellten Geschehensablauf kein Zweifel.
132Die Verletzungen beider Nebenkläger hat die Kammer mit Hilfe der sie jeweils operierenden Ärzte E2. M1 und S2 festgestellt, die Verletzungsfolgen einschließlich bei dem Nebenkläger S1 fortdauernder und ärztlich attestierter Beeinträchtigungen durch die Angaben beider Geschädigter.
1331.2.
134Der Angeklagte C hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, er habe zwar auch mit geschlagen und wolle nicht ausschließen, getreten zu haben, aber niemals einen anderen gegen den Kopf. Es stimme allerdings, was der Zeuge L2 und die Zeuginnen de M2 und L3 zu seinem Äußeren ausgesagt hätten, er habe eine Kette mit Armeemarke sowie ein schwarzes Tank-Top getragen und habe auf seinem linken Unterarm auch ein Tattoo mit seinem Vornamen.
135Er ist jedoch im Sinne der Feststellungen überführt. Durch die Aussagen der genannten Zeugen ist insbesondere der Tritt nach Anlauf gegen den Kopf N3s verlässlich belegt. Diese Zeugen haben aus guter Beobachtungsposition von der Brücke und bei noch recht guten Lichtverhältnissen das Äußere des Angeklagten C richtig wieder gegeben und überdies seinen Namen rufen hören. Es gibt keinen Zweifel, dass sie auch die beobachteten Aktionen der beschriebenen Personen zutreffend zugeordnet haben.
1361.3.
137Der Angeklagte L hat sich in Bezug auf den festgestellten eigenen Tatbeitrag geständig eingelassen und eingeräumt, den ersten Schlag mit der Faust in das Gesicht des Nebenklägers S1 geführt zu haben. Im Einzelnen hat er erklärt: Er habe zwar einiges an Alkohol getrunken, nicht jedoch während seines ambulanten Krankenhausaufenthaltes am späten Nachmittag und frühen Abend, wo ihm die Hand verCen worden sei. Er habe die vorhergehenden Provokationen mit den Kieselsteinen mitbekommen, selbst aber weder einen Stein noch etwa eine Flasche geworfen. Er habe dem Nebenkläger S1 den ersten Schlag versetzt, ohne sich von dem oder einem anderen aus dessen Gruppe angegriffen oder sonst in einer Notwehrlage gefühlt zu haben. Als er als Erster geschlagen habe, sei ihm klar gewesen, dass jetzt auch seine Freunde zuschlügen und es eine handfeste Prügelei gebe. Tatsächlich sei es, wie er erwartet habe, binnen Sekunden zu einem Tumult gekommen. Er sei dann weggegangen, mit C über die Oberkasseler Brücke in Richtung Altstadt gelaufen. Anders als C sei er auf die Rheinwiesen nicht mehr zurückgegangen.
138Diese Einlassung ist in Bezug auf den auslösenden Schlag bestätigt, im Übrigen nicht widerlegt. Der Nebenkläger S1 hat als Zeuge selbst bekundet, den in der Auseinandersetzung ersten Schlag in sein Gesicht von jemandem erhalten zu haben, dessen Hand verCen gewesen sei. Das ist beim Angeklagten L der Fall gewesen.
1391.4.
140Die Angeklagten T2 und T3 haben sich zur Sache nicht eingelassen. Sie sind der ihnen vorgeworfenen Tat der gefährlichen Körperverletzung, beide gemeinschaftlich mit den anderen Beteiligten zum Nachteil des geschädigten N3, T2 auch durch Schläge auf dessen Kopf mit einer Flasche Erdbeersekt als gefährlichem Werkzeug, nicht überführt.
141Betreffend T2 hat die Beweisaufnahme zwar ergeben, dass er sich im Bereich der Auseinandersetzung aufgehalten und eine Flasche, möglicherweise Erdbeersekt, in der Hand gehalten, nicht jedoch dass er mit ihr auch hantiert, insbesondere auf jemandes Kopf geschlagen hat. Betreffend T3 weiß die Kammer aus der Beweisaufnahme nur, dass er im Rahmen des Kampfgeschehens über S1 gelegen hat. Sie weiß aber nicht, ob er sich bis dahin überhaupt an der Schlägerei, etwa durch Schläge auf N3, beteiligt gehabt hat oder nur deshalb hinein geraten ist, weil er in der Nähe gestanden hat.
142Das erfordert bezüglich dieser beiden Angeklagten Freispruch aus tatsächlichen Gründen.
1432. Zum Tatgeschehen vom 09.01.2010 (B. II. 1.)
1442.1.
145Der Angeklagte I hat die Tat so eingeräumt wie festgestellt und sich, soweit abweichend und ergänzend, wie folgt erklärt: Ihm seien am Büdchen Bedenken gekommen, dass ein Überfall dort zu gefährlich sei, weshalb er dort auch nicht habe mitmachen wollen. Vor der Tankstelle habe er sich spontan bereit erklärt, mit der Waffe voranzugehen, weil er nicht als Versager habe dastehen wollen. Von der Beute habe er nur ca. 7,00 € erhalten, von denen er sich anschließend eine Pizza gekauft habe.
146Zu seiner alkoholischen Beeinflussung hat der zur Tatzeit 64 kg schwere Angeklagte I vorgebracht: Er habe ab 21.00 Uhr Alkohol getrunken, zunächst eine Flasche Wodka zu viert und zu praktisch gleichen Teilen, schließlich aus einer von ihm abgefüllten und zum Tatort mitgenommenen Halbliterflasche selbst vier Fünftel, die anderen jeweils nur wenige Schlucke.
1472.2.
148Der Angeklagte L ist gleichfalls geständig. Er hat dazu geltend gemacht: Das Büdchen habe nicht überfallen werden können, weil es geschlossen gewesen sei. Den Verkaufsraum der Tankstelle als Erster zu betreten, habe der Angeklagte I von sich aus vorgeschlagen. Es stimme, dass er, L, ihm dazu seine Schreckschusspistole mit eingeschobenem und mit zehn Patronen befülltem Magazin übergeben habe. Von der Beute habe jeder der Drei einen gleich hohen Anteil bekommen.
149Zu seinem vorherigen Rauschmittelkonsum hat er dargelegt: Er habe ab 21.00 Uhr Wodka getrunken, stets zu gleichen Teilen und zunächst eine Flasche zu viert, dann eine weitere zu dritt, gemeinsam nur mit T und I. Von der weiteren von I abgefüllten und mitgenommenen Flasche getrunken zu haben, hat er ausdrücklich nicht geltend gemacht. In einem separaten Zimmer der Wohnung seiner Schwester habe er mit T dazu Pep gezogen, jeder zwei „Nasen“. Seinerzeit habe er ein Körpergewicht von 70 kg gehabt.
1502.3.
151Auch der Angeklagte T hat die Tat und seinen Beitrag wie festgestellt eingestanden. Abweichend und ergänzend hat er sich dahin eingelassen: Das Büdchen sei bereits geschlossen gewesen. I habe von sich aus als Erster mit der Schusswaffe in das Tankstellengebäude gehen wollen. L und er seien damit einverstanden gewesen. Er habe jedoch schon vor Verlassen der Wohnung L darauf bestanden, dass das Magazin zu Hause bleibe, damit nichts passiere. Er sei davon ausgegangen, dass das auch geschehen sei, und habe sich später darüber gewundert, dass das Magazin bei der Tatbegehung verloren gegangen sei.
152Zu seiner Rauschmittelbeeinflussung hat er angegeben: Er habe über die mit Melanie L ab 20.00 Uhr jeweils hälftig getrunkene Flasche Wodka hinaus ein Viertel der zu viert geleerten weiteren Flasche und gemeinsam mit L und I zu gleichen Teilen eine weitere Flasche „geext“. Auch er hat ausdrücklich nicht erklärt, auch noch von der von I befüllten und mitgenommenen weiteren Flasche getrunken zu haben. Allerdings habe er auch noch Rauschgift genommen, nämlich heimlich mit L auf der Toilette Amphetamin gezogen, jeder zwei Linien und dazu dort – insoweit von L nicht angegeben – gemeinsam 1,5 gr. Marihuana geraucht. Er habe damals ein Körpergewicht von 75 bis 80 kg aufgewiesen.
1532.4.
154Die Ereignisse zur Tat vom 09.01.2010 stellt die Kammer durch die vorangestellten Einlassungen der Angeklagten, soweit sie nicht widerlegt sind, und vor allem aufgrund der durch die mit ihm und den Angeklagten im Einzelnen erörterten Bilder der Videoüberwachung der Tankstelle gestützten Aussage des Zeugen B3 fest, auch die Beutehöhe mit dessen Angaben, jeweils so, wie unter B. II. 1. dargestellt.
155Die die Annäherung der Angeklagten mit Uhrzeitaufdrucken von 23:21:38 bis 23:21:53 und das Tatgeschehen mit Uhrzeitaufdrucken von 23:21:59 bis 23:22:35 wiedergebenden Aufnahmen der Überwachungskameras zeigen zunächst die drei Angeklagten mit schon übergezogener Kapuze aber noch unverdecktem Gesicht offenbar nacheinander in dem Bereich der geräumten Ausfahrt auf dem jeweils rechts und links davon schneebedeckten Tankstellengelände, dann den drinnen die Auslagen betrachtenden Angeklagten I, das Herausfallen des Magazins aus der vom inzwischen vermummten I in rechter Hand gehaltenen und dem ihm hinter der Theke gegenüberstehenden Tankwart mit der Mündung nach vorn entgegen gestreckten Pistole mit – zumindestens sehr naheliegend – Zielrichtung auf dessen Oberkörper, das Erscheinen der gleichfalls vermummten, dazu jeweils Handschuhe tragenden T und L, die Übernahme der Pistole durch den vor der Theke stehen bleibenden, Anweisungen gebenden und die Waffe über die Theke, dem Tankwart entgegen, haltenden T, das Laufen Ls und Is hinter die Theke und deren Zurückkommen sowie das beidhändige Tragen und das Bücken Is nach verlorenem Kleingeld und das Abwenden zum Hinauslaufen aus dem Verkaufsraum. Wegen der Darstellungen im Übrigen und im Einzelnen wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen Abbildungen verwiesen.
1562.5.
157Bezüglich der von den Feststellungen abweichenden Einlassungen gilt:
158Die Kammer schließt, was den Angeklagten I anbelangt, nicht aus, dass er seine spontane Bereitschaft, mit der Waffe voranzugehen, erklärt hat, um den beiden anderen und jeweils Älteren gegenüber nicht als Versager zu gelten. Sie hat aber gegen deren entsprechende Einlassungen keinen tatsächlichen Anhalt festzustellen, das L oder T ihn für den Fall des Zurückstehens als Schwächling bezeichnet und so seinen Entschluss hervorgerufen oder bestärkt haben. Sie stellt auch zur Beuteteilung nicht fest, das I und T mehr als den gleich hohen Drittelanteil behalten und I lediglich 7,00 € bekommen hat, sie schließt lediglich zugunsten des Angeklagten I einen entsprechend geringeren Anteil für ihn nicht aus.
159Die Kammer schließt dagegen aus, dass das gefüllte Magazin zur Schreckschusspistole gegen T’s erklärten Willen mitgenommen worden ist. Dieser Einlassung des Angeklagten T sind sogar I und L, Letzterer ausdrücklich, entgegen getreten. Sie erscheint der Kammer auch abwegig. Hätte T7 nämlich auf Mitnahme der Waffe bloß ungeladen bestanden, hätte sich ihm aufgedrängt, seinen Tatgenossen nachdrückliche Vorhaltungen zu machen und sich über die Mitnahme und Verwendung des Magazins genauso aufzuregen wie L das über dessen Verlust getan hat.
1602.6.
161Bei der Ermittlung der alkoholischen Beeinflussung der Angeklagten legt die Kammer auch angesichts unterschiedlicher Darstellungen im Detail deren jeweilige Einlassungen zugrunde.
162Nach der Widmark-Formel und bei Ansatz der jeweils günstigsten Werte ergibt sich
163a) beim Angeklagten I:
164580 ml Wodka zu 37,5 Vol. % ergeben 217,5 ml Alkohol und bei Berücksichtigung des spezifischen Gewichts von Alkohol (Faktor 0,8) eine Gesamtalkoholaufnahme von 174 gr Alkohol. Dieser Wert dividiert durch das um den Verteilungsfaktor 0,7 verringerte Körpergewicht (64 x 0,7 = 44,8) führt zu ermittelter maximaler Blutalkoholkonzentration von 174 : 44,8 = 3,89 Promille. Bei einem Trinkbeginn mehr als zwei Stunden vor der Tat und deshalb Abzug des niedrigstmöglichen Abbauwertes von 2 x 0,1 Promille = 0,2 Promille und unter Berücksichtigung des geringstmöglichen Resorptionsdefizits von 10 % (von 3,89 Promille), also 0,39 Promille, errechnet sich eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 3,30 Promille.
165b) beim Angeklagten L:
166420 ml Wodka zu 37,5 Vol. % ergeben 157,5 ml Alkohol. Die Umrechnung dieses Volumenanteils in Gewichtsanteile (x 0,8) ergibt 126 gr Alkohol, dividiert durch das um den Verteilungsfaktor 0,7 reduzierte Körpergewicht von 70 kg, somit 49 kg, errechnet sich eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,57 Promille. Bei Trinkbeginn von auch hier länger als zwei Stunden vor der Tat und deshalb Ansatz eines Abbauwertes von 0,2 Promille (2 x 0,1 Promille) und Einrechnung des Resorptionsdefizits von 10 % (0,25 Promille) ist ein Tatzeitblutalkoholgehalt von 2,12 Promille zu ermitteln.
167c) beim Angeklagten T:
168758 ml Wodka zu 37,5 Vol. % ergeben 284,25 ml Alkohol, das sind bei Umrechnung in Gewichtsanteile (x 0,8) 227,4 gr Alkohol, dividiert durch das um den Faktor 0,7 verringerte Körpergewicht von mindestens 75 kg, demnach 52,5 kg, ergibt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 4,33 Promille. Da dieser Angeklagte bereits mehr als drei Stunden vor der Tat zu trinken begonnen haben will, ist ein Abbauwert von 0,3 Promille (3 x 0,1 Promille) genauso abzuziehen wie 0,43 Promille als Resorptionsdefizit von 10 %, so dass sich eine Blutalkoholkonzentration von 3,60 Promille auf die Tatzeit bestimmen lässt.
169Von diesen rechnerisch ermittelten Blutalkoholgehalten geht die Kammer bei den Angeklagten jeweils aus, zumal die Vornahme einer Kontrollberechnung mit den Angeklagten ungünstigsten, hier aber nicht zugrunde gelegten, Werten – 30 % Resorptionsdefizit, 0,2 Promille stündlicher Abbau bei einer Abbauzeit von zweieindrittel Stunden bei I und L, dreieindrittel Stunden bei T, bei Letzterem ein Körpergewicht von 80 kg, jeweils zuzüglich 0,2 Promille Sicherheitszuschlag, zu vergleichsweise realistischer wirkenden Ergebnissen führt, nämlich bei I 2,05 Promille, bei L 1,13 Promille und bei T 1,97 Promille.
170Gleichwohl ist die Kammer überzeugt, dass das Verhalten der Angeklagten bei Tatausführung mit alkoholischer Beeinflussung der jeweils ermittelten Größenordnung, bei L und T zusätzlicher Einwirkung von Betäubungsmitteln, nicht in Einklang steht. Alle Drei haben sich zur Tat schnell bereitgefunden und auch ohne langes Überlegen einvernehmlich das Tatobjekt gewechselt, was ihre Kritikfähigkeit tangiert erscheinen lassen kann. Andererseits hat die Tat umsichtiger Vorbereitung bedurft. Mit Kapuzen versehene Oberbekleidung ist zu tragen und Tücher zur Verdeckung der Mund- und Nasenpartien sind zu beschaffen gewesen. Die eigentliche Tat ist zwar in der Ausführung dilettantisch, aber binnen gerade mal gut 30 Sekunden erfolgreich zum Abschluss gebracht worden. Bei voller Orientierung sind dem Zeugen B3 mit deutlicher und nicht verwaschener Sprache von I und T klare und deutliche, dabei zielführende Anweisungen gegeben worden. I hat auf das Herausfallen des Magazins spontan und sachgerecht mit Hinweis auf noch eine in der Pistole verbliebene Patrone reagiert, T sogar noch nach Paysafe-Karten gefragt. L ist mit sicherem Schritt hinter den Tresen gelaufen. Sie haben den Hinweis des Zeugen B3 auf den Automaten verstanden und schnell begriffen, dass weiteres Geld nicht zu holen sei. Schließlich haben sie auch geordnetes Rückzugverhalten an den Tag gelegt, sind zwar aus dem Verkaufsshop gestürmt, dann aber trittsicher auf schneebedecktem Boden davon gelaufen, wobei sie mit Bedacht verschiedene Rückwege zur Ausgangswohnung benutzt haben.
171Hinzu kommt, dass alle drei Angeklagten bezüglich der Tat detaillierte und auch detailgenaue Einlassungen abgegeben haben, die zudem ganz überwiegend durch den Zeugen B3 wie auch die Bilder der Videoüberwachung bestätigt sind. Das zeugt von intaktem Erinnerungsvermögen und spricht gleichzeitig gegen einen zur Tatzeit bestehenden Rauschzustand durch vorherigen Alkoholgenuss in der rechnerisch ermittelten Größenordnung, bei I und T zudem durch zusätzlich sonstigen Betäubungsmittelkonsum.
172III.
173Zum Tatgeschehen vom 07.05.2010 (B. II. 2.)
174Die Tat vom 07.05.2010 hat der Angeklagte L so eingeräumt, wie sie in den Feststellungen im Einzelnen beschrieben ist. Bestätigt werden seine Angaben durch die glaubhaften Bekundungen des Zeugen T6, der die Geschehnisse ebenso geschildert hat. Auf dessen Aussage stützt die Kammer auch die Feststellungen zu den erlittenen Verletzungen und den verbliebenen Folgen.
175D.
176I.
177Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Angeklagten durch das unter B.I. beschriebene Geschehen am 29.05.2010 wie folgt strafbar gemacht:
1781.a)Der Angeklagte I ist schuldig der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5) in zwei Fällen (§ 53 StGB), in einem der Fälle in Tateinheit(§ 52 StGB) mit versuchtem Totschlag (§§ 212, 22 StGB).
179Er hat in zeitlicher Abfolge zunächst S1, sodann N3, körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt, und zwar sowohl mittels eines im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefährlichen Werkzeugs als auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5) sowie mit anderen Beteiligten – den Angeklagten C und L sowie weiteren nicht näher feststellbaren jungen Leuten – gemeinschaftlich (Nr. 4). Das zum Einstechen auf die Geschädigten S1 und N3 verwendete aufgeklappte Springmesser des Angeklagten ist in der konkreten Art seiner Anwendung als gefährliches Werkzeug zu betrachten, weil es nach seiner objektiven Beschaffenheit - mit einer sich aus der bei N3 festgestellten Mindesteinstichtiefe von fünf Zentimetern ergebenden entsprechenden Llänge - und nach der Art seiner Benutzung - jeweils zum Einstechen auf die Oberkörperregion eines Menschen - geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Das Vorgehen gegen beide, mehrere Einstiche in den rückseitigen Oberkörper des S1 und einen gezielten Einstich in den rückseitigen Oberkörper des N3, stellt eine deren Leben unmittelbar gefährdende Behandlung dar. Die sein Messer als gefährliches Werkzeug und sämtliche dessen Gefährlichkeit für das Leben der Geschädigten kennzeichnenden Umstände hat der Angeklagte gekannt und die Verletzungen beider auf diese Weise gewollt.
180Durch dieselbe Handlung hat er betreffend N3 nach seiner Vorstellung unmittelbar angesetzt, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein. N3 lag bereits von den vorhergehenden Tritten und Schlägen, unter anderem einem mit Anlauf gegen den Kopf ausgeführten Tritt sowie einem Flaschenschlag auf seinen Kopf, hilf- und wehrlos etwas seitlich mit dem Rücken nach oben gerichtet, zusammengekrümmt und (nur) den Kopf mit seinen Händen schützend auf dem Boden, er wandte dem Angeklagten mithin seinen Rücken zu. In dieser Situation hat der Angeklagte sich nach unten beugend mit seiner linken Hand an der Schulter des N3 abgestützt, um mit seinem in der rechten Hand gehaltenen Messer mindestens einen wuchtig ausgeführten und gezielten Stich in den rückseitigen Oberkörper des N3 zu versetzen, der mindestens fünf Zentimeter tief in den sechsten Zwischenrippenraum, links neben der Wirbelsäule, eingedrungen ist und Rücken- sowie Zwischenrückenmuskulatur durchstoßen – was den Rückschluss auf die große Wucht des Stiches zulässt –, die Lunge des Geschädigten verletzt und nur durch Glück die Oberbauchorgane, Nieren und große Blutgefäße verfehlt hat. Dieser Stich in einen Bereich des Oberkörpers, in dem sich – wie auch jedem medizinischen Laien bekannt - lebensnotwendige Organe (Lunge und Herz) befinden und der zur Vermeidung eines Lungenversagens unverzüglich operativ hat versorgt werden müssen, war nach Stoßrichtung und –intensität erkennbar lebensgefährlich.
181Dieser Vorgehensweise entnimmt die Kammer bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten. Wer gegen sein Opfer äußerst gefährliche Gewalthandlungen wie diese ausführt, der erkennt in aller Regel, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann und nimmt diese tödliche Folge, da er von seinem Vorhaben trotz der Erkenntnis der Gefährlichkeit seinen Handelns keinen Abstand nimmt, billigend in Kauf (vgl. BGH in NStZ 2006, 169, 170). Diesen sehr naheliegenden Schluss auf – bedingten – Tötungsvorsatz zieht die Kammer auch angesichts einer grundsätzlich hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten (vgl. BGH in StV 1982, 509; NStZ 2003, 603, 604). Dafür, dass der Angeklagte hier die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder auch nur darauf vertraut hätte, ein solcher Erfolg würde nicht eintreten, haben sich weder aus dem Tatablauf einschließlich des Nachtatverhaltens noch aus seiner Person durchgreifende Anhaltspunkte ergeben.
182Dem im Sinne einer Grenzbegabung gerade noch durchschnittlich intelligenten Angeklagten, der ein besonderes Interesse an Messern hatte und diese sammelte, war nach eigenen Angaben bekannt, dass es sich bei dem zur Tatausführung benutzten Springmesser um einen Gegenstand handelte, dessen Mitführen gesetzlich verboten war; er wusste um dessen besondere Gefährlichkeit. Schon seine – wenngleich großsprecherisch gefärbte und nicht an einen konkreten Adressaten gerichtete – Äußerung zu Beginn der Auseinandersetzung, wer hier Stress mache, den steche er ab, bietet – auch in Ansehung des üblichen Sprachgebrauchs junger Leute – zumindest ein Indiz dafür, dass ihm die Möglichkeit, hiermit nicht nur verletzende, sondern auch lebensbeendende Stiche versetzen zu können, durchaus bewusst und er zu einem solchen Einsatz des Messers jedenfalls grundsätzlich auch bereit war.
183Zwar verkennt die Kammer nicht, dass diese Äußerung der eigentlichen Tatausführung zeitlich vorgelagert gewesen ist und sich der Angeklagte später spontan und ohne nachvollziehbaren Beweggrund zu N3 begeben und ihm den Messerstich versetzt hat.
184Gleichwohl hält die Kammer hier auch das selbständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement angesichts der konkreten Angriffsweise – ein gezielter und mit großer Wucht ausgeführter Stich in den rückseitigen Oberkörper in Höhe der Lunge – und der sich daraus ergebenden hohen Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts für gegeben.
185Für die billigende Inkaufnahme eines solchen tödlichen Erfolges spricht im Übrigen, dass der Angeklagte sich nach der Tatausführung nicht um seine reglos am Boden liegendes Opfer bemüht, sondern die Flucht angetreten und sich dabei sofort – noch vor seiner unmittelbar folgenden Festnahme – des Messers entledigt hat.
186Gegen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes sprechen auch weder die Alkoholisierung des Angeklagten und die Tatsache, dass er auch unter dem Einfluss von Cannabis stand, noch sein Handeln in zumindest affektiver Erregung, denn diese Umstände sind gerade besonders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 214). Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise auf Grund schwerster Berauschung oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung schon die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt gewesen ist, sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben.
187Von dem Versuch des Totschlags zum Nachteil des Geschädigten N3 ist der Angeklagte auch nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Nach dieser Vorschrift wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Ausführung der weiteren Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Hier hat der Angeklagte nach dem ersten Stich von N3 abgelassen. Zu diesem Zeitpunkt, mithin nach seiner letzten Ausführungshandlung, hat er den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, des Todes seines Opfers, aus den vorerörterten Gründen zumindest für möglich gehalten, auch wenn er aufgrund seiner Flucht möglicherweise sein Opfer weder hat bluten sehen noch das Entweichen von Luft aus der Lunge gehört hat. Der Versuch der Tötung ist deshalb beendet, strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Absehen von seiner Fortsetzung daher ausgeschlossen. Zur Erlangung von Straffreiheit hätte der Angeklagte bei dieser Sachlage vielmehr aktive Rettungsbemühungen entfalten und seinerseits die Vollendung der Tat verhindern müssen (BGHSt 33, 295, 297 ff.). Das ist jedoch nicht geschehen.
188Diese Taten des Angeklagten waren auch rechtswidrig, Anhaltspunkte dafür, dass sie durch Notwehr geboten gewesen sein könnten, hat die Kammer nicht festgestellt. Denn Notwehr ist nach § 32 Abs. 2 StGB die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren. Einem rechtswidrigen Angriff war der Angeklagten bei beiden Geschädigten, die ihm jeweils wehrlos den Rücken zuwandten und auch zuvor nicht auf ihn eingewirkt hatten, ersichtlich nicht ausgesetzt.
189Nicht auszuschließen ist indes, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert gewesen ist, ohne dass allerdings Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 20 StGB vorliegen. Die Kammer stützt diese Bewertung auf das Gutachten des Sachverständigen F1. Der Sachverständige hat ausgeführt:
190Eine Debilität im Sinne der ICD-10 Kategorie der leichten Intelligenzminderung nach F 70 (IQ 50-69) liege bei dem Angeklagten nicht vor, eine solche sei auch nicht in Einklang zu bringen mit der schulischen Sozialisation des Angeklagten. Vielmehr handle es sich um das klinische Bild einer Grenzbegabung mit einer fluiden Intelligenz von 75 (nach Kaufmann-Batterie).
191Eine kindliche hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens entsprechend der ICD-10 Eingangskategorie F 90.1 sei festzustellen, die möglicherweise auf eine einschlägige Belastung in der männlichen Aszendenz der Familie sowie eine eher gewährende, z.T. materiell verwöhnende und inkonsistente Erziehung zurückzuführen sei.
192Auszuschließen sei das Vorliegen einer Zwangsstörung (Kapitel F 42 der ICD 10), einer Ticstörung (Kapitel F 95), sowie Störungen aus dem Kapitel F 45 der ICD-10, insbesondere eine somatoforme autonome Funktionsstörung. Vielmehr ließe sich hier lediglich eine Persönlichkeitsakzentuierung ohne Krankheitswertigkeit sowie eine Hyperhidrosis (Schweißbildung) und eine alterstypische dysmorphophobische Selbstunsicherheit feststellen.
193Aus der Rauschmittelanamnese und den toxikologischen und alkoholchemischen Befunden lasse sich die Diagnose eines polyvalenten Abusus im Sinne eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol (F 10.1) sowie Cannabinoiden (F 12.1) ableiten. Ein Abhängigkeitssyndrom im Sinne der Eingangskategorie der „anderen schweren seelischen Abartigkeit“ sei ebenso auszuschließen wie schwere organische Schädigungen des Zentralnervensystems, die zur Kategorie der „krankhaften seelischen Störung“ führen könnten.
194Es sei davon auszugehen, dass sich der Angeklagte im Vorfeld der ihm vorgeworfenen Taten in einer erheblichen „Adoleszentenkrise“ befunden habe, er habe zudem eine nur gering ausgebildete Stresstoleranz, deutlich soziale Kompetenzdefizite, unzureichende Konfliktlösefertigkeiten, eine wenig entwickelte Frustrationstoleranz bei einer hochgradigen Destrukturierung des Alltags und Ziel- und Perspektivlosigkeit gezeigt. Dies habe zu dem Bedürfnis geführt, Anerkennung und soziale Attraktivität innerhalb seiner sozialen Bezugsgruppe zu erringen.
195Die Frage, welche Bedeutung der THC- und Alkoholrauschzustand für das Tatgeschehen gehabt hätten und welche mögliche Rolle affektbestimmte impulsgetragene Einschränkungen der Schuldfähigkeit für die jeweilige Tatzeitpunktverfassung gespielt hätten, beantworte er wie folgt: Die am 30.05.2010 um 00.02 entnommenen Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 0,97 Promille ergeben, weshalb nach Rückrechnung von einer Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille auszugehen sei zuzüglich eines Sicherheitszuschlags. Zusätzlich habe die um 00.03 Uhr entnommene Probe einen positiven Befund für Cannabinoide, hier eine THC-Konzentration von 2,3 ng/ml, Spuren des THC-Metaboliten 1 sowie eine Konzentration des THC-Metaboliten 2 von 33 ng/ml. Aus der Zusammenschau dieses Rauschzustandes, der affektiven Erregung, der Persönlichkeitsdisposition (ADHS), der Lebenssituation und der mentalen Grenzbegabung des Angeklagten ergäben sich derartige Einschränkungen der Steuerungsfähigkeit, dass letztlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB nicht auszuschließen sei.
196Diesen fundiert begründeten Darlegungen des ihr aus einer Vielzahl von Verfahren als besonders sachkundig bekannten Sachverständigen schließt sich die Kammer nach eigener Überprüfung an.
197Zunächst ergibt sich, zurückgerechnet auf den Tatzeitpunkt um 21.30 Uhr, für den Angeklagten eine theoretisch höchst mögliche Blutalkoholkonzentration von 1,67 Promille, bei Zugrundelegung der für ihn jeweils günstigsten Abbauwerte von 0,2 Promille pro Stunde und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille. Die dem Angeklagten am Tatabend um 00.02 Uhr, also zweieinhalb Stunden nach der Tat, entnommene Blutprobe hat eine Blutalkoholkonzentration von 0,97 Promille ergeben. Zurückgerechnet auf den Tatzeitpunkt um 21.30 Uhr ergibt sich demzufolge für den Angeklagten eine theoretisch höchst mögliche Blutalkoholkonzentration von 1,67 Promille. Zusätzlich steht fest, dass sich im Blut des Angeklagten eine THC-Konzentration von 2,3 ng/ml befand, der Angeklagte mithin neben Alkohol auch Cannabis konsumiert hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte zur Tatzeit affektiv erregt war, eine Grenzbegabung aufweist und zusätzlich an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens leidet. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich beeinträchtigt war, weshalb eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht auszuschließen ist.
198b)Soweit dem Angeklagten I in der Anklageschrift 10 Js 287/10 zur Last gelegt worden ist, sich auch zum Nachteil des Nebenklägers S1 tateinheitlich (§ 52 StGB) mit der verwirklichten gefährlichen Körperverletzung des versuchten Totschlags gem. §§ 212, 22 StGB schuldig gemacht zu haben, hat sich dies nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen lassen.
199Die Kammer vermag bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu der Überzeugung zu gelangen, dass der Angeklagte auch hinsichtlich des Geschädigten S1 mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat.
200Zwar muss auch hier Berücksichtigung finden, dass der Angeklagte sich kurze Zeit vor der Tatausführung durch den Ausspruch, wer hier Stress mache, den steche er ab, als in hohem Maße gewaltbereit gezeigt hat und ihm die Eignung des von ihm geführten Messers zur Beibringung auch tödlicher Verletzungen bekannt gewesen ist.Jedoch unterscheidet sich der konkrete Einsatz des Messers gegen S1 ganz erheblich von der Art des Angriffs auf N3. So hat der Angeklagte auf den Oberkörper des Geschädigten S1 – für dessen Tötung er auch kein nachvollziehbares Motiv hatte – nicht gezielt eingestochen, sondern in schneller Folge eine Vielzahl unkontrollierter, unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt, darunter auch solche mit nicht in Richtung auf S1s Körper aufgestellter Klinge, von denen viele das Opfer verfehlten oder nur streiften. Getroffen wurde der Geschädigte in unterschiedlichen Bereichen des Oberkörpers, so vielfach oberflächlich am linken Arm, dreimal durch unterschiedlich tiefe Stiche im Bereich der rechten Schulter und dreimal an der rechten lateralen Flanke im Bereich der 11. und 12. Rippe, wo ein Stich bis hinter das Bauchfell reichte, vier bis fünf Zentimeter tief sondierbar war, benachbarte Organe aber nicht verletzte.
201Zwar handelt es sich auch bei der von dem Angeklagten geführten Serie unkontrollierter Stiche gegen den Oberkörper des Geschädigten S1 um schwerwiegende Gewalthandlungen, die eine billigende Inkaufnahme des Todeseintritts nicht fernliegend erscheinen lassen.
202Anders als im Falle des gezielten, wuchtigen Stiches in den Rücken des bereits kampfunfähig am Boden liegenden N3 drängt sich hier der Tötungsvorsatz aber auch nicht geradezu auf.
203Vielmehr lässt sich angesichts des wahllosen Einstechens auf S1 im Rahmen eines bewegten Geschehens, bei dem ein bewusstes Zielen auf besonders empfindliche Körperregionen oder gar lebenswichtige Organe des Opfers nicht zu erkennen ist, aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung hier der hinreichend sichere, vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietende Schluss darauf, dass der Angeklagte I mit dem Tod S1s als mögliche Folge seines Tun gerechnet und dies auch billigend in seinen Willen aufgenommen hatte, nicht ziehen.
204Das muss sich nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten auswirken.
2052.
206Der Angeklagte C hat sich durch seine Mitwirkung an den Geschehnissen des 29.05.2010 der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 StGB schuldig gemacht.
207Er hat gemeinschaftlich im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB mit dem Angeklagten I und weiteren nicht im Einzelnen festgestellten Personen den Geschädigten N3 körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt, indem er ihm nach mehreren Metern Anlauf mit voller Wucht mit dem Sportschuh am Fuß – der bei dieser Art der Verwendung als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu qualifizieren ist (vgl. BGH NStZ 1999, 616) – gegen den Kopf getreten und ihn dadurch wegen der einem solchen Vorgehen innewohnenden Gefahr der Verursachung schwerer Schädel-/Hirnverletzungen auch einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. BGH NStZ 2004, 618) unterzogen hat.
208Hierbei hat er auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.
209Allerdings ist die Schuldfähigkeit des Angeklagten C nicht ausschließbar im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert gewesen.
210Aufgrund der dem Angeklagten am 29.05.2010 um 23.33 Uhr, also zwei Stunden nach der Tat entnommen Blutprobe ist eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 Promille festgestellt worden. Zurückgerechnet auf den Tatzeitpunkt um 21.30 Uhr ergibt sich demzufolge für den Angeklagten eine theoretisch höchst mögliche Blutalkoholkonzentration von 2,35 Promille, bei Zugrundelegung der für ihn jeweils günstigsten Abbauwerte von 0,2 Promille pro Stunde und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille. Zusätzlich hierzu hatte der Angeklagte ausweislich der um 23.34 Uhr entnommenen Blutprobe auch Cannabis konsumiert. Dies veranlasst die Kammer, zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne von § 21 vermindert war.
2113.
212Der Angeklagte L hat sich durch sein Verhalten am 29.05.2010 der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB schuldig gemacht, indem er dem Geschädigten S1 in dem sicheren Wissen, dass sich eine handfeste Auseinandersetzung anbahnt und deshalb gemeinschaftlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, einen Faustschlag in das Gesicht versetzt und diesen damit körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt hat.
213Dieser erste von dem Angeklagten L gegen den Geschädigten S1 ausgeführte Faustschlag stellt eine mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verübte Körperverletzung deshalb dar, weil durch diesen ersten Schlag – wie dies grundsätzlich für die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kennzeichnend ist – eine größere Gefährlichkeit für das Opfer deshalb begründet wurde, weil dieses – hier S1 – mehreren Feinden – der Freundesgruppe um die Angeklagten – gegenüberstand und deshalb seine Verteidigungschancen im Falle der Leistung von Gegenwehr oder des Sichentziehens des Angriffs, bereits unmittelbar vor dem ersten Schlag gesunken waren (vgl. insoweit BGH NJW 2002, 3788, 3789) und sich hierdurch gleichzeitig die Gefahr für S1 durch die Schaffung einer gegnerischen Übermacht und Reduzierung der Verteidigungschancen – die Gruppe um die Angeklagten war mit annähernd 20 Personen deutlich größer als die um den Geschädigten S1 mit gerade einmal fünf Personen – erhöht hatte.
214Soweit dem Angeklagten darüber hinaus in der zugelassenen Anklageschrift vorgeworfen worden war, auf den Geschädigten S1 eingetreten und diesem einen Schlag mit einer Vodkaflasche auf den Kopf versetzt sowie auf den Geschädigten N3 eingeschlagen zu haben, hat sich dieser Tatvorwurf in der Hauptverhandlung nicht bestätigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte entsprechendes nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.
215Die festgestellte Tat zum Nachteil S1 hat der Angeklagte L auch rechtswidrig und schuldhaft begangen.
216Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt gewesen sein könnte, haben sich nicht ergeben. Zwar hat der Angeklagte behauptet, vor Begehung der Tat Alkohol getrunken zu haben, konkrete Feststellungen hierzu haben sich jedoch mangels entsprechender Angaben des Angeklagten nicht treffen lassen. Angesichts der vollständig erhaltenen, detailreichen Erinnerung des Angeklagten an das Geschehnis und der Tatsache, dass keiner der Zeugen für eine Berauschung sprechende Auffälligkeiten bemerkt hat, spricht nichts dafür, dass der Angeklagte bei dieser Tat unter einem relevanten Alkoholeinfluss gestanden hat.
217II.
218Durch das unter B. II. festgestellte Geschehen vom 09.01.2010 haben sich die Angeklagten I, L und T des gemeinschaftlichen (§ 25 Abs. 2 StGB) schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht.
219Sie haben gemeinschaftlich, in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken, arbeitsteilig und jeweils von eigenem Tatinteresse getragenen, dem Kassierer B3 unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Leibes- und Lebensgefahr bei Vorhalt der auf ihn echt wirkenden Schreckschusspistole Geld in der Absicht rechtswidriger Zueignung weggenommen und dabei eine geladene Schreckschusspistole, bei der der Explosionsdruck im Falle eines Abfeuerns nach vorne aus dem Lauf ausgetreten wäre, weshalb diese Waffe nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet gewesen ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen und damit eine Waffe im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB darstellt (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 09.02.2010, 3 StR 11/11 zitiert nach juris), zur Verhinderung oder Überwindung des erwarteten Widerstands des Zeugen B3, verwendet.
220Die Steuerungsfähigkeit aller drei Angeklagten ist nicht ausschließbar im Sinne von§ 21 StGB erheblich vermindert gewesen, ohne dass allerdings Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB vorliegen.
2211)Hinsichtlich des Angeklagten I hat der Sachverständige F1 ausgeführt, dass dessen Steuerungsfähigkeit aufgrund seiner bestehenden Alkoholisierung nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen sei. Von den Angaben des Angeklagten ausgehend, er habe zur Tatzeit 64 Kilogramm gewogen und im Zeitraum zwischen 21.00 Uhr und 23.20 Uhr zwei bis drei Gläser Vodka-Redbull getrunken und zusätzlich Vodka-Redbull in eine 0,5 Liter Flasche abgefüllt, die er später gemeinsam mit L und T vor der Tankstelle getrunken habe, wobei die anderen beiden hiervon nur zwei bis drei Schlucke getrunken hätten und er den Rest, lege er die ihm von der Kammer genannten Mengenangaben von 0,18 Liter Vodka (2-3 Gläser, d.h. ein Viertel der von dem Angeklagten gemeinsam mit L, T und Melanie L getrunkenen 0,7 L Vodka-Flasche) und 0,4 Liter Vodka (aus der mitgeführten Flasche), mithin 0,58 Liter Vodka konsumiert. Bei Zugrundelegung eines Alkoholvolumenanteils dieses Vodkas von 0,375 komme er zu dem Ergebnis, der Angeklagte habe 175 g Alkohol getrunken und somit unter Anwendung der Widmarkformel zur Tatzeit eine höchstmögliche Blutalkoholkonzentration von 3,88 Promille gehabt, bei Zugrundelegung eines Resorptionsdefizits von 10% eine solche von 3,49 Promille, bei einer stündlichen Abbauquote von 0,1 Promille eine solche von 3,19 Promille. Bei einer Abbauquote von 0,2 Promille sei von einer BAK von 2,89 Promille auszugehen, wobei hier ein Sicherheitszuschlag noch nicht enthalten sei.
222Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass diese errechnete Alkoholisierung nicht mit dem Leistungsverhalten des Angeklagten in Einklang zu bringen ist. Dies hat er damit begründet, dass der Angeklagte noch Details der Tat erinnern könne und nicht von gravierenden Denk- oder Erinnerungsstörungen berichtet habe, auch die Videoaufnahmen der Tankstelle keine Ausfälle des Angeklagten zeigten, der Zeuge B3 keine Alkoholisierung bemerkt habe und der Angeklagte lediglich mit der Waffe ungeschickt umgegangen sei. Zwar habe seine soziale Resistenzfähigkeit offenbar abgenommen, weil der Angeklagte noch am Büdchen einen Überfall nicht habe begehen wollen, sich dann aber vor der Tankstelle hierzu bereit erklärt habe, was Ausdruck einer höherer Berauschung sein könne, dies könne aber ebenso gut auf den Wunsch des Angeklagten nach Anerkennung von dem Angeklagten L zurückzuführen sein. Letztlich könne eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB jedoch nicht ausgeschlossen werden, auch weil die Vorgehensweise des Angeklagten derart dilettantisch gewesen sei, dass der Zeuge B3 ihn nach seinen Bekundungen zunächst nicht ernst genommen und sogar Mitleid mit ihm gehabt habe.
223Von einer vollständigen Aufhebung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 StGB sei aber trotz der errechneten hohen Blutalkoholkonzentration des Angeklagten angesichts des beschriebenen Leistungsverhaltens keinesfalls auszugehen.
224Diesen von dem Sachverständigen gefundenen Ergebnissen schließt sich die Kammer nach eigener Überprüfung mit folgenden Erwägungen an:
225Auf der Grundlage der sogenannten Widmark-Formel hat die Kammer wie oben (C.II.2.6. a)) im Einzelnen ausgeführt für den Angeklagten I für die Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von maximal 3,30 Promille errechnet.
226Auch wenn dieser Wert - wie dargelegt - mit dem Leistungsverhalten des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen ist, geht auch die Kammer davon aus, dass eine erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zur Tatzeit zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.
227Andererseits sieht die Kammer mit Blick auf das zwar dilettantische, insgesamt aber dennoch zielführende und umsichtige Vorgehen aller drei Angeklagten, ihre folgerichtigen Reaktionen auf das Verhalten des Zeugen B3, das Fehlen bemerkbarer alkoholbedingter Ausfallerscheinungen in Sprache oder Gang und das vollständig erhaltene Erinnerungsvermögen keinerlei durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten I im Sinne des § 20 StGB aufgehoben gewesen sein könnte.
2282)
229Für den Angeklagten L hat die Kammer wie oben (C.II.2.6. b)) ausgeführt nach der Widmark-Formel eine Blutalkoholkonzentration von 2,12 Promille für die Tatzeit ermittelt. Angesichts dessen lässt sich auch bei ihm eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht ausschließen, zumal er möglicherweise zusätzlich zwei Gramm Amphetamine sowie gemeinsam mit T 1,5 Gramm Marihuana konsumiert hatte und daher auch die Wechselwirkung des Alkohols mit diesen Substanzen berücksichtigt werden muss.
230Auch bei dem Angeklagten L lässt sich indes aus den bereits dargelegten Gründen das Verhalten bei der Tatausführung mit einer höhergradigen Beeinflussung durch Alkohol und Drogen nicht in Einklang bringen.
231Aus den hinsichtlich des Angeklagten I angestellten Erwägungen, die ebenso für L gelten, sieht die Kammer auch bei ihm für eine Aufhebung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 StGB keinerlei Anhaltspunkte.
2323)Für den Angeklagten T hat die Kammer wie oben (C.II.2.6. c)) dargetan nach der Widmark-Formel rechnerisch eine Blutalkoholkonzentration von 3,60 Promille zur Tatzeit ermittelt. Mit diesem Wert ist jedoch wie dargelegt auch bei diesem Angeklagten, der zudem gemeinsam mit L 1,5 Gramm Marihuana und ebenfalls zwei Gramm Amphetamine zu sich genommen haben will, das bei der Tatausführung gezeigte Verhalten nicht vereinbar. So war er noch dazu in der Lage, dem Angeklagten I in einer derart schnellen Bewegung die Waffe aus der Hand zu nehmen und auf den Zeugen B3 zu richten, dass dieser nicht einmal bemerkt hat, dass der Angeklagte T nunmehr die Waffe gebrauchte, die zuvor I in der Hand hatte. Er hat auf den Zeugen B3, mit dem er gesprochen hat, keinen alkoholisierten Eindruck gemacht und hat ausweislich der in Augenschein genommenen Bilder der Überwachungskamera, die Waffe zielgerichtet und gerade auf den Zeugen zu richten, in den Kassenraum hinein und wieder hinaus zu laufen vermocht; auch hat er auf schneebedecktem Boden trittsicher flüchten können. Auch er kann sich nach seinen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung an das Tatgeschehen noch im Einzelnen erinnern. Vor dem Hintergrund sieht die Kammer auch bei diesem Angeklagten eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB als nicht ausschließbar, die Voraussetzungen des § 20 StGB aber sicher nicht als erfüllt an.
233III.
234Durch das Geschehen am 07.05.2010 (B. III.) hat sich schließlich der Angeklagte L tatmehrheitlich (§ 53 StGB) zu seinen vorgenannten Taten der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht. Der Angeklagte hat den Geschädigten T6 körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt, indem er diesem mit zwei Bierflaschen - und damit unter Verwendung gleich zweier gefährlicher Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – auf den Kopf geschlagen und ihm zwei Platzwunden zugefügt hat.
235IV.
236Soweit im Übrigen den Angeklagten I, T und L neben den oben im Einzelnen genannten Taten die Begehung weiterer Taten zum Nachteil der Zeugen L5, T8 und L zur Last lagen, ist das Verfahren jeweils gem. §§ 154 Abs. 2, 154a StPO vorläufig eingestellt worden.
237E.
238I.
239An der strafrechtlichen Verantwortungsreife (§ 3 JGG) des Angeklagten I, der zur Zeit der ihm vorgeworfenen Taten jeweils 17 Jahre alt und damit Jugendlicher im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG gewesen ist, haben sich für die Kammer – in Übereinstimmung mit der Einschätzung der Jugendgerichtshilfe – keine Zweifel ergeben.
240Bei der Bestimmung von Art und Maß der zu verhängenden Rechtsfolge berücksichtigt die Kammer:
241Der noch junge Angeklagte ist nachhaltigem erzieherischen Einfluss väterlicherseits bereits im Alter von 14 Jahren entglitten. Auch eine erzieherische Einflussnahme seitens der Mutter fand im Zeitraum vor den hier zur Verurteilung stehenden Taten praktisch kaum noch statt. Vielmehr lebte der Angeklagte ohne geregelten Tagesablauf in den Tag hinein und befand sich so – ohne schulisch oder beruflich Fuß gefasst zu haben - in einer krisenhaften Lebenssituation, in der ihm letztlich nur noch wichtig war, bei seinen Freunden angesehen zu sein.
242Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, dass er in der Haftvermeidungsgruppe „Stop & Go“ eine erhebliche positive Entwicklung genommen hat. Er hat sich sowohl mit seiner Familie ausgesöhnt als auch gelernt, sich von anderen Jugendlichen abzugrenzen, sein Ansehen bei den in der Jugendeinrichtung ebenfalls lebenden Jugendlichen ist ihm nicht mehr wichtig. Vielmehr hat er sich entschlossen, beruflich Fuß zu fassen und hierfür eine Ausbildung begonnen, zu deren Gelingen er auch durch den gleichzeitigen Besuch einer Förderschule beitragen will.
243Zugunsten des Angeklagten I ist sein frühes und hinsichtlich des Geschehens um den Geschädigten N3 sowie des Tankstellenraubes umfassendes Geständnis zu werten, das nach dem Eindruck der Kammer von ehrlicher Einsicht und Reue getragen war. Der Angeklagte hat glaubhaft sein Bedauern über sein Fehlverhalten ausgedrückt und sich bei den Geschädigten N3 und B3 ausdrücklich entschuldigt. Er hat im Rahmen der Hauptverhandlung durch Zahlung eines Schmerzensgeldes von jeweils 2.000,00 € an die Geschädigten N3 und S1 versucht, zumindest die diesen entstandenen immateriellen Schäden aus seinen eigenen Ersparnissen wieder gut zu machen. Er wird überdies mit den ihm – jedenfalls naheliegend –für die Geschädigten N3 und S1 noch zur Last fallenden Behandlungs- und Pflegekosten erhebliche finanzielle Folgen der Taten zu tragen haben. Ihm ist weiter zugute zu halten, dass er sowohl auf den Geschädigten S1 als auch auf den Geschädigten N3 einem spontanen Tatentschluss folgend eingestochen hat und die Tat zum Nachteil des Geschädigten N3 unter dem Gesichtspunkt des Totschlags – wenn auch ohne sein Zutun – nicht zur Vollendung gelangt, sondern nur versucht worden ist.
244Auch für das Geschehen vom 09.01.2010 ist zu berücksichtigen, dass diese Tat ebenfalls nicht von langer Hand akribisch im Voraus geplant war, sondern dem Angeklagten gemeinsam mit den Angeklagten L und T in der Wohnung der L spontan der Einfall kam, einen Überfall zu begehen. Dies zeigt sich auch darin, dass die Angeklagten ihr Ziel – die Shell-Tankstelle an der L4 Straße 45 – weder dahingehend ausgekundschaftet hatten, ob dort großer Publikumsverkehr herrscht noch dahingehend, mit welchem Kassensystem die Tankstelle ausgestattet ist und deshalb eine vergleichsweise geringe Tatbeute erlangten.
245Diesen zugunsten des Angeklagten zu wertenden Umständen steht allerdings entgegen, dass der Angeklagte einen Menschen – den Geschädigten N3 – zu töten versucht hat und er zugleich zwei Personen durch die gegen sie geführten Messerstiche so erheblich verletzt hat, dass beide operiert und intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Berücksichtigung finden muss auch, dass er zugleich drei Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB erfüllt und er die völlig hilflose Lage insbesondere des Geschädigten N3, aber letztlich auch des ihm den Rücken zuwendenden Geschädigten S1 für seine Taten ausgenutzt hat. Den Geschädigten S1 hat das Tatgeschehen nachhaltig bis heute insoweit beeinträchtigt, als er sich noch Krankengymnastik unterziehen muss, erheblichen Schlafproblemen ausgesetzt ist und noch immer Menschenmengen meidet.
246Bei der Tat vom 09.10.2010 wiederum haben der Angeklagte und seine Mittäter dem Zeugen B3 in Übermacht – drei zu eins – gegenübergestanden und der Angeklagte hat bei dieser Tat einen ganz erheblichen eigenen Tatbeitrag geleistet, indem er den Zeugen B3 eigenhändig mit der Schreckschusspistole bedroht hat.
247Zudem ist der Angeklagte – wenn er auch bisher keinen Freiheitsentzug erfahren hatte – einschlägig wegen Körperverletzung und räuberischer Erpressung vorbestraft.
248Die Abwägung dieser Umstände ergibt zunächst, dass die Schuld des Angeklagten so schwer wiegt, dass nach § 17 Abs. 2 JGG bereits unter diesem Gesichtspunkt Jugendstrafe erforderlich und auch erzieherisch geboten ist. Dabei bemisst sich die Schuldschwere nicht vorrangig aus dem Gewicht der Tat, das die Schwere des Unrechts, nicht die der Schuld wiedergibt, sondern aus der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Angeklagten zu seiner Tat (vgl. BGH in NstZ 1989, 522). Bei der Prüfung Jugendstrafe gebietender schwerer Schuld ist in erster Linie der das Jugendstrafrecht beherrschende Strafzweck des Erziehungsgedankens zu beachten (§ 2 Abs.1 JGG). Dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt demgegenüber keine selbständige Bedeutung zu. Allerdings kann die Bewertung des Tatunrechts, wie es sich in der gesetzlichen Strafdrohung widerspiegelt, nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben und ist als Strafzweck neben der Erziehungswirksamkeit auch das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs bedeutsam (vgl. BGH in NStZ 1982, 332; StV 1994, 598 f.).
249Das bedeutet hier: Der Angeklagte hat – bei orientierendem Vergleich – ein bei einem Erwachsenen aus dem Strafrahmen des § 212 StGB zu ahnendes Verbrechen mit hohem Unrechtsgehalt zu begehen, nämlich einen Menschen zu töten versucht. Er hat auf ihn einmal derart eingestochen, dass dies zu einer Verletzung der Lunge geführt hat, und zwar nachdem er unmittelbar zuvor auf einen anderen Menschen mehrfach mit Verletzungsvorsatz eingestochen hatte. Beide sind nur mit viel Glück am Leben geblieben. Dies und die Überwindung der beim Einsatz eines lebensgefährlichen Werkzeugs zur Tötung eines Menschen regelmäßig erhöhten Hemmschwelle (vgl. BGH in StV 1982, 509) zeigt nicht nur hohes Unrecht sondern auch schwere persönliche Schuld auf, der auch erzieherisch nur durch die Verhängung von Jugendstrafe angemessen begegnet werden kann.
250Zudem ergibt die Abwägung der hier vorangestellten Umstände in Bezug auf die zu verhängenden Rechtsfolgen, dass in den behandelten Taten verfestigte und daher schädliche Neigungen des Angeklagten zu Tage getreten sind, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Verhängung von Jugendstrafe geboten ist. Schädliche Neigungen sind solche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr der Störung der Gemeinschaftsordnung durch weitere – nicht unerhebliche – Straftaten begründen (vgl. BGH NStZ 2002, 89). Solche Mängel liegen hier vor. Der Angeklagte ist bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten und bislang durch die gegen ihn verhängten Maßnahmen nicht zur Einsicht zu bringen gewesen. Dies zeigt, dass er einen schon verfestigten Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten entwickelt hat, dem nur noch durch erzieherische Einflussnahme im Rahmen von Jugendstrafe begegnet werden kann.
251Die Abwägung der vorangestellten Umstände ergibt ferner, dass die Taten des Angeklagten am 29.05.2010 zum Nachteil der Geschädigten N3 und S1 einen minder schweren Fall der jeweils verletzten Strafvorschrift nicht darstellen. Dieser Prüfung bedarf es unbeschadet der Regelung des § 18 Abs. 1 S. 2 JGG, nach welcher die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts bei Anwendung des Jugendrechts nicht gelten. Denn die Frage, ob Umstände gegeben sind, die bei einem Erwachsenen das Vorliegen eines minder schweren Falles begründet hätten, hat auch für die Bemessung der jugendstrafrechtlichen Sanktion Bedeutung, weil darin die gesetzliche Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck kommt. Das hat in vergleichender Parallelwertung zu geschehen (BGH in StV 1986, 304).
252Was den versuchten Totschlag anbelangt, liegen zunächst die speziellen Voraussetzungen des § 213 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles des Totschlags nicht vor. Aber auch ein sonstiger minder schwerer Fall des Totschlags im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB ist nicht gegeben, ebenso wenig ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB.
253Minder schwere Fälle in diesem Sinne sind dann anzunehmen, wenn sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände, die – sei es den Tatgeschehnissen vorausgehend, ihnen innewohnend, sie begleitend oder ihnen nachfolgend – in objektiver und subjektiver Hinsicht die jeweilige Tat und die Person des Täters kennzeichnen, in wertender Betrachtung für jeden der verwirklichten Tatbestände ergibt, dass das jeweilige Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung eines nach der jeweiligen Strafvorschrift zur Verfügung stehenden Ausnahmestrafrahmens für minder schwere Fälle geboten erscheint (vgl. BGH in NStZ-RR 2001, 215). Das ist bei Heranziehung der vorangestellten Zumessungserwägungen bei den von dem Angeklagten als jungem Heranwachsenden am 29.05.2011 begangenen Verfehlungen nicht der Fall.
254Die Tat wiegt weder als versuchter Totschlag noch als gefährliche Körperverletzung minder schwer. Denn den vorgenannten mildernden Umständen stehen die aufgezeigten erschwerenden Faktoren, insbesondere die Anzahl der Stiche, des dreifach erfüllten Unrechtstatbestands der gefährlichen Körperverletzung, die jeweils eingetretenen gesundheitlichen Folgen der Opfer keinesfalls weniger gewichtig entgegen. Das lässt die Annahme minder schwerer Fälle sowohl der gefährlichen Körperverletzung als auch des versuchten Totschlags ausschließen.
255Daran hält die Kammer auch bei nochmaliger Berücksichtigung des Umstandes fest, dass der Totschlag hier nicht zur Vollendung gelangt ist und der Angeklagte nicht ausschließbar im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat. Dabei ist sie sich bewusst, dass bereits das Vorliegend eines vertypten Milderungsgrundes – hier der des Versuchs nach § 23 Abs. 2 StGB bzw. der der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB – für sich allein oder zusammen mit sonstigen Milderungsgründen zur Annahme eines minder schweren Falles führen kann. Auch bei dieser nochmaligen Betrachtung geben jedoch die strafmildernden Gesichtspunkte den Taten ihr kennzeichnendes, die strafschärfenden Umstände deutlich zurückdrängenden Gepräge nicht.
256Jedoch erfolgt eine Milderung der Strafe unter dem Gesichtspunkt des Versuchs (§ 23 Abs. 2 StGB) und der nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) sowie des Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46a StGB) hinsichtlich der Tat vom 29.05.2011 ausdrücklich.
257Die Abwägung der vorangestellten Umstände in Bezug auf die am 09.01.2010 begangene Tat ergibt hingegen, dass diese sich als sogenannter minder schwerer Fall des Raubes im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB darstellt, weil hier das gesamte Tatbild einschließlich der subjektiven Momente, von den erfahrungsgemäß vorkommenden Fällen, die nach §§ 249, 250 StGB zu ahnden sind, wegen des Überwiegens schuldmildernder Gesichtspunkte in solchem Maße abweicht, dass die Anwendung des – im Erwachsenenstrafrecht vorgesehenen, aber auch hier zu erwägenden – Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Dies insbesondere deshalb, weil der Überfall, zu dem sich der Angeklagte gemeinsam mit den Angeklagten L und T spontan entschlossen hatte, nach den Bekundungen des Zeugen B3 zumindest durch den Angeklagten I dilletantisch ausgeführt wurde, was auch und insbesondere darin zum Ausdruck kommt, dass der Angeklagte beim Durchladen der Schreckschusspistole das Magazin derselben verloren hat. Hinzu kommt, dass die Beute mit 450,00 € gemessen an üblichen Fällen der schweren räuberischen Erpressung objektiv eher gering war, dies auch deshalb, weil der Angeklagte und seine Mittäter die Örtlichkeiten zuvor nicht ausgekundschaftet hatten; auch hat der Angeklagte nicht ausschließbar hier im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB gehandelt hat. Hinzu kommt das von ehrlicher Einsicht und Reue getragene Geständnis des Angeklagten. Diese schuldmildernden Gesichtspunkte überwiegen die strafschärfenden Umstände - Übermacht der Angeklagten, erheblicher eigener Tatbeitrag des Angeklagten sowie dessen strafrechtliche Vorbelastungen.
258Die Abwägung der oben dargelegten Gesichtspunkte ergibt, dass zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten eine empfindliche Jugendstrafe zu verhängen ist. Bei deren Bemessung erlangen die strafschärfenden Gesichtspunkte genauso Bedeutung wie die aufgezeigten strafmildernden Faktoren, die die Kammer besonders gewichtet hat.
259Nach alledem hält die Kammer eine Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten für erzieherisch geboten aber auch ausreichend. Diese Strafe erscheint der Kammer als gerechter Schuldausgleich und gleichzeitig erzieherisch angemessen, weil sie einerseits die im Hinblick auf das künftige Leben des noch jungen Angeklagten erforderliche Einwirkung im Strafvollzug ermöglicht, ihn andererseits aber auch nicht ohne überschaubare Perspektive lässt. Insbesondere kann der Angeklagte, der bei Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft und der vollzogenen Unterbringung in einer Einrichtung zur Untersuchungshaftvermeidung noch eine Restjugendstrafe von nicht mehr drei Jahren zu verbüßen hat, damit rechnen, dass er im offenen Vollzug weiterhin seine bereits begonnene Ausbildung fortsetzen kann.
260II.
261Die Tat des Angeklagten C, der bei deren Begehung zwanzig Jahre und acht Monate alt und damit Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG gewesen ist, beurteilt die Kammer nach den für Jugendliche geltenden Vorschriften. Denn nach dem bisherigen Lebensweg dieses Angeklagten, der trotz seiner relativ frühen Selbständigkeit nach seinen eigenen Angaben und denen der Jugendgerichtshilfe noch in erheblichem Maße von der Fürsorge der Mutter abhängig ist, geht die Kammer davon aus, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichgestanden hat (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG).
262In der Tat dieses Angeklagten sind schädliche Neigungen hervorgetreten. Denn in der Tat – der Angeklagte trat einem ersichtlich wehr- und hilfloses Opfer mit Anlauf gegen den Kopf – haben sich charakteristische Mängel gezeigt, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer solcher Straftaten in sich bergen, die mehr als nur „gemeinlästig“ sind.
263Die Kammer kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nach Erschöpfung ihrer Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilen, ob die vorliegenden schädlichen Neigungen von solchem Umfang sind, dass sie die Verhängung von Jugendstrafe erfordern. Der Angeklagte ist zwar bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, die diesen Vorbelastungen zugrunde liegenden Verfehlungen sind jedoch von deutlich geringerem Gewicht als die nun zur Verurteilung stehende Tat. Auch hat er sich inzwischen geraume Zeit straffrei geführt.
264Daher macht die Kammer von der in § 27 JGG für solche Fälle vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Schuld des Angeklagten festzustellen und die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für eine Bewährungszeit von einem Jahr auszusetzen.
265Hinsichtlich der Höhe der vorbehaltenen Jugendstrafe berücksichtigt die Kammer Folgendes:
266Zugunsten des nicht erheblich vorbelasteten Angeklagten C spricht, dass er bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten N3 nicht ausschließbar im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat. Gleichfalls berücksichtigt die Kammer, dass sich der Angeklagte – wenn auch spät – so doch, soweit er die Tat erinnert, geständig eingelassen hat. Er hat sich zudem gegenüber dem Geschädigten N3 dazu verpflichtet, die von diesem erlittenen Schmerzen aus seinen eigenen finanziellen Mitteln durch Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000,00 € wieder gut zu machen.
267Zu Lasten des Angeklagten jedoch muss sich auswirken, dass er - was das Gewicht der begangenen Tat mitbestimmt - dem ersichtlich wehrlos am Boden liegenden Geschädigten N3 mit Anlauf gegen den Kopf getreten hat und hierdurch gleich drei Tatbestandsmerkmale des § 224 StGB – nämlich das der gemeinschaftlichen (Nr. 4) Begehung mittels eines gefährlichen Werkezugs (Nr. 2) sowie einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5) – verwirklicht hat.
268Bereits aus diesen zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigenden Umständen folgt, dass seine Tat nicht minder schwer wiegt, mithin kein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung anzunehmen ist. Hieran vermögen auch die dem entgegen stehenden mildernden Umstände, auch das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB, nicht zu ändern.
269Unter zusammenfassender Würdigung aller vorgenannten Erwägungen behält sich die Kammer die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Monaten vor.
270III.
271Der Angeklagte L war zurzeit der verfahrensgegenständlichen Taten 19 Jahre alt und damit Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG. Aufgrund der festgestellten Biografie – der Angeklagte lebte bis zu seiner Inhaftierung noch im mütterlichen Haushalt und hatte weder schulisch noch beruflich Fuß gefasst – geht die Kammer davon aus, dass er bei Begehung der Taten nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichgestanden hat (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), sodass die Anwendung von Jugendstrafrecht geboten ist.
272Bei der Bemessung von Art und Maß der gegen ihn zu verhängenden Rechtsfolgen geht die Kammer von folgenden Erwägungen aus:
273Der Angeklagte L ist unter schwierigen sozialen Bedingungen aufgewachsen und hat eine grenzsetzende Erziehung weder durch den selbst durch Alkoholprobleme belasteten Vater, noch durch die bedingungslos hinter ihren Kindern stehende Mutter erfahren. Aus diesem Grunde mag ihm normgerechtes Verhalten schwerer fallen als anderen. Soweit es die Tat zum Nachteil des Nebenklägers S1 betrifft, hält die Kammer dem Angeklagten zugute, dass er bei deren Begehung durch den zuvor genossenen Alkohol nicht ausschließbar in gewisser Weise enthemmt gewesen ist, wenngleich sich insoweit keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass seine Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen sein könnte.
274Auch spricht für den Angeklagten, dass der von ihm gegen den Geschädigten S1 geführte Schlag ohne nennenswerte Verletzungsfolgen geblieben ist. Andererseits belastet den Angeklagten jedoch, dass er mit diesem ersten Faustschlag, bei dessen Ausführung er wusste, dass nun auch seine Freunde eingreifen würden, das sich anschließende Geschehen in Gang gesetzt hat, wobei die Kammer indes nicht verkennt, dass er mit dem Einsatz eines Messers nicht gerechnet hat.
275Soweit es die Tatgeschehnisse vom 09.01.2010 (Tankstelle) betrifft, hält die Kammer dem Angeklagten L zugute, dass er die bei der Tat verwendete Schreckschusspistole nicht eigenhändig geführt hat, wenngleich andererseits strafschärfend Berücksichtigung finden muss, dass ihm die Waffe gehörte und er diese zur Tatausführung zur Verfügung gestellt hat.
276Strafmildernd wirkt sich auch bei ihm ebenso wie bei I aus, dass diese Tat – für deren Begehung auch seine beengten finanziellen Verhältnisse mitbestimmend gewesen sein mögen – nicht von langer Hand geplant und dilettantisch ausgeführt, der hierdurch verursachte Schaden vergleichsweise gering und auch der Zeuge B3 durch das Geschehen psychisch nicht nachhaltig beeindruckt worden ist.
277Auch bedenkt die Kammer, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten L bei der Begehung dieser Tat durch den vorangegangenen Konsum von Alkohol und Drogen nicht ausschließbar im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen ist.
278Für ihn spricht weiter, dass er sich im Verlaufe der Hauptverhandlung hinsichtlich sämtlicher Taten geständig eingelassen und ehrliche Einsicht und Reue in sein Fehlverhalten zu erkennen gegeben hat. Strafmildernd wirkt sich schließlich aus, dass er durch die bereits über einen langen Zeitraum gegen ihn vollzogene Untersuchungshaft besonders belastet ist.
279Strafschärfend fällt demgegenüber ins Gewicht, dass der Angeklagte L bereits vielfach – darunter auch wegen Körperverletzung und Raubes – strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und er sich durch keine der bisher gegen ihn erkannten Sanktionen zur Einsicht hat bringen lassen. Dabei wirkt sich insbesondere nachteilig aus, dass er sämtliche der hier behandelten Taten begangen hat, obwohl er erst kurze Zeit zuvor durch Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 03.06.2009 zu einer Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war.
280Soweit es die Tat vom 07.05.2010 zum Nachteil T6 betrifft, belastet ihn zudem die Intensität der Tatausführung bei Verwendung gleich zweier Glasflaschen zum Schlagen auf den Kopf des Geschädigten, die bei diesem zu schon erheblicheren Verletzungen und einer bis heute sichtbaren Narbe geführt hat.
281Die Abwägung aller vorgenannten Umstände ergibt zunächst, dass unter den bereits bei I erörterten Gesichtspunkten, die hier entsprechend gelten und zu denen noch das Fehlen eines eigenhändigen Führens der Schreckschusspistole tritt, die Tat vom 09.01.2010 als sogenannter minder schwerer Fall des schweren Raubes (§ 250 Abs. 3 StGB) zu bewerten ist.
282Die Taten zum Nachteil S1 und T6 stellen hingegen bei wertender Gesamtbetrachtung aller Umstände keine minder schweren Fälle der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB) dar, weil hier die straferhöhenden Umstände – insbesondere die erheblichen Vorbelastungen des Angeklagten, sein Bewährungsversagen, sein Beitrag zur Eskalation des Geschehens am 29.05.2010 sowie das Einschlagen mit gleich zwei Flaschen auf den Kopf des Geschädigten T6 – die oben im Einzelnen aufgezeigten strafmildernden Faktoren nicht überwiegen.
283Die Abwägung aller vorgenannten Strafzumessungsfaktoren ergibt weiter, dass in den hier behandelten Taten – erneut – schädliche Neigungen (§ 17 JGG) des Angeklagten L hervorgetreten sind, die bereits derart verfestigt sind, dass die Kammer sie trotz der seit Begehung der Taten verstrichenen Zeit und der inzwischen erfolgten Einwirkung der Untersuchungshaft auch heute noch für gegeben hält. Diese erfordern eine längere Gesamterziehung im Rahmen von Jugendstrafe.Bei der konkreten Bemessung der gegen den Angeklagten L zu verhängenden Strafe erwägt die Kammer sämtliche bereits für die Auswahl der Rechtsfolge bestimmenden Gesichtspunkte erneut und misst dabei den strafmildernden Umständen – so insbesondere dem von Reue getragenen Geständnis des sozial randständig, ohne grenzsetzende erzieherische Einflussnahme aufgewachsenen und durch langen Vollzug von Untersuchungshaft belasteten Angeklagten, der nicht ausschließbar bei Begehung der als minder schwerer Fall des schweren Raubes zu qualifizierenden, spontan und dilettantisch sowie bei Erlangung vergleichsweiser geringer Beute ausgeführten Tat vom 09.01.2010 durch Alkohol- und Drogenkonsum vermindert schuldfähig und bei Begehung der Tat vom 29.05.2010 möglicherweise alkoholbedingt enthemmt gewesen ist – besondere Bedeutung zu.
284Bei Abwägung mit den bereits aufgezeigten Straferschwernisgründen, so insbesondere den erheblichen Vorbelastungen, dem Bewährungsversagen, der Bedeutung seines gegen S1 geführten Schlages auch für das nachfolgende Geschehen, der Intensität seines Einwirkens auf T6 und der damit verCenen Verletzungsfolgen, erscheint der erzieherische Nachholbedarf des Angeklagten L hoch.
285Dies erfordert eine schon empfindliche Jugendstrafe, die die Kammer unter der gemäß § 31 Abs. 2 JGG gebotenen Einbeziehung der im Tenor näher bezeichneten Urteile und unter eigenständiger Würdigung auch der diesen Urteilen zugrundeliegenden Taten mit vier Jahren für erzieherisch geboten, aber auch ausreichend hält.
286IV.
287Zugunsten des – allein an der Tat vom 09.01.2010 beteiligten – schon erwachsenen, aber auch noch in jungem Lebensalter stehenden Angeklagten T spricht, dass er sich ebenfalls frühzeitig umfassend geständig eingelassen, sich in der Hauptverhandlung bei dem Geschädigten B3 entschuldigt und aufrichtige Reue gezeigt hat.
288Zur Tatzeit befand er sich aufgrund seiner Arbeitslosigkeit in einer Krisensituation, war – weil er einen Beruf nicht erlernt hat – ohne berufliche Perspektive und lebte nach der nur zwei Monate vor der Tat vollzogenen Scheidung von seiner Ehefrau bei seiner Mutter und dort allein von staatlicher Unterstützung. Er befand sich – auch wegen des durch regelmäßigen Drogenkonsum erhöhten Geldbedarfs – in finanziellen Schwierigkeiten, wenn diese auch nicht existenziell waren.Auch bei diesem Angeklagten muss sich strafmildernd auswirken, dass die aus der spontan und dilettantisch begangenen Tat erlangte Beute nicht allzu hoch gewesen und der Zeuge B3 durch das Geschehen nicht nachhaltig psychisch belastet ist.Auch ihm hält die Kammer zugute, dass er die Tat nicht ausschließbar im Zustand verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat.Schließlich ist er durch die gegen ihn vollzogene Untersuchungshaft und den damit einhergehenden erstmaligen Freiheitsentzug besonders belastet.
289Strafschärfend wirkt sich demgegenüber aus, dass er bei Ausführung der Tat, nachdem er die Waffe von I übernommen hatte, den Zeugen B3 eigenhändig damit bedroht hat und als Wortführer aufgetreten ist, er also einen ganz erheblichen eigenen Tatbeitrag geleistet hat.
290Diese vorangestellten Gesichtspunkte sind hier bereits bei der Strafrahmenwahl von Bedeutung, für die eine umfassende Würdigung aller für die Wertung der jeweiligen Tat und des Täters in Betracht kommenden Umstände erforderlich ist. Unter Heranziehung aller bereits erörterten Gesichtspunkte ergibt sich auch hinsichtlich dieses Angeklagten trotz seines gewichtigen Tatbeitrags bei kumulativer Berücksichtigung einerseits der nicht vertypten Milderungsgründe – seines jungen Alters, der aufrichtigen Unrechtseinsicht, der Belastung durch die Untersuchungshaft und seiner besondere Strafempfindlichkeit als erstmals Inhaftierter – und andererseits des vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB ein wesentliches Überwiegen strafmildernder Gesichtspunkte, das die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens des § 250 Abs. 3 StGB als geboten erscheinen lässt.
291Bei der Bemessung der wegen der Tat vom 09.01.2010 gegen den Angeklagten innerhalb dieses Strafrahmens zu verhängenden Strafe wertet die Kammer sämtliche genannten Strafzumessungskriterien erneut und misst dabei den mildernden Gesichtspunkten besonderes Gewicht bei.
292Dabei gilt:Der geständige und reuige Angeklagte war zur Tatzeit bedingt durch den Verlust seiner Arbeitsstätte in eine persönliche Krise geraten, die einher ging mit erheblichem Alkohol- und Drogenkonsum. Er lebte in den Tag hinein, hatte keinen geregelten Tagesablauf und war nach der Scheidung von seiner Ehefrau Ende November 2009 zurück zu seiner Mutter gezogen. Zur Tatbegehung, bei der er nicht ausschließbar – was die Kammer hier erneutet wertend beachtet - unter dem Einfluss vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums stand und hierdurch in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war, hat er sich spontan entschlossen. Zu deren – dilettantischer – Ausführung hat er dann aber die maßgebenden Beiträge geleistet, indem er eigenhändig den Zeugen B3, der sich einer Übermacht von drei Tätern gegenüber sah, mit der Schreckschusspistole bedroht hat. Dies ist jedoch ohne nachhaltige psychische Beeinträchtigungen des Zeugen geblieben; auch der verursachte finanzielle Schaden war vergleichsweise gering.
293Die Kammer berücksichtigt bei der Bemessung der zu verhängenden Freiheitsstrafe auch, dass mit der Strafe aus dem seit dem 11.02.2010 rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 03.02.2010 (104 Ls-110 Js 7825/08-73/08) vorliegend aufgrund einer eingetretenen Zäsurwirkung keine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB gebildet werden kann und demzufolge ein Härteausgleich stattzufinden hat. Denn die nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 StGB ist dann ausgeschlossen, wenn das Gericht, das früher entschieden hat, eine Strafe, die in einer noch früheren Verurteilung ausgesprochen worden ist, in eine Gesamtstrafenbildung hätte einbeziehen können. In diesem Fall geht von der ersten Vorverurteilung eine Zäsurwirkung aus, die zur Folge hat, dass die Strafe aus der späteren Vorverurteilung und die Strafe, die im anhängigen Verfahren für eine Tat ausgesprochen wird, die zwischen den Vorverurteilungen begangen worden ist, nicht mehr Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein kann. Voraussetzung ist jedoch, dass die Taten aus der zweiten Verurteilung zeitlich vollständig vor der ersten Verurteilung begangen worden sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss v. 24.10.2002, NStZ 2003, 200 f.). So liegt der Fall hier: Bereits am 15.12.2009 (Vorverurteilung zu B. IV. 2.) hätte die noch frühere Vorverurteilung vom 14.07.2009 (Vorverurteilung zu B. IV. 1) in eine Gesamtstrafenbildung einbezogen werden können. Denn dem Strafbefehl vom 15.12.2009 lag eine Tat, die zwischen dem 12.12.2007 und dem 29.02.2009 begangen worden war, mithin vor Erlass des Strafbefehls am 14.07.2009, zugrunde. Von der ersten Vorverurteilung, mithin dem Strafbefehl vom 14.07.2009, geht daher eine Zäsurwirkung aus, die zur Folge hat, dass die Strafe aus der späteren Verurteilung – hier der Verurteilung vom 03.02.2010 (zu B. IV. 3) – und die im hiesigen Verfahren zu verhängende Strafe für die Tat vom 09.01.2010 – die vor der Verurteilung vom 03.02.2010 (zu B. IV. 3) begangen worden ist, nicht mehr Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein kann. Aus diesem Grunde hat ein Härteausgleich stattzufinden.
294Unter Berücksichtigung dessen und bei zusammenfassender Würdigung aller übrigen aufgezeigten Strafzumessungsgesichtspunkte erscheint der Kammer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten als tat- und schuldangemessen.
295F.
296Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der - wie unter C.II. 1.4 ausgeführt – freigesprochenen Angeklagten T2 und T3 aus § 467 StPO; im Übrigen aus den §§ 465, 472 StPO, § 74 JGG.
297Die hinsichtlich des Angeklagten T3 getroffene Entscheidung zur Frage der Entschädigung für die von ihm erlittene Polizei- und Untersuchungshaft beruht auf§ 5 Abs. 3 StrEG. Dem Angeklagten war eine Entschädigung insoweit zu versagen, weil er durch sein unentschuldigtes Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin am 19.07.2011 den Erlass und Vollzug eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO selbst verursacht hat.
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